DARCY PADILLA / AGENCE VU / LAIF US-Präsidentschaftskandidat Trump im März in Florida: Das Phänomen ist größer als er selbst Herrschaft des Mobs Essay Mit Donald Trump kommt der Faschismus nach Amerika. Von Robert Kagan Kagan, geboren 1958, gilt als Vordenker der US-amerikanischen „Neocons“, er beriet unter anderen die republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain und Mitt Romney. In einem berühmt gewordenen Essay prägte Kagan 2003 die Formulierung, die Amerikaner lebten auf dem Planeten des Kriegsgottes Mars, die Europäer hingegen auf dem der Liebesgöttin Venus. Man hätte deshalb vermuten können, dass er zumindest Donald Trumps außenpolitische Vorstellungen teilt. Doch Kagan, Senior Fellow an der Brookings Institution, einem einflussreichen Thinktank in Washington, D. C., und zudem Kolumnist der „Washington Post“, spricht sich so scharf gegen den Kandidaten Trump aus wie kaum ein anderer konservativer Intellektueller. er Versuch der Republikanischen Partei, Donald Trump als normalen Präsidentschaftskandidaten zu behandeln, wäre lachhaft, wäre er nicht derart gefährlich für das Land. Würde Trump einfach bloß über konservative Grundsätze der Partei schwadronieren – alles wäre gut. Aber das Phänomen Trump hat gar nichts mit Politik oder Ideologie zu tun. Es hat auch nichts mit den Republikanern zu tun, abgesehen von deren Rolle als Brutkasten für diese nie gekannte Bedrohung unserer Demokratie. Trump hat die Partei, die ihn hervorgebracht hat, längst hinter sich gelassen. Seine wachsende Armee von Unterstützern interessiert sich überhaupt nicht mehr für die Partei. Weil sie Trump nicht sofort begeistert akzeptiert hat, weil eine schwindende Anzahl ihrer Anführer und ihrer Vordenker sich immer noch gegen ihn sträubt, wird D 138 DER SPIEGEL 22 / 2016 die Partei von seinen Anhängern mit Argwohn und sogar Feindseligkeit betrachtet. Sie folgen ihm und nur ihm. Was ist der Grund dafür? Wir sollen glauben, dass die Unterstützung für Trump auf die wirtschaftliche Stagnation, auf den Abbau von Arbeitsplätzen zurückzuführen sei. Zum Teil ist das vielleicht sogar der Fall. Aber Trump bietet seinen Anhängern ja gar keine Mittel gegen die Krise – seine Vorschläge ändern sich täglich. Was er anbietet, ist eine Haltung, die Aura von grobschlächtiger Stärke und Machismo, die prahlerische Missachtung der Feinheiten der demokratischen Kultur, die, wie er behauptet und wie seine Anhänger glauben, landesweit nur Schwäche und Inkompetenz hervorgebracht haben. Wenn seine Äußerungen auch zusammenhanglos und widersprüchlich sind, so haben sie doch eines gemein: Trump provoziert, er spielt mit Unmut und Verachtung, dazu kommt ein bisschen Angst, Hass und Wut. Seine öffentlichen Äußerungen bestehen darin, ein breites Spektrum der jeweils „anderen“ zu attackieren oder zu verspotten – Muslime, Hispanics, Frauen, Chinesen, Mexikaner, Europäer, Araber, Immigranten, Flüchtlinge – entweder stellt er sie als Gefahr dar, oder er verhöhnt sie. Sein Programm besteht vornehmlich aus dem Versprechen, bei Ausländern und Menschen mit nicht weißer Hautfarbe eine härtere Gangart einzuschlagen. Er wird sie abschieben, wegsperren, sie dazu bringen zu kuschen, er wird sie zur Kasse bitten oder sie zum Schweigen bringen. Dass diese harte Tour nach dem Motto „Rache ist süß“ ihm eine immer größer werdende, begeisterte Anhängerschaft eingebracht hat, dürfte Trump vermutlich ebenso Kultur sehr überrascht haben wie alle anderen. Trump ist ein Egomane im wahrsten Sinne des Wortes. Aber das Phänomen, das er erschaffen hat und jetzt anführt, ist längst größer als er selbst, und es ist weitaus gefährlicher. epublikanische Politiker staunen, wie er sich eine bislang unbekannte Seite der Wählerschaft zunutze gemacht hat. Was er sich dabei zunutze gemacht hat, ist allerdings das, was die Gründerväter am meisten gefürchtet haben, als sie die amerikanische Demokratie begründeten: die entfesselten Gefühle der breiten Masse, die Herrschaft des Mobs. Seit Jahrzehnten warnen Konservative vor einer Regierung, die alle Freiheit erstickt. Aber dies hier ist die andere Bedrohung der Freiheit, vor der Alexis de Tocqueville und die Philosophen der Antike gewarnt haben: dass in einer Demokratie die Bürger selbst in ihrer ungezügelten Wut genau die Institutionen mit Füßen treten könnten, die erschaffen wurden, um ihre Freiheiten zu bewahren. Als Alexander Hamilton den Ausbruch der Französischen Revolution beobachtete, fürchtete er, was sich in Frankreich abspielte, könnte auch Amerika bedrohen – dass die ungebremsten Leidenschaften der Massen nicht zu mehr Demokratie führen würden, sondern dazu, dass ein Tyrann in Erscheinung träte, der, von der Masse getragen, zur Macht gelangen würde. Im Laufe des vergangenen Jahrhunderts ist dieses Phänomen auch in anderen demokratischen und quasidemokratischen Ländern aufgetreten und wurde gemeinhin als Faschismus bezeichnet. Faschistische Bewegungen hatten ebenfalls keine in sich geschlossene Ideologie, keine Rezepte für das, was die Gesellschaft plagte. Der Nationalsozialismus bestand aus einem Haufen Widersprüche, in erster Linie vereint dadurch, was und wen er ablehnte. Der Faschismus in Italien war antiliberal, antidemokratisch, antimarxistisch, antikapitalistisch und antiklerikal. Der Erfolg des Faschismus war nicht durch seine Politik geprägt, sondern es ging um den starken Mann an der Spitze, den Anführer (Il Duce, Der Führer), dem man das Schicksal der Nation anvertrauen konnte. Welches Problem auch immer, er konnte es lösen. Welche Bedrohung auch immer, von innen heraus oder von außen, er konnte sie bezwingen; und es war nicht nötig, dass erklärt wurde, wie. Heute gibt es den Putinismus, der gleichermaßen nichts mit Überzeugung oder Politik zu tun hat. Hier herrscht ein harter Mann, der sein Volk im Alleingang vor sämtlichen Bedrohungen beschützt, sowohl aus dem Ausland als auch im Inland. Um zu verstehen, wie solche Bewegungen in einer Demokratie die Macht ergreifen, muss man sich nur die Republikanische Partei in ihrem jetzigen Zustand ansehen. Und das Spiel mit Ängsten, Eitelkeiten, Begierden und Unsicherheiten, das derartige Bewegungen treiben. In Demokratien sind die Wünsche der Wähler das Einzige, was wirklich zählt, zumindest für Politiker: Vox populi, vox Dei. Eine politische Massenbewegung ist deshalb eine mächtige Waffe, und für diejenigen, die sie ablehnen, auch eine furchterregende. Von einem einzigen Anführer kontrolliert, kann sie sich gegen jeden richten, den der Anführer bestimmt. Kritisiert jemand den Anführer oder widersetzt sich ihm, spielt es keine Rolle, wie beliebt diese Person bislang war oder wie sehr sie bewundert wurde. Er mag ein berühmter Kriegsheld sein, wenn aber der Anführer seine Heldentaten verspottet und verhöhnt, lachen und johlen die Anhänger. Er mag der ranghöchste gewählte Hüter hochgeschätzter Prinzipien sein. Wenn er aber zögert, den Anführer zu unterstützen, muss er damit rechnen, dass es mit seiner politischen Karriere zu Ende geht. R Angesichts dessen hat jeder Politiker die Wahl: Entweder er kommt gut mit dem Anführer und seinen Gefolgsmassen aus, oder er wird überrannt. Unter solchen Umständen lässt sich die Menschheit in vorhersehbare Kategorien einteilen – und demokratische Politiker sind besonders vorhersehbar. Da sind diejenigen, die ihres Ehrgeizes wegen zu Trittbrettfahrern werden. Sie preisen die zusammenhanglosen Reden des Anführers als Quell aller Weisheit: in der Hoffnung, dass er sie, wenn die neue Zeit erst angebrochen ist, mit einem Traumposten belohnt. Dann sind da diejenigen, die einfach nur überleben wollen: Ihr Gewissen lässt es nicht zu, sich derart schamlos anzubiedern. Wie die Opfer in Stalins Schauprozessen geloben sie murmelnd ihre Treue und begreifen wahrscheinlich gar nicht, dass der Anführer und seine Anhänger sie am Ende sowieso drankriegen. Sehr viele werden sich einfach selbst in die Tasche lügen und nicht zugeben wollen, dass da etwas im Gange ist, was von der politischen Normalität komplett abweicht. Sie bilden sich ein, man könne den Sturm vorbeiziehen lassen und dann die Trümmer wegräumen, alles wieder aufbauen und zur Normalität zurückkehren. Und in der Zwischenzeit bloß nicht die Massen verprellen. Letztendlich sind sie ja Wähler und müssen zurück in den Schoß der Familie. Was Trump betrifft, müsste man ihn eben beeinflussen, beraten, in die richtige Richtung lenken und, ganz nebenbei, die eigene politische Haut retten. as diese Leute nicht sehen oder nicht sehen wollen, ist, dass Trump, wenn er erst einmal an der Macht ist, ihnen und ihrer Partei nichts schuldet. Er wird ungeachtet der Partei den Thron erklommen haben, ins Weiße Haus katapultiert von einer Anhängerschaft, die nur ihm treu ergeben ist. Bis dahin wird die Zahl seiner Anhänger dramatisch gestiegen sein. Bislang haben weniger als fünf Prozent der Wahlberechtigten für Trump gestimmt. Wenn er aber die Wahl gewinnt, werden seine Legionen wahrscheinlich landesweit die Mehrheit haben. Man stelle sich die Macht vor, die er dann hätte. Zusätzlich würden die immensen Befugnisse des amerikanischen Präsidenten unter sein Kommando fallen: das Justizministerium, das FBI, die Geheimdienste, das Militär. Wer würde es dann wagen, sich ihm zu widersetzen? Sicherlich nicht eine Republikanische Partei, die sich ihm zu Füßen gelegt hat, selbst als er verhältnismäßig schwach war. Und ist es wahrscheinlich, dass ein Mann wie Trump, der dann mit einer unendlich größeren Macht ausgestattet wäre, bescheidener, umsichtiger, großzügiger und weniger rachsüchtig sein würde, als er es heute ist, als er es zeitlebens war? Macht enorme Macht etwa nicht korrupt? So kommt der Faschismus nach Amerika. Nicht in Marschstiefeln und mit militärischem Gruß (obwohl es einen Salut gab und ein Anflug von Gewalt spürbar war), sondern in Gestalt eines TV-Promis, eines verlogenen Milliardärs, eines Egomanen wie aus dem Lehrbuch, der sich gängige Ressentiments und Unsicherheiten zunutze macht, und mit einer Partei, die sich ihm im ganzen Land angeschlossen hat – entweder von Ehrgeiz oder blinder Loyan lität geleitet oder einfach nur aus Angst. W Ein Egomane wie aus dem Lehrbuch, der sich gängige Ressentiments und Unsicherheiten zunutze macht. DER SPIEGEL 22 / 2016 139
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