SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
18.02.1968:
Großbritannien führt die Mitteleuropäische Zeit ein
Von Stephan Krass
Sendung: 18.02.2017
Redaktion: Ursula Wegener
Produktion: SWR 2017
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Autor:
Das Zeitempfinden, das vor den alles vernetzenden Eisenbahnen noch weitgehend
ein individuelles Maß darstellte und nur mit dem unmittelbaren Lebensumfeld in
Einklang gebracht werden musste, erfuhr nun plötzlich die Notwendigkeit einer
Objektivierung, die die verschiedenen Zeitzonen und Erfahrungsräume
synchronisierte.
Um die Mitte des letzten Jahrhunderts zeigten die Uhren im Bodensee-Raum noch
fünf verschiedene "Normalzeiten" an. In den USA ergab sich gar die kuriose
Situation, dass der transkontinentale Bahnreisende in 71 verschiedenen Zeiten zu
rechnen hatte. Es war das zunehmende Transportwesen, das zur Vereinheitlichung
der Zeitmessung den Anstoß gegeben hatte. In Deutschland benutzten die
Eisenbahnen fünf verschiedene Zeiten: Die von Berlin, Stuttgart, München, Karlsruhe
und Ludwigshafen. Anhand von Markierungen entlang der Bahnstrecke konnten die
Reisenden ihre Uhren: der jeweils geltenden Zeit anpassen. In Belgien war indes die
Brüsseler Zeit verbindlich, für Holland schlug in Amsterdam die Stunde, und wer als
Europareisender unterwegs war, musste sich mit umständlichen
Umrechnungstabellen behelfen.
Es war ein amerikanischer Professor mit Namen Charles F. Dowd, der im Jahre 187o
einen Plan vorlegte, um dutzende verschiedener Eisenbahn-Zeiten und unzählige
Ortszeiten in den USA zu koordinieren und in Zeitzonen zusammenzufassen. Im
Jahre 1883 stellten die USA und Kanada auf dieses System um. Anhaltende
Diskussionen hatte es um die Positionierung des Nullmeridians gegeben. Neben dem
westlichsten Punkt Europas auf den Kanarischen Inseln, den schon der Alexandriner
Claudius Ptolemäus im zweiten nachchristlichen Jahrhundert zum Maß genommen
hatte, wurde auch ein Längenkreis durch die Spitze der großen Pyramide von Gizeh
vorgeschlagen. Das Rennen aber machte schließlich das englische Greenwich, das
bereits in der Seefahrt zu einem festen Bezugspunkt der Navigation geworden war.
Alle Längengrade der international gültigen Seekarten wiesen Greenwich als
Referenzgröße aus.
So einigten sich im Jahre 1884 auf einer Zeitkonferenz in Washington 27 Staaten auf
ein weltweit gültiges System von 24 Zeitzonen ausgehend von einem Nullmeridian in
Greenwich. Die "Greenwich Mean Time" galt fortan als Weltzeit. Es sollte fast drei
Generationen dauern, bevor im Stammland der Weltzeit - in England - die Uhren, die
die auf der Insel gültige Lokalzeit anzeigen, eine Korrektur erfuhren. Nicht wenige
Zeitgenossen sahen dadurch das ohnehin angeschlagene Image der einstigen
Weltmacht weiter unterminiert. Am 18. Februar 1968 wurde als englische Lokalzeit
die "Greenwich Mean Time" abgeschafft und durch die MEZ - die "Mitteleuropäische
Zeit" ersetzt. Im Zentrum der globalen Zeitmessung mussten die Uhren für die
Ortszeit eine Stunde vorgestellt werden. Wieder waren es wirtschaftliche
Erwägungen, die für die Einführung der neuen Kontinentalzeit ausschlaggebend
waren. Die Transport- und Exportindustrie hatte immer wieder auf zeitliche
Übereinstimmung mit dem Festland gedrängt. Die Kontrolluhr im Königlichen
Observatorium in Greenwich zeigt indes weiter die Weltzeit an. Man mag es als eine
verzeihliche Geste des angelsächsischen Snobismus betrachten, wenn sich gewisse
Kreise noch heute zum Five-o-clock-Tea (Greenwich Time) verabreden.
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