SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde „Beflügelte Frauen“ (4) Frauen in Deckung: in Frauenzimmern, in Klöstern oder am Hof Von Sabine Weber Sendung: Redaktion: Donnerstag, 17. März 2016 Ulla Zierau 9.05 – 10.00 Uhr Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert.Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2 2 SWR2-Musikstunde mit Sabine Weber 17.03.2016 Beflügelte Frauen 4. Frauen in Deckung MODERATION Ich bin Sabine Weber. Herzlich Willkommen zur vierten Folge Beflügelte Frauen. Heute mit Frauen, die trotz gestutzter Flügel oder begrenztem Flugraum ziemlich weit geflogen sind. Titelmusik kurz (10.sec) MODERATION „Erniedrigung unter der Bedingung physischer Unterlegenheit, Ohnmacht und Hilfslosigkeit. Das sei ein tiefsitzendes Depot weiblicher Grunderfahrungen“. In einem der vielen Zeitungsartikel zu lesen, die die Silvesterereignisse in Köln, Hamburg und Stuttgart einzuordnen, zu kommentieren und zu verarbeiten suchten. Gegen die Angst, die solche Erniedrigungen auslöst, aber auch gegen Eingrenzung und Ausgrenzung haben Frauenrechtlerinnen in den beiden vergangenen Jahrhunderten gekämpft. Doch was haben Komponistinnen in früheren Jahrhunderten gemacht? Ohne Frauenrechte? Wie konnten sie sich bewegen, lernen, aufnehmen und ja, komponieren? Wie hat Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre 1694 eine Tragédie en Musique Cephale et Procris komponieren können. Mit Prolog und fünf Akten! Daniela Dolci - Leiterin von Musica Fiorita und begeisterte Musikwissenschaftlerin ist der Partitur dieser französischen Komponistin aus dem ausgehenden 17. Jahrhundert auf die Spur gekommen. 1 LC11428 ORF CD 3033 Länge: 3'18 Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre, Ouvertüre aus Cephale et Procris, Musica Fiorita, Daniela Dolci LTG MODERATION Die Ouvertüre zu Cephale et Procris. Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre ist als Komponistin am Hof Ludwigs XIV inmitten einer Schar berühmter Musiker etabliert gewesen. Sie ist auch in den Genuss einer privilegierten Bildung am Hof von Versailles gekommen. Mit 10 Jahren wird sie aufgrund ihrer Musikbegabung 3 in den Haushalt der Mme de Montespan aufgenommen und zusammen mit 8 Bastarden erzogen. Der Sonnenkönig fördert sie höchst persönlich. Und Zeit ihres Lebens. Sie darf mit seinem Privileg Cembalosuiten und geistliche Kantaten drucken. Und ihre Oper geht über die heiligen Bretter der Académie Royale de Musique. Auch wenn die Oper nur nach 6 Aufführungen wieder von der Bildfläche verschwindet. Der Sonnenkönig und seine neue Mätresse Mme de Maintenon interessieren sich nicht mehr für die Oper. Und genau deswegen hat die La Guerre ja einen Protegée der Maintenon zum Librettisten gewählt. Strategisch gut gedacht, aber musikalisch ein Fehler. Denn der in diesen Dingen gänzlich unerfahrene Joseph François Duché de Vancy verwirrt die Handlung, statt sie dramatisch zu konzentrieren. Zur Zeit Lullys hatten die Literaturversessenen Franzosen sich an die großen Nationaldichter als Librettisten gewöhnt. Vancy fällt durch schwache Verse auf. „Le poéme est mal conduit!“, schimpft die Kritik. Aber was stört uns der lahme Versfuss, wenn die Musik gut ist? In Vergessenheit gerät diese Oper noch aus einem anderen Grund. Die Aufklärung, die das wissenschaftliche Denken durch Empirie und Versuchsoffenheit aufbricht, steht im Begriff, ein dazu erschreckend widersprüchliches neues Frauenbild zu definieren. Nichts mit Weltoffenheit für die Frau! Häuslichkeit und Tugend wird ihr übergestülpt. Im Frauenzimmerzeitalter der Romantik soll das gipfeln. Frauen, die große Opern schreiben, motivieren in die falsche Richtung! Das hat eine Frau jetzt korrigiert. Vor mehreren Jahren hat Daniela Dolci die Opernpartitur der la Guerre in der Nationalbibliothek in Paris entdeckt. Eine wunderbare Partitur, wie sie sagt. Und sofort sei ihr klar gewesen, dass sie daraus etwas machen muss. Und im Marggräflichen Opernhaus in Bayreuth erlebt die Oper in einer von ihr wissenschaftlich neu erstellten Partitur und unter ihrer Leitung eine gefeierte neuzeitliche Premiere. Ein höllischer Dämonenchor hat im April 2005 ordentlich Lärm gemacht. 2 LC11428 ORF CD 3033 Länge: 1'32 Elisabeth-Claude Jacquet de la Guerre, Choeur des Démons, aus Cephale e Procris, Solistenchor, Musica Fiorita, Daniela Dolci LTG MODERATION Da sind die Streicher fast nicht mehr hinter her gekommen. Der Dämonenchor mit krachendem Donner aus Cephale et Procris von Elisabeth Jacquet de La Guerre. Der Solistenchor und Musica Fiorita musizierte unter der Leitung von Daniela Dolci. 4 Jacquet de la Guerre ist nicht die einzige am französischen Hof glänzende Musikerin gewesen. Maguerite Antoinette Couperin heißt die Tochter des berühmten Tastenmaîtres Francois Couperin. Von ihrem Vater erbt sie nicht nur die Begabung, sondern 1729 die Position eines ordinaire de la musique de la chambre du roi pour le clavecin. Wenn die La Guerre die erste französische Opernkomponistin ist, deren Oper an der Académie Royale aufgeführt worden ist, so ist die Cembalovirtuosin Couperin die erste Frau, die einen offiziellen Musikposten am Hof bekleidet hat. Musik ist leider von ihr nicht überliefert worden. Marguerite Louise, eine Cousine des Tastenmaitre, hatte wohl auch die Couperin-Musik-Gene. Sie durfte mit ihrer klaren Sopranstimme in der Chapelle Royale zusammen mit den Töchtern Michel Richard Delalandes auftreten und hat auch eifrig komponiert. Leider ist von ihr ebenfalls nichts überliefert. Auf den Namen könnten Sie über ein Ensemble für alte Musik stoßen. Gaétan Jarry hat sein Ensemble auf Marguerite Louise getauft, um so an sie zu erinnern. Wir wandern jetzt nach Norditalien aus. Was da im ausgehenden 16. Jahrhundert hinter norditalienischen Klostermauern passiert, ist geradezu sensationell. Unsichtbar singende Nonnen werden wie Stars hofiert und bringen eine Stadt aus dem Häusschen. Die Menschen rennen in die Klosterkirchen, um sie zu hören. Beispielsweise in die Kirche des Klosters San Radegegonda direkt neben dem Mailänder Dom. Aus dem Jahr 1612 wird berichtet, dass sich so viele Besucher in die chiesa esteriore drängelten, dass sie bald erstickt wären. Nur um eine gewisse Donna Grazia zu hören. Oder die Ceva! Die Clerici! Bravissime virtuose - alles Nonnen! Und dass sie versteckt hinter Gittern singen regt die Fantasie um so mehr an. Der Bologneser Priester Sebastiano Locatelli schwebt im siebten Himmel. „Während ich eine Motette hörte, war ich im Paradies! In Sankt Radegonda konnte ich nicht unterscheiden, ob die Stimmen irdisch oder himmlisch waren. … Die Nonnen müssen von den Engeln gelernt haben, wie sie die Himmelskönigin begrüßen müssen! Die beste war eine Donna Angiolia.“ 3 LC 00761 MUSIC OMNIA mo0209 Länge: 4'25 Chiara Margarita Cozzolani, Gloria in Excelsis, Magnificat, Warren Stewart LTG MODERATION 5 Ein Gloria in excelsis komponiert von Schwester Chiara Margarita Cozzolani aus dem Benediktinerinnenkloster Sankt Radegonda in Mailand. Die Mailänder Nonnensängerinnen im 17. Jahrhundert haben über extreme Stimmumfänge verfügt. Zwei Oktaven locker. Und wenn die Cozzolani vierstimmig komponiert hat, konnten die Nonnen alle Stimmen singen. Zeigt sich ein kleiner Priester aus Bologna restlos begeistert über die „Nonnenpolyphonie“, so sind es die männlich kirchlichen Autoritäten längst nicht immer gewesen. Die Nonnenvikare in Mailand – damals die populationsstärkste Diözese der katholischen Welt, fühlen sich nicht selten wie Lokalfürsten. Zur Zeit Erzbischofs Federigo Borromeo werden die Musikmachenden Nonnen unterstützt. Sie dürfen sogar ihre Werke in Venedig drucken lassen. Als bei einer Klostervisitation in Santa Maria Magdalena al Cerchio allerdings Noten weltlicher Werke von Orlando di Lasso gefunden werden, ist der Teufel los. Ans Tageslicht kommt ausserdem, dass es nicht nur 15 polyphon singende Nonnen gibt, sondern drei Instrumentalistinnn, eine Organistin und eine ältere maestra di capella. Und die Nonnen singen nicht nur die Stundengebete, sondern drei Sängerinnen sind die Stars im Refektorium. Und zu Aufführungen im Parlatorio, eine Art klösterliche Aufenthaltszone, werden auch Gäste von draußen eingeladen. Doch Auflagen helfen nichts. Eine fast mittelalterliche Anbetung dieser Nonnen wird im Seicento Milanos zur neuen Mode. Und Orgel, Instrumente, alles müssen die Nonnenvikare ihren Nonnen erlauben. Keine Novizin kommt ohne Stimmbildung davon, dafür sorgt die maestra di capella. Und keine wird Vollnonne, ohne stimmlich ausreichende Bildung. Und auch die vollen Nonnen üben weiter und bekommen Unterricht! Doch dann passiert ein Unglück. Eine Nonne namens Palomera verschwindet und bleibt über Nacht weg, wahrscheinlich, um woanders aufzutreten. Und sie wird von anderen Nonnen angeschwärzt. Das ganze Zickenprogramm. Nonnenvikar Alfonso Litta, ein spanischer Bischof – Norditalien ist von den Spaniern besetzt -, hat endlich eine Handhabe gegen die Nonnensucht. „Die Polyphonie ist das Übel“, so seine Diagnose. Und was in den Jahren davor gefördert wurde, wird jetzt verboten. Das ignorieren die Nonnen von Sankt Radegonda zwar zunächst. Die Benediktinerinnen singen auf Bitten der Stadtfürsten – sie waren ja schließlich die Töchter der Granden – sogar für den protestantischen Herzog und die Herzogin von Braunschweig. „Herätische Prinzschaften aus Deutschland!“ schäumt Litta. „Die Jugend in Mailand ob spanisch, deutsch, neaplitanisch rennt ohne Unterlass in die Klosterkirchen unter dem Vorwand, Musik hören zu wollen!“ Tobt Litta. Und er zieht die Reißleine mit Rückendeckung aus Madrid. Cembalospielverbot, Singverbot in der Zelle. Auftrittsverbot in der Kirche! Na klar hatten die Nonnenklöster mit der urbanen Politik gegen die Spanier zu tun. Sie waren aber auch der besondere Stolz der Stadtbürger. Die Häufigkeit, mit der ihre Musik von Besuchern erwähnt wurde, unterstreicht den Status der Nonne. Und Werke von Chiara Margarita Cozzolani kursierten in Deutschland, Frankreich und England. 6 4 LC ohne Angabe Tactus TC600301 Länge: 10'06 Chiara Margarita Cozzolani, Salmo, Confitibor tibi Domine, Capella Artemisia, Candace Smith LTG MODERATION Confitibor tibi Domine im Stile einer kleinen Opernszene mit dem Ensemble Artemisia unter Candace Smith. Komponiert von Chiara Margarita Cozzolani, der berühmtesten Vertreterin einer durch Nonnen begründeten lombardischen Musikpraxis. Leider konnte bis heute nicht erforscht werden, was sich musikalisch wirklich hinter den mailändischen Klostermauern abgespielt hat. Wer die Nonnen unterrichtet und ausgebildet hat. Was sie selbst über ihr Musikmachen gedacht haben. Dazu gibt es keine Äußerungen. Persönliche Gefühle durften sie nicht öffentlich zeigen. Demütige Anonymität wurde ihnen abgefordert. Nur im Rahmen der repressiven Visitationen der Klöster ist einiges dokumentiert. Im Zuge der Säkularisierung der Nonnenklöster unter Napoleon ist dann auch noch ein Großteil ihres Repertoires verschleudert worden. Ein Drama für die Nonnenpolyphonie, die nur in den wenigen gedruckten Ausgaben und in einigen Manuskripten im Mailänder Domarchiv überlebt haben. Die SWR2 Musikstunde ist diese Woche außergewöhnlichen Frauen gewidmet. Als mir die Komponistin Olga Neuwirth letztes Jahr in einem Interview bekannt hat, dass Komponistinnen in der Szene heutzutage immer noch Außenseiterinnen seien, hat mich das erstaunt. Warum eigentlich? Denn wir wissen wir doch, dass Frauenquoten auf herausragenden Positionen generell immer noch weit hinter denen der Männer liegen. Da mag erstaunen, wie viele Frauenkomponistinnen in den vergangenen Jahrhunderten dennoch Geschichte geschrieben haben. Freilich produzierten sie sich in Schonräumen. Am Hof protegiert von Fürsten und Königen. In Kultursalons oder hinter Klostermauern. Und es sind natürlich Einzelfälle wie Isabella Leonarda, die Muse von Novara. 1636 nimmt sie 16jährig den Schleier im dortigen Ursulinenkloster. Sie ist hochgebildet, kann rechnen, schreiben, lesen. Und besitzt eine außergewöhnliche Begabung. Einen Großteil ihrer Freizeit widmet sie dem Komponieren, wie sie in ihrem Opus 10 im Vorwort bekennt: „Die Stunden, die ich meinem musikalischen Schaffen widme, ziehe ich ausschließlich von meinen Mußestunden ab, um den von der Ordensregel vorgeschriebenen Pflichten nachzukommen.“ Ihrer Muße hat sie viel abgerungen: 200 Kompositionen in 20 Bänden. Vor allem geistliche Musik zur 7 Hälfte der Jungfrau Maria gewidmet und auch eine Messe für Soli, Chor, Streicher und Continuo. Warum sie als 73jährige Nonne von dieser Gewohnheit abweicht und plötzlich mit Instrumentalsonaten beginnt, ist ein Geheimnis, das sie mit ins Grab genommen hat. Möglicherweise ist sie selbst eine hervorragende Geigerin gewesen. Möglicherweise hat sie die neue musikalische Mode interessiert. Als Ursulinin durfte sie sich ja auch außerhalb der Mauern im Dienste der Erziehung bewegen. Die Sonaten entstehen im selben Jahr, in dem sie zur Mutter Vikarin ernannt, also Chefin wird. Vielleicht ein äußerer Ausdruck ihrer inneren Zufriedenheit? Hier die Triosonate Nummer VII aus der Sammlung Opus 16 mit Concerto Soave. 5 LC AMBORNAY AMY 025 Länge: 5'28 Triosonate Nr. 7 aus Concerto Soave, Jean-Marc Aymes LTG MODERATION Concerto Soave mit der 7. Sonate aus der Sonatensammlung Opus 16 von Isabella Leonarda. Angeblich die erste Sonatensammlung einer Frau und exquisit! „Alle Werke dieser erhabenen und unvergleichlichen Isabella Leonarda sind so schön, so anmutig, so glänzend und gelehrt, dass ich es auf Höchste bedaure, sie nicht alle zu besitzen“ Schreibt Sébastien de Brossard in seinem Catalogue des livres de musique théorique et pratique, Paris, 1724 erschienen. Auch in Frankreich hatte die Ursuline Leonarda einen Namen. Und mit einem Lamento verweist uns jetzt eine ihrer berühmten Komponistenkolleginnen aus Venedig an die Ufer der Rhône nach Lyon. Lamenti sind seit Claudio Monteverdi eine hoch geschätzte Gattung. Hoffnungslose Resignation, Schreiende Verzweiflung, hochexpressiver rezitativischer Gesang kann sich da entladen! Wir denken an die leidenschaftliche Klage der Arianna. Auch Barbara Strozzi hat ihren klagenden Helden gefunden. Ein mit 20 Jahren hingerichteter Günstling Ludwigs des Dreizehnten. Henri Cinq Mars. Aber wer war Barbara Strozzi? Eine Komponistin und Sängerin, die sechs Bücher mit Kantaten und Arien veröffentlicht, und nach 1664 wie vom Erdboden verschluckt wird. In Venedig wird sie als Tochter einer Haushälterin von Giulio Strozzi geboren und von ihm adoptiert. Das hat Gerüchte um seine Vaterschaft 8 entfacht. Die sind wahrscheinlich aber nie bestätigt worden. Vater Giulio strozzt jedenfalls mit seiner Adoptivtochter in den kulturellen Kreisen der Stadt. Sie muss eine außerordentliche Stimme und Darstellungstalent besessen haben. Während der im Haus veranstalteten Akademien lässt ihr Vater sie von den Anwesenden bewundern. Die sogenannten Accademie degli Unisoni veranstaltet Strozzi eigens dafür. Kirchliche Würdenträger, Adlige, Bankiers aber auch Künstler sind das Publikum. Komponisten werden annimiert für sie zu komponieren. Und sie komponiert auch selbst. Eine Klage ragt aus ihrem Oeuvre hervor. Nicht nur, weil sie mit einem Erdbeben endet. In Sul Rodano severo aus ihrem Opus 3 von 1654 lässt sie den hingerichteten Henri Cinq Mars wie in einem Traum zu einem ehemaligen Liebesfreund sprechen. Kein geringerer als Ludwig der Dreizehnte. Der König hat ihn wegen angeblicher Spionage in Lyon 1642 hinrichten lassen. Henri Cinq Mars bittet um Vergebung, indem er gemeinsame Stunden in Erinnerung ruft. 6 LC13943 ALIA VOX AV9815 Länge: 5'18 Ausschnitte aus Barbara Strozzi, Il Lamento Su'l Rodano severo (op 3 1654), Montserrat Figueras, Sopran, Hexperion XXI MODERATION Ein Ende mit Schrecken und ein abruptes! Paris bebt! Die Seine wird trüb..., weil in der düsteren Rhône ein unglückseliger Leichnam liegt. Das rührt selbst den König zu Tränen. Il lamento su'il Rodano severo von Barbara Strozzi komponiert. Hier gesungen von Montserrat Figuerras, begleitet von Hesperion XXI. Ein Lehrstück über die Vergänglichkeit irdischer Gunst. Dieses Schicksal hat ja auch die Komponistin selbst ereilt. Nach 1664 ist sie vom Erdboden verschluckt. Keine Nachricht gibt es seitdem mehr über die Komponistin und Sängerin. Immerhin hat sie bis zu diesem Zeitpunkt eine Berühmtheit erlangt wie vor ihr nur eine einzige Kollegin: Francesca Caccini. Tochter des berühmten Giulio Caccini. Und die wird als erste Opernkomponistin Italiens gerade auch in Deutschland wieder entdeckt. Ende Januar haben Eric van Nevel und das Huelgas Ensemble mit der konzertanten Aufführung von Caccinis La liberazione di Ruggero dall'isola d'Alcina das Münchener Publikum beglückt. Wir warten auf die Aufnahme. Und gehen für unsere letzte Musik nach Frankreich zurück. Wenn sie doch nur nicht so an sich als Komponistin gezweifelt hätte. Was hätte die Elsässerin Marie Jaëll noch zustande gebracht. Dabei wird sie als eine der ersten Frauen in eine Klavierklasse am Pariser Conservatoire aufgenommen. Keine vier Monate später wird sie mit dem Premier prix ausgezeichnet. Konzertreisen folgen. Camille Saint- 9 Saëns widmet ihr sein 1. Klavierkonzert. Franz Liszt den dritten Mephisto-Walzer. Aber was ist mit Komponieren? 1878 schreibt sie 32jährig einer Freundin: „Komponieren-lernen! Ich wache mit dieser Passion auf, ich gehe mit ihr ins Bett. Dieser ehrgeizigen Idee unterwerfe ich alles!“ Aber als einzige Frau am Conservatoire Komposition zu studieren, durch eine Tür zu schreiten, an der ein Jahrhundert lang „nur Herren haben Zutritt“ gestanden hat, will sie nicht. Sie nimmt privat bei Camille Saint-Saëns und Gabriel Fauré Unterricht. Ihr erstes Klavierkonzert widmet sie Saint-Saëns. Und hebt es 1879 als Solistin in einem der Concerts Colonne in Paris aus der Taufe. Zusammen mit dem sinfonischen Poem Götterlieder ou Ossiane, das Franz Liszt über alle Maßen bewundert. Ein ChorOrchesterwerk, ein Cellokonzert, Lieder, sogar eine Oper hat Marie Jaëll geschrieben. Wieso hat man von dieser Komponistin noch nichts gehört? Die französische Stiftung Bru Zane hat sie gerade aus der Vergessenheit gerissen. Und hat ihr eine Buch-Werk-CD Diskographie gewidmet, die vor kurzem herausgekommen ist. Die Aufnahme eines kuriosen Stücks macht den Anfang auf der ersten von insgesamt drei CDs. La légende des ours. Oder Bärenlieder. Die 5 humoristischen Charakterstücke für Sopran und Orchester entstehen zu dem Zeitpunkt, als die Komponier-Passion mit ihr aufsteht und zu Bett geht. Sie sind unser heutiges SWR2 Musikstundenabschlusstück. Marie Jaëll hat nicht nur die Musik, sondern auch das Libretto geschrieben. Es geht um einen Bären, der aus Liebe seine Bärinnen zerfleischt aber dann auf eine Meisterin trifft, die das zu verhindern weiß. Hier folies d'ours, das 1. humoristische Charakterstück. Marie Jaëll haut da auf die Bärenpauke, was einige Kritiker zynisch-frech kommentiert haben: „einfallsreiche Komponistin, sie könnte nur etwas weiblicher sein.“ 7 Palazzetto Bru Zane Portraits Volume 3 ES1022 Länge: 3'03 Marie Jaëll, aus: la légende des ours, Chantal Santon-Jefferey, Sopran, Philharmonische Orchester Brüssel, Hervé Niquet LTG MODERATION Der 1. Satz aus La lègende des ours von Marie Jaëll mit Chantal Santon-Jefferey und dem Philharmonischen Orchester Brüssel unter Hervé Niquet. Vielleicht hat ihnen dieser Ausschnitt aus ihrer Légende des ours von 1887 ja nicht genügt. Und Sie möchten mehr über die elsässische Komponistin erfahren, ihre beiden Klavierkonzerte hören oder das Cello-Konzert, oder ihre auszugsweise Vertonung von Dantes Göttlicher Komödie für Klavier. Das können Sie. Denn die französische 10 Stiftung Palazzo Bru Zane – Centre de musique romantique francaise hat gerade über Marie Jaëll eine mit 3 CDs bereicherte Dokumentation herausgebracht. Marie Jaëll (1846 – 1925) Musique Symhonique, Musique pour piano, so lautet der Titel, der eine außergewöhnliche französische Komponistin in Erinnerung ruft. Saint-Saëns hat sie jedenfalls ohne offizielles Studium als erste Frau in die Pariser Société des compositeurs aufnehmen lassen. Das will schon was heißen. Morgen geht es weiter um Legenden. Legendäre Weibsbilder bilden eine glorreiche Schlussrevue diese Woche. Sie sind hoffentlich wieder mit dabei! Am Mikrofon sagt Tschüß bis morgen, ihre sw
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