Untitled - Die Onleihe

In diesem Heft
Türkei Der schwierige Partner – wie
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Deutschland
Leitartikel Donald Trump und die Verwahr-
losung der politischen Kultur
Meinung Kolumne: Im Zweifel links /
So gesehen: Narzissmus in Zeiten
des Terrors
Opposition will VW-Untersuchungsausschuss / Drachenflieger in Angst vor
Drohnen / Entlastung für deutsche
Fluggesellschaften
Karrieren Bundespräsident Joachim Gauck
ist äußerst beliebt – die beste Gelegenheit
aufzuhören
Geheimdienste Europas Spione sollen
besser kooperieren – doch der
BND misstraut EU-Partnern seit Jahren
Linke Die marxistische MLPD profitiert
vom Vermögen ergrauter Revolutionäre
Union CSU-Veteran Edmund Stoiber
kritisiert im SPIEGEL-Gespräch
den Linksruck der CDU und verlangt,
auf AfD-Wähler zuzugehen
Glauben Warum ein Pfarrer an seiner
Gemeinde verzweifelte
Bundeswehr Wie ein Soldat und seine
Frau mit den Folgen seines Afghanistaneinsatzes ringen
Grüne Hessens Wirtschaftsminister
Tarek Al-Wazir erklärt, warum ein Bündnis
mit der CDU manchmal einfacher ist
als mit der SPD
Verkehr Wenn Autofahrer ihrem Navi
blind vertrauen, kann das böse enden
Strafjustiz Ein Trio nutzte Beerdigungen,
um in die Häuser der Toten
oder der Angehörigen einzubrechen
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Ausland
Joachim Gauck
Aung San Suu Kyi baut in der neu ernannten
Regierung Burmas ihre Machtposition aus /
Vom Ungeschick des François Hollande
90
Terrrorismus Bosnien wird zu einem
neuen Rückzugsraum für IS-Kämpfer
92
China Die neue Mittelschicht strebt nach
Individualisierung durch Mode –
und nach einer offeneren Gesellschaft?
96
Brasilien Wie die Ermittlungen eines
Richters zur Staatskrise führten
102
Global Village Das Experiment von Utrecht –
ein Minimaleinkommen für jeden
105
Er ist seit vier Jahren im
Amt, die Deutschen
lieben ihn, und die Bundeskanzlerin würde ihn gern
für eine zweite Amtszeit
behalten. Gauck muss
sich fragen: Lohnt es sich
noch? Seite 28
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Wissenschaft
Schmetterlingsschwund durch Klimawandel / Wo sich der Australopithecus
tummelte / Kommentar: Lasst
Ärzten die Fachliteratur!
106
Medizin Schwer herzkrank kam die kleine
Reehana aus Afghanistan nach
Hamburg, gesund kehrte sie heim –
die Geschichte einer Rettung
108
Russland Wie ein autoritärer Staat Erfindergeist und Forscherdrang abtöten kann
112
Archäologie Der Palmyra-Experte
Udo Hartmann über den Wiederaufbau der
antiken Stätten nach dem Terror des IS
116
Gesellschaft
Früher war alles schlechter: Kinderarbeit
geht zurück / Spargel aus Bodenheizung
54
Eine Meldung und ihre Geschichte Cádiz
lacht über Don José
und seinen Dienstschwänzer
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Zeitgeschichte In einem Klima des
Misstrauens geht den Amerikanern der Sinn
für eine gemeinsame Historie verloren
56
Beziehungen Der schönste Tag des Lebens
ist der heutigen Bräute liebster Sport
62
Homestory Park dich doch selber!
64
Sport
Wie der 80-Millionen-Euro-Transfer von
James Rodríguez vom AS Monaco
zu Real Madrid abgewickelt wird / Marc
Meilleur, Fahrer eines Begleitmotorrads
bei Radrennen, über die Gefahr von
Kollisionen mit dem Peloton
Springreiten Der Weltklassereiter
Rolf-Göran Bengtsson und sein
dubioser Mäzen vom deutschen Gestüt
Eichenhain
Fußball Warum die englische Premier
League an ihrer Dekadenz erstickt
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Lego-Bastelbuch für Erwachsene /
„Gestrandet“ – eine Doku
über Flüchtlinge in Ostfriesland /
Kolumne: Besser weiß ich es nicht
118
Helden Der Rheinländer Carl Schurz war
Mitgründer der Republikaner, seine
Geschichte ist die Geschichte deutschamerikanischen Freiheitsdrangs
120
Beziehungen Martin Walser und Thekla
Chabbi – ein SPIEGEL-Gespräch über
gemeinsames Schreiben, Lesen und Leben 124
Literatur Eine Verneigung vor Herrn Ömer,
dem türkischen Buchhändler
um die Ecke – von Navid Kermani
128
Pop Xavier Naidoo als Sänger eines sich
verändernden Landes
130
Filmkritik „Unter dem Sand“ zeigt deutsche
Kindersoldaten als Minenräumer
131
Sie war herzkrank und musste operiert werden. Aber in
ihrer Heimat Afghanistan war
das nicht möglich. So kam
sie nach Hamburg, wohnte
bei einer Gastfamilie – und
verzauberte sie. Dann musste
Reehana zurück. Seite 108
Carl Schurz
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Bestseller
Impressum, Leserservice
Nachrufe
Personalien
Briefe
Hohlspiegel / Rückspiegel
71
Wegweiser für Informanten: www.spiegel.de/investigativ
66
Wirtschaft
US-Fonds verklagt deutschen Fiskus /
Susanne Klatten plant Großspende / Sind
Dividenden die neuen Zinsen?
Kultur
Reehana Zakhelwal
SAMMLUNG RAUCH / INTERFOTO
Präsident Erdoğan mit dem Westen spielt
Essay Ein Land auf dem Weg
in die Isolation
Management Die alte Befehlskultur hat
ausgedient, die deutschen Unternehmen
müssen sich wandeln
Energie Der Ausbau der Windkraft spaltet
die Umweltverbände
Unterhaltung Die besten Computerspieler
erreichen ein Millionenpublikum
Unternehmen Der deutsche und der
amerikanische Merck-Konzern streiten sich
um die Rechte am gemeinsamen Namen
Geldanlage Neue Produkte sollen die
traditionelle Lebensversicherung ersetzen
DOMINIK BUTZMANN / LAIF
Titel
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Er kämpfte gleich zweimal
für die Freiheit, bei der deutschen Revolution 1848/49
und im Bürgerkrieg der USA.
Als Mitgründer der Republikanischen Partei wäre er
wohl entsetzt über Donald
Trumps Wahlkampf. Seite 120
DER SPIEGEL 14 / 2016
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Das deutsche Nachrichten-Magazin
Leitartikel
Die amerikanische Schande
Der Vorwahlkampf in den USA offenbart eine tiefe Verwahrlosung der politischen Kultur.
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DER SPIEGEL 14 / 2016
gefurzt. Was Amerika in diesen Tagen erlebt, ist nicht nur
ein politischer, sondern auch ein moralischer Bankrott.
Schmutzige Tricks sind keine Neuheit in US-Wahlkämpfen,
dieser totale Niveauverlust hingegen ist es schon.
Schuld daran sind nicht nur die beiden Rüpel an der Spitze.
Möglich wurde ihr Aufstieg durch einen Verfall von Werten
wie Anstand, Aufrichtigkeit, Toleranz und Gerechtigkeit, den
niemand so beschleunigt hat wie die Republikanische Partei.
Viel zu lange hat sie eine Steuer-, Wirtschafts- und Sozialpolitik betrieben, die allein den Konzernen und Reichen diente, den Finanziers ihrer Wahlkämpfe. Millionen Amerikaner
rutschten derweil in prekäre Verhältnisse. Kulturelle Verwahrlosung ist oft die Folge einer realen Verwahrlosung. Wer sich
finanzielle Sorgen macht, wer verbittert und ohne Hoffnung
ist, dessen Hauptsorge gilt nicht
dem Anstand. Der sehnt sich geradezu nach einer Kultur des
Radikalen und Ungehobelten,
weil aus der Zerstörung vermeintlich nur Besseres erwachsen kann.
Über Jahrzehnte haben die
Republikaner zudem eine Kultur der Verachtung für öffentliche Güter geschaffen. Sie betrieben eine Bildungspolitik, die
für die Nichtprivilegierten kaum
Bildung bereithält, sondern zu
Verdummung und Verrohung
beiträgt. Sie ließen zu, dass Milliardäre wie die Koch-Brüder
die Inhalte und das Personal ihrer Partei bestimmten. Vor ein
paar Jahren umarmten sie auch
noch die destruktiv-radikale
Tea-Party-Bewegung. So kam
der Partei mit der Mitte auch jedes Maß abhanden.
Für Rettungsmaßnahmen ist es nun zu spät. Auch der Versuch, Trump doch noch als Kandidaten zu verhindern, etwa
mit Tricks beim Nominierungsparteitag im Juli, wird nicht
helfen. Dafür hat Trump bereits zu viele Stimmen, seine Millionen Wähler würden sich zu Recht betrogen fühlen. Trump
warnte schon vor „Unruhen“. So werden sich die Republikaner mit Trump wohl im Hauptwahlkampf blamieren müssen.
Erst danach, im Angesicht der Selbstzerstörung, nach einer – hoffentlich – deftigen Niederlage, wird die Partei eine
ehrliche Bilanz ziehen können. Sie wird dann alles hinterfragen müssen, was zu dieser Verwahrlosung geführt hat. Die
Änderungen müssten so gewaltig sein, dass es fast einer
Neugründung gleichkäme: der Gründung einer zivilisierten,
aufrichtigen, bürgernahen Partei. Wer die Vereinigten Staaten
mag, kann ihnen nichts anderes wünschen.
CHAD BATKA / THE NEW YORK TIMES / REDUX / LAIF
D
ie amerikanische Demokratie war nicht die erste, aber
lange die stolzeste der Welt. Kein zweites Volk sprach
so leidenschaftlich, so sendungsbewusst von seiner
Staatsform. Die politische Kultur der Vereinigten Staaten wurde zum Vorbild, zum weltweiten Exportgut. Inzwischen aber
machen sich US-Diplomaten lächerlich, wenn sie anderen
Völkern Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie geben.
Schuld daran sind in erster Linie die Republikaner. Deren
Vorwahlkampf ist nicht nur eine Blamage für die Partei Abraham Lincolns, er ist eine Schande für das ganze Land. Vor
knapp zwei Wochen veröffentlichten Unterstützer des Präsidentschaftsbewerbers Ted Cruz ein altes Foto, auf dem
Melania Trump, einst Fotomodell und heute Frau des anderen
Präsidentschaftsbewerbers, nackt für die Kamera posiert.
Dazu der hämische Kommentar:
„Ihre nächste First Lady!“ Als
Rache verbreitet Donald Trump
eine Fotocollage, auf der Cruz’
Frau recht hässlich und Trumps
Frau ziemlich hübsch aussieht.
Darüber der Spruch: „Bilder sagen mehr als tausend Worte.“
Dann erschien in einem
Schmierblatt, dessen Chef eng
mit Trump befreundet ist, eine
Story, in der Cruz gleich fünf
Affären unterstellt werden.
Cruz bezeichnete Trump, dessen Leute er hinter der Geschichte vermutete, daraufhin
als „Ratte“. Trump selbst, der
Cruz bereits „Würger“, „Betrüger“, „Weltklasselügner“ oder
„ekligen Typen“ genannt hatte,
musste derweil seinen WahlKandidat Trump
kampfmanager verteidigen. Der
war von der Polizei wegen des
Vorwurfs der Körperverletzung
verhaftet worden, weil er eine Journalistin bei einer Veranstaltung gewaltsam aus dem Verkehr gezogen hatte. Für
Trump ist körperliche Gewalt nichts Verwerfliches. Anhängern, die Demonstranten aus der Halle prügeln, versprach er,
die Anwaltskosten zu übernehmen, sollte das Opfer klagen.
Zuvor hatte Trump während einer TV-Debatte ungefragt
erklärt, dass er einen großen Penis habe („Das garantiere
ich!“). Oder er hatte einer TV-Journalistin vorgeworfen, ihre
kritischen Fragen seien die Folge von Menstruationsproblemen. Oder er hatte höhnisch die körperliche Behinderung
eines Journalisten live im Fernsehen nachgeäfft.
Die politische Kultur, die sich hier offenbart, ist eine Melange aus Kindergarten, Mafiamilieu und Pornoindustrie. Sie
bewegt sich zwischen „Der hat angefangen!“, Raufereien,
Frauenfeindlichkeit und Schwanzvergleichen. Es ist, als würde
bei einer Essensrunde, die sich lange schon auf Tischmanieren
verständigt hatte, plötzlich wieder hemmungslos gerülpst und
Markus Feldenkirchen
Twitter: @MFeldenkirchen