SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
21.10.1854:
Florence Nightingale reist in die Türkei
Von Barbara Sichtermann
Sendung: 21.10.2016
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2016
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Autorin:
1820 kam sie zur Welt, auf der zweijährigen Hochzeitsreise ihrer Eltern, in der
schönen Stadt Florenz, die ihr auch den Namen gab. Ihr Vater war ein vermögender
Politiker, er förderte das hoch begabte Kind, das gern Mathematiklehrerin geworden
wäre. Aber wen hätte sie unterrichten sollen? An Jungenschulen lehrten keine
Frauen, und Mädchen lernten kein Mathe. Die Mutter schüttelte den Kopf über die
verstiegenen Ideen der Tochter und hielt nach einem passenden Ehemann
Ausschau. Dazu aber sagte Florence unmissverständlich Nein! Sie wollte nicht als
Ehefrau versauern, sie wollte ihren eigenen Weg gehen, und der hieß: Gutes tun! Sie
schaute nach Amerika, wo es für Frauen möglich geworden war, Medizin zu
studieren. Der Weg dahin aber war allzu weit, und so wich sie auf die Krankenpflege
aus. Man muss dazu wissen, dass Pflege seinerzeit noch kein Ausbildungsberuf war.
Das Sagen hatten die Ärzte, als Pflegerinnen halfen Laien. In Paris und Kaiserswerth
konnten Mädchen bei barmherzigen Schwestern christlicher Orden den Umgang mit
Kranken erlernen – und genau das tat Florence.
Als sie hörte, dass eine fähige Person gesucht wurde, der man zutraute, Schwestern
einzuarbeiten und mit ihnen in einem Lazarett nahe Istanbul nach dem Rechten zu
sehen, meldete sie sich. Der Krimkrieg war erbittert weitergegangen: Großbritannien
und Frankreich wollten unbedingt verhindern, dass Russland sich Teile des
zerfallenden Osmanischen Reiches einverleibte. Über ihren Vater kannte Florence
Nightingale den britischen Kriegsminister Sidney Herbert, und sie ging hin und
sprach bei ihm vor. Der persönlich schickte sie in den Süden, damit sie dort für die
Kriegsversehrten tue, was getan werden musste. Am 21.Oktober im Jahre 1854
brach sie mit einem Stab von Krankenschwestern auf.
Es war ein Schock für Nightingale und ihre Kolleginnen, als sie im Lazarett ankamen
und es in Augenschein nahmen. Die Räume starrten vor Schmutz, Ratten huschten
umher, die Verwundeten hungerten, sie lagen in ihren blutgetränkten Uniformen auf
dem nackten Boden, dem Tode nah. Das britische Militär litt unter einer extrem
arroganten Führung, alle Mittel kamen allein den Offizieren zugute, die Mannschaften
galten nichts. Obwohl die meisten Ärzte ihre „Einmischung“ ablehnten, machte sich
Florence Nightingale – geschützt und gestützt durch das Mandat des Kriegsministers
– sogleich ans Werk. Sie begann mit einem Großputz, orderte Betten, Decken,
Wäsche, Geschirr und Medikamente. Dank ihrer Beziehungen konnte sie schalten
und walten und sogar eine Kanalisation einrichten lassen. Was sie schuf, war
abgesehen vom Fundament einer modernen Krankenpflege die Organisation für ein
funktionsfähiges Lazarett mit verantwortlicher Verwaltung, elementarer Hygiene,
geschultem Personal – und einer Diätküche, bis dato im englischen Klinikwesen
unbekannt. Lange kämpfte sie mit dem Londoner Kriegsministerium um die nötigen
Mittel. Sie war also vor allem eine Managerin und Pionierin und keineswegs nur die
aufopferungsvolle Miss, die von Bett zu Bett ging, Verbände wechselte und Trost
spendete, als die sie im Gedächtnis der Welt weiterlebt.
Zurück in England, gründete Nightingale eine Krankenpflegeschule. Sie starb
hochbetagt 1910. Heute begeht man ihren Geburtstag als Internationalen Tag der
Krankenpflege.
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