Manuskript Nahaufnahme Titel: Überleben in Venedig Untertitel: Das Staudammprojekt MOSE und die Mafia Autor: Moritz Holfelder Redaktion: Bayern 2 Programmredaktion Sendedatum: Freitag, 25. September 2015 Sendung: 15:30 Uhr Seite 1 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Auf dem Weg nach Venedig mache ich kurz Halt in Bozen. Ein Zwischenstopp. Die Provinzhauptstadt liegt nicht nur auf der Hälfte der Strecke, hier lebt auch der 1967 in Südtirol geborene Regisseur Andreas Pichler, der zuletzt mit dem Dokumentarfilm "Das Venedig Prinzip" in den Kinos war. Wir haben uns in einem Café auf dem Waltherplatz verabredet, wo gerade ein Tag gegen Diskriminierung stattfindet. Eine große Bühne ist aufgebaut, das Trommeln der Sinti-Gruppe Nevo Drom vermischt sich mit dem Läuten der Dompfarrkirche. Es dauert eine Weile, bis ich Andreas Pichler in dem Lärm gefunden habe – wir machen uns dann wegen des Trubels auf den Weg in Pichlers nahes Büro in der Bahnhofsallee. "Das Venedig Prinzip" lief 2014 erfolgreich in deutschen, österreichischen und kanadischen Kinos, der Dokumentarfilm ist auf über 30 Internationalen Festivals zu sehen gewesen und gewann zahlreiche Preise. Auf der inzwischen erhältlichen DVD, die ich als Erkennungszeichen dabei habe, steht in Großbuchstaben der Satz: "Wenn in Venedig noch ein Herz schlägt, dann ist es das der übriggebliebenen Venezianer." Zu sehen ist auf dem Cover die Fotomontage eines riesigen weißen Kreuzfahrtschiffes, das die rund 40 Meter hohe Kuppel einer Palladio-Kirche deutlich überragt. O-Ton Pichler: "Mich hat wirklich mal die Frage interessiert, was passiert mit einem Ort, der so massiv dem Tourismus ausgesetzt ist. Die Wahl fiel dann auf Venedig, zum einen, weil es relativ nahe an Bozen liegt, zum anderen, weil ich dort ein paar Leute kenne und dadurch immer wieder Veränderungen mitbekam. Ich habe am Ende sicher so 30 bis 40 Leute gehabt, und aus denen sind dann diese 5, 6 Protagonisten des Films geworden." Eine Demonstration durch die Straßen Venedigs. "Wir wollen zeigen, dass die Bürger noch da sind", ruft ein Mann durch ein Megafon. "Und diese Bürger fordern, dass sinnvolle Bauten für sie errichtet werden. Wir brauchen keine Großprojekte." Der Makler Pietro Codato lässt in Andreas Pichlers Film keinen Zweifel am Versagen der Verantwortlichen aus Politik und venezianischer Verwaltung. Das habe zum Verfall von Venedig geführt, sagt er, keiner sei bereit gewesen, die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt verantwortungsvoll zu lenken. Alle, wirklich alle, die seit den siebziger Jahren in Venedig regierten, seien schuld an dieser Entwicklung. Und dann findet Pietro Codato zu sehr drastischen Worten: Man könne das nur als einen biblischen Exodus bezeichnen, 170.000 Bürger seien seit Mitte der siebziger Jahre weggezogen. Die Stadt werde völlig entvölkert. Die richtige Bezeichnung dafür sei Deportation. Aber sie behaupten, das wäre der Markt. Die Kamera sucht nach Spuren der alten Schönheit, während sich der in die Jahre gekommene Gondoliere Giorgio in seine Stammkneipe verkriecht und sich fragt, wo die bis zu 250.000 Touristen, die sich im Sommer täglich durch Venedigs Straßen wälzen, Seite 2 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 wohl zum Pinkeln hingehen. Die Reiseführerin Frederica erklärt den Besuchern, dass ein Campo, ein Platz, früher als Treffpunkt der Leute, die hier wohnten, diente. Diese Zeiten seien aber tagsüber längst vorbei, zumindest nahe der Touristen-Hauptrouten vom Bahnhof und vom Kreuzfahrtschiff-Hafen zu den Sehenswürdigkeiten. Dort quetschen sich diejenigen, die unbedingt ihr Erinnerungsfoto vor der Rialto- oder der Seufzerbrücke machen wollen, Rücken an Rücken durch die engen Gassen. Nicht wenige der letzten rund 30.000 Bewohner Venedigs setzen erst nachts einen Fuß in die Innenstadt, beschreibt Filmemacher Andreas Pichler die Situation. O-Ton: "Natürlich, es ist ja ein bisschen diese Ambivalenz. Man hat diese Stadt, die wunderbar ist, die besonders nachts leer ist, das ist alles sehr romantisch, aber wenn man sich dann fragt, warum ist das alles leer, dann ist es auch ein bisschen spooky. Man kann auf alle Fälle dort noch gut leben, es ist halt eine Frage des Geldes." "Hast du das Gefühl, dass die Leute, die dort noch Leben, gerne dort Leben. Oder was war so das Gefühl, das Venedig-Gefühl, das du bei den meisten angetroffen hast?" "Bei den Venezianern ist ihr Verhältnis zur Stadt sehr unterschiedlich. Die Jüngeren, die dort leben, sind wirklich überzeugt davon. Bei ihnen ist es eine bewusste Entscheidung, auch wenn es für viele extrem schwierig ist, weil es dort außer beim Tourismus kaum Arbeitsplätze gibt. Federica, eine meiner Protagonistinnen, hat jetzt entsprechend einen Job. In diesem Sinne gibt es auch noch eine Zivilgesellschaft in Venedig, auch wenn die immer schwächer wird. Bei den älteren Menschen ist es so ein HängengebliebenSein auf der einen Seite, und auf der anderen Seite eine Liebe oder auch Hassliebe zur eigenen Stadt, das ist relativ unterschiedlich." Man steht auf dem Markusplatz, lauscht den verwehten Klängen des Orchesters im traditionsreichen Café Florian, blickt sich um – und sieht Tauben. Und natürlich die vielen Touristen. Es ist bisweilen ein fast schon choreographiert wirkender Kampf, den sie miteinander aufführen. Phalanx-artig stoßen Touristengruppen vor und flattern Taubenschwärme auf, auch wenn es seit dem offiziellen Fütterungsverbot nicht mehr so viele sind wie noch vor 2008. Die Touristen bevölkern die Lagunenstadt aber nach wie vor in einer beunruhigend hohen Zahl: Über 30 Millionen sollen es sein pro Jahr, vermutlich mehr. Und alle überqueren sie den Markusplatz, wo inzwischen ein Gedränge herrscht wie beim Schlussverkauf in einem Billig-Kaufhaus. Da ist es geradezu verwunderlich, dass an der nordwestlichen Ecke des Platzes, im ehemaligen Showroom des Schreibmaschinen-Herstellers Olivetti, fast schon meditative Ruhe herrscht. Nur leise klingt die Musik noch herein, es ist angenehm kühl und die Venedigin-one-Day-Touristen marschieren an diesem Ort vorbei, als sei er wie ein Dornröschenschloss hinter einer dichten Hecke längst in Vergessenheit geraten. Auch solche Räume gibt es noch in dieser Stadt, die man in halbwegs ruhiger Atmosphäre eigentlich nur noch in den Wintermonaten besuchen kann, so wie das Patricia Seite 3 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Highsmith in ihrem melancholischen Krimi "Venedig kann sehr kalt sein" wunderbar beschrieben hat. Der an exponierter Stelle eröffnete Olivetti-Laden ist inzwischen ein kleines Museum zu Ehren des Architekten Carlo Scarpa, eines Klassikers der Moderne, der 1958 beauftragt wurde, das Schreibmaschinen-Geschäft einzurichten. Der Blick schweift fast schon aufgeregt von einem Detail zum anderen, von der aus Stahlbändern geflochtenen Eingangstür über den außergewöhnlichen Terrazzo-Fußboden und ein dort eingelassenes Wasserbecken aus schwarzem Marmor bis hin zur der faszinierenden Treppe in den ersten Stock hinauf, die als begehbare Skulptur konzipiert ist. Carlo Scarpa hat die unterschiedlichen Materialien und Formen als eine architektonische Symphonie komponiert, so meisterhaft wie elegant. Dem Baumeister begegnet man in der Lagunenstadt immer wieder, so in der Fondazione Querini Stampalia mit dem von Scarpa wunderbar gestalteten Garten, oder auch auf dem Gelände der Biennale in den Gardini, wo Scarpa das Eingangshäuschen und den schicken Pavillon von Venezuela entworfen hat. Nur ein paar Gehminuten von Scarpas Olivetti-Laden entfernt, in der Nähe des 1996 abgebrannten und danach wieder aufgebauten Teatro La Fenice, bin ich mit der Journalistin und Autorin Petra Reski in einem Restaurant verabredet. Reski wurde im Ruhrpott geboren und lebt seit 1991 in Venedig. O-Ton Petra Reski: "Also, ein Spaß ist es überwiegend nicht, wenn man in einer Stadt lebt, die von 33 Millionen Menschen pro Jahr tot geliebt und tot getrampelt wird, und dagegen auch keiner was unternimmt. Man macht sich nur extrem unbeliebt, wenn man sich darüber beschwert. Wenn man in Venedig lebt, dann wird das immer als so ein großes Privileg angesehen, das sich darüber jede Klage verbietet. Die Lebensumstände der Venezianer haben sich inzwischen wahnsinnig verschlechtert. Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten. Das betrifft oft die banalsten Dinge. Wenn ich etwa einen Knopf kaufen will, da muss ich bis ans andere Ende der Stadt laufen. Man muss sich durch diese vollen Gassen durchquälen. 99 % der Touristen sind Tagesbesucher, die sich auch gar nicht groß für Venedig interessieren, sondern eigentlich nur das Selfie am Markusplatz machen wollen. Das ist sehr traurig, aber scheinbar will die venezianische Politik das so. Die einzigen, die da stören, sind die Venezianer – und da zähle ich mich inzwischen auch dazu. Außerdem werden hier neuerdings sehr viele Ferienwohnungen schwarz vermietet, man wundert sich dann immer, wenn jeden Tag plötzlich vollkommen unbekannte Menschen aus dem eigenen Haus herausfallen. In München und Berlin ist das ja verboten, und hier wird eben nichts dagegen gemacht. Also vermieten viele schwarz. Also - ich kann jetzt nicht unbedingt dieses romantische Venedig-Bild vermitteln." Seite 4 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Petra Reski schreibt für einige deutsche Magazine und Zeitungen über Italien und vor allem über die Mafia. Sie wurde 2008 in Deutschland als Reporterin des Jahres ausgezeichnet, nachdem sie kurz zuvor mit ihrem Anti-Mafia-Buch "Von Paten, Pizzerien und falschen Priestern" große Aufmerksamkeit erregt hatte, nicht nur bei den Rezensenten und bei den Lesern, sondern auch bei dem italienischen Gastronom Spartaco Pitanti aus Erfurt. Der erwirkte beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung gegen die in dem Buch erhobene Behauptung, dass er Geldwäsche betreibe. Daraufhin wurden die betreffenden Stellen geschwärzt. Zu Unrecht, meinten damals viele, denen spätestens seit dem Massaker in der Duisburger Pizzeria Da Bruno im August 2007 klar war, dass die kalabrische Ndrangheta längst auch in Deutschland aktiv ist. Tatsächlich ist Spartaco Pitanti auch im Ruhrgebiet eine schillernde Figur gewesen und hatte dort eben das Duisburger Da Bruno besessen. Im Dezember 2008 sprach Petra Reski in einem Spiegel-Interview darüber, dass die Mafia nicht nur in deutschen Großstädten eine Rolle spiele, sondern inzwischen auch an der Ostseeküste Geldwäsche betreibe, in Restaurants und durch Immobiliengeschäfte. Das sei verlockend – wegen der liberaleren Gesetze in Deutschland und der deshalb eingeschränkten Abhörpraxis. Im Berliner Tagesspiegel listete Reski, ebenfalls im Dezember 2008, die "acht größten Irrtümer der Deutschen" über die Mafia auf. Sie dekonstruierte das gern gepflegte und hierzulande beruhigende Klischee, die Mafia existiere nur in rückständigen, süditalienischen Dörfern. O-Ton Petra Reski: "Da muss man nicht nach Palermo fahren, um das zu sehen. Im Gegenteil, das ist hier in Venedig genauso. Im Mai 2015 wurde am Lido ein sogenannter kalabrischer Erfolgsunternehmer verhaftet, und auch gegen seinen Sohn wird ermittelt wegen Mafia-Zugehörigkeit. Man erinnere sich nur an den Skandal mit der Hochwasserschleuse, der hier schon vollkommen in Vergessenheit geraten ist. Da kann man nicht sagen, Venedig wäre nicht von der Mafia betroffen. In den Großprojekten ist die überall mit drin." Wir treffen uns am nächsten Tag auf dem Lido, der länglichen Insel zwischen der historischen Altstadt und dem offenen Meer. Der Lido mit seinem langen Sandstrand ist für viele korrupte Unternehmer und Politiker interessant, weil es der einzige Ort Venedigs ist, wo noch gebaut werden kann. Petra Reski schrieb 1989 zum ersten Mal über die Mafia und hat seitdem einige Sachbücher zum organisierten Verbrechen in Italien und Deutschland veröffentlicht. Im Herbst 2014 erschien dann ihr erster Roman – über eine fiktive Staatsanwältin namens Serena Vitale. Die ermittelt in Palermo gegen das organisierte Verbrechen – und erinnert natürlich an die beiden legendären Untersuchungsrichter Giovanni Falcone und Paolo Borselino, die 1992 von der Mafia samt ihren Autos und Begleitpersonen in die Luft gesprengt wurden. Klar, denkt man sich – Palermo, die Mafia-Stadt schlechthin. Dann, nach den Anschlägen von 1992 und den Reaktionen des Staates, wurde Palermo zur Anti-Mafia-Stadt überhaupt, in der der kunstsinnige Leoluca Orlando Bürgermeister war und die Gelegenheit ergreifen konnte, zu einer Symbolfigur des Kampfes gegen die Mafia zu werden. Auf diese (so oder so) Mafia-foSeite 5 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 kussierte Stadt wollte Petra Reski ihre fiktive Ermittlerin aber nicht beschränken müssen, und so gestattet sie Serena Vitale immer wieder Ausflüge in die Welt jenseits von Palermo, Dienstreisen, die eben zeigen, dass die Mafia inzwischen auch den Norden erobert hat – und zwar nicht nur den Italiens. In ihrem zweiten Fall kommt Serena Vitale bis nach Deutschland, im ersten kommt sie immerhin schon bis Venedig. O-Ton Petra Reski: "Anflug auf Venedig durch Dunst…" Petra Reski steht in den Arkaden neben dem Palazzo del Cinema, wo auf dem Lido einmal im Jahr die Filmfestspiele stattfinden. Wir haben uns einen Kaffee geholt und Petra Reski liest das Venedig-Kapitel aus ihrem ersten Roman vor. Dann informieren wir uns in der lokalen Tageszeitung La Nuova Venezia über die jüngsten Zwischenfälle rund um das von ihr bereits erwähnte, gewaltige Schleusen- und Staudammprojekt MOSE. Cassone Rotto. Buffera sul MOSE ist auf einem Ständer mit den Schlagzeilen zu lesen, also sinngemäß: Unterwasser-Fundamentkasten gebrochen. Große Aufregung rund um MOSE. Rund 12 Millionen Euro Schaden sind entstanden, die Bauarbeiten wurden gestoppt. Petra Reski spricht von vorhersehbaren Mängeln. Wer billige Angebote mache und damit den Zuschlag bekomme, baue dann eben auch billig, sprich: schlecht! Da wird zum Beispiel in den Beton zu viel Sand und zu wenig Zement gemischt – und dann fliegt einem alles um die Ohren. Egal. Nun kassieren die Bauunternehmer eben noch einmal für die Nachbesserungen. O-Ton Petra Reski: "Ein Mafiaboss bzw. jemand, der als Strohmann für die Mafia arbeitet, der macht sich dadurch beliebt, dass er die besten Preise offeriert, die DumpingPreise, die natürlich nur mit illegalen Mitteln möglich sind. Und meist kriegt er dann den Zuschlag bei einer Ausschreibung, weil er vorher die Politiker entsprechend geschmiert hat. "Und was verdient er dann daran?" "Wenn er den Auftrag bekommt, kann er Geld waschen; außerdem hat er bei einem großen Bauprojekt regional plötzlich großen Einfluss, er hat eine gewisse Machtposition. Außerdem verfügt er über die Arbeitsplätze bei den Bauarbeiten. Das alles wird von ihm kontrolliert." "Sie haben vorhin das MOSE-Projekt, den riesigen Staudamm angesprochen. Das ist auch ein Mafia-Projekt?" "Der MOSE-Staudamm in der Lagune ist zuerst einmal ein riesiges Schmiergeld-Projekt. Das sollte mal um die fünf Milliarden Euro kosten, inzwischen sind es acht. Ungefähr eine Milliarde ist in Schmiergelder geflossen. Von dieser Geschichte ist die ganze politische Klasse in Italien betroffen, von rechts bis links, also alle klassischen Parteien Italiens, abgesehen nur von der Fünf-Sterne-Bewegung. Alle haben davon profitiert – Seite 6 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Minister, Staatssekretäre und und und. Der venezianische Bürgermeister musste dann zurücktreten, er wurde verhaftet, aber er saß nie im Gefängnis, sondern durfte in seiner Villa am Canal Grande bleiben. Und der unterrichtet inzwischen schon wieder Verwaltungsrecht an der venezianischen Universität. Wer besser als er? Das muss man dann auch sagen: Der kann's." Petra Reski verdreht die Augen, die ganze Geschichte ist ein Fass ohne Boden. Dabei soll das Staudammprojekt MOSE den drohenden Untergang Venedigs verhindern. Nun stellt sich die berechtigte Frage, ob das trotz der Investitionen von bisher knapp acht Milliarden Euro je funktionieren wird. Wir beschließen, uns die Baustelle näher anzuschauen und mit Alberto, einem alten venezianischen Fischer, rauszufahren und uns von ihm erklären zu lassen, inwieweit MOSE das ganze Ökosystem der Lagune verändert. Alberto ist ein schwerer Mann, er wiegt um die 150 Kilo – und das Boot schwankt heftig, als er es betritt. O-Ton Alberto, italienisch Alberto legt sofort los: Die Lagune sei eine Lagune, man dürfe sie nicht schließen. Sie sei gewissermaßen das Bidet Venedigs. Alle Abwässer würden direkt in sie fließen, es gebe keine Kanalisation in einer Stadt, die ins Wasser gebaut worden sei. Hochwasser und die Flut seien die Spülung, die es brauche, um alles immer wieder zu säubern. Es geht um Algenbildung und den Fakt, dass – wenn man die Lagune jetzt zeitweise durch die Hochwasserschleuse MOSE dicht mache – der Austausch mit dem offenen Meer nachhaltig gestört würde. Wir nähern uns mit dem Boot den MOSE-Dämmen rund um den Lido. Von weitem erinnert das an die Berliner Mauer. Blanke, abweisende Beton-Wälle. Doch der Hauptteil dieses Wehrsystems ist unter Wasser: In Beton-Fundamente gebettet liegen auf dem Meeresgrund riesige Kästen, die Cassoni, sowie die Segment-Klappen aus Stahl, die bei drohendem Hochwasser mit Pressluft aufgestellt werden und dann die Flut abhalten. Drei offene Stellen gibt es zwischen dem Mittelmeer und der Lagune, die mit dem beweglichen Schutzdamm bei Bedarf geschlossen wird. 78 der gigantischen pneumatischen Klapp-Elemente sind dafür im Bau, im Herbst 2017 sollen sie betriebsbereit sein. Die Frage ist, ob sie unter dem Einfluss von Salzwasser und Algenbewuchs überhaupt je funktionieren werden. Die möglichen Veränderungen des Meeresbodens sind da noch gar nicht mit berücksichtigt – und die veranschlagten jährlichen Unterhaltskosten aufgrund solcher Unwägbarkeiten bereits astronomisch. Das Geld dafür ist eigentlich gar nicht da. Nicht ausmalen möchte sich Alberto, was passierte, wenn bei geschlossenen Toren und Hochwasser aufgrund von Baumängeln oder auch durch Sabotage bzw. einen terroristischen Akt das Dammsystem brechen würde. O-Ton Alberto, italienisch Seite 7 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 O-Ton Petra Reski: "Der Witz an der MOSE-Geschichte ist ja, dass dieses Consorzio Venezia Nuova einfach ein Zusammenschluss privater norditalienischer Bauunternehmer ist, die das Ganze initiiert haben. Nie gab es eine internationale Ausschreibung oder eine wissenschaftliche Begleitung der Planungen. Lange Jahre war ich naiv davon ausgegangen, dass es so ist. Da lag ich aber gründlich falsch. Nachdem der Schmiergeld-Skandal aufgedeckt wurde, ist die ganze Leitung einem Hoch-Kommissar übertragen worden, aber unter ihm operieren dieselben Leute wie bisher." O-Ton Alberto, italienisch Dann hält Alberto noch einen kleinen Vortrag, dass Venedig nicht geliebt, sondern nur besucht werde, dass niemand Venedig verteidige, dass die jungen Leute weggingen, weil sie hier keine Zukunft hätten. Alberto wird von Venedig nicht lassen können. Bei steigenden Meeresspiegeln wird seine Stadt aber nur überleben, wenn man die Lagune mit einem festen Wall auf Dauer vom offenen Meer trennt. Das sagen zumindest unabhängige Fachleute, und bis dahin habe man noch rund 50 Jahre Zeit. Petra Reski hat ihrem zweiten Roman über die Mafia-Ermittlerin Serena Vitale ein Zitat von David Bowie vorangestellt: We can beat them Just for one Day We can be Heroes Just for one Day Wir können gewinnen wenn auch nur für einen Tag Wir können Helden sein wenn auch nur für einen Tag O-Ton Petra Reski: "Es geht ja im Grunde nur um Zivilcourage. Jeder kann das in verschiedenster Form zeigen. Ob man jetzt in einer Diskussion mal Flüchtlinge verteidigt, anstatt die Klappe zu halten; oder ob man was gegen die Mafia sagt. Das ist eine Form von Heldenhaftigkeit, da musst du keine großen Aktionen machen, das meinte ich damit. Jeder kann ein Held sein, und sei es nur für einen Tag oder für 'ne halbe Stunde. Einfach mal was sagen, was nicht stromlinienförmig ist. Das meine ich einfach nur damit." – stopp – Seite 8 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute.) Fax: 089/5900- 46258 [email protected] www.bayern2.de Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015
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