Behandlungskosten am Lebensende

Gesundheitsgespräch
Behandlungskosten am Lebensende
Sendedatum:
28.03.2015
Wird das Gesundheitssystem unbezahlbar? Der Streit der Experten
„Wir werden immer älter und deswegen wird die Gesundheitsversorgung immer
teurer“, dieser Satz ist oft zu hören. Doch unter Fachleuten gilt es keineswegs
als ausgemacht, dass eine höhere Lebenserwartung das Gesundheitssystem
gefährdet.
Statistik
Daten des Statistischen Bundesamtes scheinen eine eindeutige Sprache zu
sprechen:
Die Krankheitskosten, die Menschen in der Altersgruppe zwischen 65 und 84
Jahren verursachen, sind fast fünfmal höher als die durchschnittlichen
Gesundheitskosten aller Einwohner in Deutschland.
Gleichzeitig haben Frauen, die heute 65 Jahre alt sind, im Schnitt noch fast 21
Jahre Lebenszeit vor sich – vor 50 Jahren lag diese sogenannte „weitere
Lebenserwartung“ um rund sechs Jahre niedriger.
Daher scheint klar: Weil es mehr alte Menschen gibt, steigen die
Gesundheitsausgaben unausweichlich.
Kostenexplosion?
Mit dieser Begründung warnen viele Gesundheitsökonomen schon seit
Jahrzehnten vor einer „Kostenexplosion“. Der Professor für Statistik Walter
Krämer etwa rechnete im Jahr 1983 vor, dass „im Jahr 2019 das gesamte
Bruttosozialprodukt durch die Gesundheitsausgaben ausgeschöpft sein wird“.
Kostenlage der Gegenwart
Heute, wo das Jahr 2019 in Sichtweite liegt, ist Deutschland von diesem
Horrorszenario allerdings weit entfernt. Ein Grund dafür, dass solche
Prophezeiungen nicht eingetreten sind, liegt darin, dass die Politik zahlreiche
Sparmaßnahmen ergriffen hat. Nach Ansicht etlicher Wissenschaftler ist aber
auch die Gleichung „mehr Ältere = höhere Kosten“ so nicht richtig. Denn die
rund sechs zusätzlichen Lebensjahre, die alleine seit dem Jahr 1965 für den
Durchschnitts-Deutschen dazugekommen sind, sind nicht automatisch sechs
zusätzliche Jahre mit vielen teuren Krankheiten. Vielmehr hat sich gezeigt: Die
höchsten Behandlungskosten fallen im letzten Jahr vor dem Tod an. Dabei ist
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es nicht so wichtig, ob der Tod im Alter von 72 Jahren oder von 82 Jahren
eintritt.
Gesundheitsökonomen Bernard Braun und Hartmut Reiners im Jahr 1999: „Die
Kostenexplosion ist eine Legende.“
Teurer Krankenhausaufenthalt
Zahlen über die Behandlungskosten in deutschen Krankenhäusern zeigen:
Wenn ein Klinikaufenthalt den Tod eines Patienten nicht verhindern konnte, ist
diese Behandlung im Schnitt um das Zweieinhalbfache teurer als bei Patienten,
die nach einer erfolgreichen Behandlung entlassen werden. Die Erklärung
dafür: Wenn es im Krankenhaus um Leben und Tod geht, wird meist ein
besonders großer Aufwand betrieben. In der Fachwelt ist deshalb oft von der
„Kompressionsthese“ die Rede. Sie besagt, dass der größte Teil der
Krankheitskosten am Schluss des Lebens anfällt, sozusagen in
zusammengepresster, also komprimierter Form.
Wo entstehen die Kosten wirklich?
Allerdings gibt es über die Behandlungskosten im Krankenhaus hinaus nur
wenige Zahlen, mit denen sich prüfen lässt, ob die „Kompressionsthese“ zutrifft.
So gibt es gleichzeitig als Gegenentwurf auch die „Medikalisierungsthese“. Sie
besagt, dass viele Menschen ab einem gewissen Alter dauerhaft Medikamente
und andere Behandlungen erhalten. Nach dieser These macht es sehr wohl
einen Unterschied für die Gesundheitskosten, ob etwa ein Diabetespatient im
Alter von 76 Jahren oder mit 82 Jahren stirbt. Denn je nachdem hat er sechs
Jahre länger oder weniger lang Arzneien und andere medizinische Leistungen
erhalten, die von den Krankenversicherern bezahlt werden mussten.
Statistik
Und Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen tatsächlich: Die Ausgaben
beispielsweise für eine Diabetesbehandlung liegen in der Altersgruppe von 65
bis 85 Jahre doppelt so hoch wie bei den 45- bis 65-Jährigen. Bei der Demenz
ist der Anstieg der durchschnittlichen Behandlungskosten mit dem
Durchschnittsalter noch weit drastischer.
Prof. Friedrich Breyer von der Uni Konstanz im Jahr 2004: „Die
Kostenexplosion steht noch bevor.“
Blick in die Zukunft
Welche der beiden Thesen die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte besser
vorhersagt, ist unter Gesundheitsökonomen umstritten. Das Statistische
Bundesamt stellt sich eher auf die Seite der „Kompressionsthese“ und erwartet
derzeit keinen explosionsartigen Anstieg der Gesundheitskosten. Die amtlichen
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Statistiker begründen diese Einschätzung damit, dass unterm Strich der größte
Teil der Krankheitskosten eben in den letzten Monaten und Jahren vor dem Tod
anfällt, unabhängig davon, wann der Tod eintritt. Allerdings weisen die
Statistiker gleichzeitig darauf hin, dass es andere Entwicklungen gibt, die die
immer höhere Lebenserwartung zu einem Kostenproblem machen: Mit einem
steigenden Alter wächst der Aufwand für Pflege beträchtlich.
Problem: Immer weniger Einzahler
Und der Anteil derjenigen an der Gesamtbevölkerung, die im erwerbsfähigen
Alter sind, wird in den nächsten Jahren immer weiter sinken. Die
Erwerbstätigen müssen jedoch mit ihren Beiträgen die Krankenversicherungen
finanzieren - das gilt für die gesetzlichen Kassen genauso wie für die
Privatversicherer. Das heißt: Auch wenn die Krankheitskosten nicht so rasant
steigen, wie es lange Zeit befürchtet wurde, so werden sich doch die Ausgaben
auf immer weniger Schultern verteilen.
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