Manuskript Beitrag: Obergrenzen für Flüchtlinge? – Das schaffen wir nicht Sendung vom 23. Februar 2016 von Werner Doyé Anmoderation: Das war wieder nix. Vergangene Woche beim EU-Gipfel wollte die Kanzlerin eigentlich was klären. Schaffen wir das endlich mal – mit Hilfe der Türkei? Oder ziehen wir Zäune hoch, machen die Grenzen dicht und schaffen das vereinte Europa ab? Doch die Klärung ist vertagt, der Kanzlerin läuft die Zeit davon und Horst Seehofer fordert gleich wieder Obergrenzen. Zu diesen Obergrenzen hat unser Autor Werner Doyé eine Frage: Wie sollen denn die zu schaffen sein? So - ganz praktisch? Text: Der EU-Gipfel in Brüssel war noch nicht einmal vorüber, da saß Angela Merkel schon wieder die nationale Debatte im Nacken: O-Ton Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender: Wir werden im März, ich weise nur darauf hin, unsere Obergrenze erreicht haben. Und neben der CSU fordern nun auch die CDU-Wahlkämpfer nationale Maßnahmen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Höchste Zeit, einmal zu fragen: Obergrenze – schaffen wir das? O-Ton Prof. Herbert Brücker, Migrationsforscher Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg: Es ist so, dass die deutschen Grenzen weiterhin offen sind. Dass die Menschen weiter über die Balkanroute kommen. Wir wissen nicht, ob die Balkanroute schrittweise geschlossen wird, durch andere Staaten. Aber auch wenn die Balkanroute geschlossen wird, werden viele Menschen dann übers Mittelmeer kommen. Das heißt, es wird sich nichts fundamental an der Situation ändern, die wir haben. Kontrollen wie derzeit an den Autobahnen verursachen zwar Staus und behindern den Warenverkehr, ändern aber wenig, solange man auf Bundes- und Landstraßen problemlos über eine Grenze kommt, die auch zu Kaisers Zeiten nicht hermetisch abgeriegelt wurde. Denn da gibt es schließlich noch hunderte Kilometer grüner Grenze. Wie verhindern wir nach Erreichen einer Obergrenze von 200.000, dass der 200.001 Flüchtling deutsches Staatsgebiet betritt? O-Ton Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender, am 19.02.2016: So wie es jetzt alle Länder umsetzen. Die Schweden, die Dänen, die Österreicher, die Mazedonier, die Bulgaren, die Ungarn. Das ist absolut möglich. Die Länder längs der Balkanroute machen das vor allem mit Zäunen möglich. Wir also auch? Ein Zaun längs der 815 Kilometer langen Grenze zwischen Deutschland und Österreich verliefe auch über Privatgrund. Langwierige Gerichtsverfahren sind da wohl zu erwarten. Und es geht ja nicht nur um Österreich. Suchen die Flüchtlinge sich andere Routen, müssten bald auch die Grenzen zu Tschechien und Polen abgesichert werden. Gute 2.000 Kilometer Zaun. Das wird teuer! Beim G7-Gipfel in Elmau gab es auch einen Zaun: Sieben Kilometer Maschendraht, drei Meter hoch. Schon der kostete 2,2 Millionen Euro. Aber reicht so ein Zaun, um eine Grenze dicht zu machen? Das fragen wir die Zaunbaufirma Mutanox. Die sichert ihr eigenes Gelände ebenfalls mit einem drei Meter hohen Zaun, allerdings aus Doppelstabmatte und mit Natodraht. Schafft man mit sowas Grenzsicherheit? O-Ton Talat Deger, Geschäftsführer, Mutanox-Zaunbau: Ja, leider gibt es für den Grenzzaun in Deutschland noch keine DIN. Aber man könnte den so verwenden unter der Prämisse, dass man noch einen zweiten Zaun dahinter setzt und den Natodraht dann auch noch auf dem Boden auslegt. In den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta ist der Zaun sogar dreireihig. Bis zu sieben Meter hoch, 20 Kilometer Grenze die mehr als 100 Millionen Euro gekostet haben. Doch die Flüchtlinge sind verzweifelt genug, auch diese Monsterzäune zu stürmen. Machen wir die Zäune dann also noch höher, damit sie unüberwindbar werden? O-Ton Talat Deger, Geschäftsfüher Mutanox-Zaunbau: Eine Garantie gibt es dafür natürlich nicht. Wenn ich die entsprechende Zeit und das Equipment habe, bin ich irgendwann sowieso durch den Zaun durch. Daher denke ich, dass der Grenzzaun nicht 100 Prozent Schutz bietet, wenn man jetzt auch kein Wachschutzpersonal davor hat. Wie auch immer ein Zaun aussehen könnte, die Grenze müsste zusätzlich noch von der Polizei überwacht werden. Und wieder stellt sich die Frage: Schaffen wir das? O-Ton Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in der Bundespolizei: Also, wir müssen uns von einer Illusion, denke ich, befreien: Illusion „Grenzschließung“ in dem Umfang, wie sie suggeriert wird, wird es nicht geben können. Dort wo ich Kontrollen durchführen muss, kann ich das nur mit mehr Personal machen. Wir werden dieses Personal höchstens für eine Zeit von drei Wochen aufbringen können, weil wir dann andere Aufgaben, beispielsweise an den Bahnhöfen entblößen würden. Augenblicklich könnte die Bundespolizei also nicht einmal alle ehemaligen Grenzübergänge dauerhaft besetzen. Die grüne Grenze dazwischen auch noch zu überwachen ist erst recht nicht möglich. Was aber bringt es dann, über nationale Obergrenzen zu sprechen? O-Ton Jörg Radek, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in der Bundespolizei: Das hat noch nicht mal die Qualität von Symbolpolitik. Denn das hieße ja, man würde mit einer Politik versuchen wollen, ein Signal zu setzen. Wer Horst Seehofer genau zuhört, kann vermuten, dass auch er nicht davon ausgeht, dass eine Obergrenze real umzusetzen ist. Wichtig sei etwas anders: O-Ton Horst Seehofer, CSU-Vorsitzender: Das Wichtigste einer solchen Obergrenze ist das Signal. Die Flüchtlinge, die derzeit am Zaun an der griechischmazedonischen Grenze rütteln, werden sich von diesem Signal kaum beeindrucken lassen, sondern sich einen anderen Fluchtweg suchen. Sicherlich könnte man auch dort wieder einen Zaun aufstellen, doch wer Zäune baut, sollte auch wissen, dass man sie nicht überall aufstellen darf. O-Ton Talat Deger, Geschäftsführer Mutanox-Zaunbau: Wenn man Fluchtwege abschneidet oder zumacht, dann sterben Menschen! Fluchtwege müssen frei bleiben. Nur gibt es nach Europa keinen offiziellen Fluchtweg. Und genau da liegt das eigentliche Problem. O-Ton Herbert Brücker, Migrationsforscher Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg: Das heißt, man muss einen legalen Zugangsweg finden. Sonst kommen die Menschen irregulär im großen Umfang. Und dann finden sie Schutz. Das ist im Prinzip ja auch eine sehr gute Sache. Aber so lange wir diesen regulären Zugangsweg nicht haben, haben wir weiter diese chaotischen Zustände. Wer diesen Zuständen mit einer nationalen Obergrenze begegnen will, erweckt den Anschein, es gebe eine schnelle, einfache Lösung. Doch für Scheinpolitik fehlt uns angesichts dieser Bilder wirklich die Zeit. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. 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