SWR2 Zeitwort

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SWR2 Zeitwort
10.12.1871:
Der Kanzelparagraph verbietet Geistlichen politische Einmischung
Von Jörg Vins
Sendung: 10.12.2016
Redaktion: Ursula Wegner
Produktion: SWR 2016
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Autor:
Der Kanzelparagraph bildete sozusagen den Startschuss der offenen
Auseinandersetzung zwischen Bismarck und den Liberalen auf der einen und der
katholischen Kirche und
der Zentrumspartei auf der anderen Seite. Von nun ab waren politische und wie es
hieß den öffentlichen Frieden gefährdende Äußerungen auf der Kanzel unter Strafe
verboten. Der sogenannte Kulturkampf hatte begonnen, wenngleich der Konflikt
schon vor dem 10.Dezember 1871 wahrgenommen werden konnte. Der damals
neue, moderne Staat war säkular und religionsneutral. Und er hatte gleichzeitig einen
umfassenderen Anspruch als die Staaten vor ihm. Er war es nun, der für Frieden und
Recht sorgte; er sah sich zuständig für Ehe und Schulwesen. Und damit konkurrierte
der moderne Staat direkt mit der Kirche, zumal mit der katholischen, die 1864 mit
dem päpstlichen Syllabus der Moderne und dem Liberalismus eine deutliche Abfuhr
erteilt hatte. Die katholische Kirche spürte, dass der Fels, auf den sie nach
neutestamentlicher Aussage gebaut war, in politischer Hinsicht Risse bekommen
hatte. Die Aufklärung zeigte ihre Spätfolgen, der Kirchenstaat ging verloren. Fast
könnte man den Eindruck haben, das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes in
Glaubens- und Sittenfragen aus dem Jahre 1870, war eine Art Verzweiflungsakt
eines Papstes, der glaubte, noch retten zu können, was nicht mehr zu retten war.
Gerade in Deutschland wurde das Dogma heftig diskutiert. Es gab Widerstand unter
den Bischöfen des Landes, der aber bald aufgeweicht wurde.
Bis dahin hatte es keine Trennung von Kirche und Staat in Deutschland gegeben.
Die Mischform war das Erprobte. In der Auseinandersetzung mit dem
Unfehlbarkeitsdogma sah sich nun der Staat vor einem Dilemma: Was sollte mit den
Theologieprofessoren geschehen, die die päpstliche Unfehlbarkeit ablehnten und
sich später altkatholisch nannten? Sie waren immerhin Staatsbeamte, von der Kirche
aber exkommuniziert. Kann also die Kirche etwas über den Status von
Staatsbeamten sagen?
Die Katholiken fühlten sich weder bei den Liberalen noch bei der Konservativen
politisch aufgehoben. Vor allem die Liberalen wünschten sich eine politisch nationale
und kulturell liberale Zivilreligion protestantischer Prägung. Immerhin war die Nation
zu zwei Dritteln protestantisch. Die Katholiken aber waren über die Alpen nach Rom
hin orientiert. So blieb es nicht aus, dass eine katholische Partei, das Zentrum
gegründet wurde. Für die Katholiken eine Art Notwehr; für die Liberalen und den konservativen Bismarck eine Provokation. Obgleich Bismarck an sich den Kirchen eher
wohlwollend gegenüberstand. Ja er bot sogar dem Papst nach dem Verlust des
Kirchenstaates Asyl in Deutschland an.
Eine katholische, möglicherweise ultramontane Zentrumspartei wurde aber vom
Reichskanzler als Gefährdung des Reiches empfunden. Da war er sich mit den
Liberalen einig. Seine Antwort sollte die Trennung von Staat und Kirche sein, zu
bewirken durch den Kulturkampf. Erst also der Kanzelparagraph - übrigens auf
Antrag Bayerns. Vier Monate später das Schulaufsichtsgesetz, wonach der Staat die
uneingeschränkte Aufsicht über den gesamten Unterricht wahrnahm, einschließlich
Religion.
Im Juli 1872 kam dann noch das Jesuitengesetz. Die Jesuiten als Galionsfiguren
eines römischen Zentralismus erhielten so eine Art Berufsverbot.
Bismarck wollte in erster Linie das Zentrum ausschalten und zweitens einer
Polonisierung des preußischen Landvolks durch polnische Priester vorbeugen - die
hatten nämlich im Osten die Aufsicht über die Volksschulen.
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Je mehr der Staat Druck machte, umso stärker wurde das Zentrum. Es blieb zwar
eine Minderheit. Immerhin aber so groß, um eine handlungsfähige Mehrheit - gleich
ob von links oder von rechts dauerhaft zu verhindern.
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