SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Die Buchkritik Giuseppe Catozzella: Sag nicht, dass Du Angst hast Knaus Verlag, München 2014 Aus dem Italienischen von Myriam Alfano 251 Seiten 11,99 Euro Rezension von Wilhelm Macke Mittwoch, 17.12.2014 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Forum Buch können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/literatur.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Von Wilhelm Macke Als im Sommer 2012 der italienische Journalist Giuseppe Catozzella zufällig im Radio von der bei der Flucht über das Mittelmeer ertrunkenen somalischen Leichtathletin Samia Yusuf Omar hörte, fühlte er sich „ wie vom Blitz getroffen“. Wer war diese Frau und warum wollte sie aus ihrer afrikanischen Heimat nach Europa fliehen? Catozella begann bekannte somalische Freunde zu kontaktieren, fing an mit Recherchen über das Leben im heutigen Somalia, suchte nach Angehörigen und Freunden der ertrunkenen Samia. Und was er dann an Informationen über die Umstände der Fluchttragödie von Samia zusammengetragen hatte, komponierte er zu einem bewegenden Text über das kurzes Leben der jungen Leichtathletin aus Somalia, die versucht hat, sich laufend aus der Misere ihrer Heimat zu befreien. Nicht jedes geschilderte Ereignis hat sich sicherlich so abgespielt wie es hier literarisch verarbeitet wird. Manche Dialoge wirken hölzern zusammengezimmert und einige Passagen hat der Autor auch spürbar in der Hoffnung auf ein sentimentales Leserecho geschrieben. Trotzdem gibt dieses Buch die besondere Atmosphäre in Somalia in den Jahren des AlShabab-Terrors ebenso wieder wie die Dramatik jener Fluchten über das Mittelmeer, von denen wir jetzt schon fast täglich aus den Nachrichten erfahren. Die Kindheits- und Jugendjahre von Samia Yusuf Omar in Mogadischu wurden überschattet von dem brutalen Auftreten der radikalislamistischen Al-Shabab-Milizen. Verwandte und Freunde wurden von den Milizionären immer wieder bedroht, schikaniert und umgebracht. Trotzdem kämpfte sie sich mit ihrem Traum, einmal als eine große Leichtathletin bekannt zu werden durch bis hin zu regionalen Meisterschaften. Sportfunktionäre entdeckten ihr Talent und luden sie ein, Somalia bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking zu vertreten. Samia fuhr also nach China und lief für ihr Land. Als sie dann im Vorlauf über 200 m mit einem riesigen Abstand zur Siegerin die Ziellinie erreichte, wurde sie dennoch vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert. Aber zurück in Mogadischu musste sie erleben, daß sie von den Sittenkriegern der Al Shabab-Islamisten mit noch größerer Härte verfolgt wurde. Sie wollte doch nur laufen und sah bald keine Möglichkeit mehr, in ihrem Land zu bleiben. Zunächst floh sie ins benachbarte Äthiopien, aber auch hier wurden ihr keine Möglichkeiten zum regelmässigen Training gegeben. Jetzt wollte sie nur noch eins: weg von hier, weg von Afrika, weg von dem Terror der Islamisten. Europa wurde zum Wunschziel, dort wo in Helsinki ihre geliebte Schwester Hodan bereits lebte. Und wo in London im Jahr 2012 die Olympischen Spiele stattfinden sollten, an denen Samia wenigstens als Zuschauerin teilnehmen wollte. Sie nahm Kontakt zu organisierten Schleppern auf, die ebenso professionell wie brutal die Reise Richtung Sudan, Libyien und dann über das Meer nach Italien organisierten. In Tripolis befand sich auch das lang ersehnte Boot, das sie endlich in die erträumte Freiheit bringen würde. Es fällt nicht leicht, in dem Buch von Catozzella die Passagen über die Qualen zu lesen, die Samia erleiden muß, um endlich an das andere Ufer des Mittelmeeres zu gelangen. Aber genau in diesem letzten, so dramatischen Teil des Buches über das traurige Schicksal der jungen somalischen Leichtathletin Samia werden die Grenzen zwischen der journalistischen Recherche und einer phantasiereich ausgeschmückten Fiktion besonders deutlich. Ob sich die letzten Stunden von Samia auf dem kenternden Boot tatsächlich so abgespielt haben wie der Autor sie hier in aller verbalen Aufgewühltheit darstellt, wird man nie erfahren. Die Nachricht aber, mit der das Buch abrupt endet, ist keine Fiktion, sondern gibt in nüchternen Worten nur das wieder, was in den Medien für mitteilenswert über das Unglück angesehen wurde: „Samia Yusuf Omar ertrank am 2. April 2012 im Mittelmeer.“
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