SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 25.06.1948 Jahnns „Armut, Reichtum, Mensch und Tier“ wird uraufgeführt Von Winfried Roesner Sendung: 25.06.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Autor: Ein starkes Stück: Eine mythische Moritat zwischen Brunst und Betrug. Der Verfasser: Ein schwieriger Mensch. Orgelbauer, Hormonforscher, Pferdezüchter und Schriftsteller, oft sprachgewaltig und manchmal platt, schwer einzuordnen, schwer zu spielen. Als absoluter Pazifist musste er zweimal fliehen vor denen, die in Deutschland Krieg betrieben haben. 1915 - da war Hans Henny Jahnn eben zwanzig - emigrierte der Hamburger Schiffbauerssohn nach Norwegen. 1933 - da hatten die Nationalsozialisten bereits seine Stücke verboten - zog er sich erst in die Schweiz und dann nach Dänemark zurück und züchtete Pferde. Im gleichen Jähr 1933 beginnt er in Zürich „Armut, Reichtum, Mensch und Tier“ zu schreiben und es sieht so aus, als vereinige er darin etliche Motive seiner Fluchten. Das Stück spielt in den Bergen Norwegens in mythischer Zeit, und seine Liebe zu Pferden bekommt in dem Drama geradezu erotische Züge. Falada heißt das Pferd des Bergbauern Manao Vinje. Mit seinem Pferd kommt Vinje zum Marktflecken, wo seit Jahren die reiche Erbin Anna auf die Ehe Mit ihm wartet. Aber Vinje liebt die arme Sofia, die von ihm schwanger wird. Auch Sofia weiß, dass bei diesem Mann erst die Pferde, dann die Frauen kommen: Es ist kein gewöhnliches Pferd. Es ist jemand hineingebannt. Ein Mädchen. Manao begehrt darum kein Weib. Er vergisst seine Verlöbnisse. Er verbringt seine Tage mit einem Gespenst. Ich selbst habe gesehen, dass Manao zärtlich mit dem Tier ist. Und ihm Worte in die Ohren sagt. Der Pferdeflüsterer heiratet prompt die Falsche: Anna. Sie hat Sofias Kind umgebracht und es so gedreht, dass Sofia dafür ins Gefängnis kommt. Als Anna auch Vinjes Pferd töten lässt, wendet sich dieser noch einmal der todkranken Sofia zu. Nach einem kurzen Glück stirbt sie, und Vinje begräbt sie und sein Pferd in den Bergen. Manchen Kritikern roch das alles zu sehr nach Blut und Boden, aber Jahnns Sprache ist nicht dumpf, sondern archaisch klar. Eine Aufführung in Deutschland kommt 1933 nicht zustande. Mehrere Theaterleiter. auch Gustaf Gründgens, lehnen ab. Der Dramaturg des Königlich Dänischen Theaters preist die Schönheit des Werkes. Doch auch in Dänemark wird es nicht gespielt. Erst als der Krieg vorbei ist, bringen zwei deutsche Theater gleichzeitig das Stück erstmals heraus: am 25. Juni 1948 in Hamburg am Deutschen Schauspielhaus und in Wuppertal bei den Städtischen Bühnen. Hamburg lässt sich die späte Anerkennung des literarischen Sohns der Stadt etwas kosten: der gesamte Senat ist anwesend, der Landesbischof, Vertreter der Militärregierung. Bernhard Minetti spielt den Manao Vinje. Regie führt - leider nicht Jürgen Fehling, sondern der weniger bedeutende Theodor Haerten. Gegen Ende kichern Zuschauer, lachen laut und verärgern so die Ergriffenen. Jahnn verbeugt sich lächelnd, aber wütend. Er ist unzufrieden mit der schleppenden Regie und mit Minettis augenrollendein Spiel, und dieser schimpft hinterm Vorhang mit der ganzen Aufführung. Vielleicht haben die Kritiken Jahnn versöhnt, die von "atemberaubender Tiefe und Dichte" und von dem "wesentlichsten deutschen Drama nach dem Krieg" schreiben. 1 Die Wuppertaler Premiere verläuft insgesamt glücklicher. 1994, im Jahr seines 100. Geburtstages, hat es etliche Versuche gegeben, ihn dem Publikum wieder näher zu bringen. So hat Harald Clemen am Deutschen Schauspielhaus noch einmal „Armut, Reichtum, Mensch und Tier“ inszeniert und dafür lesen dürfen: "Modern erscheinen die schnörkellosen Dialoge, zu Herzen gehen die großen Gefühle, die nie ins Pathos übergehen". Aber ein Mann für Repertoire ist Hans Henny Jahnn nicht geworden. 2
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