Neuö Zürcör Zäitung NZZ – INTERNATIONALE AUSGABE gegründet 1780 Samstag/Sonntag, 14./15. Februar 2015 V Nr. 37 V 236. Jg. www.nzz.ch V € 2.90 Vorbilder für eine Imam-Ausbildung Die Eurokraten und der Spielverderber Schwere Kämpfe im Donbass Muslime eifern den Kirchen nach Der griechische Regierungschef Tsipras stört den gemächlichen Gang der Euro-Rettung. Und das ist gut so, weil dies die Staaten der Währungsunion zwingt, sich mit verdrängten Fragen zu beschäftigen. Von Eric Gujer Nach vereinbarter Waffenruhe Saint-Gobain sieht Sika-Kauf auf Kurs Chef de Chalendar im Gespräch sco. V Pierre-Andre´ de Chalendar, dem Chef des französischen Baukonzerns Saint-Gobain, schlägt seit Bekanntgabe der Übernahmepläne für den Bauchemiehersteller Sika erbitterter Widerstand vonseiten der Verwaltungsräte und Angestellten entgegen. Im Gespräch beruft er sich erneut auf den gültigen, gegenseitig bindenden Kaufvertrag, den er mit der Familie Burkard unterschrieben hat. Er ist zuversichtlich, dass die Transaktion wie geplant im zweiten Semester des laufenden Jahres über die Bühne gehen wird. Wirtschaft, Seite 13 Heikle Entscheide über Kontingente Neue Zuwanderungskommission hus. V Im Vorschlag des Bundesrats zur Umsetzung der Einwanderungsinitiative spielt die geplante Zuwanderungskommission die zentrale Rolle bei der Festsetzung und Verteilung der Kontingente. Laut der vom Bundesrat bevorzugten Variante hätten darin nur Migrations- und Arbeitsmarktbehörden Einsitz, nicht aber die Sozialpartner. Ob die Kommission eine Reduktion der Einwanderung im Vergleich zu den letzten Jahren durchsetzen würde, ist unsicher. «Reflexe», Seite 10 Wirtschaft, Seite 11 WETTER Bewölkt und später Niederschläge Im Norden meist bewölkt bei –1 bis 5 Grad. Im Laufe des Tages in der Westund Nordwestschweiz sowie zeitweise im Mittelland Niederschlag, Schneefallgrenze bei 700 bis 1000 Metern. Am östlichen Alpennordhang föhnige Aufhellungen. Alpensüdseite und Engadin: bedeckt und Niederschlag. Seite 39 BÖRSE Dow Jones 18008,68 0,20% 8660,88 0,58% Euro in Franken 1,0611 –0,03% Erdöl (WTI in $) 53,16 3,61% SMI Kursfeststellung um 15.50 Uhr ME(S)Z. Q Seite 15 Selten ist eine vollmundige Ankündigung in so kurzer Zeit als Bluff entlarvt worden. Vor drei Wochen hat Alexis Tsipras die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, er werde die internationalen Gläubiger Mores lehren. Jetzt musste er bereits die erste Niederlage einstecken, seine Werbetour durch die europäischen Hauptstädte endete in einem Fehlschlag. Wo immer er an die Türe klopfte und um weitere Almosen für sein bankrottes Land bat, erhielt er eine Abfuhr. Nicht nur die notorischen Sparapostel in Berlin lehnten seine Forderungen ab, auch in Paris und Rom musste sich Tsipras anhören, dass Griechenland die mit der Troika geschlossenen Vereinbarungen einhalten und seine Schulden bedienen müsse. Ungewollt zerstörte der forsche Regierungschef damit die überlebensgrosse Legende der Euro-Krise: die unvermeidliche Spaltung der EU in Nord und Süd. Auch Spanien und Portugal haben für die griechischen Kredite gebürgt, sie sind vom Athener Allotria sogar noch stärker betroffen als Deutschland. Würde Tsipras einen substanziellen Rabatt durchsetzen, müssten die Regierungen in diesen Ländern ihren Wählern erklären, wieso sie die harten Bedingungen der Rettungspakete eingehalten haben. Führt die neue Koalition Griechenland hingegen in den Abgrund der offiziellen Zahlungsunfähigkeit, können sich die Südstaaten ausrechnen, dass die Turbulenzen ihre Finanzierungsmöglichkeiten verteuern. Es geht um mehr als nur ums Geld Eigentlich kann Europa Tsipras für seine ungestüme Art geradezu dankbar sein, weil er zwei Grundtatsachen der Europäischen Union in Erinnerung ruft. Diese ist noch immer ein Klub von Nationalstaaten, die zunächst jeweils ihren eigenen Vorteil suchen. Allem Gerede von der «immer engeren Union» zum Trotz kennt die innereuropäische Solidarität klare Grenzen. Im Überschwang der Schulden-Vergemeinschaftung ging vergessen, dass auch in der Union eigentlich das Prinzip der Selbstverantwortung gilt. Die EU war nie als Hängematte gedacht, in der sich reformfaule Länder ausruhen können. Illusionskünstler wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bemühen sich zwar, mit europäischen Investitionsprogrammen den Eindruck zu erzeugen, es gebe in finanziellen und wirtschaftlichen Fragen einen gemeinsamen europäischen Geist, doch dies ist bürokratisches Blendwerk. Jeder macht sein Ding. Dies verhindert, dass die EU ihr Potenzial ausschöpft, bremst aber zugleich den Zentralismus. Wenn aber alle Mitglieder primär ihre eigenen Interessen verfolgen, kann dies Deutschland auch. Der von französischer und italienischer Seite erhobene Vorwurf, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble zeigten keine Empathie für die sozialen Nöte des Südens, ist heuchlerisch und dient dem Zweck, Deutschland zu Zugeständnissen zu nötigen. Auch Fran¸cois Hollande und Matteo Renzi lassen andere Länder abblitzen, wenn es um ihre Portemonnaies geht. Die zweite Lehre des Alexis Tsipras lautet, dass sich die Politik nicht dauerhaft aus der Euro-Zone verbannen lässt. Ihren Mitgliedern ist es nie gelungen, den Konstruktionsfehler der Währungsunion anzugehen, weil die Lösungsvorschläge zu weit auseinanderliegen. Sie konnten sich nicht einigen, in welche Richtung sich dieser Homunkulus entwickeln soll, der zwar eine Währung hat, aber keine länderübergrei- fende Steuer- oder Haushaltspolitik. Deshalb schoben sie das Problem an die Europäische Zentralbank weiter, die den Markt mit Geld überflutet und so die grundlegenden Mängel übertüncht. Nachdem man lange versichert hatte, die Krise sei überwunden, genügte jedoch ein zähnefletschender Jungpolitiker, um die Schein-Sicherheit der letzten Zeit zu zerstören und die Euro-Zone wieder in einen aufgeregten Hühnerhof zu verwandeln. Berlin fühlte sich sogar bemüssigt, den griechischen Wählern präventiv mit allen Höllenstrafen zu drohen, sollten sie ihr Kreuz an der falschen Stelle machen. Die Hellenen liessen sich davon allerdings nicht beeindrucken und pochten auf den Primat der Politik. Tatsächlich geht es nicht nur ums Geld, das sich angesichts der Liquiditätsschwemme ohnehin in eine fiktive Grösse mit unfasslich vielen Nullen verwandelt zu haben scheint. Entscheidend ist, was die Währungsunion politisch sein will: eine wirtschaftlichem Wachstum und finanzieller Stabilität verpflichtete Gemeinschaft; ein Haufen von Ländern, die auf Pump leben und sich durchmogeln; oder gar ein Versuchslabor für antikapitalistische Ideen. Solange hier keine Klärung erfolgt, wird die Euro-Zone nicht auf einen Erfolgspfad zurückkehren. Vor dem griechischen Debakel waren die Anleger bereit zu glauben, dass die Währungsunion mit ihren Geburtsfehlern schon irgendwie zurande kommen würde. Dieses Grundvertrauen in die prästabilierte Harmonie des Euro wird nicht mehr zurückkehren. Neues Vertrauen kann auch die Zentralbank nicht schaffen, deren Ruf durch die unzähligen Feuerwehrübungen ohnehin gelitten hat. Hier müssen schon die Regierungen der Euro-Zone tätig werden, indem sie diese wieder auf eine sichere Grundlage stellen. Die Legitimation der EU erodiert Die EU war stets stolz darauf, eine Gemeinschaft des Rechts zu sein. Ihre Regeln galten für neue und alte, grosse und kleine Mitglieder. Doch dieses Fundament hat Risse bekommen. Das Verbot der Rettung von Pleite-Staaten wurde geschleift, der Stabilitätspakt ist sein Papier nicht wert. Wenn Frankreich ungestraft gegen den Pakt verstossen kann und die Auflagen für Griechenland abermals gelockert werden, geht weiteres Vertrauen verloren. Die Regeln müssen wieder für alle verbindlich sein, sonst erodiert die Legitimationsbasis der Union. Wenn sich die Rechtsordnung der EU immer weiter verflüssigt, mit welcher Begründung kann dann die Kommission von der Schweiz noch verlangen, die bilateralen Verträge, die sich angeblich nur mit Mühe aufdatieren lassen, in ein institutionelles Rahmenabkommen zu überführen? Nur mit dem Recht des Stärkeren? Gerade im Verkehr mit Drittstaaten pocht Brüssel auf die moralische Kraft seiner Normen. Es wäre fatal, wenn die europäische Rechtskultur endgültig auf dem Altar der Euro-Rettung geopfert würde. Die EU muss ihre Prinzipien verteidigen und darf nicht immer weitere Konzessionen machen. Will sich Griechenland den Spielregeln nicht fügen, muss es eben aus dem Währungsverbund austreten. Merkel und der Zentralbank-Chef Mario Draghi haben den Eindruck erweckt, bei der Notoperation an der Einheitswährung gehe es um technische Fragen, die sich mit einer Notenpresse und etwas Geduld lösen liessen. Der Machtwechsel in Athen macht deutlich, dass hier sehr viel mehr auf dem Spiel steht. FEUILLETON ZÜRICH UND REGION Seite 3 Seite 21 Seite 33 .............................................................................. .............................................................................. .............................................................................. INTERNATIONAL Hamas ist in Gaza populär wie eh und je SCHWEIZ SPORT SRG will ausländische Trotz Abstiegskampf Firmen zur Kasse bitten denkt der BVB gross Seite 6 Seite 31 Seite 37 .............................................................................. .............................................................................. .............................................................................. WIRTSCHAFT SCHWEIZ SPORT Seite 9 Seite 32 Seite 38 Die Credit Suisse hält die Stellung Börsen und Märkte 15 Währungsschock trifft Walliser hart Panorama 20 Sport 37, 38 Finanzmarkt 4 Kunsthandel 4 Spuren der letzten Schlacht in Sri Lanka Fünf Jahre nach dem Bürgerkrieg ks./ran. V Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist seit über fünf Jahren beendet, doch die Wunden sind noch längst nicht vernarbt. Das zeigt sich in Colombo und erst recht um den Küstenort Mullaitivu, wo die letzte Schlacht geschlagen wurde. Nirgends waren die Zerstörungen umfassender, nirgends der Blutzoll höher als in dieser Region im Nordosten des Landes. Zwar wurde auch hier vieles wiederaufgebaut, die Spuren des Krieges sind aber noch nicht beseitigt. Hier leben Tamilen heute in einem trostlosen «Modelldorf». International, Seite 7 Turkish Stream soll South Stream ersetzen Russische Gaspipeline in die Türkei ks. V Der russische Erdgaskonzern Gazprom zeigt sich entschlossen, eine neue Pipeline zu bauen. Nachdem das Projekt South Stream Ende vergangenen Jahres überraschend über Bord geworfen worden ist, nimmt das Nachfolgeprojekt Turkish Stream nun rasch Konturen an. Die Türkei spielt in diesen Plänen nur zu gern eine wichtige Rolle: Als Transitland zur EU könnte sie zur neuen Energie-Drehscheibe werden. Das gefällt nicht allen. Angesichts möglicher neuer Probleme mit der EU sichert Gazprom sich ab. Fokus der Wirtschaft, Seite 14 Land in Agonie INTERNATIONAL IMF greift der Joan Miro´ und die Ukraine unter die Arme Dichtung in Hamburg ran. V Im Ukraine-Konflikt haben sich die Konfliktparteien am Donnerstag erneut auf einen Friedensplan geeinigt. Ob die Vereinbarungen diesmal eingehalten werden, ist allerdings zweifelhaft. Skepsis zeigte sich auch am EU-Gipfel in Brüssel. Die Feuerpause soll in der Nacht zum Sonntag in Kraft treten. Seit Vereinbarung der Waffenruhe hat es im ostukrainischen Krisengebiet Donbass aber erneut tödliche Kämpfe gegeben. Die ukrainische Militärführung berichtete am Freitag von mindestens acht getöteten Soldaten. International, Seite 3 Sechseläutenplatz soll länger frei bleiben Gold für Fenninger im WM-Riesenslalom Rendez-vous 4 € 2.90 / £ 2.50 Redaktion und Verlag: Neue Zürcher Zeitung, Falkenstrasse 11, Postfach 8021 Zürich, Telefon +41 44 258 11 11, Leserservice/Abonnements: +41 44 258 18 03, weitere Angaben im Impressum Seite 24. Veranstaltungen 4 Trauer 8 AP hhs. V Die Landeskirchen sind bei der Ausbildung ihrer Geistlichen eng mit dem Staat verbandelt, während sich Freikirchen und Juden die Unabhängigkeit bewahren. Die verschiedenen Optionen eröffnen sich auch den Schweizer Muslimen, die sich hier ausgebildete Imame wünschen. Für Islam-Vertreter Farhad Afshar ist klar, dass er eine starke Mitwirkung des Staates anstrebt – und dies nicht nur bei der akademischtheoretischen Ausbildung wie bei den Reformierten, sondern auch bei der anschliessenden «Berufslehre». Schweiz, Seite 29 Die Weltöffentlichkeit steht rat- und fassungslos, während Syrien im Chaos versinkt. Die Bürgerrechtler und progressiven Oppositionellen des Landes, die zu Beginn der Revolte auf ein Ende der Diktatur hofften, sind längst an den Rand gedrängt. Ein reichhaltiger Sammelband fängt nun ihre Stimmen ein. Literatur und Kunst, Seite 25
© Copyright 2024 ExpyDoc