Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft

Nationalrat, XXV. GP
16. März 2016
117. Sitzung / 1
10.58
Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Vizekanzler Dr.
Reinhold Mitterlehner: Frau Präsidentin! Herr Bundeskanzler! Geschätzte Mitglieder
der Bundesregierung! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben mittlerweile
den achten Europäischen Rat seit Beginn der Flüchtlingskrise, der sich mit diesem
Thema beschäftigt, und es stehen wirklich wichtige Themen wie die gerade
angesprochene Vereinbarung mit der Türkei, der umfassende Schutz der
Außengrenzen, die schnellere Umverteilung aus Griechenland, aber auch weitere
Grenzschließungen aufgrund neuer Routen auf der Tagesordnung.
Sie merken aber allein an der Tatsache, dass wir uns mittlerweile schon bei acht
Europäischen Räten mit diesem Thema beschäftigen, dass schon die Frage
gerechtfertigt ist, ob alles in dem Zusammenhang inhaltlich und auch was den
Zeitablauf anbelangt, schnell und ausreichend genug passiert. In dem Zusammenhang
glaube ich auch, dass die österreichische Position, die ja mehrfach in der
Vergangenheit angesprochen worden ist, aber natürlich auch in der Zukunft erwähnt
werden wird, die Fragestellung aufwirft: War es richtig in dieser Situation, national
einmal einen Schritt nach vorne zu machen, mit Maßnahmen des Grenzmanagements
und mit anderen Überlegungen?
Schauen Sie sich die historische Entwicklung Österreichs an; der Herr Bundeskanzler
hat es angesprochen: Österreich hat die moralische Verpflichtung, was Hilfe anbelangt,
in der Vergangenheit, besonders auch im letzten Jahr wahrgenommen und wird sie
auch in Zukunft wahrnehmen. Wir verpflichten uns selbstverständlich, im Hinblick auf
Flüchtlinge, Schutzbedürftige unseren Teil zu leisten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, das Problem ist und war, dass wir uns mit der
gesamten Abwicklung – mit Ausnahme von Deutschland und Schweden – doch relativ
allein gelassen fühlen mussten und das auch bemerkt haben. Daher: Es geht nicht
darum, dass wir nicht helfen wollen, es geht darum, dass wir keine illegale Migration
dulden können, sondern geregelte und solidarisch, von ganz Europa solidarisch
getragene Migration brauchen. Das ist der Vorgang, das ist der Unterschied. (Beifall
bei der ÖVP sowie der Abgeordneten Weninger und Strolz.)
Wenn Sie auf die Zwischenergebnisse schauen – und ich glaube, es ist ein
Zwischenergebnis –, war es notwendig, dass wir hier einen Weckruf getätigt haben,
eine Zwischenlösung erreicht haben, denn im Endeffekt ist das, was wir vorgeschlagen
haben, mittlerweile europäischer Konsens. Herr Präsident Tusk hat letzte Woche am
Mittwoch Europa, insbesondere die Balkanstaaten dafür verteidigt und gelobt, dass die
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Balkanroute – als Ausdruck dieser illegalen Migration – geschlossen worden ist. Wir
fühlen uns daher unterstützt, aber nicht nur unterstützt, sondern wir haben genau
diesen Weg auch vorgeschlagen. (Präsident Kopf übernimmt den Vorsitz.)
Die entscheidende Frage ist jetzt, glaube ich, folgende: Wir müssen gemeinsam in
Europa dafür sorgen, dass die Balkanroute auch geschlossen bleibt. Selbst wenn
Druck aufgebaut wird, darf es nicht zu einer Öffnung kommen! Warum? – Weil
ansonsten genau das Gleiche passiert, was vorher der Fall gewesen ist, nämlich, dass
die unkontrollierte, die quantitativ nicht beherrschbare Migration, der Zustrom nach
Österreich und nach Deutschland aufrechterhalten werden würde. Daher glaube ich,
dass es richtig ist, auch der mazedonischen Regierung dafür zu danken, dass sie an
ihren Grenzen einen Beitrag leistet – der nicht einfach ist –, um genau diesem Ziel
einer dauerhaften Lösung zu entsprechen, dass dieses Ziel dadurch unterstützt wird.
(Beifall bei der ÖVP.)
Das reicht aber allein nicht aus. Es muss auch Griechenland seinen Beitrag leisten und
darf nicht die Menschen weiter an die Grenze strömen lassen, weil dadurch natürlich
Druck aufgebaut wird, Situationen entstehen, die wir nicht haben wollen. Es wird uns ja
vielfach dann in diesem Zusammenhang gesagt, wir hätten jetzt die österreichische
Problematik nach Griechenland exportiert und Griechenland würde jetzt allein
dastehen. Meine Damen und Herren, das ist nicht so. Wir haben 100 000 Menschen in
unserem Land aufgenommen und die Asylanträge in Bearbeitung. Griechenland ist
nicht einmal noch bei 50 000 angelangt und ist ein Land, das größer ist als Österreich.
Daher muss man sagen, natürlich wissen wir die finanziellen Probleme dort zu
würdigen, aber schauen Sie, was die Europäische Union tut: Sie leistet finanzielle
Hilfe – sie hat das schon im Vorjahr getan und hat auch jetzt 600 Millionen €
angekündigt – und natürlich auch humanitäre Hilfe. Die wollen wir auch leisten, aber
ich glaube, es ist dem Land durchaus zumutbar, dass die Flüchtlinge dort – in einem
EU-Land – bleiben, wenn die Versorgung gewährleistet ist, und kein Recht darauf
haben, jetzt nach Deutschland oder sonst wohin, ihrem Wunschprogramm
entsprechend, zu gehen – das ist es meines Erachtens, was wir auch gewährleisten
müssen – und dass diese Erwartungshaltung der Flüchtlinge: Wir brauchen nur an der
Grenze Druck zu erzeugen, und irgendwo gibt es eine Lösung!, dann auch tatsächlich
in der Praxis gerechtfertigt ist. Es gibt keinen Fluchtgrund aus einem EU-Land wie
Griechenland und kein Recht darauf, sich das beste Land auszusuchen. (Beifall bei der
ÖVP.)
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117. Sitzung / 3
Daher, meine Damen und Herren, gibt es zwei Dinge zu tun: Man muss auch einen
Appell richten, nämlich an die Schlepper – das wird schwierig sein, das weiß ich –,
aber vor allem auch an die Aktivisten, die, falsch verstanden oder in der Absicht, das
so auch wirklich umzusetzen, Falschinformationen verbreiten, weil sie mit diesem
unerlaubten Übergang natürlich genau das Leben derer gefährden, in den Flüssen, die
sie eigentlich schützen wollen. Der Vorwurf geht genau in diese Richtung, und ich
glaube, er ist auch berechtigt. (Beifall bei der ÖVP.)
Daher, meine Damen und Herren, muss auch Deutschland aus seiner schweigenden
Rolle in eine klare Erklärungsrolle gebracht werden, und es gibt meines Erachtens zwei
Möglichkeiten: Entweder sagt Deutschland, wir nehmen so und so viele Migranten auf
und bringen diese dann, auf welchem Weg auch immer, ins Land – das ist die eine
Variante; dann kann man eine Erwartungshaltung auch entsprechend bedienen –; oder
Deutschland sagt – das ist die andere Variante –, wir sind auch an der Grenze
angelangt, wir können auch nicht unbeschränkt und unbedingt aufnehmen. Und dann,
wenn das gesagt wird, wird auch die Erwartungshaltung bei den Flüchtlingen eine
andere sein.
Wie richtig ich mit meiner Meinung liege, können Sie an dem Umstand erkennen, dass
ein Großteil der Flüchtlinge Angebote, nach Luxemburg, nach Norwegen, nach
Portugal gehen zu können, nicht annimmt – eben genau in der Erwartungshaltung, es
gibt irgendwann das erlösende Wort oder die erlösende Öffnung Richtung Deutschland
und alles ist so wie vorher.
Meine Damen und Herren, das ist notwendig und darauf werden wir auch drängen,
dass eine klare Erklärung erfolgt, dass es entweder eine bestimmte Quote gibt, oder
aber eine Erklärung dahin gehend, dass man sagt, wir können aus bestimmten
Gründen auch nicht. Auch dort werden bestimmte Ressourcen vorhanden sein und
nicht mehr.
Wir müssen aber natürlich mehr tun. Der nächste Schritt, Herr Bundeskanzler, wird
sein, auch im Rat einzufordern, die Ausweichrouten abzusichern, aber auch die
Außengrenzen zu sichern. Ich glaube nicht, dass wir die Auffassung haben können,
jetzt machen wir mit der Türkei einen Deal und die Türkei wird im Alleingang alles
übernehmen. Ganz im Gegenteil, wir brauchen die NATO, wir brauchen Frontex mit
erweitertem Auftrag, um die Außengrenzen zu schützen. (Beifall bei der ÖVP.)
Das ist nicht nur ein Recht, das ist auch eine Pflicht, die wir im Schengen-Vertrag
vereinbart haben, und auf diese Pflicht bestehen wir auch vonseiten Österreichs.
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117. Sitzung / 4
Das heißt, auch was den Türkei-Vertrag anbelangt, es darf nicht der Druck entstehen,
dass wir uns dort ausliefern. Es sind Visabedingungen und insbesondere, für den Fall,
dass Probleme entstehen, auch eine Art Revisionsklausel aufzunehmen, um auch die
Interessen Europas entsprechend zu wahren. All das wissen wir.
Wir haben daher, glaube ich, Österreich mit unserer Initiative Zeit verschafft. Man sollte
das so sehen, dass man das nicht hoch genug schätzen kann. Warum? – Weil wir uns
im Endeffekt, wenn wir – wie es die EU eigentlich geplant hatte – bis Juni gewartet
hätten, einem unregulierbaren Strom von Menschen gegenübersehen würden und gar
nichts mehr tun könnten. Ich glaube, es ist im Interesse der Flüchtlinge, im Interesse
der einzelnen Länder, hier geordnete Verhältnisse und einen geordneten Zugang zu
haben.
Es wird daher wichtig sein, morgen ein vernünftiges Ergebnis mit der Türkei zu
erzielen. Daran die Erwartungshaltung anzuschließen, damit sei alles gelöst, wäre
sicherlich falsch. Wir haben einen Zwischenschritt. Und bevor nicht alle anderen
Schritte auf der gesamtsolidarischen und europäischen Ebene getätigt werden, gilt es,
die Politik der Obergrenze, die Politik der nationalen Maßnahmen fortzusetzen. Das ist
richtig, das ist die Voraussetzung dafür, dass alle anderen Maßnahmen auch greifen
werden.
In diesem Sinn: Eine gemeinsame Linie Österreichs! In diesem Sinn: Keine andere
Alternative! Ich hoffe, Sie werden diesen Weg unterstützen. (Anhaltender Beifall bei der
ÖVP sowie Beifall bei Abgeordneten der SPÖ. – Bravoruf des Abg. Lopatka.)
11.08
Präsident Karlheinz Kopf: Danke, Herr Vizekanzler, Herr Bundeskanzler, für Ihre
Erklärungen.
Wir gehen in die Debatte ein. (Der Beifall vonseiten der ÖVP-Fraktion hält nach wie vor
an. – Abg. Kickl: Das ist wie bei der KPdSU am Parteitag!)
Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 74b Abs. 4 der Geschäftsordnung kein
Redner länger als 10 Minuten sprechen darf, wobei jedem Klub eine Gesamtredezeit
von 25 Minuten zukommt.
Weiters darf sich gemäß § 74b Abs. 6 der Geschäftsordnung jedes Mitglied des
Europäischen Parlaments einmal mit einer Redezeit von maximal 5 Minuten zu Wort
melden.
Als Erster zu Wort gelangt Herr Klubobmann Strache. – Bitte, Herr Klubobmann.
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