Ausharren auf dem Berg der Knechte

Abteilung:
Sendereihe:
Sendedatum:
Produktion:
Kirche und Religion
Gott und die Welt
03.04.2015
31.03.2015
Redaktion:
Autor/-in:
Sendezeit:
Anne Winter
Dorothea Brummerloh
9.04-9.30 Uhr/kulturradio
9.15-17.00 Uhr/T9
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GOTT UND DIE WELT
Ausharren auf dem Berg der Knechte
Aramäische Christen in der Türkei
Sprecherin:
Ilka Teichmüller
Regie:
Roman Neumann
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Musik, aramäisch- melancholisch
1. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Deutschland – das ist meine zweite Heimat. Aber mein Gehirn ist immer in…. mein
Vaterland. Und am Ende mein Leben…ich will hier leben und sterben.
2. O-Ton Ninve Özgun (We are millions of people in Turkey, but none of them knows
what the Syrian people…)
1. OV-Sprecherin:
In der Türkei leben Millionen Menschen, aber wenige wissen, wer wir syrischorthodoxen Menschen sind und dass wir schon über Tausend Jahre in diesem Land
leben. (…and that we live a thousand years in this country.)
3. O-Ton Manuel Uyar
Ich könnte auch noch einen Monat hierbleiben. () Aber ein Leben lang glaube ich nicht,
dass ich das hinbekommen würde. Ich bin da anders aufgewachsen. () Jeden Tag
warmes Wasser, Autos, vernünftige Straßen… Da haben wir alles. Hier müssen wir auf
alles verzichten.
4. O-Ton Feride Uyar (Aramäisch)
2. OV-Sprecherin:
Wir kommen sehr gut miteinander aus. Alle Muslime, um uns herum, respektieren uns.
Jeder hat seine Probleme, aber wir müssen zusammen leben, weil wir aufeinander
angewiesen sind.
Musik
Titelsprecherin:
Ausharren auf dem Berg der Knechte – Aramäische Christen in der Türkei
Eine Sendung von Dorothea Brummerloh
2. Atmo Mit dem Jeep über Holperweg nach Midyat, Musik im Hintergrund …
Autorin
Unterwegs über Straßen und holprige Wege vom Flughafen Batman in Richtung
Midyat. Die Stadt im Südosten der Türkei ist der Hauptort des Tur Abdin. Als er vor
fast 30 Jahren nach Deutschland auswanderte, sah es hier noch anders aus, erklärt
Israyil Uyar seinem Sohn Manuel, der neben ihm im Auto sitzt.
3. Atmo: Guck mal, auch eine Moschee gebaut… gab es keine Moslems hier…
3
Autorin
In der ursprünglich von Aramäern bewohnten Stadt, die seit 1478 Bischofssitz der
syrisch-orthodoxen Kirche ist, leben heute überwiegend Araber und Kurden - so wie
fast überall im Tur Abdin. Das hügelige Hochland des Kalksteingebirges unweit der
syrischen Grenze ist ein symbolträchtiges, spirituelles Zentrum und angestammtes
Kerngebiet der syrisch-orthodoxen Christen, so wie der Berg Athos für die Griechen
oder die Wüste Ägyptens für die Kopten.
4.a-d Atmo Ankunft Auto, Aussteigen, Dorf-Atmo
Autorin
Ankunft in Mizizah, einem kleinen Ort in der Nähe der Stadt Midyat. Ein Hirte treibt
Ziegen und Schafe durchs Dorf, Hunde bellen bei Ankunft der Fremden, Hühner
gackern und rennen aufgeschreckt umher. Gleich neben der Kirche lebt Feride Uyar.
Die 73-Jährige wartet bereits auf ihren Sohn und den Enkel. Sie schaut aus dem
Fenster und winkt ihnen lachend zu, als sie endlich ankommen. Während wir ins Haus
gehen, erzählt Manuel, dass er seine Oma am liebsten mit nach Deutschland, in seine
Heimatstadt Delmenhorst nehmen würde, aber den Wunsch mag sie ihm nicht erfüllen
5. O-Ton Manuel
1999 war sie in Deutschland. Ihr hat es einfach nicht gefallen, weil sie nur das hier
kennt. Sie hat es meinem Opa versprochen. Mein Opa ist auch hier verstorben. Und
der hat auch versprochen, dass er hier bleibt.
6. O-Ton Feride Uyar (Aramäisch )
2. OV-Sprecherin:
Ich komme ganz gut allein zurecht und bin zufrieden mit meinem Leben. Es läuft gut
und ich mache mir einfach darüber keine Gedanken. Johannes hilft mir und seinetwegen sind wir hiergeblieben.
Autorin
Johannes ist Feride Uyars verstorbener Mann, der auf dem Friedhof neben dem Haus
begraben liegt. Jeden Morgen schaut die Witwe als erstes zu ihm hinüber. Israyil
erzählt, dass seine Mutter dabei ein stummes Zwiegespräch mit seinem Vater hält ehe
sie ihr Tagwerk beginnt. Die alte Frau lächelt und nickt.
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Beim Tee in der Wohnstube geht es wieder einmal darum, ob sie nicht doch mit nach
Deutschland kommt – aber das kommt für die 73-Jährige nicht in Frage.
7. O-Ton Feride Uyar (Aramäisch)
2. OV-Sprecherin:
Nein, niemals im Leben verlasse ich meine Heimat. Ich möchte hier sterben … Es ist
das Land unserer Großväter, das wir nicht verlassen können und wollen…Wenn alle
Aramäer von hier weg gehen, dann haben wir alles verloren…
Autorin
Unsere Wurzeln, unseren Glauben, einfach alles, ergänzt die kleine Frau mit dem
wettergegerbten Gesicht sehr ernst. Mehr will sie nicht sagen. Stumm wischt sie sich
eine Träne aus dem Gesicht, wendet sich ab und schaut aus dem Fenster. Israyil Uyar
weiß nur zu gut, was seine Mutter hier hält und lädt zu einer Rundfahrt durch den Tur
Abdin ein. „Der Berg der Knechte“, so die Übersetzung aus dem Aramäischen, trägt
diesen Namen wegen seiner vielen Klöster und den dort dienenden Knechten des
Herrn, den Mönchen.
5. Atmo Autofahrt / 6. Atmo Kloster
Autorin
Über asphaltierte Straßen, holprige Wege und schließlich zu Fuß kommen wir – etwas
außer Atem - gerade rechtzeitig zum Mittagsgebet in die Kirche des Klosters Mor
Augin, das hoch oben auf einer Bergspitze des Taurus-Gebirges thront. Vor der
Altarnische stehen sich der Mönch Yuyakin in seiner schwarzen Kutte und sein
Schüler Isaak gegenüber. Sie schauen mit vor der Brust gefalteten Händen in die
Gebetsbücher und lobpreisen den Herrn.
7. Atmo „Halleluja, Halleluja, Halleluja“
Autorin
Rhythmisch schaukeln die beiden im Gebet Versunkenen mit dem Oberkörper vor und
zurück, fast wie in Trance. Dann verstummen sie. Mönch Yuyakin tritt neben die mit
einem Vorhang zugezogene Altarnische, blickt an die Wand, betet lautlos weiter,
während draußen die Presslufthämmer an der Renovierung des Klosters arbeiten. Fast
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20 Minuten dauert das Mittagsgebet, in dem auch der Heilige Augin, der Gründer des
Klosters, gepriesen wird.
8. Atmo (beide im Wechsel)
Autorin
Nach dem Gebet lädt Yuyakin, der Abt des Klosters uns zu einem Rundgang ein.
9. Atmo: (Mönch erklärt auf Aramäisch, Isaak übersetzt ins Deutsche) Unser Mönch
sagt, dass das alte Gebäude sind und die Schrift ist altaramäisch …
Autorin
Dabei deutet Yuyakin auf die in den gelben Sandstein gehauenen Zeichen. Die Schrift,
die wie eine Mischung aus arabischen und hebräischen Buchstaben aussieht, zeugt
von der über 1600-jährigen Geschichte des Klosters. Genauso lang werden hier, in
dem kleinen Innenhof, der zwischen der Klosterkirche und dem umgebenden
Felsmassiv etwas versteckt liegt, die Mönche und Bischöfe des Klosters beigesetzt,
übersetzt Isaak, der Religionsschüler.
10. Atmo: … Das ist das Grab des letzten Mönchs, der hier gelebt hat. Nachdem unser
Mönch verstorben ist, war das Kloster leer…
Autorin
Über 40 Jahre stand das Kloster Mor Augin leer, erzählt Mönch Yuyakin, der 2012
das klösterliche Leben wiederbelebte. Die syrisch-orthodoxen Christen oder Suryoye
bezeichnen sich auch als Aramäer, erklärt der 39-Jährige weiter und bittet zum Tee in
den Besucherraum. Hier ist man vor dem kalten Wind, der von den Bergen kommend
durch den Hof des Klosters fegt, geschützt.
8. O-Ton Yuyakin (We had - Israyil knows - we had an other monk.…)
1. OV-Sprecher
Wir hatten – wie Israyil weiß – noch einen anderen Mönch hier, aber letztes Jahr haben
wir ihn in ein anderes Kloster geschickt, das auch leer stand. Wir sind sehr froh, dass
dieses Kloster wieder belebt wurde. Am Anfang habe ich viele Tage ganz allein hier
verbracht. Das war schon nicht ganz leicht. Aber Du fühlst, dass der Herr mit Dir ist…
Als Mönch bin ich allein, aber ich habe einen Schüler aus Deutschland. Isaak wird jetzt
ein Jahr bleiben. Ich unterrichte ihn in der heiligen Schrift, in aramäischer Sprache
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und Grammatik, in Kirchengeschichte und vielen anderen Dingen. (… and even in
church history and many other subjects.)
Autorin
Isaak stammt aus einer syrisch-orthodoxen Familie, die es nach Osnabrück
verschlagen hat. In der Diaspora gibt es für die orientalischen Christen kaum
Gelegenheit, die Grundlagen ihres Glaubens und die liturgische Sprache zu studieren.
Umso mehr lerne er hier im Kloster, sagt der hochaufgeschossene junge Mann:
9. O-Ton Isaak
Er unterrichtet mich zum Beispiel in Kirchengeschichte, Liturgie der syrischorthodoxen Kirche oder über unsere heiligen Väter, also verschiedenen Themen.
Autorin
Was er danach machen wird, weiß der junge Mann noch nicht. Studieren - so viel steht
fest. Aber was? Vielleicht Theologie? Und dann das enthaltsame Dasein eines
Mönches fristen?
10. O-Ton Isaak
Das habe ich nicht geplant. Aber man weiß es ja nie. Man weiß nie, was kommt…
11. O-Ton Yuyakin (When we became a monk, we saying, that we should follow our
church leader…)
1. OV-Sprecher
Wenn wir Mönche werden, versprechen wir, dass wir unserem Kirchenführer folgen,
wir geloben Keuschheit und wir geloben Armut und Leben ohne Besitz, ohne alles. Das
ist das heilige Sakrament der Mönche. (…This is the sacrament of monks.)
Autorin
Unbewusst mischt Yuyakin ein holländisches Wort in sein Englisch. Auch er ist, wie
Israyil Uyar, aus dem Tur Abdin emigriert. Der Abt des Klosters Mor Augin hat lange
Zeit in den Niederlanden gelebt. Obwohl die syrisch-orthodoxen Christen seit
Hunderten von Jahren in dieser Region der Türkei siedelten, waren sie im Laufe ihrer
Geschichte mehrfach vehementer Anfeindung ausgesetzt. Besonders schlimm war die
ethnisch-religiöse „Säuberung“ während des ersten Weltkrieges.
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„Seyfo“, aramäisch für „Schwert“ nennen die syrisch-orthodoxen Christen das Jahr
1915. Das „Jahr des Schwerts“ soll daran erinnern, wie ihre Vorfahren vor 100
Jahren wie Schafe abgeschlachtet wurden.
13. O-Ton Yuyakin (You can hear it, you can read it in the books ...)
1. OV-Sprecher
Du kannst es in den Büchern nachlesen. Wir haben sehr viele Bücher, die über den
Genozid geschrieben wurden. Ich habe selbst hier alte Briefe im Archiv des Klosters
über diese schwierige Zeit. Was Du da liest oder was Du da hörst, ist sehr schlimm. In
meinem Dorf zum Beispiel wurden 40 Leute in einer Stunde ermordet und der Rest
musste fliehen. Diese Erinnerung ist schwer für uns (… it is difficult for us.)
14. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Mein Vater, der hat selber Genozid nicht gelebt. Aber mein Großeltern oder mein
Onkel, die hatten Genozid erlebt. Die hat uns immer erzählt, viele Menschen…
ermordet. Von meine Familie … also drei Stück sind umgebracht … jede Familie hat
mindestens zwei Personen verloren.
Autorin
Es gibt keine Familie, ergänzt Israyil Uyar, die von diesem Massaker verschont blieb.
Seit dem 4. Jahrhundert sind die syrisch-orthodoxen Christen in dieser Gegend
ansässig. Nur wenige haben diese Schreckenszeit unter der Herrschaft der
Jungtürken im damaligen Osmanischen Reich überlebt. Sie berichteten ihren Kindern
und Enkeln von den Greueltaten: Es wurde gemordet, geköpft, verstümmelt,
vergewaltigt. Eine Anerkennung der Opfer - Fehlanzeige. Bis heute weigert sich der
türkische Staat das Wort „Genozid“ auch nur in den Mund zu nehmen.
15. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Von andere Seite … wir sehen gar nix. Wir sehen gar nix. Also die sagen uns nicht,
Entschuldigung und die machen weiter… und das tut weh…
Autorin
Nach dem Völkermord Anfang des 20. Jahrhunderts lebten schätzungsweise nur noch
250.000 Aramäer in der Gegend des Tur Abdin. Und die Zahl nahm weiter ab: Mit der
Gastarbeiterwelle in den 1960iger Jahren gingen auch Aramäer aus dem ärmeren
Süden der Türkei nach Europa, auf der Suche nach einem besseren Leben. Und dann
kamen die turbulenten 1980/90iger Jahre. In dem blutigen Konflikt zwischen der
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kurdischen PKK und dem türkischen Staat, gerieten die Aramäer zwischen die
Fronten.
17. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Genau, wir waren in der Mitte. Damals PKK hat viele Jugendliche nach Berge gebracht.
Und Tag kamen türkische Soldaten und die hatten richtig uns geschlagen…
18. O-Ton Yuyakin (…The relationship were not good, they were very bad… )
1. OV-Sprecher
Die Beziehungen in der Vergangenheit zwischen Moslems und Christen waren nicht
gut. Das war der Grund, warum wir ausgewandert sind. In jedem Dorf unserer
Gemeinschaft wurden Leute umgebracht. Schau das Dorf von Israyil an: Der Vater und
die Mutter von Pater Ibrahim wurden dort ermordet. Alte Leute. In meinem
Heimatdorf wurde die letzte christliche Familie 1990 ermordet. (…was killed in 1990)
19. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Also mein Vater war nicht zu Hause. Abend so gegen acht, neun Uhr war dunkel.
Meine Mutter war alleine. Und eine Gruppe kam mit Waffen. Kamen zu uns zu Hause.
Die haben meine Mutter bedroht. Und meine Mama, die hat richtig Angst gehabt. Die
wollten Geld von meine Mama nehmen.
Autorin
Eine Untersuchung all dieser Vorfälle hat es von Seiten des türkischen Staates nie
gegeben. Wer zum Beispiel die Erpresser seiner Mutter waren, weiß der 45-Jährige bis
heute nicht. Es hatte auch gar keinen Zweck zur Polizei zu gehen, erklärt Israyil Uyar.
Dort musste man sich ausweisen. Doch in seinem türkischen Pass stand „Hristiyan“ –
Christ und jeder Polizist wusste, dass er nicht zur muslimischen Mehrheit gehört. So
war man Demütigungen und Erniedrigungen ausgesetzt und fühlte sich nicht gewollt
im eigenen Land. Israyil Uyar und seine Geschwister verließen den Tur Abdin, sie
gingen nach Westeuropa wie viele ihrer Landsleute. So sank die Zahl der syrischorthodoxen Christen in dieser Zeit weiter auf ca. 70.000. Dass ihr Glaube nicht
verloren ging, ist vor allen den uralten Klöstern der Region zu verdanken:
11. Atmo Mor Gabriel: Gemeinde singt mit Priestern, man hört das „Halleluja“
9
Autorin
Sonntagmorgen im Kloster Mor Gabriel. In der Frühmesse, die schon fast zwei Stunde
dauert, bereiten die Priester die Eucharistie vor.
12. Atmo: Schellen, Hostienteller und Kelch werden nach vorn gebracht …
Autorin
Einige Fürbitten und Gebete später treten die Gläubigen einzeln vor, küssen das
Evangelienbuch, nehmen ein Stück des geweihten Brotes, essen es und verlassen die
Kirche. Das Kloster ist das spirituelle Zentrum der syrisch-orthodoxen Christen,
erklärt mir Isa Garis. Der Lehrer für aramäische Sprache, der mit den Mönchen im
Kloster lebt und auch Englisch unterrichtet, bringt den Kindern der Gemeinde das
Lesen und Schreiben ihrer Muttersprache Aramäisch bei.
20. O-Ton Aramäisch-Lehrer (Your religion, your language is very important…)
1. OV-Sprecher
Deine Religion und deine Sprache sind sehr wichtig, auch für unsere Menschen. Und
wenn du dir die Geschichte Mesopotamiens anschaust, ist das eine der ältesten
Sprachen in diesem Land; sie wurde auch von Jesus Christus gesprochen. (… and also
Jesus Christus was spoken this language.)
21. O-Ton Manuel
Ich bin stolz darauf, dass Jesus diese Sprache gesprochen hat.
Autorin
Sagt auch Manuel Uyar. In der Sprache Jesu wird in der syrisch-orthodoxen Kirche bis
heute gebetet:
22. O-Ton Manuel Uyar
Viel verstehe ich ja nicht von den Gebeten. Ist ja viel auf Altaramäisch. Die Gebeteeinige davon haben wir damals in der Schule gelernt. Das ist das, was ich noch weiß.
Wir hatten doch aramäisch Unterricht in der Grundschule. Und in der Kirche hatten wir
auch Nachmittag Unterricht.
Autorin
Leider hat es dem 21-Jährigen an Ausdauer und vielleicht auch an Lust gefehlt, den
Unterricht regelmäßig zu besuchen, so dass er seine Muttersprache weder lesen noch
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schreiben kann. Während in der Diaspora Aramäisch in der Schule und in den
Gemeinden angeboten wird, ist der Erhalt der Sprache hier im Tur Abdin nicht so
einfach: In der Türkei darf das Aramäische nicht in der Schule gelehrt werden,
berichtet Isa Garis. Während das Kurdische auf Grund der politischen Annäherung
zwischen den Kurden und dem türkischen Staat inzwischen als Wahlfach in den
Schulen gestattet ist, bleibt den syrisch-orthodoxen Kindern nur der Unterricht in
Kirchen und Klöstern, ereifert sich der 67-jährige Lehrer.
23. O-Ton Aramäisch-Lehrer (It is still forbidden, still forbidden…)
1. OV-Sprecher:
Es ist immer noch verboten! Wir dürfen unsere Sprache nicht unterrichten, wir dürfen
unsere Religion nicht unterrichten. Wir haben diese Schwierigkeiten in der Türkei wie
andere Minderheiten auch. Ich kann Europa nicht verstehen. Warum kontrollieren sie
dieses Land nicht, das die Menschenrechte unterschrieben hat. Die Europäer haben
nicht versucht, die Türkei zu lehren, wie man mit den Minderheiten lebt(… to live with
minorities.)
25. O-Ton Sabo (Aramäisch)
2. OV-Sprecher
Es wäre sehr schön, wenn man in den türkischen Schulen auch Aramäisch lernen
könnte… Wenn wir in den türkischen Schulen nicht unsere Muttersprache und Kultur
lernen, dann fühlt man sich als Mensch zweiter Klasse und benachteiligt.
Autorin
Sabo Alkan arbeitet als Fremdenführer in Mor Gabriel. Der 29-Jährige hat – genau wie
Israyil Uyar- in der Kirchenschule von Mizizah seine Muttersprache lesen und
schreiben gelernt. In seiner Jugend sei er wegen seines Kreuzes, das er an einer
Halskette trug, beschimpft worden. Heute sei die Situation etwas entspannter, erklärt
Sabo Alkan. Seine Familie gehört zu den ca. 2500 Aramäern, die in ihrer historischen
Heimat geblieben sind. Als Minderheit in einer mehrheitlich kurdischen Bevölkerung
blieben sie aber auf der Hut:
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26. O-Ton Sabo (Aramäisch)
2. OV-Sprecher
Wie soll ich dir das erklären? Wir sind Nachbarn und müssen nett mit ihnen umgehen.
Wenn Christen mit Christen leben gibt es Vertrauen durch die Religion. Aber wenn
meine Nachbarn Moslems sind - wie soll ich es dir erklären? Den Muslimen kann ich
nicht so vertrauen.
13. Atmo Gespräch im Wohnzimmer von Feride Uyar…
Autorin
Zurück im Haus von Feride Uyar ist inzwischen Besuch gekommen, der wie üblich mit
Tee bewirtet wird. Der Mann sei der Hirte und ein Muslim, erklärt Israyil Uyar:
27. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Unser Hirte – das ist momentan ein Kurde. Und ich verstehe mit ihn sehr, sehr gut.
Und der ist netter Mann und ich habe kein Problem mit ihm… Und wenn mein Mutter,
wenn sie Hilfe braucht, dann er ist sofort da und helft meine Mutter. Hast du heute
selber gesehen. Der war im Krankenhaus mit ihr und wir können so zusammen richtig
zusammenleben.
Autorin
Gemeinsam mit ihrem kurdischen Nachbarn bewirtschaftet die 73-Jährige ihre Felder,
die das tägliche Brot sichern. Der kurdische Nachbar, der nicht einmal halb so alt ist
wie sie hilft auch, wenn sie zum Amt muss, denn Feride ist Analphabetin.
14. Atmo Mit dem Jeep über Holperweg nach Midyat, Musik im Hintergrund
Autorin
Mit dem Auto geht es zurück nach Midyat. In einer engen, verwinkelten Gasse befindet
sich das Redaktionsgebäude der Zeitung „Sabro“.
30. O-Ton Ishok Demir (mit Schweizer Akzent)
Übersetzt heißt das Hoffnung und ich finde, das ist ein passender Name. Ich finde
Hoffnung ist eigentlich perfekt.
Autorin
Ishok Demir ist 24 Jahre und in der Schweiz geboren. Vor 8 Jahren kehrte seine
Familie zurück in den Tur Abdin. Der junge Mann, der für den Internetauftritt der
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Zeitung zuständig ist und als Online-Redakteur Nachrichten ins Netz stellt, erinnert
sich:
31. O-Ton Ishok Demir (mit Schweizer Akzent)
Ich war 16 und das war einfach ziemlich schwer, wenn man vom Luxus aus der
Schweiz in eine neue Gegend kommt, wo einfach das Schicksal auf einen wartet…
Autorin
Aus Sehnsucht nach der alten Heimat ging seine Familie zurück, eine Sehnsucht, die
fast alle Aramäer in der Diaspora quält. Beim Wort „Heimat“ bekommen ihre Augen
einen eigenartigen Glanz. Auch die von Israyil Uyar.
32. O-Ton Israyil Uyar (Akzentdeutsch)
Deutschland – das ist meine zweite Heimat. Aber mein Gehirn ist immer in…. mein
Vaterland. Und am Ende mein Leben…ich will hier leben und sterben.
Autorin
Und Sohn Manuel? Kann er sich vorstellen, in der Heimat seiner Vorfahren zu leben?
34. O-Ton Manuel Uyar
Mein Leben lang hier zu verbringen – glaube ich nicht. Ich war letztes Jahr einen
Monat hier. Ich könnte auch noch einen Monat hierbleiben. Das wär kein Problem,
einige Monate hier zu bleiben. Aber ein Leben lang glaube ich nicht, dass ich das
hinbekommen würde. Ich bin da anders aufgewachsen. Da sind meine ganzen Freunde,
mit denen ich aufgewachsen bin. Da ist sauberes Wasser. Jeden Tag warmes Wasser,
Autos, vernünftige Straßen… Da haben wir alles. Hier müssen wir auf alles verzichten.
Autorin
Auch für den jungen Redakteur Ishok, der neben Manuel auf dem Sofa sitzt, sah die
Realität in der Türkei anders aus als in den nostalgischen Geschichten der Eltern und
Großeltern. Die wollten unbedingt wieder zurück in die alte Heimat. Zusammen mit
zwölf Familien aus der Schweiz, Deutschland und Schweden haben sie den Neustart
gewagt und sind in das Dorf Kafro in der Nähe von Midyat gezogen.
35. O-Ton Ishok Demir (mit Schweizer Akzent)
Schwierig war einfach, das das einfach ein Dorf ist voller Steine und rundherum nichts.
Einfach nur Landschaft, keine Stadt… Wir mussten uns neue Freunde suchen. Man hat
die Schweiz ständig vermisst. Wir haben das Essen vermisst. Es gab kein Mac Donald,
kein Burger King - gar nichts.
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Autorin
Ishok, damals ein Teenager, hat sich nach der Rückkehr erst einmal mit
Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten bis er vor zwei Jahren die Stelle bei der
Zeitung „Sabro“ bekam, die seit März 2012 erscheint.
36. O-Ton Ishok Demir (mit Schweizer Akzent)
Also das meiste ist auf Türkisch und ein paar Seiten gibt es auch auf Aramäisch. Weil
das wichtig ist, dass die Leute, die hier leben, auch was davon haben. Da wird über
alles Mögliche, was hier bei uns in der Heimat geschieht, berichtet. Sowohl über uns
als auch über andere Minderheiten, über türkische Politik- allgemein über alles, was
hier wichtig ist…
37. O-Ton Ninve Özgun (We are trying to introduce ourself as a nation…)
1. OV-Sprecherin
Wir versuchen uns selbst vorzustellen als eine alte Nation. In der Türkei leben
Millionen Menschen, aber wenige wissen, wer wir syrisch-orthodoxen Menschen sind
und dass wir hier schon seit tausenden von Jahren in diesem Land leben. Keine
Zeitung, kein Radio, kein Fernsehsender in der Türkei erzählt etwas darüber und so
müssen wir uns selbst vorstellen. (… and so we had to talk about ourselves.)
Autorin
Ergänzt die Journalistin Ninve Özgun. Die 20-Jährige ist auch eine Tochter von
Rückkehrern, allerdings ist sie schon wieder hier im Tur Abdin geboren. Anfangs gab
es unter den Aramäern Vorbehalte gegenüber der neuen Zeitung:
38. O-Ton Ninve Özgun (A lot of people don’t wanted this newspaper ...)
1. OV-Sprecherin
Viele wollten diese Zeitung nicht, weil sie sagten, es ist zu politisch und sie könnten
Probleme bekommen mit den türkischen Menschen, mit denen sie hier
zusammenleben und so sagten sie, es ist zu politisch. Das war am Anfang. Aber es hat
eine große Entwicklung bis heute gegeben. (…great development up to this day.)
Musik
Autorin
Langsam, in winzigen Schrittchen verändert sich etwas im Tur Abdin beim
Zusammenleben der muslimischen Mehrheit und der christlichen Minderheit. Bei der
Parlamentswahl 2011 zum Beispiel verzichtete die kurdische Bevölkerung in Mardin
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auf einen eigenen Kandidaten und so konnte Erol Dora, der einzige christliche
Kandidat direkt von der aramäischen und der kurdischen Bevölkerung ins türkische
Parlament gewählt werden. Ein gemeinsamer Abgeordneter, der sowohl die
muslimischen Kurden als auch die christlichen Aramäer vertritt. Auch in Sachen
Sprache hat sich etwas getan: An der Universität in Mardin am Institut für lebende
Sprachen wurden Lehrstühle für die kurdische und die aramäische Sprache und
Literatur eingerichtet. Und: Im Januar 2015 wurde nach Hunderten von Jahren in der
Türkei erstmalig wieder die Genehmigung für einen Kirchenneubau der syrischorthodoxen Kirche erteilt.
Musik
Titelsprecherin
Ausharren auf dem Berg der Knechte – Aramäische Christen in der Türkei
Sie hörten eine Sendung von Dorothea Brummerloh
Es sprachen: Manfred Suttinger und Ilka Teichmüller
Ton: Susanne Bronder
Redaktion: Anne Winter
Regie: Roman Neumann
Musik
Das Manuskript zur Sendung können Sie bei unserer Serviceredaktion bestellen aus Berlin
oder Potsdam unter 97993-2171 – oder per e-mail, [email protected]. Und zum
Nachhören oder Lesen finden Sie die Sendung auch im Internet unter Kulturradio.de.