Nationalrat, XXV. GP 16. März 2016 117. Sitzung / 1 12.32 Abgeordneter Dr. Rainer Hable (NEOS): Herr Präsident! Hohes Haus! Geschätzte Mitglieder der Bundesregierung! Werte Bürgerinnen und Bürger! Gestern hatten wir einen Jahrestag. Es war kein Jahrestag, den man feiern kann. Gestern waren fünf Jahre Krieg in Syrien, und da ist es auch an der Zeit, zurückzublicken. Die Bilanz ist natürlich erschreckend: 300 000 Tote, 11 Millionen Flüchtlinge, sechseinhalb Millionen davon im Land selbst. Viereinhalb Millionen sind in Nachbarländer geflohen, insbesondere in die Türkei, aber auch in den Libanon und nach Jordanien. Letztes Jahr sind über eine Million davon nach Europa gekommen. Sie sind in ein Europa gekommen, das 500 Millionen Einwohner hat. Nur um die Relationen ins richtige Lot zu bringen: In den Libanon, ein kleines Land mit 5 Millionen Einwohnern, sind mehr Flüchtlinge – deutlich über eine Million – gekommen als nach ganz Europa. Der kleine Libanon hat letztes Jahr mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen als ganz Europa. (Abg. Kogler: Richtig!) Ich frage mich: Warum kann es sein, dass ein Kontinent wie Europa mit 500 Millionen Einwohnern durch diese Anzahl an Flüchtlingen in eine Krise gerät? – Das dürfte nie und nimmer eine Krise sein! Warum ist es aber doch eine geworden? – Weil es keine gemeinsame europäische Politik gibt. Es gibt 28 Köche, die versuchen, das auf eine Art und Weise zu lösen, wie es nicht zu lösen ist. Diese Krise wäre managbar. Europa wäre durch eine Million Flüchtlinge nicht in die Krise geschlittert, wenn es gemeinsam auftreten würde, wenn es eine gemeinsame europäische Politik geben würde. Diese gemeinsame europäische Politik fehlt an allen Ecken und Enden. Es gibt schon einmal keine gemeinsame europäische Außenpolitik. Das hat zur Konsequenz, dass bei den Friedensverhandlungen für Syrien in Genf die USA und Russland am Tisch sitzen. Diejenigen, die nicht betroffen sind, sitzen dort am Tisch und versuchen zumindest, das Problem am Kern zu packen und zu lösen. Diejenigen, die betroffen sind, nämlich Europa, sind gar nicht dabei. Warum sind wir nicht dabei? – Weil es keine gemeinsame europäische Außenpolitik gibt. Genauso wenig gibt es eine gemeinsame europäische Asylpolitik. Es gibt keine gemeinsame europäische Migrationspolitik. Es gibt keine gemeinsame europäische Grenzsicherung. Weil es das alles bedauerlicherweise nicht gibt, gleitet jetzt ein Großteil der 28 EUStaaten in Nationalismus und Egoismus ab – leider auch unsere österreichische Bundesregierung. Unsere österreichische Bundesregierung will verkaufen, dass es die Lösung aller Probleme ist, wenn wir in Österreich die Grenzen vollkommen dichtmachen und niemanden mehr hereinlassen. – Das ist es nicht! Version vom 14. Juni 2016, 10:15 nach § 52(2) GOG autorisiert Nationalrat, XXV. GP 16. März 2016 117. Sitzung / 2 Es löst schon etwas aus. Es löst aus, dass der erste Dominostein fällt und dass am Balkan die nächsten Dominosteine fallen. Alle machen ihre Grenzen dicht, bis es jenen trifft, der die Grenzen nicht mehr dichtmachen kann, nämlich Griechenland. Mir hat noch niemand erklärt, wie man einen Grenzzaun auf offenem Meer bauen soll. Wie soll Griechenland die Grenzen dichtmachen, wenn die Leute mit dem Boot ankommen? Die Antwort darauf habe ich bisher noch nicht gehört. Die Strategie, die von der österreichischen Bundesregierung verfolgt wird, ist keine Problemlösung. Es ist das rote Muster, nach dem die Bundesregierung Politik macht, auch in der Vergangenheit und in ganz anderen Fragen: Das Problem wird in die Zukunft verschoben oder auf andere abgeschoben. In diesem Fall war es zuerst Deutschland, nach dem Motto: Nehmt sie alle! Es wird immer auf Griechenland gezeigt und gesagt, sie wären diejenigen gewesen, die durchgewunken haben. Ich frage mich: Was hat denn die österreichische Bundesregierung gemacht? – Das Einzige, das gemacht worden ist, war doch, die Leute in Kärnten und im Burgenland in einen Bus zu setzen und nach Deutschland zu verfrachten. Dann wird auf Griechenland gezeigt. (Abg. Fekter: 90 000 haben wir aufgenommen!) – Ja, das ist auch vollkommen richtig! Der Vorwurf an Österreich ist nicht, dass keine Solidarität gezeigt worden ist. Der Vorwurf ist nicht, dass Österreich nicht ausreichend Flüchtlinge aufgenommen hat. In diesem Bereich ist dieses Land sicherlich vorbildhaft. Das ist nicht der Punkt! Das Problem ist, dass Österreich gemeinsam mit anderen in einen nationalen Egoismus verfällt. Das hat konkret zur Folge, dass die Probleme auf Griechenland abgewälzt werden. – Das ist keine Lösung! Jetzt kommt man mit dem Türkei-Deal daher, und man sagt, na ja, das wäre die Mutter aller Lösungen. Der türkische Staatspräsident, der die Menschenrechte mit Füßen tritt, will andere Themen mit auf den Verhandlungstisch packen, die damit nichts zu tun haben, zum Beispiel Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäische Union. Da frage ich mich: Sind wir auf einem Basar, wo wir Flüchtlinge gegen Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union tauschen? – Das kann es nicht sein! (Beifall bei NEOS und Grünen.) Was zu tun ist, ist völlig klar. Erstens: Hilfe vor Ort. Helfen Sie den Menschen, denn sonst machen sich noch viel mehr auf den Weg als bisher! Davon ist nichts zu hören. Zweitens: Sorgen wir gemeinsam für eine gemeinsame Sicherung der EUAußengrenzen! Gemeinsam! Wenn das im Rahmen der EU 28 nicht funktioniert – und das ist der dritte Punkt –, dann müssen eben ein paar Mutige, ein paar Willige Version vom 14. Juni 2016, 10:15 nach § 52(2) GOG autorisiert Nationalrat, XXV. GP 16. März 2016 117. Sitzung / 3 vorangehen und ein Kerneuropa schaffen, in dem wir das zustande bringen, was 28 vielleicht nicht schaffen: eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik und eine gemeinsame Grenzsicherung. Wenn diese drei Punkte nicht funktionieren, dann funktioniert sowieso nichts. Auf jeden Fall funktioniert es nicht, wenn man darangeht, die Probleme auf andere abzuschieben. Das Bedauerliche ist, dass wir im Moment von Nationalisten regiert werden. Von der FPÖ ist es ja nicht anders zu erwarten, sie stehen ja auch dazu. Was ich nicht verstehe, ist, dass SPÖ und ÖVP jetzt vollkommen auf diesen Kurs eingeschwenkt sind und dass es kein Engagement, kein Herz mehr für europäische Lösungen gibt. Was wir brauchen, sind keine Nationalisten, was wir brauchen, sind keine Egoisten, was wir brauchen, sind Europäer – große Europäer –, die für gemeinsame Lösungen kämpfen! Diese Europäer sehe ich auf dieser Regierungsbank leider nicht mehr. – Danke. (Beifall bei den NEOS und bei Abgeordneten der Grünen. – Zwischenruf bei der ÖVP.) 12.40 Präsident Karlheinz Kopf: Als Nächster gelangt Herr Abgeordneter Weninger zu Wort. – Bitte. Version vom 14. Juni 2016, 10:15 nach § 52(2) GOG autorisiert
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