SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 11.07.1961 Italien belegt Österreich mit einem Visumszwang Von Theo Wurm Sendung: 11.07.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Es liegt sicher an den hochaufragenden Bergen, an der tief zerklüfteten Landschaft und an den bäuerlichen Lebensverhältnissen, dass in SÜDTIROL geschichtliche Erfahrungen nicht so recht Vergangenheit werden können. Dazu erinnern Denkmäler an den Freiheitskampf von Andreas Hofer gegen Napoleon und die mit ihm verbündeten Bayern. Dazu erinnern Tunnel in den Dolomiten an die erbitterten Kämpfe gegen die Italiener im ersten Weltkrieg. Ohne Vorwarnung explodierten 1961 innerhalb von drei Tagen 47 Plastikbomben. 37 Hochspannungsmasten wurden wie Bäume umgeknickt oder gefällt. Die Wirkung war verheerend, ihre Richtung eindeutig: Die Versorgung der italienischen Industriezentren mit der Energie aus den südtiroler Bergregionen brach weitgehend zusammen. Auf 300 stieg die Zahl der Anschläge innerhalb weniger Monate. Italien, dessen Provinz "Alto Adige", "Obere Etsch" dieses Südtirol 1919 geworden war, mobilisierte 25.000 Soldaten sowie 10.000 Polizisten und Carabinieri. Hubschrauber kreisten über den Bergtälern. Die Polizei durchsuchte die Häuser Verdächtiger. Carabinieri bewachten 4.400 Hochspannungsmasten. Täter wie Rädelsführer blieben zunächst unentdeckt. Die italienischen Behörden schätzten, dass mindestens 150 "treue Söhne der Heimat", wie sie sich selbst nannten, beteiligt sein mussten. Und sie mussten nach einem raffinierten, in aller Heimlichkeit entwickelten, Plan verfahren sein. Der wirtschaftliche Schaden wuchs Tag für Tag: Sieben der neun Hochspannungsleitungen nach Oberitalien waren unterbrochen. Die Produktion der Bozener Industrie ging zeitweise auf ein Fünftel zurück. Über die Hälfte der erwarteten Feriengäste machten ihre Urlaubsanmeldungen rückgängig, zumal Italien am 11.Juli 1961 Österreich mit einem Visumzwang belegte. Der Verdacht, dass die Anschläge politisch von Österreich mit vorbereitet und vor allem von Innsbruck aus organisatorisch und technisch geplant waren, fand im Laufe der Zeit immer verlässlichere Bestätigung. Denn zur Nachbarschaft in den Nordalpen wurden von alters her enge Beziehungen gepflegt, auch dann noch, als Italien 1919 seine Grenze an den Brenner verlegen und Südtirol als Kriegsbeute vereinnahmen durfte, getreu den Pariser Verträgen. Bald danach allerdings setzte der italienische Faschismus alles daran, jede Eigenständigkeit Südtirols zu verdrängen. Italienisch musste Amts- und Unterrichtssprache werden. Italienisch wurden Behörden und Polizei. Italienisch mussten die Tiroler Ortsnamen lauten. Italiener wurden umgesiedelt. Mit ihnen wurde eine ganze Industrieregion neu aufgebaut. Keine diplomatische Hand rührte sich für das bedrängte Südtirol. Die Wiener Regierung nicht, weil sie den Anschluss an das Deutsche Reich suchte. Und das Deutsche Reich nicht, weil Hitler seinen Pakt mit Mussolini nicht in Gefahr bringen wollte. Und als dann der Zweite Weltkrieg sein Ende fand, waren mit Deutschland auch alle Träume von "heim ins Reich" erledigt. Südtirol bekam zwar ein Autonomie-Statut. Aber Italien hielt es so wenig wie möglich ein, höhlte es so weit wie möglich aus. Erst als Österreich mit seinem NeutralitätsStatus die russische Besatzung abschüttelte, 1956, erst von da an konnte es sich als Anwalt der Südtiroler aufschwingen, von Innsbruck her politisch unter Druck gesetzt. Mit dieser Rückendeckung bombten denn die "Söhne der Heimat" die italienische Provinz „Alto Aldige“, „Obere Etsch“, in die allgemeine politische Aufmerksamkeit bis hin zur UNO. Das Ende wurde markiert durch ein zweites Autonomiestatut, das den Belangen der deutschsprachigen Mehrheit in einem hohen Maße Rechnung trägt. 1
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