Manuskript Beitrag: Legionellen-Seuche aus dem Kühlturm – Die unterschätzte Gefahr Sendung vom 10. März 2015 von Andreas Halbach Anmoderation: Stellen Sie sich vor, an einem Ort irgendwo in Deutschland gehen Menschen durch die Straßen und merken gar nicht, dass sie einen unsichtbaren Krankmacher, sogar Killer, einatmen. Klingt nach einem Science-Fiction-Schocker, ist aber schon mehrfach wahr geworden. Legionellen, das sind Bakterien, die zu lebensgefährlichen Lungenentzündungen führen können, wabern aus kontaminierten Kühltürmen und Klimaanlagen. Die ahnungslose Bevölkerung ist den Gefahren schutzlos ausgesetzt. Da verpflichtet der Staat Hauseigentümer, die Warmwasseranlagen ihrer Mietshäuser regelmäßig auf Legionellen zu überprüfen. Aber für Kühltürme macht er keine Vorgaben. Andreas Halbach über Bakterienschleudern außer Kontrolle. Text: Mia, Karl und Pablo - heute sind die Kinder aus Aachen wieder gesund. Vor wenigen Monaten erkrankten alle drei an Lungenentzündung, für ihre Mütter unerklärlich. O-Ton Anna Paslawski, Mutter von Pablo: Ende letzten Jahres hatten wir recht viele Lungenentzündung in der Nachbarschaft und auch im Freundeskreis. Das fanden wir merkwürdig. O-Ton Petra Diekwisch, Mutter von Mia: Ja, vor allem diese Lungenentzündungen traten sowohl bei den Kindern als auch bei den Erwachsenen auf. Ja, und da haben wir uns schon alle gefragt, wo kommen die eigentlich her? Für die Ärzte sieht es nach typischen Lungenentzündungen aus, sie geben Antibiotika. Aber niemand interessiert sich für die Ursache. Dabei ist zu diesem Zeitpunkt längst bekannt: Das Braunkohle-Kraftwerk Weisweiler in der Nähe ist mit Legionellen verseucht. Von dort aus könnten die gefährlichen Keime mit dem Wasserdampf kilometerweit verteilt worden sein. Als die Kinder erkrankten, wurden in einem Kühlturm 500.000 Legionellen-Kolonien pro 100 Milliliter gemessen. Experten rechnen aber schon ab 10.000 Kolonien mit Gesundheitsgefahren. Menschen, die den verseuchten Dampf einatmen, droht Lungenentzündung. In mindestens fünf Prozent aller Fälle führt das zum Tod. Legionellen gedeihen in der Wärme von Kühltürmen und auch in Verdunstungskühlanlagen auf Einkaufszentren, Bürogebäuden oder Krankenhäusern. Von hier aus werden sie in der Luft verteilt und können schwere Epidemien verursachen. O-Ton Prof. Martin Exner, Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit, Universität Bonn: Auf dieses Risiko wird schon seit 30 Jahren hingewiesen. Und es wird drauf hingewiesen, dass hier Regelungsbedarf besteht, um die Bevölkerung vor solchen Risiken tatsächlich besser zu schützen. Professor Exner ist einer der renommiertesten LegionellenExperten weltweit. Er beklagt, dass es in Deutschland weder gesetzliche Grenzwerte noch amtliche Kontrollen für die rund 40.000 Verdunstungskühlanlagen gibt. Sie müssen nicht genehmigt werden, sind nicht einmal meldepflichtig. Nach dem Legionellen-Alarm in Weisweiler ließ die Landesregierung alle Kühltürme von Großkraftwerken beproben. Die amtliche Ergebnisliste - erschreckend: In weiteren acht Kraftwerken sind Legionellen-Werte von weit über 10.000 Kolonien gemessen worden. O-Ton Prof. Martin Exner, Institut für Hygiene und öffentliche Gesundheit, Universität Bonn: Bezüglich der Naturkühltürme wissen wir heute nach dem Ausbruch in Weisweiler, dass in diesem Bereich sehr hohe Konzentrationen auftreten können. Bislang gibt es dafür weder eine technische Regel, noch eine entsprechend klare gesetzliche Regelung. Dennoch müssen wir davon ausgehen, dass hier ein Risiko für die öffentliche Gesundheit nicht mehr auszuschließen ist. In der Nähe des Kraftwerks Weisweiler ist es im vergangenen Herbst tatsächlich zu einer Legionellen-Epidemie gekommen: 39 Menschen im Stadtgebiet Jülich mussten ins Krankenhaus. Bei der Suche nach den Verursachern tun sich Behörden generell schwer, so auch im Fall Jülich. Denn nicht nur im RWE-Kraftwerk, sondern auch bei einem weiteren Unternehmen sind in diesem Kühlwerk Legionellen gefunden worden. Weil der spezifische Legionellen-Stamm, an dem die Menschen erkrankten, aber in keiner der beiden Industrieanlagen festgestellt werden konnte, spielt RWE sein Legionellen-Problem herunter. Zum Interview war der Konzern nicht bereit. Schriftlich heißt es, Zitat: „Es besteht nachweislich kein Zusammenhang zwischen dem Legionellen-Ausbruch in Jülich und der vorübergehend erhöhten Legionellen-Konzentration im Block F des Kraftwerks Weisweiler.“ So eindeutig lässt sich das gar nicht sagen, stellt die örtliche Gesundheitsbehörde fest. O-Ton Dr. Norbert Schnitzler, Kreisgesundheitsamt Düren: Je komplexer ein System oder eine Anlage ist, die zu untersuchen ist, desto unwahrscheinlicher wird es, dass man den Erreger auch finden kann. O-Ton Frontal21: Man kann also gar nicht sagen, ob das Kraftwerk Weisweiler Verursacher der Epidemie in Jülich war oder nicht? O-Ton Dr. Norbert Schnitzler, Kreisgesundheitsamt Düren: Das kann man nicht sagen. Damit sich mögliche Verursacher nicht aus der Verantwortung stehlen können, wollten die Grünen im Bundestag schon 2008 klären lassen, welche Gesundheitsgefahren von Legionellen in Kühltürmen ausgehen. Die Bundesregierung wiegelte ab: „Die Gesundheitsgefährdung durch Legionellen in Kühltürmen für die deutsche Bevölkerung ist als äußerst gering einzuschätzen.“ Nur zwei Jahre später kam es zur schwersten LegionellenEpidemie in Deutschland. Ulm, im Dezember 2009. Mindestens 64 Personen erkrankten schwer, sechs starben. Ursache war eine Rückkühlanlage auf einem Telekom-Gebäude. Sie war nachlässig gewartet, zu wenig Desinfektionsmittel verwendet worden. Die ehemalige AnatomieProfessorin Ingrid Reisert erkrankte nachweislich an dem Erreger aus dem Telekom-Kühlwerk und wäre beinahe gestorben. O-Ton Prof. Ingrid Reisert, Legionellen-Opfer: Ich habe mich infiziert, zwei Tage vor Heiligabend hab ich noch die Weihnachtspost eingeschmissen, an der Hauptpost, und da muss ich direkt durch die Wolke, die da ausgetreten ist, reingelaufen sein. Wenige Tage später brach die 69-Jährige zusammen, musste zweimal reanimiert werden. O-Ton Barbara Aigner, Tochter des Legionellen-Opfers: Daraufhin kam sie sofort auf Intensivstation und war voll beatmet über fast 14 Tage. Und wir haben zu der Zeit dann auch in der Familie entschieden, dass es keinen dritten Reanimationsversuch mehr geben wird. Ingrid Reisert lag monatelang im Krankenhaus, überlebte nur knapp. Die Schuldigen aber mussten sich nicht verantworten, denn die Kühlanlage lief noch im Probebetrieb, etliche Firmen waren beteiligt. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren wegen „fahrlässiger Tötung“ ein. O-Ton Prof. Ingrid Reisert, Legionellen-Opfer: Da fühlt man sich wirklich im Stich gelassen! O-Ton Rainer Feil, Stellvertretender Leiter Staatsanwaltschaft Ulm: Es war für uns ein Problem und es ist natürlich auch für die Opfer ein Problem, dass wenn Verantwortlichkeiten auf viele Schultern verlagert sind und letztlich der Verantwortliche nicht festgestellt werden kann, dass dann die Verfahren im Sande verlaufen. Dass die gesetzliche Regelungsdichte nicht sonderlich ausgeprägt ist in diesem Bereich, war sicher nicht hilfreich. Keine Gesetze, keine Anklage - daher auch kaum Aussicht auf Schadenersatz für die bis zu 30.000 Opfer pro Jahr in Deutschland. Experten fordern gesetzliche Regelungen für Bau, Wartung und Kontrolle von Rückkühlanlagen, so wie es sie schon in vielen anderen europäischen Ländern längst gibt. O-Ton Christian Lück, Leiter nationales Referenzlabor Legionellen TU Dresden: Als erstes würde ich eine Registrierpflicht einführen für sämtliche Rückkühlwerke, bevor sie in Betrieb gehen. Dann müssen diese Rückkühlwerke technisch und mikrobiologisch überwacht werden in einem bestimmten Turnus. Und wenn die technischen Parameter in Ordnung sind, sind meistens auch keine Legionellen drin. Zur Sicherheit sollte man das aber prüfen. Doch noch können sich die Betreiber in Deutschland diesen Aufwand sparen. So kam es auch 2013 zur Epidemie in Warstein. Mehr als 160 Lungenentzündungen durch Legionellen, zwei Menschen starben. In Verdacht auch hier Rückkühlanlagen zweier Unternehmen. Welches der beiden Schuld war, blieb ungeklärt. Wieder wurde das Verfahren eingestellt. NRW-Umweltminister Remmel startete daraufhin eine Gesetzesinitiative zur Regulierung von Verdunstungskühlanlagen. Das ist inzwischen fast zwei Jahre her. O-Ton Frontal21: Woran ist es bisher gescheitert? O-Ton Johannes Remmel, B‘90/GRÜNE, Umweltminister Nordrhein-Westfalen: Auf der Bundesebene, da müssen Sie die Bundesministerin fragen, warum das nicht schnell genug geht. Wir würden uns das wünschen, dass das viel schneller geht. Wir haben jetzt den zweiten größeren Vorfall mit Jülich gehabt. Und es wäre natürlich besser gewesen, wir hätten zu diesem Zeitpunkt die Verordnung schon gehabt. Das Bundesumweltministerium verweist auf neue technische Richtlinien für Verdunstungskühlanlagen. Aber die sind nicht mehr als eine Empfehlung - und für Kühltürme gelten sie erst recht nicht. Als Reaktion auf die Vorschläge aus NRW gibt es inzwischen ein Eckpunktepapier. Auf Anfrage schreibt das Bundesumweltministerium dazu, Zitat: „Es wird angestrebt, die Verordnung in der 2. Jahreshälfte 2016 abzuschließen. (…) die Schaffung zusätzlicher strafrechtlicher Sanktionsmöglichkeiten (…) in der künftigen Legionellen-Rechtsverordnung sind (…) nicht erforderlich.“ Ein Gesetz zum besseren Schutz vor Legionellen aus der Luft soll es also geben – vielleicht in zwei Jahren. Doch bei schlampiger Wartung von Verdunstungskühlanlagen ist wohl auch weiterhin nur ein Bußgeld fällig. O-Ton Barbara Aigner, Tochter des Legionellen-Opfers: Haben wir Bürger ein Recht auf eine Gesundheit, die unser Staat mit unterstützt oder nicht? Das ist hier vielleicht die Frage. Legionellen-Gefahr aus der Luft - eine unheimliche Bedrohung, die noch immer unterschätzt wird. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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