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Beitrag: Fettig, billig, bäh! –
Mieses Mittagessen für Schulkinder
Sendung vom 24. Februar 2015
von Jörg Göbel und Julian Prahl
Anmoderation:
Gesunde Ernährung ist ganz wichtig, gerade für Kinder. Viele
essen zu wenig Obst und Gemüse, stopfen zu viel Süßes in sich
rein, werden immer dicker und erkranken an Diabetes oder
Bluthochdruck. Darum mahnt die Politik die Eltern: Gebt Euren
Kindern Besseres zu essen. Nur was nutzt die Lektion, wenn die
Politik sie selbst noch nicht gelernt hat. Denn ausgerechnet da,
wo sie es regeln könnte, an den Schulen, ist das Essen häufig
ungesund. Jörg Göbel und Julian Prahl zeigen, mit welchem Fraß
Staat und Schulen unsere Kinder abspeisen. Fettig. Billig. Bäh!
Text:
Immer das Gleiche: Buletten, Bockwurst, Pizza. Kaum Frisches,
dafür Fettiges, Salziges, Süßes. Das alles gibt es nicht etwa an
einer Tankstelle, sondern in der Schulmensa.
An der Berliner Carl-Benz-Schule hat das Essen den Kindern den
Appetit verdorben.
O-Ton Liv-Grete, Schülerin:
Ich finde es eklig, also auch die ganzen Sachen, wenn man
sich hier was kauft, dann ist es total überfettet.
O-Ton Luca, Schüler:
Die meisten Sachen schmecken halt so wie vom Supermarkt.
Also, schon am Morgen zubereitet und dann noch mal warm
gemacht.
O-Ton Can, Schüler:
Da ist man schon beim Anblick ein bisschen geekelt und hat
man gar keinen Appetit mehr.
Die Mensa ist neu, aber das Problem mit dem Essen alt. Wie in
den meisten deutschen Schulen wird das Essen in der Schule
von einem Privatcaterer geliefert. Der muss knapp kalkulieren.
Das kann schnell auf die Qualität gehen.
Der jetzige Imbiss sollte nur eine Zwischenlösung sein, doch die
besteht schon seit vielen Monaten. Schulleiter Karl-Heinz Kuhne
muss einen neuen Essensanbieter finden. Dabei ist er Sport- und
Französischlehrer, fühlt sich mit dem wichtigen Thema
Schulessen überfordert.
O-Ton Karl-Heinz Kuhne, Schulleiter:
Das ist natürlich nicht meine Ausbildung und berufen fühl
ich mich dazu auch natürlich in erster Linie nicht. Ich sehe
mich mehr oder weniger gezwungen, mich darum zu
kümmern.
O-Ton Frontal21:
Wie finden Sie das?
O-Ton Karl-Heinz Kuhne, Schulleiter:
Na, nicht so richtig befriedigend.
O-Ton Frontal21:
Warum denn nicht?
O-Ton Karl-Heinz Kuhne, Schulleiter:
Naja, weil man sich in dieser Situation so ein bisschen allein
gelassen fühlt auch und, ja, sich vorstellen könnte, wie
gesagt, dass es da jemanden geben könnte, der einen dabei
unterstützt.
Zuständig ist in Berlin die Schulbehörde und für die Carl-BenzSchule: sie. Doch Susanne Giering muss sich insgesamt um 60
Schulen kümmern und nicht nur um das Essen, sondern auch um
Computer, Kopiergeräte, Fahrdienste und mehr. Da wird es dann
schon mal eng.
O-Ton Susanne Giering, Bezirksamt Reinickendorf v. Berlin,
Abt. Schule, Bildung und Kultur:
Ich kann das unterstützen, wenn‘s um die
Vertragsdurchführung und wenn‘s um die Kontrolle geht. Da
könnte durchaus personelle Unterstützung noch sinnvoll
sein.
O-Ton Frontal21:
Aber?
O-Ton Susanne Giering, Bezirksamt Reinickendorf v. Berlin,
Abt. Schule, Bildung und Kultur:
Im Moment haben wir dafür kein Personal zur Verfügung.
Nicht genügend Fachpersonal, unrentables Schulessen, Eltern,
die günstiges Essen wollen, das trotzdem schmeckt und ein
Schulleiter der zwischen allen Stühlen sitzt. Die Probleme der
Carl-Benz-Schule haben viele andere Schulen in Deutschland
auch.
O-Ton Michael Polster, Deutsches Netzwerk für
Schulverpflegung:
Deutschland ist ein Entwicklungsland im Bereich der
Schulverpflegung. Wir sind nach wie vor in der Situation,
dass viele Schulleiter und Kommunen mit dem Thema
überfordert sind, dass sie händeringend eigentlich immer auf
die Politik schauen und die ihnen sozusagen keine klaren
Strukturen vorgibt.
Schulessen ist in Deutschland Ländersache. Die Kommunen
setzen das um. Und das oft sehr schlecht, wie Studien des
Bundes belegen: Demnach ist die Hälfte der Speisepläne
unausgewogen, es gibt Fleisch und Wurst zu häufig, dafür zu
wenig Obst und Gemüse.
Viele Speisepläne sehen so aus: Leberkäse, Pizza, Pommes ungesund.
Auch mit der Hygiene klappt es nicht immer. 13 Prozent aller
untersuchten Kantinen erreichen nicht die erforderlichen
Heißhaltetemperaturen. Das fördert Keimbefall.
Schlechtes Schulessen – nicht in Finnland. Hier kocht der Staat.
Staatlich angestellte Fachleute managen alles rund ums
Schulessen, so wie Toini Linnanmäki.
Die ausgebildete Hauswirtschaftslehrerin leitet alle Großküchen in
der Gemeinde. Mehr als 90 Prozent der Schulküchen sind in
Finnland staatlich organisiert. Die wenigen privaten Caterer
werden genauso staatlich angeleitet.
O-Ton Toini Linnanmäki – Direktorin Küchenservice,
Gemeinde Kirkkonummen, Finnland:
Ich mache die Menüplanung, organisiere die
Essensproduktion und den Rohwareneinkauf und die
Verträge. Es gibt Standard-Menüs und Standard-Rezepte und
jede Küche folgt den gleichen Richtlinien. Diese Regeln und
Richtlinien kommen vom nationalen Ernährungsausschuss.
Das Essen ist für die Schüler kostenlos. Das ist in Finnland schon
seit 60 Jahren so. Anders als in Deutschland übernimmt die
Kommune sämtliche Kosten.
O-Ton Esa Kukkasniemi, Schulleiter:
Das System funktioniert sehr gut. Das Essen ist gesund,
denn die Vorgaben sind recht streng, was die Gesundheit
betrifft: Das Gemüse muss jeden Tag frisch sein, es darf zum
Beispiel nicht zu viel Salz im Essen sein.
In dieser Schule kostet ein Gericht etwa 2,20 Euro. Weil die
Kommune das Essen bereitstellt, entfällt die Mehrwertsteuer. Das
senkt die Kosten erheblich.
In Deutschland müssen die Privatcaterer 19 Prozent
Mehrwertsteuer draufschlagen. Aber es gibt auch Ausnahmen,
die sich Finnland zum Vorbild genommen haben.
Zum Beispiel Göttingen. Hier kocht die Stadt. Der Ökotrophologin
Anja Köchermann sind vier Großküchen unterstellt. Weil die
Kommune das Essen bereitstellt, entfallen hier die 19 Prozent
Mehrwertsteuer.
O-Ton Anja Köchermann, Fachdienst Küchenbetriebe, Stadt
Göttingen:
Bei 620.000 Essen hat man eine Größenordnung von 120.000
Euro beispielsweise.
O-Ton Frontal21:
Pro Jahr?
O-Ton Anja Köchermann, Fachdienst Küchenbetriebe, Stadt
Göttingen:
Pro Jahr.
O-Ton Frontal21:
Gespart, durch die 19 Prozent?
O-Ton Anja Köchermann, Fachdienst Küchenbetriebe, Stadt
Göttingen:
Ja, also, die würden dann ja nicht anfallen.
O-Ton Frontal21:
Das ist ja ganz gut.
O-Ton Anja Köchermann, Fachdienst Küchenbetriebe, Stadt
Göttingen:
Ich denke mal, das ist schon eine Summe beziehungsweise
es ist ja ein Unterschied, ob ich 3,13 Euro oder eben 3,70
Euro für ein Essen bezahle als Eltern.
Seit sechs Jahren läuft das Modell bereits. Anja Köchermann
kümmert sich um Speisepläne, Essensqualität, Rezeptur,
Hygiene und manchmal sogar um die Reparatur von
Küchenmaschinen. All das macht sie für 25 Schul- und
Kitamensen in der ganzen Stadt.
O-Ton Anja Köchermann, Fachdienst Küchenbetriebe, Stadt
Göttingen:
Dieses Schnittstellenmanagement, was hier an dieser Stelle
von großer Bedeutung ist, entlastet - denke ich - meiner
Meinung nach die Schulen sehr, gerade die Schulleitungen,
die ja andere Aufgaben auch haben und auf der anderen
Seite auch hier in der Verwaltung. Mit fachfremden Fragen
umzugehen, ist natürlich manchmal sehr aufwendig.
Die Schulen sind entlastet und den Schülern schmeckt es. Ganz
einfach. Und dennoch geht im föderalen Wirrwarr noch die
einfachste Lösung unter.
Berlin, Termin an einer Privatschule. Bundesernährungsminister
Christian Schmidt manscht im Hackfleisch und wirbt für besseres
Schulessen. Doch wo die Länder versagen, schaut auch der
Bund bloß zu. Keine Richtlinien, keine Vorgaben, bloß
Empfehlungen, an die sich am Ende keiner halten muss.
O-Ton Christian Schmidt, CSU, Bundesminister für
Ernährung:
Wir wollen das über die Schulverpflegungsvernetzungsstellen - Entschuldigung für das Wort – mit den Ländern
gemeinsam machen. Denn Schule ist ja Ländersache, nicht
Bundessache. Aber gesunde Ernährung ist Bundessache.
Das heißt, mit Personal, mit Konzepten, mit Ideen, „best
practice“ auch und mit Vorschlägen, die sich an den
Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
ausrichten.
Die Vernetzungsstellen sind lediglich Beratungsstellen, in jedem
Bundesland eine. Also, 16 Beratungsstellen für mehr als 40.000
Schulen.
Professor Georg Koscielny forscht seit Jahren zum Schulcatering.
Für ihn ist das zu wenig.
O-Ton Prof. Georg Koscielny, Ernährungssoziologe,
Hochschule Fulda:
Beratung alleine ist keine Lösung für die Umsetzung einer
guten Schulverpflegung. Dafür brauchen wir kompetente
Menschen, die vor Ort die Arbeitsprozesse gestalten.
Und so bleibt das Schulessen in Deutschland so schlecht wie es
ist - das Ergebnis überforderter Schulen und Behörden.
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