Wo Tsipras noch abbiegen kann

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MITTWOCH, 18. FEBRUAR 2015 · PREIS: 2,20 EURO · NR. 20.427*** · DIEPRESSE.COM
Wo Tsipras noch abbiegen kann
Griechenland. Ohne neues Hilfsprogramm
der Euro-Partner, das die Regierung in Athen
derzeit verweigert, schlittert das Land in den
Bankrott. Wird Finanzminister Yanis
Varoufakis Opfer seiner eigenen Spieltheorie?
VON ANNA GABRIEL UND
WOLFGANG BÖHM
GriechenWien/Brüssel/Athen.
land läuft die Zeit davon: Nur
noch bis übermorgen, Freitag,
wollen die EU-Partner mit der
Regierung in Athen nach einer
Lösung im sich zuspitzenden
Schuldenstreit suchen. „Wir
können diese Woche nützen,
aber das ist es dann“, warnte
Euro-Gruppen-Chef
Jeroen
Dijsselbloem. Gibt es in den
kommenden 48 Stunden keine
Einigung auf weitere Finanzhilfen, ist die Zukunft des Landes
völlig ungewiss. Am 28. Februar
läuft das Hilfsprogramm der internationalen Geldgeber aus; danach droht der Finanzkollaps.
Die Lage war zu keinem Zeitpunkt des knapp fünf Jahre währenden griechischen Schuldendramas bedrohlicher. Dennoch
pokern die Regierungsvertreter
hoch, die Zustimmung der eigenen Bevölkerung im Rücken.
Selbstbewusst ließ Finanzminister Yanis Varoufakis ein Treffen
der Euro-Gruppe am Montagabend platzen – das zweite innerhalb einer Woche. Sein Verhalten folgt einem Modell der
Spieltheorie, für die der 53-Jährige seit Studienzeiten Experte ist
(siehe auch Artikel Seiten 2–3):
Es beruht auf dem Prinzip, dass
man den Gegner nur mit Ausschöpfen des größtmöglichen Risikos besiegen kann.
Dass diese Taktik aufgeht, ist
mehr als unsicher. Vertreter der
Euro-Gruppe wiederholen seit
Wochen gebetsmühlenartig, was
ohnehin seit dem fulminanten
Wahlsieg der linksradikalen Syriza am 25. Jänner offensichtlich
ist: Im Gegenzug für Finanzhilfen der internationalen Geldgeber sind Reformversprechen einzuhalten. Die aus heutiger Sicht
einzige Lösung für weitere Hilfsgelder der EU dürfte also ein Antrag Athens auf eine Verlängerung des laufenden Programms
sein. Das aber hat Varoufakis
mehrmals ausgeschlossen.
Keine Kompromisse
Auch Tsipras bekräftigte am
gestrigen Dienstag, nicht zu
Kompromissen bei seinen weitreichenden Wahlversprechen –
die vor allem ein Abrücken vom
restriktiven, unbeliebten Sparkurs umfassten – bereit zu sein.
Bei einem Sondertreffen der
Euro-Gruppe am Freitag könnte
es zum Showdown kommen.
„Die Presse“ hat die drei möglichen Optionen für die Zukunft
Griechenlands
zusammengefasst.
KINO
Juli
4,75 Mrd. €
für Schulden
und Zinsen
werden fällig
Juni
1,61 Mrd. €
für Schulden
und Zinsen
werden fällig
Mai
751 Mio. €
für Schulden
und Zinsen
werden fällig
734 Mio. €
für Schulden
und Zinsen
werden fällig
www.diepresse.com/grexit
1,60 Mrd. €
für Schulden
und Zinsen
werden fällig
Staatshaushalt in den
nächsten Monaten liquid bleiben. Die Zinsen
für diesen Notkredit wären
minimal. Bis Herbst müsste
dann zwischen den Euro-Partnern, der EU-Kommission, der
EZB, dem IWF und der Regierung unter Alexis Tsipras über
eine langfristige Lösung verhandelt werden. Eine Streckung der
Kredite wäre möglich. Ob dies so
weit geht, dass Staatsanleihen zu
einem Teil in „Ewigkeitsbonds“
umgewandelt werden, wie es die
griechische Führung fordert, ist
fraglich. Das käme einem Schuldenschnitt gleich, der von den
Euro-Partnern und der EZB abgelehnt wird. Ein Entgegenkommen darf Finanzminister Yanis
Varoufakis bei der Ausgestaltung
des Reformprogramms erwarten. Dabei dürfte es diesmal
mehr Spielraum für die griechische Politik geben. Im Gegenzug
müsste sich diese aber an die
vereinbarten Sparziele halten.
Und wenn nichts mehr geht,
kein Ausweg genutzt, kein
Kompromiss vereinbart wird?
Dann geht Griechenland im Lauf
dieses Jahres bankrott. Ein Vorgang, der sich in der europäischen Geschichte oft wiederholt
hat. Ein Staat wird zahlungsunfähig, kann keine Löhne an seine
Staatsbediensteten mehr zahlen.
Die Gläubiger müssten einen
Teil der griechischen Staatsanleihen abschreiben. Derzeit ist
das Land mit 323 Milliarden
Euro verschuldet. 60 Prozent davon bei den Europartnern, 15
Prozent beim IWF, sechs Prozent
bei der EZB.
Schon wenn sich eine Pleite
abzeichnet, müsste die Regierung in Athen als erste Maßnahme den Geldfluss stark eindämmen, um einen Banken-Run zu
verhindern. Geld dürfte nur
noch in geringen Mengen abgehoben und nicht mehr außer
Landes transferiert werden. Diese Blockade würde die Wirtschaft des Landes unmittelbar
treffen. Da die EZB einem Pleite-
land kein Geld mehr zur Verfügung stellen darf, um dessen
Banken liquid zu halten, würde
das Finanzsystem des Landes
nach und nach zusammenbrechen. Logische Folge wäre, dass
die griechische Notenbank
selbst Geld druckt. Dies käme
dem Austritt aus dem Euro
gleich. Dieser Grexit ist rechtlich
nicht vorgesehen. Wenn kein
politischer Kompromiss – etwa
über die Einführung einer vorübergehenden Parallelwährung
– gefunden wird, müsste Griechenland die EU verlassen.
Im Land selbst hätte ein
Ende des Euro fatale Folgen:
Sparguthaben würden über
Nacht an Wert verlieren. Alle Importe – Griechenland ist in großem Maß von Lebensmittelimporten abhängig – würden deutlich teurer. Es ist mit einer weiter
ansteigenden Arbeitslosigkeit zu
rechnen. Vorteile hätte vor allem
der Tourismus. Der Aufenthalt
in griechischen Hotels würde für
Gäste aus der EU deutlich günstiger.
April
März
Noch könnte bis Ende Februar
ein Kompromiss mit Griechenland ausgehandelt werden. Laut
Euro-Gruppen-Chef
Dijsselbloem ist der Zeitplan nur noch
zu halten, wenn die griechische
Regierung bis Freitag einlenkt.
Sie müsste einen Antrag auf Verlängerung des Hilfsprogramms
stellen und damit weitere Kontrollen und Reformen akzeptieren. Die Troika aus Vertretern
der Gläubiger könnte zwar umbenannt werden, sie würde aber
weiterhin die Arbeit der griechischen Politik und der Behörden
begutachten. Die Euro-Partner
drängen Athen zur Fortsetzung
des Programms, weil damit ihre
bisherigen Haftungen abgesichert wären und ein Zerfall der
Eurozone abgewendet wäre.
Vorerst geht es nur um ein
Übergangsprogramm für ein halbes Jahr. Angedacht sind weitere
Kredite aus dem Euro-Rettungsschirm in Höhe von rund 18 Milliarden Euro. Damit könnte der
THEMEN
1. 3.
Ohne neues Programm
muss EZB Geldhahn
zudrehen
28. 2.
Das bisherige Hilfsprogramm läuft
offiziell aus
20. 2.
Ultimatum für
neues Hilfsprogramm
läuft ab
18. 2.
Notfallhilfe für die
Banken-Liquidität der
EZB läuft ab
Auch wenn Finanzminister Yanis
Varoufakis
beteuert,
keinen Plan B zu den Finanzhilfen der europäischen Geldgeber zu haben –
so wirklich glauben will das
nach den Entwicklungen der vergangenen Tage niemand mehr.
Wenn die EU-Partner die Geduld
verlieren, könnte Griechenland
nämlich auch in Moskau um finanzielle Unterstützung ansuchen. Ein Schritt, den Außenminister Nikos Kotzias bereits vergangene Woche vorbereitet hat:
Der Besuch bei seinem russischen Amtskollegen, Sergej Lawrow, war durchaus von Erfolg gekrönt. So sagte Lawrow zu, einen
möglichen Antrag auf Finanzhilfen zumindest überprüfen zu
wollen. Im Gegenzug würde
Athen die Sanktionspolitik der
EU gegen Russland in der Ukraine-Krise torpedieren. Schon kurz
nach seinem Wahlsieg hat Alexis
Tsipras damit gedroht, keine
weiteren Sanktionen gegen Mos-
Mehr zum Thema:
Leitartikel von
Jakob Zirm .............. S. 2
Griechische Taktik: Was
wird gespielt? .... S. 2, 3
Bankensystem ...... S. 3
Interview mit Roberto
Maroni ........................ S. 4
diepresse.com/grexit
kau unterstützen zu wollen.
Doch nicht nur Russland, auch
China ist ein möglicher Geldgeber der Griechen. Ministerpräsident Li Keqiang lud Tsipras bereits nach Peking ein. Der Termin steht noch nicht fest, das
Bestreben schon: Die Beziehungen beider Länder sollen „vertieft und erweitert“ werden.
Kurzfristige Anleihen
Ein Scheitern der Verhandlungen mit den EU-Partnern könnte
die griechische Regierung aber
zunächst auch dazu veranlassen,
die staatlichen Ausgaben über
kurzfristige Anleihen zu finanzieren. Zuletzt hat Athen sich vor
einer Woche frisches Geld auf
dem Kapitalmarkt besorgt. Der
Zinssatz für die Papiere war mit
2,5 Prozent höher als im Vormonat – und dürfte weiter steigen.
Daher könnte die Links-rechtsRegierung
auch
staatliche
Zwangsanleihen für reiche Griechen begeben – und so an niedrig verzinstes Geld gelangen.
GRIECHENLANDS SCHULDEN
323 Milliarden Euro beträgt der aktuelle
Schuldenstand des griechischen Staates. Größte
Gläubiger sind die Euroländer, die derzeit für 60
Prozent der Außenstände haften. Der Internationale
Währungsfonds hält 15 Prozent, die EZB sechs
Prozent. Der Rest von 19 Prozent teilt sich auf internationale und griechische Banken sowie andere
Gläubiger auf.
Der Maestro
als teuflischer
Schinder
In „Whiplash“ gibt
J. K. Simmons
einen Bandleader,
der mit Druck und
Psychospielchen
ein junges Talent
zurichtet. Eine
Parabel vom Preis
des Erfolgs. S. 25
UKRAINE
Friedensplan
droht zu
scheitern
Die Separatisten
haben den Großteil
der umkämpften
Stadt Debaltzewo
eingenommen. Die
Eskalation ist ein
Schlag für die Verhandler der jüngsten Waffenruhe. S. 5
WIEN
SPÖ will
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Rot-grüner Streit
geht weiter: Bürgermeister Michael
Häupl kündigt an,
den Antrag von Grünen und Opposition
zur Änderung des
Wahlrechts zu
blockieren.
S. 9
MATURA
Wie Schüler
ihre Reife
beweisen
Von Schwierigkeiten
bei der Zentralmatura in Tschechien
bis hin zur Fehlersuche in Italien.
Eine staatlich
vorgegebene Abschlussprüfung ist
Standard in vielen
Ländern.
S. 13
NAVIGATOR
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