SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Zeitwort 07.07.1981 Der Europäische Gerichtshof entscheidet gegen "Butterfahrten" Von Wolfgang Grossmann Sendung: 07.07.2016 Redaktion: Ursula Wegener Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Zeitwort können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/zeitwort.xml Geräusch: Schiffshorn, Wellenrauschen mit Möwen Autor: Butterfahrten waren vor allem in der Ostsee als preiswerte Einkaufstouren beliebt. Und einer der bekanntesten Dampfer war die „Baltic Star“ mit Kapitän Peter Ickels. O-Ton Kapitän Peter Ickels: „Die Baltic Star war ursprünglich im Bäderdienst Hamburg–Helgoland tätig. Später kurz in der Karibik für die HADAG, dann als Hospitalschiff in Vietnam und dann nach Vietnam jetzt als sogenanntes Butterschiff zwischen Travemünde und Rodby tätig. Aus zollrechtlichen Gründen müssen wir also entweder acht Stunden auf See sein, oder einen ausländischen Hafen anlaufen. In diesem Fall laufen wir Rodby an, weil dieser Hafen am dichtesten zu Travemünde liegt. Wir müssen richtig festmachen, also Minimum zwei Leinen und Landgang. Wir müssen also auch den Fahrgästen die Möglichkeit lassen, wer eben will an Land zu gehen, beziehungsweise teilweise nehmen wir auch Leute in Rodby an Bord und das wird hauptsächlich im Sommer wahrgenommen.“ Autor: Dieses seltsame Verfahren, war einem Urteil des EuGh in Luxemburg vom 7. Juli 1981 geschuldet. Eigentlich entbehrte es jeglicher Logik, aber die Reeder nutzten eben die Lücken im Spruchtext aus. Zitator: „Als aus Drittländern kommende Reisende im Sinne der Verordnung können … solche Personen nicht angesehen werden, die während einer Schiffsreise … in einem Drittland nicht oder nur symbolisch an Land gehen, ohne sich dort lange genug aufzuhalten, um Einkäufe tätigen zu können.“ Autor: Also legten die Butterdampfer nun richtig an und blieben wenigstens eine Stunde am Kai. Den Passagieren ging es nicht um den Besuch eines dänischen Hafens, sondern um Butter, um Zigaretten, Alkohol, Kaffee und Süßigkeiten, die an Bord zum Teil 20 und bei Sonderangeboten bis zu 50 Prozent billiger als an Land zu kriegen waren. Kurz nachdem die Dreimeilenzone passiert war, begann der zollfreie Verkauf. Es ging unter Deck, wo Verkäuferinnen hinter einem Tresen die Waren in große Plastiktüten packten und das Geld kassierten. Kassengeräusch Autor: Als die Butterdampfer erstmals 1953 von Deutschland aus in See stachen, ging es tatsächlich um Butter. Denn in den Zeiten vor den europäischen Milchseen und Butterbergen war der tierische Brotaufstrich ziemlich teuer und zollfrei eben billiger. In den siebziger Jahren wandelten sich die Butterschiffe zu nikotinqualmenden Alkoholdampfern. Whisky und Zigaretten waren steuerfrei viel günstiger als an Land. Freilich konnte man die Ware nicht unbegrenzt mit von Bord nehmen, es galten Zollbestimmungen wie für eine Stange Zigaretten oder 1 Liter Alkohol an der Landesgrenze. 1 Kassengeräusch Autor: Da die Fahr-Preise mit damals fünf Mark so niedrig lagen, wurde die Verwandtschaft einfach mit an Bord genommen. Schnell endete der Familienausflug unter Deck bei Whisky- oder Rum-Cola in größeren Mengen. Musik „Butterfahrt“: „Auf der Butterfahrt nach Dänemark – brettern wir uns die Augen dicht. Bruder, Oma, Sohn und Mutter, alle saufen auf‘m Kutter.“ Autor: Angeblich machte der deutsche Fiskus dadurch jährlich einen Verlust von 60 Millionen Mark. 1991, 10 Jahre nach dem EuGh-Urteil verboten die damaligen EGFinanzminister Butterfahrten immer noch nicht endgültig. Es gab eine Schonfrist bis zum 1. Juli 1999. Und dann kam der Sommer 99. Am 30. Juni legte die „Baltic Star“ zur letzten Butterfahrt ihres Schifflebens ab. An Bord 700 Passagiere. Darunter Helmut Hohl aus Travemünde. O-Ton Helmut Hohl: „Ich denke, dass es für viele wirklich eine Leere gibt, denn es gibt hier Leute an Bord, die fahren bis zu fünf Mal die Woche mit. Die gehören hier Quasi schon zum Inventar und insofern denke ich, dass für die Leute, wenn denen die Möglichkeit genommen wird, ihre Freizeit auszufüllen, dass es da wirklich so etwas wie eine Leere gibt.“ Autor: Danach wurden viele Schiffe stillgelegt und hunderte Beschäftige verloren ihre Jobs. 2
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