S A M STAG , 1 5 . AU G U ST 2 0 1 5 KU N D E N S E R V I C E 0 8 0 0 / 9 3 5 8 5 3 7 D 2,60 E URO Steinbach verrät, warum sie für Gysi schwärmt Zippert zappt I THEMEN Die streitbare Politikerin im „Welt“-Interview Über den goldenen Mercedes 560 SEC, der mit „Bang Boom Bang“ berühmt wurde Seite 14 FINANZEN Deutschland leistet sich fünf Steuern auf Alkohol Seite 17 WISSEN Neue Tests machen Früherkennung von Krebs einfacher Seite 22 KOMMENTAR Athen verdient unseren Respekt U L F P O S C H A R DT gliedern des Parlaments. Mit Blick auf die Abweichler im linken Flügel seiner SyrizaPartei sagte Tsipras: „Wer glaubt, er hätte etwas Besseres erreichen können, der soll es uns sagen.“ Tsipras bezog sich in seiner Rede vor dem Athener Parlament mehrmals auf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), dem er indirekt vorwarf, die Vereinbarungen mit Griechenland wieder rückgängig machen zu wollen. Manche Politiker warteten nur darauf, „dass wir die eine oder andere Maßnahme nicht umsetzen“, um ihre Vorschläge – gemeint sind ein möglicher Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone oder ein Überbrückungskredit – wieder auf die Tagesordnung setzen zu können. Ein Überbrückungskredit würde zu einer Krise ohne Ende führen, meinte der Ministerpräsident. Am Freitagnachmittag wollte die Euro-Gruppe über das Hilfsprogramm entscheiden. In Brüssel wurden vor allem wegen der deutschen Nachbesserungsforderungen lange und schwierige Verhandlungen erwartet. Dem Treffen sollte auch IWF-Chefin Christine Lagarde per Video zugeschaltet werden. HAVANNA – Vor mehr als 50 Jahren holten drei US-Marine-Infanteristen nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Kuba die amerikanische Flagge vor der Botschaft in Havanna ein, nun haben genau diese Veteranen das Sternenbanner wieder gehisst. Die drei einstigen Soldaten begleiteten Außenminister John Kerry am Freitag zur feierlichen Wiedereröffnung der USBotschaft in Havanna. „Das Ziel all dieser Veränderungen ist, den Kubanern zu helfen, sich mit der Welt zu verbinden und ihr Leben zu verbessern“, sagte Kerry, der sich mit einigen Sätzen auf Spanisch auch direkt an die Kubaner richtete. „Habt keine Angst“, sagte er. Zugleich sprach er Menschenrechtsverstöße auf der Karibikinsel an. Washington werde die kubanische Regierung weiter dazu drängen, ihre Verpflichtungen aus internationalen Verträgen einzuhalten. Es sei klar, dass beide Staaten trotz der neuen Diplomatie nicht immer einer Meinung sein würden. „Wir werden sehr davon profitieren, wenn wir unseren Bürgern erlauben, sich besser kennenzulernen.“ riechenland kehrt zur Realpolitik zurück. Der Sommer der Anarchie in Athen ist beendet. In einer würdigen Parlamentsdebatte hat Ministerpräsident Alexis Tsipras ein für die Griechen ebenso weitreichendes wie herausforderndes Reformprogramm durchgesetzt. Dafür verdient er Respekt. Die Einheit seiner Partei und seiner Regierung hat er dabei geopfert. Nachdem er die verlockenden Pfade des Populismus verlassen hat, drohen die Mühen der Realpolitik. Tsipras ist dort angekommen, wo Europa ihn haben wollte: in der Sinn- und Verantwortungsmatrix der gemeinsamen Sache. Der Konflikt der Euro-Länder mit den Griechen hat verdeutlicht, dass Realpolitik nicht alternativlos ist, aber die Alternativen drastisch sind: Entweder die Rebellen verlassen den Euro-Raum oder sorgen für einen revolutionären Kurswechsel in der EU. Eine Revolution, subventioniert von Konservativen, wird es aber nicht geben. Zuletzt wurde viel in der Euro-Diskussion auf die ökonomische Ebene reduziert. Im Geflecht von Märkten, Banken und Währungen wurde das eminent Politische der Situation ignoriert. Angela Merkel hat – im Gespann mit „bad cop“ Wolfgang Schäuble – vor allem darauf hingearbeitet, die europäische Illusion vom einfachen und bequemen Weg zu zerstören. Diese hätte die Politpubertierenden in Spanien und Italien aufgewertet. Stattdessen wird das Zerbrechen der Syriza wie auch dieser unseligen Querfrontregierung allen Populisten die Laune am Systemwechsel vermiesen. Dass die Wirklichkeit gegen die Träume gesiegt hat, ist denkbar unpoetisch, aber für Europa und seine Probleme ein Fortschritt. Tsipras muss nahezu alle Positionen seines Wahlkampfs vor der Volksabstimmung einkassieren. In einigen Punkten handelt er mutiger als sein bürgerlicher Vorgänger Samaras. Experten gilt der Finanzminister Euklid Tsakalotos als Baumeister des neuen Kurses. Der in Oxford studierte Marxist verwechselt anders als sein politikdarstellender Vorgänger das Regierungsamt nicht mit einem gut ausgeleuchteten Solo in der Gesinnungsoper, sondern dient dem Volk. Wahrscheinlich kommt es zu Neuwahlen, wahrscheinlich wird die nächste Regierung breiter und weniger extrem aufgestellt, und wahrscheinlich wird den Griechen nicht alles gelingen, was sie sich vorgenommen haben. Politisch aber sind sie wieder Teil Europas. Und wenn es Marxisten sind, die das Land reformieren, das Wunderbare an der Demokratie ist, dass jeder seine Chance bekommen und sie nutzen kann. Tsipras und sein Finanzminister haben sich für Ersteres entschieden. Ein guter Tag für Europa. Siehe Kommentar und Seite 9 Kommentar Seite 3, Seite 7 [email protected] Schiff der Hoffnung In Griechenland hat die Fähre „Eleftherios Venizelos“ die Ägäisinsel Kos erreicht, wo Tausende Flüchtlinge – vor allem aus Syrien – angekommen sind. Die Behörden sind mit der Versor- gung überfordert. Das Schiff kann bis zu 2500 Menschen an Bord nehmen und soll auch als Registrierungsbüro dienen, wo Flüchtlinge vorläufige Reisedokumente erhalten. Seiten 5 und 6 Tsipras opfert seine Regierung für Reformen Seite 5 Kerry verspricht Kuba eine gute Nachbarschaft Griechischer Ministerpräsident bringt Sparpaket nur mit Hilfe der Opposition durch. Spekulationen über Vertrauensfrage am 20. August MOTOR Erika Steinbach, Bundestagsabgeordnete der CDU und bekannt für ihre stramm konservativen Positionen, schwärmt ausgerechnet für Linke-Fraktionschef Gregor Gysi. „Er ist witzig, ein glänzender Redner und Pragmatiker“, sagte Steinbach der „Welt“. In der vergangenen Woche hatte sie angekündigt, nach einem Vierteljahrhundert im Bundestag bei der nächsten Wahl 2017 nicht wieder kandidieren zu wollen. Das Allerbeste sei es, selbst zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufhören sei, und nicht entscheiden zu lassen, sagte Steinbach. Mit Blick auf die bevorstehende Entscheidung des Bundestags zum Hilfspaket für Griechenland kündigte sie an, dass sie nicht zustimmen werde. Es gebe Entscheidungen, „wo das eigene Gewissen und die eigene Beurteilung eines Sachverhalts so massiv dem entgegenstehen, dass es unmöglich wird, mit der eigenen Fraktion zu stimmen“. Nach dem Ausscheiden aus dem Parlament in zwei Jahren wolle sie endlich ihre „stattliche Büchersammlung“ ordnen, damit sie Gesuchtes auch wiederfinde. ** BERLIN – REUTERS/ALKIS KONSTANTINIDIS; FABIAN HOBERG nnenminister de Maizière hat nach längeren Untersuchungen, teilweise unter Beteiligung von Wissenschaftlern, herausgefunden, warum so viele Flüchtlinge so gerne nach Deutschland kommen. An ihm liegt es ganz sicher nicht und auch nicht an Horst Seehofer, der Grund ist das Geld. Asylsuchende werden in Deutschland mit Geld überschüttet, jeder, der hier registriert wird, erhält sein Körpergewicht in Gold, dazu 20.000 Euro in bar, ein Aktienpaket mit den führenden Dax-Titeln sowie ein Auto, eine Eigentumswohnung und eine Festanstellung. Das sind Leistungen, von denen die eingeborenen Hartz-IV-Empfänger nur träumen können. Kein Wunder, dass diese Ungleichbehandlung für Unmut sorgt. Das will de Maizière endlich ändern und statt Geld Gutscheine ausgeben. So bekommt jeder Flüchtling einen Gutschein für einen alkoholfreien Willkommensdrink, der bei der Auffanglagerleitung zwischen 11.45 Uhr und 12.30 Uhr abgeholt werden kann. Dazu erhält jeder einen Willkommenskulturbeutel mit einem Porträt des Innenministers, einer Deutschlandfahne und einer Puppe in bayerischer Tracht, die „Das Boot ist voll“ sagen kann. B N ach der Billigung eines neuen Hilfsprogramms im griechischen Parlament ist die Zukunft der Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras ungewiss. Auf eine eigene Koalitionsmehrheit konnte sich der Regierungschef bei der Abstimmung am Freitag erneut nicht stützen – er war auf Stimmen aus dem Oppositionslager angewiesen. Angesichts der steigenden Zahl von Abweichlern in den eigenen Reihen wolle Tsipras nach dem 20. August die Vertrauensfrage stellen, hieß es in Athener Regierungskreisen. An diesem Tag muss Griechenland der Europäischen Zentralbank (EZB) Anleihen und darauf fällige Zinsen im Gesamtumfang von rund 3,4 Milliarden Euro zurückzahlen. Bis dahin erhofft Athen sich die Auszahlung einer ersten Tranche aus dem Hilfsprogramm. Regierungssprecherin Olga Gerovasili wollte die Berichte über die Vertrauensfrage weder bestätigen noch dementieren. „Es wird das geschehen, was nach der Verfassung und den Statuten des Parlaments geschehen muss“, sagte sie. Tsipras könnte auch ein Regierungsbündnis mit Parteien der Opposition schließen. Bisher hatte sich der Regierungschef aber gegen eine solche Allianz ausgesprochen. Nach einer nächtlichen Marathonsitzung hatten am Freitag nur 118 der 162 Abgeordneten der Links-rechts-Koalition für das Hilfspaket gestimmt. Dennoch bekam das Paket eine ausreichende Mehrheit. Mit Ja stimmten bei der namentlichen Abstimmung 222 von 297 anwesenden Mit- IWF BETEILIGT SICH NOCH NICHT Ob sich der Internationale Währungsfonds (IWF) an dem dritten Programm beteiligt, wird er erst im Herbst entscheiden. Der Fonds wird somit an einer ersten Auszahlung von absehbar 23 Milliarden Euro nicht teilnehmen. Erst im Rahmen der ersten Prüfrunde, bei der es um die Einhaltung der von Athen gemachten Reformzusagen geht, wollen die Währungshüter dann entscheiden, ob sie einsteigen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte stets erklärt, eine Beteiligung des IWF sei entscheidend. Erstmals seit 1961 weht US-Flagge in Havanna G ANZEIGE AUS ALLER WELT „German Bakery“ backt mitten in Utah deutsches Brot Seite 28 Seite 17 DOW Xetra-Schluss EZB-Kurs 17.40 Uhr 10.985,14 1,1171 17.425,97 –0,27% +0,56% +0,10% Punkte US-$ Diskutieren Sie mit uns auf Facebook facebook.com/welt Jetzt anmelden und mitbieten! Urlaub wollte er sich nehmen. „Völlig frei von den Sorgen und dem Ärger des menschlichen Alltags sein“, wie er in einem Inan stelle sich vor: Es ist ein schöner Tag in den Schweiterview erklärte. Um ein möglichst authentisches Leben als Bergzer Alpen. Saftige Wiesen, leichter Nebel. Eine Ziegenziege zu führen, fertigte Thwaites sich sogar spezielle Prothesen. herde grast auf dem Grün. Plötzlich entdeckt man inDiese ermöglichten ihm den Vierfüßlergang und brachten ihn auf mitten der Ziegen einen Mann, der sich auf Augenhöhe mit den Tieren. Einmal so simallen vieren fortbewegt und aussieht, als pel wie möglich leben: herumlaufen, grawürde er grasen. So oder so ähnlich muss es sen, schlafen. Anstrengend waren die Tage sich abgespielt haben. Thomas Thwaites, ein als Ziege trotzdem: Die Kälte machte dem britischer Künstler, hat für ein Experiment Künstler schwer zu schaffen, von den Proeinige Tage mit einer Ziegenherde verbracht. thesen schmerzten Glieder und Gelenke. „GoatMan“ – so heißt sein Projekt, über das Die Witterung zwang ihn dazu, nachts in es im September eine Ausstellung in London einem Zelt zu schlafen. Drei Tage verbrachund Anfang 2016 auch ein Buch geben wird. te der Künstler mit der Herde. Ein Bauer, „GoatMan: How I Took a Holiday from der Mensch und Ziegen beobachtete, Spezielle Prothesen bringen Thomas Being Human“ („Wie ich Urlaub vom meint, die Tiere hätten den Fremden tatThwaites auf Augenhöhe mit der Ziege Menschsein nahm“) wird es heißen. sächlich akzeptiert. Punkte Wir twittern live aus dem Newsroom M ©TIM BOWDITCH Leicht im Minus EURO Ein britischer Künstler mischt sich unter eine Herde – und wird akzeptiert DANIEL KRÜGER DAX DAX Ein Leben als Ziege twitter.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle Entdecken Sie auf welt-bietet.de wöchentlich neue spannende Produkte und Dienstleistungen. Bieten Sie für Ihr Wunschangebot mit und sparen Sie bis zu 50% vom Originalpreis. DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. 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