Wer die Wahl hat

Helaba Volkswirtschaft/Research
USA AKTUELL
20. Mai 2016
Wer die Wahl hat…
AUTOR
Patrick Franke
Telefon: 0 69/91 32-47 38
[email protected]


REDAKTION
Dr. Stefan Mitropoulos

HERAUSGEBER
Dr. Gertrud R. Traud
Chefvolkswirt/
Leitung Research

Helaba
Landesbank
Hessen-Thüringen
MAIN TOWER
Neue Mainzer Str. 52-58
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 0 69/91 32-20 24
Telefax: 0 69/91 32-22 44
Am 8. November wählen die Amerikaner voraussichtlich Hillary Clinton zur Präsidentin.
Ein Wahlsieg von Donald Trump ist nicht ausgeschlossen – wäre aber auch nicht die Katastrophe, als die ihn manche darstellen.
Nach einem Amtsantritt sieht die Politik oft ganz anders aus als im Wahlprogramm, doch für
einen freieren Welthandel sind die Perspektiven trübe, egal wie die Wahl ausgeht.
Für die Notenbank Fed spielt der Wahlkampf eine untergeordnete Rolle und selbst diese ist
nur eine Folge ihrer glücklosen Kommunikationsstrategie.
„Jeder liebt den Zirkus, mein Freund, jeder liebt den Zirkus.
Das wird schon wieder, keine Sorge.“
Tom Hanks zum US-Wahlkampf in einem FAZ-Interview (Mai 2016)
Im November können sich die Amerikaner bei den Präsidentschaftswahlen voraussichtlich zwischen der Demokratin Hillary Clinton und dem republikanischen Kandidaten Donald Trump entscheiden. Beide werden erst auf den Nominierungsparteitagen im Juli offiziell gekürt, aber es ist
ziemlich unwahrscheinlich, dass es vorher noch zu überraschenden Wendungen kommt. Clinton
führt klar vor ihrem Konkurrenten Bernie Sanders und alle anderen Republikaner haben inzwischen das Handtuch geworfen. Damit haben sich die Aussichten ausreichend konkretisiert, um
sich einmal mit den Wahlen und ihren Auswirkungen zu beschäftigen, auch wenn sie ein halbes
Jahr in der Zukunft liegen und der „echte“ Wahlkampf noch gar nicht richtig begonnen hat.
In diesem „USA Aktuell“ stellen wir den aus heutiger Sicht wahrscheinlichsten Wahlausgang und
seine Wechselwirkung auf die gleichzeitig stattfindenden Kongresswahlen vor. Wir gehen auch auf
ein Risikoszenario ein und werfen dann einen ersten Blick auf die bisher vorgestellten Ideen der
beiden Kandidaten zu den Themen Fiskal- und Handelspolitik. Da die entsprechenden Aussagen
zum Teil noch ziemlich vage sind und wohl erst im Sommer konkretisiert werden, beschäftigen wir
uns mit diesem Aspekt voraussichtlich noch einmal in einer späteren Publikation. Schließlich prüfen wir, ob der Wahlkampf und sein möglicher Ausgang spürbare Auswirkungen auf die Politik der
Fed haben wird.
Die Publikation ist mit größter
Sorgfalt bearbeitet worden.
Sie enthält jedoch lediglich
unverbindliche Analysen und
Prognosen zu den gegenwärtigen und zukünftigen
Marktverhältnissen. Die Angaben beruhen auf Quellen,
die wir für zuverlässig halten,
für deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Aktualität wir
aber keine Gewähr übernehmen können. Sämtliche in
dieser Publikation getroffenen Angaben dienen der Information. Sie dürfen nicht
als Angebot oder Empfehlung für Anlageentscheidungen verstanden werden.
Das Vorwahlrennen ist (praktisch) gelaufen
Zahl der Parteitagdelegierten und Schwelle für absolute Mehrheit
1400
3000
Republikaner (linke Skala): 1237
Demokraten (rechte Skala): 2383
1200
1000
2500
2000
800
1500
600
1000
400
500
200
0
0
Trump
Cruz
Rubio
Clinton
Sanders
Quellen: CNN, Helaba Volkswirtschaft/Research
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USA AKTUELL
Aller Anfang ist schwer
Lage besser als die Stimmung
Umfrage vom Mai 2015*: „Wer soll der republikanische Kandidat sein?“, %
„Misery-Index“: Summe aus Arbeitslosenquote und Inflationsrate, Prozentpunkte
16
16
14
14
12
12
10
10
8
8
6
6
4
4
2
2
0
0
25
25
20
20
15
15
10
10
5
5
0
1948
* kurz nachdem Donald Trump seine Kandidatur angekündigt hatte.
Quellen: Realclearpolitics.com, Helaba Volkswirtschaft/Research
0
1958
1968
1978
1988
1998
2008
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
Clinton versus Trump: Wer gewinnt?
Bei den Republikanern hat sich der Immobilien- und Medienunternehmer Donald Trump entgegen
den Prognosen gegenüber einigen deutlich favorisierten Kandidaten durchgesetzt. Medien und
Politikbeobachter hatten schon vor dem Beginn des Vorwahlkampfes Jeb Bush, Sohn und Bruder
ehemaliger US-Präsidenten, zum Favoriten erkoren. Zunächst sprach sich auch in Umfragen eine
Mehrheit für ihn aus. Trump hingegen wurde lange belächelt und nicht ernst genommen. Dazu
trugen auch sein Auftreten, seine offenbar häufig spontan entstehenden Positionen und seine
Außenseiterrolle in der republikanischen Partei bei. In Europa und in Deutschland hat Trumps
Erfolg Unverständnis und sogar Ängste hervorgerufen. Sind diese berechtigt?
Bei den Vorwahlen profitiert Trump von einer Welle der Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment und mit der wirtschaftlichen Lage, insbesondere bei Amerikanern mit einem niedrigen
Bildungsniveau. Eine fehlende College-Ausbildung geht häufig Hand in Hand mit wirtschaftlichem
Misserfolg. Offenbar sind es vor allem diejenigen, die am Wachstum der letzten Jahre unterproportional oder gar nicht partizipiert haben, die nun Trump unterstützen. Insgesamt betrachtet bietet die
Wirtschaftsentwicklung nämlich gar keinen Anlass, einen „Protestkandidaten“ zu wählen. Der so
genannte „Misery-Index“, die Summe aus Arbeitslosenquote und Inflationsrate, war seit Ende der
1940er Jahre selten so niedrig wie derzeit. Auch wenn die Aussagekraft der offiziellen Statistik
über die tatsächlichen Lebensumstände der Bevölkerung oft geringer ist als man sich wünschen
könnte, bestätigt die Aussage Trumps, die wahre Arbeitslosigkeit liege bei über 40 %, vor allem
1
seine mangelhaften Kenntnisse von volks- (im Gegensatz zu betriebs)wirtschaftlichen Konzepten.
Trump: Hohe
Negativwerte
Bei weiten Bevölkerungsteilen ist Trump hingegen extrem unbeliebt: Bei Afro-Amerikanern, Hispanics und Frauen verzeichnet er rekordverdächtige Negativwerte. Je höher die Wahlbeteiligung
dieser Gruppen ausfällt, umso schlechter sind also seine Chancen im November. Hierbei profitiert
Trump noch von dem relativ kleinen „Frauenbonus“, den Hillary Clinton hat – gemessen daran,
dass sie die erste US-Präsidentin sein könnte, sind ihre Popularitätswerte beim eigenen Geschlecht recht dürftig. Ihre Beliebtheit bei Wählern leidet zudem unter einem Imageproblem: Sie
wird als „unehrlich“, „nicht vertrauenswürdig“ oder gar als „korrupt“ wahrgenommen. Ob dies nun
langjährigen Schmierkampagnen gegen sie und ihren Mann Bill Clinton oder ihrem tatsächlichen
Charakter geschuldet ist, spielt eine untergeordnete Rolle: So oder so muss sie sich mit diesen
Handicaps auseinandersetzen.
1
Dies beruht wohl auf einer Fehlinterpretation der Partizipationsrate. Aktuell sind rund 5 % der Erwerbsperso-
nen arbeitslos. Selbst eine deutlich weiter gefasste Abgrenzung der Unterbeschäftigung liegt nur bei knapp
10 %. Ein gutes Drittel der Personen im erwerbsfähigen Alter steht dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung, weil sie sich mit Ausbildung, Kindererziehung usw. beschäftigen (Nicht-Partizipation: 37 %). Siehe hierzu
auch USA Aktuell „Was ist am Arbeitsmarkt wirklich los?“ vom Februar 2014.
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USA AKTUELL
Eine klare Mehrheit der wahrscheinlichen Wähler spricht sich in den meisten Umfragen für Clinton
aus. Bei elf Umfragen auf nationaler Ebene seit Anfang April lag Trump in einer gleich auf, führte in
einer mit zwei Prozentpunkten und lag in den anderen neun hinten – im Mittel um über 7 Prozentpunkte. Allerdings ist zu bedenken, dass sich hier nach den Nominierungsparteitagen und in der
heißen Phase des Wahlkampfes, wenn die Fernsehdebatten geführt werden, noch einiges ändern
kann. Zudem sind solche landesweiten Resultate für die tatsächliche Wahl nur bedingt relevant.
Der Präsident wird indirekt von einem „Wahlkollegium“ gewählt, dessen Mitglieder bei der Wahl auf
Ebene der Einzelstaaten bestimmt werden. Es kommt also nicht nur auf die Gesamtzahl der Stimmen an, die ein Kandidat/eine Kandidatin erhält, sondern auch darauf, in welchem Bundesstaat
diese abgegeben wurden.
Aussagekräftiger sind daher die aus Wettquoten abgeleiteten Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich
des Wahlausgangs, wie sie von diversen privaten Anbietern, aber auch den sogenannten „Iowa
Electronic Markets“ der University of Iowa berechnet werden. Hier kann jeder echtes Geld auf ein
bestimmtes Wahlergebnis setzen. Die dabei zustande kommenden Quoten (Auszahlung zu Wetteinsatz) liefern Informationen über die subjektive Wahrscheinlichkeit, die die Wetter dem Ausgang
aktuell zuweisen. Derzeit liegt Hillary Clinton hier klar vorne. Die sich beteiligenden Personen sehen die Wahrscheinlichkeit eines Wahlsiegs der Demokratin bei fast 70 %. Trumps Chance wird
entsprechend nur mit 30 % angesetzt. Damit liegt Clinton etwa 10 Prozentpunkte besser im Rennen als vor vier Jahren Barack Obama gegenüber seinem Herausforderer Mitt Romney (60:40).
Zudem hat sich der Abstand vergrößert, nachdem immer klarer wurde, dass Trump der Gegenkandidat sein würde – im Sommer 2015 lagen die Wahrscheinlichkeiten im Schnitt eher bei 60:40.
Vorteil: Clinton!
Vorsprung für die Demokratin
CNN/ORC-Umfragen: „Wer soll im November gewinnen, Clinton oder Trump?“, %
60
Clinton
50
40
80
80
50
70
70
40
Trump
Implizite Wahrscheinlichkeit auf Basis der Wettquoten, %
60
60
50
30
30
20
20
30
10
20
10
0
0
Aug
Sep
2015
Okt
Nov
Dez
Feb
2016
Mrz
Mai
Quellen: Realclearpolitics.com, Helaba Volkswirtschaft/Research
Basis-Szenario:
Clinton gewinnt
60
Sieg des Demokraten/der Demokratin
50
40
40
30
20
Sieg des Republikaners/der Republikanerin
10
0
01.05.2016
10
0
08.05.2016
15.05.2016
22.05.2016
Quellen: Iowa Electronic Markets, Helaba Volkswirtschaft/Research
Wir halten die aktuellen Quoten für eine realistische Einschätzung der Chancen der beiden Kandidaten. Unser Basis-Szenario für den November ist daher: Hillary Clinton gewinnt (Wahrscheinlichkeit zwei Drittel). Angesichts der Unpopularität ihres Widersachers bei vielen Wählern ist für sie
das größte Risiko ein rechtliches: Dass eine FBI-Untersuchung ihres Verhaltens als Außenministerin, als sie vorschriftswidrig einen privaten Server für offizielle Email-Nachrichten benutzte, zu einer
Anklage führt. In diesem Fall wäre sie wohl gezwungen, von ihrer Kandidatur zurückzutreten und
einem anderen Demokraten das Feld zu überlassen. Dieses Damoklesschwert schwebt derzeit
über ihrem Wahlkampf und gibt Donald Trump auch eine Handhabe, sie politisch ins Zwielicht zu
rücken. Kommt es nicht zu einer Anklage sind die Chancen Trumps relativ gering. Insgesamt würden wir die Wahrscheinlichkeit für einen Präsident Trump mit rund einem Drittel ansetzen.
Angesichts der zum Teil alarmierenden Aussagen des Kandidaten Trumps hat im In- und Ausland
Nervosität über eine mögliche Präsidentschaft des Unternehmers um sich gegriffen. Es gibt jedoch
zwei Gründe, warum auch hier die Maxime gilt „Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht
wird“. Erstens wird der Wahlsieger im Januar nicht das Amt eines Diktators antreten, sondern eine
präsidiale Regierung in einer parlamentarischen Demokratie führen. Im nächsten Abschnitt gehen
wir daher auf die Kongresswahlen ein. Zweitens – und hierauf bezieht sich das Zitat von Tom
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USA AKTUELL
Hanks auf der ersten Seite – hat es in den USA Tradition, dass nach teilweise wildem Gepöbel und
spektakulären Wahlkampfaussagen nach der Wahl sehr schnell Realismus und Pragmatismus
Einzug halten. Dies schildern wir im übernächsten Abschnitt.
Nicht vergessen: die Kongresswahlen!
Eine Präsidentin Clinton würde sich voraussichtlich einem zumindest teilweise unverändert republikanisch kontrollierten Kongress gegenübersehen. Zwar stehen die Chancen gut, dass es den
Demokraten gelingt, den Republikanern einige Sitze im Senat abzunehmen – von den 34 Senatoren, die 2016 ihren Sitz verteidigen müssen, sind 24 Republikaner. Dennoch ist die für weitgehende politische Handlungsfreiheit im Senat erforderliche Mehrheit von 60 Sitzen wohl für keine der
beiden Parteien erreichbar. Eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus würde einen
Zugewinn von 30 der insgesamt 435 Sitze erfordern. Politische Analysten halten dies für extrem
unwahrscheinlich. Eine solche Konstellation würde Clintons politische Handlungsfreiheit einschränken, ähnlich wie es bereits Barack Obama ergangen ist. Allenfalls in den ersten Monaten
nach ihrer Wahl dürfte Clinton das politische Kapital haben, um größere Politikinitiativen in die Tat
umzusetzen. Ihre, vorsichtig ausgedrückt, hohe Unpopularität bei vielen Republikanern lässt, wie
in den vergangenen Jahren, wenig parteiübergreifende Kooperation in Washington erwarten.
Präsident ohne
Unterstützung im
Kongress?
Ungewöhnlich ist in diesem Jahr, dass sich eine republikanische Mehrheit im Kongress auch für
den Republikaner eher als Bremse erweisen könnte. Zwar werden die Führer der Republikaner im
Kongress einem Präsidenten Trump die Gefolgschaft nicht völlig verweigern können. Im Gegensatz zu früheren Kandidaten kann er als selbsternannter Außenseiter, der nicht nur Wahlkampf
gegen seine Rivalen, sondern auch gegen den „Mainstream“ der eigenen Partei geführt hat, aber
nicht auf bedingungslose Unterstützung setzen. Dies gilt umso mehr, wenn Trumps Negativwerte
auf republikanische Kandidaten für den Kongress abfärben und er so mitverantwortlich wäre für
eine Schwächung der Partei im Kongress. Im Extremfall ist sogar vorstellbar, dass seine Kandidatur zwar ausreichend Unterstützer außerhalb der eigenen Partei findet, damit er gewählt wird, aber
gleichzeitig so viele „traditionelle“ Republikaner von seiner Person abgeschreckt zuhause bleiben,
dass die Demokraten die Kontrolle im Kongress übernehmen.
Republikanische Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses
Aktueller (114.) Kongress, Zahl der Sitze
Vakanzen
Unabhängige
1
Demokraten
Republikaner
246
188
Repräsentantenhaus (435 Sitze)
2
Demokraten
Republikaner
54
44
Senat (100 Sitze)
Quellen: Office of the Clerk, Helaba Volkswirtschaft/Research
Die Iowa Electronic Markets sehen aktuell die Konstellation „demokratischer Senat und republikanisches Repräsentantenhaus“ als wahrscheinlichstes Ergebnis (47,5 %) der Wahlen, gefolgt von
beiden Häusern in republikanischer Hand (30 %). Dies stellt gegenüber dem Anfang des Jahres
eine spürbare Verschiebung dar, als einem komplett von den Republikanern kontrollierten Kongress noch eine Wahrscheinlichkeit von 54 % zugerechnet wurde. Es wäre aber wohl übertrieben,
diese Entwicklung nur dem Kandidaten Trump anzulasten, da sich hier noch andere Ereignisse der
vergangenen Monate ausgewirkt haben dürften. Selbst wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahl für sich entscheiden kann, wird es mit dem Kongress ein wichtiges Korrektiv geben, das verhindern wird, dass seine „wilderen Ideen“ aus dem Wahlkampf umgesetzt werden. Es ist aber gar
nicht klar, in welchem Umfang er dies überhaupt versuchen würde.
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USA AKTUELL
Wahlkampf und Wirklichkeit: Unterschiedliche Welten
Nach einer Wahl neigt der Sieger meist dazu, sich nur an ausgewählte Wahlkampfversprechen
und -aussagen zu erinnern. Teilweise kann dies unvermeidbar sein, weil diese widersprüchlich
oder inkonsistent waren. Teilweise reflektiert es politische Realitäten – parlamentarische Mehrheitsverhältnisse oder (Schock!) leere Staatskassen. Manchmal liegen auch fundamentale Missverständnisse vor zwischen dem Publikum und dem Kandidaten, der im Wahlkampf sagt, was
seine Anhänger hören wollen, auch wenn er weiß, dass die Sachzwänge im Amt erheblich sein
werden. Als Beispiel sei nur an die Ekstase erinnert, mit der Barack Obama vor seinem Amtsantritt
2009 auch hier in Deutschland gefeiert wurde. Acht Jahre später ist von diesen Vorschusslorbeeren nicht viel übrig geblieben. Völlig überraschend hat sich Obama nämlich nicht als die erhoffte
Lichtgestalt, sondern als Berufspolitiker erwiesen, dessen Gesamtleistung je nach Standpunkt des
Beobachters sehr unterschiedlich bewertet wird, aber dessen große Erfolge innen- wie außenpolitisch relativ überschaubar sind.
Von den beiden Kandidaten hätte es Clinton diesmal schwerer, ihre als sehr „liberal“ (im amerikanischen Sinn) charakterisierten Positionen über Bord zu werfen. So würde sie wohl zumindest
versuchen, den nationalen Mindestlohn zu erhöhen, die Vakanz im obersten Gericht mit einem
linken (gewerkschaftsnahen) Juristen zu füllen, die Progression des Steuersystems zu verschärfen
und gegen die hohe Staatsschuld eher über höhere Steuern als über Ausgabenkürzungen vorzugehen. Sie wird aber voraussichtlich mit dem republikanischen Kongress eine ideale Ausrede
haben, warum sie weitergehende soziale Wohltaten und Maßnahmen gegen die zunehmende
Verteilungsungerechtigkeit nur eingeschränkt oder gar nicht umsetzen kann.
Trump hingegen tritt mit einem in vielen zentralen Fragen äußerst vagen „Programm“ an. Fehlende
Konsistenz oder die Abwesenheit einer klaren ideologischen Verortung würden es dem Unternehmer relativ leicht machen, aus „pragmatischen“ Gründen manche seiner Wahlkampfaussagen
einfach zu vergessen. Ob es ausgerechnet ihm gelingen würde, das dysfunktionale Unternehmenssteuersystem grundsätzlich zu reformieren, darf bezweifelt werden. In der Haushaltspolitik,
wo sich Trump (vielleicht unvorsichtigerweise) schon vergleichsweise konkret geäußert hat, hat ein
Institut nachgerechnet, dass zur Umsetzung seiner vollmundigen Ankündigungen über den Schuldenabbau entweder ein Wachstum von 10 % pro Jahr über zehn Jahre oder eine vollständige
Eliminierung aller Ausgaben des Bundes außerhalb des Verteidigungsbereichs nötig wären.
Bisher kein schlüssiges
Wahlprogramm
Eine Ausnahme von den zu erwartenden Kehrtwendungen in Einzelfragen ist wohl das Thema
Handelspolitik. Im Gegensatz zu vielen anderen Positionen, die zum Teil spontan im Wahlkampf
formuliert worden zu sein scheinen, hat sich Trump auf diesem Gebiet konsistent als Protektionist
positioniert. Bereits in den 1990er Jahren hat er die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA
scharf kritisiert. Ob sinnvoll oder nicht, ein Konfrontationskurs mit China in Handels- und Währungsfragen wäre unter Trump sehr wahrscheinlich. Weitere Abkommen wie TTIP würden auf Eis
Haushaltspolitik: Eingeschränkter Spielraum
Damals wie heute: Ein Drittel der Importe aus Asien
% am Bruttoinlandsprodukt
Anteil an den US-Warenimporten, %
% am Bruttoinlandsprodukt
90
45
80
40
70
35
60
30
30
50
25
25
40
20
20
30
15
0
20
10
-2
10
5
-4
0
0
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Staatsschulden*
(Bund, RS)
10
8
6
Haushaltsdefizit (Bund, LS)
4
2
1966
1976
1986
1996
2006
2016
2026
Ab 2016 Basisprojektion des CBO. * „Debt held by the public“.
Quellen: Congressional Budget Office (CBO), Helaba Volkswirtschaft/Research
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andere asiatische Länder*
35
15
China
10
5
0
1985
1990
1995
2000
2005
2010
2015
* Japan, Hongkong, Singapur, Indonesien, Taiwan, Malaysia, Thailand.
Quellen: Macrobond, Helaba Volkswirtschaft/Research
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USA AKTUELL
gelegt, auch wenn ihm der Kongress wohl nicht folgen würde, sollte er wie angekündigt versuchen,
alle bestehenden Handelsverträge „neu zu verhandeln“. Die Fixierung auf China birgt nicht nur das
Risiko einer außenpolitischen Krise, es geht letztendlich auch am Kern der wirtschaftlichen Probleme der USA vorbei. Gemessen an den Anteilen an den US-Importen ist die Gesamtquote „Ostasien“ seit Jahrzehnten erstaunlich stabil. Die gestiegenen Importe aus China gingen vor allem zu
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Lasten von Exporteuren aus anderen Ländern.
Fed: Politisch unabhängig
Aus unserer Sicht hat weder der Wahlkampf, noch der Ausgang der Wahlen für die Geldpolitik der
Fed eine unmittelbare Bedeutung. Schon 2004 waren sich viele Beobachter völlig sicher: „Im
Wahljahr kann die Fed den Zinserhöhungsprozess nicht starten!“. Dies stellte sich als Fehleinschätzung heraus. In diesem Zyklus ist seit der „Zinswende“ im Dezember 2015 der Stein schon
im Rollen. Die Fed ist zwar nicht politisch abhängig, hat aber den Fehler gemacht, als stark von
der Entwicklung an den Finanzmärkten beeinflusst zu erscheinen. Infolgedessen sind die Erwartungen des Marktes, wieviel geldpolitische Straffung sich die Fed wirklich „traut“, derzeit deutlich
niedriger als das, was die Notenbanker selbst für angemessen halten. Früher oder später muss die
Fed daher riskieren, „den Markt“ in dieser Hinsicht negativ zu überraschen. Je länger sie zögert
und je mehr sich die Überzeugung breit macht, dass bereits eine leichte Korrektur am Aktienmarkt
ausreicht, um die Notenbank in Panik zu versetzen, umso schwieriger wird dies. Insofern hat sich
die Fed durch ihre Strategie in eine indirekte Abhängigkeit von der Politik manövriert: Sollten die
Finanzmärkte unter einer zunehmenden politischen Unsicherheit leiden, könnte die Fed darauf
reagieren und die von uns erwarteten zwei Zinsschritte 2016 verschieben. Bisher verzeichnet ein
Index politischer Unsicherheit normale oder allenfalls leicht erhöhte Werte. Dies kann sich allerdings im Verlauf des Jahres noch ändern.
Politische Unsicherheit zuletzt auf „normalem“ Niveau
Index für Unsicherheit über die Wirtschaftspolitik und langfristiger Durchschnitt
300
300
250
250
200
200
150
150
100
100
50
50
0
1985
0
1987
1989
1991
1993
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
Quellen: policyuncertainty.com, Helaba Volkswirtschaft/Research
Fazit: …hat die Qual!
Unsicherheitsfaktor
Donald Trump
Unabhängig vom Ausgang der Wahlen am 8. November sind die Aussichten für eine weitere Liberalisierung des Welthandels trübe. Hillary Clinton ist, wohl aus wahlkampftaktischen Gründen, ins
Lager der Skeptiker gewechselt. Das größere Potenzial für außen- und wirtschaftspolitische Verwerfungen hätte jedoch sicher ein Wahlsieg Trumps. Bereits eine steigende Wahrscheinlichkeit
dieses Szenarios könnte daher an den Finanzmärkten zu Volatilität führen. Clinton hat zwar oft
nicht unbedingt die „marktfreundlicheren“ Politikansätze im Gepäck. Sie ist aber berechenbarer
und wegen ihrer politischen Erfahrung nicht wie Trump eine Quelle zusätzlicher Unsicherheit für
die Wirtschaft und die Finanzmärkte.
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Natürlich sind die Importe heute absolut viel höher als noch Mitte der 1980er Jahre. Gemessen an der Größe
der US-Wirtschaft hat sich aber seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr viel getan: Die Importquote am Bruttoinlandsprodukt lag zuletzt bei gut 14,5 %, verglichen mit rund 12 % 1996.
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