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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Die Buchkritik
Giuseppe Catozzella: Sag nicht, dass Du Angst hast
Knaus Verlag, München 2014
Aus dem Italienischen von Myriam Alfano
251 Seiten
11,99 Euro
Rezension von Wilhelm Macke
Mittwoch, 17.12.2014 (14:55 – 15:00 Uhr)
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Von Wilhelm Macke
Als im Sommer 2012 der italienische Journalist Giuseppe
Catozzella zufällig im Radio von der bei der Flucht über
das Mittelmeer ertrunkenen somalischen Leichtathletin
Samia Yusuf Omar hörte, fühlte er sich „ wie vom Blitz
getroffen“. Wer war diese Frau und warum wollte sie aus
ihrer afrikanischen Heimat nach Europa fliehen? Catozella
begann bekannte somalische Freunde zu kontaktieren,
fing an mit Recherchen über das Leben im heutigen
Somalia, suchte nach Angehörigen und Freunden der
ertrunkenen Samia.
Und was er dann an Informationen über die Umstände der
Fluchttragödie von Samia zusammengetragen hatte,
komponierte er zu einem bewegenden Text über das
kurzes Leben der jungen Leichtathletin aus Somalia, die
versucht hat, sich laufend aus der Misere ihrer Heimat zu
befreien. Nicht jedes geschilderte Ereignis hat sich
sicherlich so abgespielt wie es hier literarisch verarbeitet
wird. Manche Dialoge wirken hölzern
zusammengezimmert und einige Passagen hat der Autor
auch spürbar in der Hoffnung auf ein sentimentales
Leserecho geschrieben. Trotzdem gibt dieses Buch die
besondere Atmosphäre in Somalia in den Jahren des AlShabab-Terrors ebenso wieder wie die Dramatik jener
Fluchten über das Mittelmeer, von denen wir jetzt schon
fast täglich aus den Nachrichten erfahren.
Die Kindheits- und Jugendjahre von Samia Yusuf Omar in
Mogadischu wurden überschattet von dem brutalen
Auftreten der radikalislamistischen Al-Shabab-Milizen.
Verwandte und Freunde wurden von den Milizionären
immer wieder bedroht, schikaniert und umgebracht.
Trotzdem kämpfte sie sich mit ihrem Traum, einmal als eine
große Leichtathletin bekannt zu werden durch bis hin zu
regionalen Meisterschaften. Sportfunktionäre entdeckten
ihr Talent und luden sie ein, Somalia bei den Olympischen
Spielen 2008 in Peking zu vertreten. Samia fuhr also nach
China und lief für ihr Land. Als sie dann im Vorlauf über 200
m mit einem riesigen Abstand zur Siegerin die Ziellinie
erreichte, wurde sie dennoch vom Publikum mit Standing
Ovations gefeiert.
Aber zurück in Mogadischu musste sie erleben, daß sie
von den Sittenkriegern der Al Shabab-Islamisten mit noch
größerer Härte verfolgt wurde. Sie wollte doch nur laufen
und sah bald keine Möglichkeit mehr, in ihrem Land zu
bleiben. Zunächst floh sie ins benachbarte Äthiopien, aber
auch hier wurden ihr keine Möglichkeiten zum
regelmässigen Training gegeben. Jetzt wollte sie nur noch
eins: weg von hier, weg von Afrika, weg von dem Terror
der Islamisten. Europa wurde zum Wunschziel, dort wo in
Helsinki ihre geliebte Schwester Hodan bereits lebte. Und
wo in London im Jahr 2012 die Olympischen Spiele
stattfinden sollten, an denen Samia wenigstens als
Zuschauerin teilnehmen wollte. Sie nahm Kontakt zu
organisierten Schleppern auf, die ebenso professionell wie
brutal die Reise Richtung Sudan, Libyien und dann über
das Meer nach Italien organisierten.
In Tripolis befand sich auch das lang ersehnte Boot, das sie
endlich in die erträumte Freiheit bringen würde.
Es fällt nicht leicht, in dem Buch von Catozzella die
Passagen über die Qualen zu lesen, die Samia erleiden
muß, um endlich an das andere Ufer des Mittelmeeres zu
gelangen. Aber genau in diesem letzten, so
dramatischen Teil des Buches über das traurige Schicksal
der jungen somalischen Leichtathletin Samia werden die
Grenzen zwischen der journalistischen Recherche und
einer phantasiereich ausgeschmückten Fiktion besonders
deutlich. Ob sich die letzten Stunden von Samia auf dem
kenternden Boot tatsächlich so abgespielt haben wie der
Autor sie hier in aller verbalen Aufgewühltheit darstellt,
wird man nie erfahren. Die Nachricht aber, mit der das
Buch abrupt endet, ist keine Fiktion, sondern gibt in
nüchternen Worten nur das wieder, was in den Medien für
mitteilenswert über das Unglück angesehen wurde:
„Samia Yusuf Omar ertrank am 2. April 2012 im
Mittelmeer.“