SWR2 Zeitwort

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Zeitwort
02.09.1859:
Der bisher stärkste Sonnensturm verursacht Polarlichter bis über
Rom und Havanna
Von Markus Bohn
Sendung: 02.09.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede
weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des
Urhebers bzw. des SWR.
Service:
SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter
www.swr2.de oder als Podcast nachhören:
http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml
Autor:
„Die Mutter aller Sonnenstürme“ traf die Menschen völlig unvorbereitet. Während
man in Rom und Havanna über das bizarre Himmelsleuchten staunte, fluchte die
noch junge Zunft der Telegrafentechniker weltweit, weil plötzlich nichts mehr
funktionierte. Die Verbindungen brachen reihenweise zusammen, Kurzschlüsse
lösten Brände in den Stationen aus und niemand hatte eine Erklärung dafür. Denn
Anfang September 1859 wusste man noch nicht, was sich physikalisch hinter diesem
lautlosen Leuchten verbirgt, wie es zustande kommt. Dieses Rätsel hat der
schwedische Physiker Anders Jonas Angström erst acht Jahre später - wenigstens
teilweise - gelöst, indem er erkannte, dass es sich um selbstleuchtende Gase der
Atmosphäre handelt. Und es dauerte weitere 30 Jahre, um herauszufinden, was die
Atmosphäre zum Leuchten bringt. Heute weiß man, dass die Sonne einigermaßen
regelmäßig gewaltige Mengen geladener Teilchen ins All schleudert- hauptsächlich
Elektronen und Protonen, von denen ein Teil mit aberwitziger Geschwindigkeit auf
die Erde zurast, vom Magnetfeld der Erde zu den Polen abgelenkt wird und dann in
die Atmosphäre eindringt.
Das Wechselspiel dieser geladenen Sonnenpartikel mit den Luftmolekülen lässt
diese dann in faszinierendem Rot, Grün oder Blauviolett aufscheinen.
Zwei bis vier Tage brauchen diese Sonnenwinde normalerweise, um die rund 150
Millionen Kilometer von der Sonne zur Erde zurückzulegen. Im September 1859 aber
war der Sturm so gewaltig, dass er bereits nach knapp 18 Stunden über die Erde
hereinbrach. Und dieser Sturm zählt bis heute zu den zehn stärksten, die jemals
beobachtet worden sind. Dennoch ist das Ganze einigermaßen glimpflich
abgelaufen. Denn empfindlich reagieren vor allem elektrische und elektronische
Systeme und die Elektrifizierung steckte damals noch in den Kinderschuhen.
Heute können selbst mittlere Sonnenstürme größere Schäden verursachen. Wie z.B.
im Jahr 1989, als in der kanadischen Provinz Quebec das Hochspannungsnetz
ausfiel und sechs Millionen Menschen neuen Stunden lang keinen Strom hatten. Und
ein Super-Sonnen-Sturm wie anno 1859 wäre heute richtig gefährlich. Nicht nur für
die Stromnetze, auch für die gesamte Telekommunikation, für Satelliten, sowie
indirekt für den Flugverkehr und alle anderen Bereiche, die auf ein funktionierendes
Satelliten-Navigations-System angewiesen sind.
Heute treffen uns solche Ereignisse allerdings nicht mehr total überraschend. Denn
die Aktivitäten der Sonne werden rund um die Uhr beobachtet und vermessen. Nicht
nur von der Erde aus. Um die Vorwarnzeiten zu erhöhen, betreiben die
amerikanische und die europäische Weltraumagentur gemeinsam z.B. das
Weltraumteleskop SOHO. 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt hat dieser
Vorposten die Sonnenoberfläche ständig im Blick und erkennt alle Anzeichen für
einen vermehrten Ausstoß elektrisch geladener Partikel. Bis die dann auf der Erde
ankommen, vergehen i.d.R. ein bis vier Tage. Genügend Zeit also, um sich z.B. auf
mögliche Probleme mit der Satelliten-Navigation einzustellen. Auch Anfang
September 1859 hatte sich die „Mutter aller Sonnenstürme“ angekündigt. 18 Stunden
bevor die Kompassnadeln auf der Erde zu zittern begannen und Polarlichter den
Himmel noch über Rom und Havanna zum Leuchten brachten, hatte der britische
Astronom Richard Carrington rein zufällig einen auffälligen Lichtblitz auf der Sonne
beobachtet, einen sogenannten Flare. Allerdings konnte er das noch nicht als
Warnzeichen deuten. Den Zusammenhang mit den Polarlichtern erkannte man erst
im Nachhinein. Und so markiert dieses Ereignis gewissermaßen auch den Beginn
einer Weltraumwetter-Vorhersage.
1