Manuskript radioWissen TITEL: SENDUNG: 24.04.2015 Dass weiße Nichts - Was der Placebo-Effekt bewirkt AUTORIN: Veronika Bräse REDAKTION: Gerda Kuhn/Susanne Poelchau REGIE: Sprecherin: Katja Schild für Haupttext und Stationssprecher (Michael Hafner) für Überschriften und zwei Zitate Interviewpartner_ Prof. Dr. med. Gustav Dobos: Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Universität Duisburg-Essen, [email protected] Prof. Dr. Dipl.-Psych. Paul Enck: Forschungsleiter, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Universitätsklinikums Tübingen, [email protected] Prpf. Karin Meißner: Institut für medizinische Psychologie, LudwigMaximiliansUniversität München, [email protected] Prof. Robert Jütte: Medizinhistoriker, Mitglied des Vorstands des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, [email protected] 2 Sprecherin: Die einen sind davon überzeugt, dass ihnen homöopathische Kügelchen am besten helfen. [Atmo: Schütteln eines Fläschchens mit Kügelchen] Sprecherin: Die anderen glauben an die Schulmedizin. Je größer die Pille desto besser. Studien zeigen: Große längliche Kapseln zeigen generell eine größere Wirkung als kleine runde Tabletten. [Atmo: Herausdrücken von Tabletten aus der Packung] Sprecherin: Spritzen helfen besser als Pillen, selbst wenn das Gleiche drin ist. Das gilt auch für Markenprodukte und Generika, die gleiche Wirkstoffe enthalten. Menschen glauben an Marken und das steigert deren Effekt. Selbst die Farbe ist wichtig: blaue Pillen wirken einschläfernd, gelbe eher anregend und rote stärken das Herz. Wir sind weit davon entfernt, nur auf den eigentlichen Wirkstoff zu reagieren. Das „Drumherum“ der Behandlung ist ganz entscheidend und kein Hokuspokus. Denn es löst nachweisbare Reaktionen im Körper aus. Einige Forscher schätzen, dass der Erfolg jeder medizinischen Behandlung zu einem Drittel auf Placeboeffekten beruht. [Musik♫] [Sprecher:] Der Placeboeffekt: Ein lange Zeit unterschätztes Phänomen Sprecherin: Placebos enthalten keinen Wirkstoff. Sie dürften eigentlich keinen Effekt zeigen. Aber sie tun es doch. Und zwar bei fast allen Menschen. Keineswegs nur Leichtgläubige gehen Placebos auf den Leim. Das passiert auch Hochschulprofessoren. „Vor einem Experiment weiß man nie, bei wem es am besten anschlägt“, meint Prof. Paul Enck. Er führt seit vielen Jahren Placebostudien am Universitätsklinikum Tübingen durch: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 3 17:33 Prof. Paul Enck: Es gibt nicht die Placebo-Persönlichkeit. Es gibt nicht die Person, von der man im Vorhinein sagen kann, das ist jemand, der mit Sicherheit Placebo sensibel ist und andere sind es nicht (...); Glauben allein ist sozusagen die eine Hälfte der Geschichte. Sprecherin: Die andere Hälfte dreht sich vor allem um die Behandlungssituation: Jeder hat andere Erfahrungen mit Ärzten oder Heilpraktikern gemacht - jeder schätzt bestimmte Behandlungsmethoden und andere weniger: 18:00 Prof. Paul Enck: Das kann jetzt in einem Falle die große Maschine sein, die viel Krach macht und in die man reingeschoben wird und wo man dann das Gefühl hat, jetzt passiert tatsächlich was Ernstes in der Untersuchung meiner Erkrankung oder es kann die intensive Auseinandersetzung mit dem Arzt sein, der plötzlich 30 Minuten Zeit hat. Sprecherin: Je nachdem, was dem Patienten wichtig ist, worauf er vielleicht schon von je her vertraut, genau das wird ihm auch helfen. Die These der Placeboforscher: Wenn die äußeren Bedingungen stimmen, dann wirkt sogar ein Scheinmedikament: Und da ist es dann egal, ob die Pille einen Wirkstoff enthält oder nicht. Lange Zeit haben Mediziner das als Humbug abgetan. Sie dachten, wenn eine Placebopille wirkt, dann war der Patient erst gar nicht krank. Er hat nur simuliert. Aber so einfach ist es nicht. Immer mehr Studien sprechen dafür, dass Placebos Kranken tatsächlich helfen, weil sie im Körper nachweisbare biochemische Reaktionen auslösen. Prof. Robert Jütte ist Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer: 12:42 Prof. Robert Jütte: Das ist genau das, was wir rüberbringen wollen, dass die „Droge Arzt“ ganz entscheidend ist für jede Therapie, die Sie anwenden und Sie können Ihren therapeutischen Erfolg verbessern, wenn Sie die Kontextfaktoren Ihrer Behandlung verändern: Das fängt schon dadurch an, wie Sie als Arzt ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 4 auftreten bis auch zur Einrichtung des Sprechzimmers. All das wirkt auf die Patientenbeziehung hinein und wir wissen durch Umfragen, dass es z.B. entscheidend ist, ob Sie als Arzt Ihrem Patienten die Hand geben und ob Sie ihm dabei in die Augen schauen. Soviel Zuwendung sollte eigentlich normal sein. Aber der zunehmende Kostendruck im Gesundheitswesen zwingt viele Mediziner zu einer Schnellabfertigung ihrer Patienten. Im Durchschnitt ist ein Behandlungsgespräch kürzer als 8 Minuten. Der Arzt unterbricht den Patienten bei der Schilderung seiner Beschwerden bereits nach 18 Sekunden zum 1. Mal. So wird sich kein Vertrauensverhältnis aufbauen. Und so wird auch die Autorität im weißen Kittel keine nennenswerte Placebowirkung hervorrufen. Denn das lateinische Wort „Placebo“ bedeutet: „Ich werde gefallen“. Gefällt der Arzt in seiner Hektik aber nicht oder gibt es andere widrige Umstände, tritt schnell der gegenteilige Effekt ein: der so genannte Noceboeffekt. Nocebo bedeutet: „Ich werde schaden.“ Die Therapie schlägt bei einer pessimistischen Einstellung des Patienten entweder nicht an oder sein Gesundheitszustand verschlechtert sich sogar. Prof. Gustav Dobos von der Universitätsklinik Essen erzählt ein Beispiel: 4:32 Prof. Gustav Dobos: Ein Mensch ist bei der Krebsvorsorge-Untersuchung und am gleichen Abend ruft ihn der Arzt an und spricht auf den AB: Herr Maier, ich habe die Befunde angeschaut, rufen Sie mich morgen an. Und das sagt er mit so einem Ton und dann passiert natürlich einiges im Kopf von dem Herrn Maier, dass er sich überlegt, was könnte ich haben, habe ich vielleicht Krebs und mit der Zeit baut sich dann ein Gedankenstrudel auf, der dazu führt, dass bestimmte Gehirnareale - eines heißt Amyctala - die wird hoch aktiviert und sendet Impulse an den Körper, die in einer gleichen Intension durchgeführt werden als würde der Mensch sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden. Und solche Situationen wiederholt ausgelöst führen eben zu chronischen Stress-Situationen und die können für viele Krankheiten unterstützend sein. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 5 Dagegen kann eine positive Grundstimmung des Patienten den Heilungsprozess vorantreiben. [Musik♫] [Sprecher:] Die Voraussetzungen des Placeboeffekts: Suggestion und Konditionierung Suggestion kennen viele Asthmapatienten. Sie stellen sich vor, wie die einströmende Luft in einen breiten Trichter fließt, der nach oben immer größer und breiter wird. Wer diese Vorstellung übt, bei dem weiten sich die Bronchien nachweisbar. Mit der Kraft der Suggestion arbeitet auch Dr. Karin Meißner vom Institut für medizinische Psychologie an der LMU München. In einer Studie sagte sie den Teilnehmern, dass diese entweder ein Blutdruck senkendes Medikament erhalten würden oder ein Placebo ohne Wirkstoff. In der Kontrollgruppe bekamen die Probanden nach der Ausgangsmessung weder ein Medikament noch die Information, dass es um Blutdrucksenkung geht. Bei ihnen tat sich gar nichts. Wohl aber bei allen anderen: 6:00 Dr. Karin Meißner: Es hat sich sehr schön abgezeichnet, dass nur in der Gruppe, die die Suggestion bekommen hat, egal ob in diesem Fall Medikament oder Placebo enthalten war, dass diese Gruppe einen signifikanten Blutdruckabfall bekommen hat und der eben nicht einfach durch eine Entspannung zu erklären war und auch nicht in der Kontrollgruppe auftrat, sondern ganz spezifisch auf eine Blutdrucksenkung zurückzuführen sein muss, die anscheinend unser Gehirn eben vermittelt hat, allein durch die Information und die Suggestion, ein Blutdruck senkendes Medikament zu erhalten. Die Medizinerin war verblüfft, welch enormen Effekt allein die Information hat, eventuell ein Blutdruck senkendes Mittel einzunehmen. Gerade bei solchen eher ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Die andere Gruppe bekam zwar eine Narkose, erhielt aber nur einige oberflächliche Hautschnitte am Knie. Die Patienten wussten nicht, ob sie nun operiert worden waren oder nicht: 17:50 Dr. Karin Meißner: Es zeigte sich dann, dass es den scheinoperierten Patienten danach genauso viel besser ging wie den wirklich operierten Patienten und das auch noch ein halbes Jahr später. Also was schon zeigt, dass so was eine enorme Kraft ausübt. Placebos haben somit viele positive Auswirkungen. Wunder aber können sie nicht vollbringen: 24:30 Prof. Paul Enck: Es gibt eigentlich keinen Hinweis darauf, dass man mit Placebos Krankheiten heilen kann. Man kann Symptome lindern und man kann natürliche Verläufe von Krankheiten, bei der Depression ist das das ganz klassische Beispiel, die z.B. schwankend sind, da kann man die Zyklen verändern, da kann man die Schwere der Beschwerden verändern, aber es gibt bislang eigentlich keine Hinweise, dass man z.B. eine Krebserkrankung mit einem Placebo in irgendeiner Weise beeinflussen könnte hinsichtlich des Mittel- oder Langzeitverlaufs. ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Das wusste schon der französische Literat Michel de Montaigne. Im 16. Jahrhundert beschrieb er bereits den Placeboeffekt, auch wenn er ihn noch nicht so nannte. Montaigne erzählt von einem Kaufmann aus Toulouse, der an Nierensteinen litt und deshalb häufig Einläufe bekam. Manchmal aber auch nur zum Schein: [Sprecher:] „Da lag er nun bäuchlings hingestreckt, und alle Handgriffe wurden vorschriftsmäßig gemacht – nur: ein Einlauf fand nicht statt. Wenn sich der Apotheker nach diesem Ritual zurückzog und der Patient in seiner Stellung verharrte, als ob er das Klistier erhalten hätte, spürte er die gleiche Wirkung wie jene, die es tatsächlich nehmen.“ An anderer Stelle schreibt Michel de Montaigne: [Sprecher:] „Wozu denn sonst suchen die Ärzte mit soviel falschen Heilungsversprechen im voraus das Zutraun ihrer Patienten zu gewinnen, wenn nicht, damit die Einbildung bewirke, was ihre betrügerischen Absude nicht zu ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Ethisch heute sehr problematisch, aber er spricht in diesem Zusammenhang von einer Placebogabe. Das wohl bekannteste historische Beispiel stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Als den Ärzten in einem Lazarett das Morphium ausging, spritzen sie den Verwundeten eine einfache Kochsalzlösung. Sie sagten den Patienten aber, sie bekämen ein wirksames Schmerzmittel. Auch in diesem Fall wirkte das Scheinmittel: Der Körper dämmte die Schmerzen ein. Heutzutage lässt sich das im Kernspin-Tomographen sehen: In der Gehirnregion, im Thalamus, wo Schmerzen verarbeitet werden, sinkt nach Placebogabe die Aktivität. Das heißt, der Schmerz wird gedrosselt. Mit fortschreitender Technik lassen sich die körperlichen Effekte von Placebos immer besser überprüfen. [Musik♫] [Sprecher:] Die Wirkung der Naturheilkunde: Alles nur Placebo? Generell spielen Placebos bei der Arzneimittelzulassung eine wichtige Rolle. Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, muss es sich gegen ein Placebo durchsetzen. Das heißt, es muss wirksamer sein als ein Scheinmedikament. Das ist nicht immer der Fall: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 9 2:00 Prof. Paul Enck: Es gibt ein gutes Beispiel aus dem Ende der 90er Jahre, das ist auch publiziert in Science, wo eine neue Medikamentenentwicklung für die Depression gescheitert ist, weil in der Zulassungsstudie das Placebo besser war. Das ist publiziert, schön dokumentiert, nicht unwirksam die Substanz, aber sie hat sich halt einfach nicht durchsetzen können gegen eine recht starke Placebowirkung. Placebos zeigen also Reaktionen. Deshalb findet es Enck auch nicht schlimm, wenn Mediziner der Homöopathie in Anführungszeichen „nur eine Placebowirkung“ einräumen. Auch er glaubt im Übrigen, dass die Homöopathie ausschließlich auf dem Placeboeffekt beruht: 26:45 Prof. Paul Enck: Ich bin immer überrascht, wenn dieses so negativ gesehen wird. Ich finde im Prinzip eine Besserung der Symptomatik, wenn sie denn auf Placebos beruht, besser als gar nichts und da in vielen Bereichen, für viele Beschwerden, wir sowieso nur schlechte oder schlecht wirksame Medikamente haben, finde ich, wenn es den Patienten nach Placebos besser geht, sollte man das eigentlich positiv begreifen und daraus keinen Vorwurf machen. Auch Karin Meißner sieht die kleinen Kügelchen positiv und geht mit ihrer kleinen Tochter zum Homöopathen. Die Ärztin hat gute Erfahrungen damit gemacht: 11:50 Dr. Karin Meißner: Auch wenn ich mir bewusst bin, dass das vielleicht ein Placeboeffekt ist, aber ich schäme mich nicht dafür, sondern ich nutze ihn halt ganz bewusst. Und ich denke mir, gerade im Fall von Kindern ist es sehr gut, weil was gibt es sonst für Alternativen für chronische Mittelohrentzündungen? Das sind Fragen, die Gustav Dobos interessieren. Er hat in Essen den Lehrstuhl für Naturheilkunde inne. Sein Ziel ist es, die Alternativmedizin naturwissenschaftlich zu durchleuchten. Bei homöopathischen Mitteln, die zumindest in hohen Potenzen nachweislich keinerlei Wirkstoffe mehr enthalten, tut er sich schwer: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Aber die Akupunktur hat zusätzlich eine eigene, spezifische Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Dobos konnte das kürzlich belegen. An Freiwilligen behandelte er Schmerzen, die durch das Aufpumpen einer Blutdruckmanschette am Oberarm erzeugt wurden. Unterschiedliche Verfahren sollten den Schmerz lindern: ein Scheinmedikament, Akupunktur, gängige Schmerzmittel und Morphium: 8:30 Prof. Gustav Dobos: Dabei hat sich gezeigt, dass lediglich Morphium und Akupunktur wirksam waren, diesen Schmerz zu unterdrücken. Und zwar Akupunktur auf der gleichen Ebene wie das Morphium; und zusätzlich durchgeführte Placebo-Therapien, Scheintherapien, hatten keinen Effekt. Das heißt, die Akupunktur ist deutlich effektiver als keine Therapie bzw. eine PlaceboTherapie. Und gleich wirksam wie die stärkst mögliche Therapie bei dieser Form von Schmerzen. Auch bei anderen Naturheilverfahren konnte er schon wissenschaftlich belegen, dass sie stärker als Placebos wirken. Zum Beispiel die Behandlung mit Blutegeln bei Arthrose-Patienten. Auch pflanzliche Arzneien wie Echinacea oder Johanniskraut haben eine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Trotzdem sehen Experten den Erfolg der Naturheilkunde weniger in ihren Präparaten als vielmehr in der vorbildlichen Beziehung zwischen Therapeut und Patient. „Dieses Vertrauensverhältnis fördert den Heilungsprozess“, sagt Paul Enck: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. 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Er darf also nicht behaupten, ein höchst wirksames Medikament zu verschreiben und dem Patienten in Wirklichkeit ein Placebo unterschieben. Das geht rechtlich nicht: 28:38 Prof. Paul Enck: Sie können nicht (...) ein Rezept mit Placebo ausstellen ohne dem Patienten vorher zu sagen, ich verschreibe Ihnen ein Placebo. Placebos gibt es in Deutschland und in den meisten anderen Ländern nur im Rahmen von klinischen Studien. Und bei diesen Studien wissen die Teilnehmer, dass sie eventuell ein Placebo bekommen. In der Arztpraxis aber gilt: Wenn es für eine Krankheit ein wirksames Medikament gibt, muss das auch verschrieben werden. Sonst wäre der Willkür Tür und Tor geöffnet. Allerdings keine Regel ohne Ausnahme: Was tun, wenn es in manchen Bereichen an wirksamen Arzneien fehlt? Oder was ist, wenn ein Patient wegen eines harmlosen Schnupfens unbedingt ein Antibiotikum verschrieben haben möchte? Robert Jütte von der Bundesärztekammer: ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de 12 11:50 Prof. Robert Jütte: Gerade diese rechtliche Problematik versuchen wir zu klären und Ärzten Anweisungen zu geben und auch die Möglichkeit zu überlegen, ob nicht im Einzelfall auch Placeboeinsatz möglich ist. Konkrete Empfehlungen gibt es noch nicht. Ärzte behelfen sich in solchen Fällen meist mit nebenwirkungsarmen pflanzlichen Produkten. Im Falle des Schnupfens geben sie zum Beispiel Vitaminpräparate statt Antibiotika. Wenn sich Patienten als Hypochonder entpuppen, also als solche, die nur glauben, alle möglichen Krankheiten zu haben, kann im Einzelfall eine Placebogabe möglich sein, ohne dass der Patient davon weiß: 11:22 Prof. Robert Jütte: Aber sie müssen da vorher eine sehr ausführliche Diagnose gestellt haben, die alles andere ausschließt, sozusagen feststellen, dass er wirklich ein Hypochonder ist, und Sie müssen dann den Verlauf dieser Behandlung genauestens kontrollieren; sobald Sie das Gefühl haben, dass Sie mit Placebo nicht weiterkommen, im Gegenteil, ihm sogar schaden, müssen Sie sofort umwechseln. Ärzte können also nur in ganz begründeten Ausnahmefällen eine wirkstofflose Pille geben. Trotzdem können sie sich Placeboeffekte zunutze machen: indem sie den Patienten mit seinen Erfahrungen und Ängsten stärker in den Mittelpunkt der Behandlung stellen und generell für eine positive Grundstimmung sorgen. Therapien würden besser anschlagen, wenn das „Drumherum“ stimmt: 16:10 Prof. Robert Jütte: Es spielt bei jeder Behandlung eine Rolle und Sie können als Arzt oder Patient diesen Effekt überhaupt nicht ausschließen, Sie können ihn nur optimieren. [Musik♫] ________________________________________________________________________________________________ Dieses Manuskript wird ohne Endkorrektur versandt und darf nur zum privaten Gebrauch verwendet werden. Jede andere Verwendung oder Veröffentlichung ist nur in Absprache mit dem Bayerischen Rundfunk möglich! © Bayerischer Rundfunk 2015 Bayern 2-Hörerservice Bayerischer Rundfunk, 80300 München; Service-Nr.: 01801/102033 (4 Cent/Min. aus dem deutschen Festnetz/Mobilfunk max. 42 Cent pro Minute) Fax: 089/5900-46258 [email protected]; www.bayern2.de
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