** FREITAG, 4. MÄRZ 2016 Deutsche sehen kein geeintes Europa mehr Zippert zappt D er EU-Ratspräsident Tusk hat einen Appell an alle Flüchtlinge gerichtet: „Riskieren Sie nicht Ihr Leben und Ihr Geld. Es ist alles umsonst.“ Damit meinte er nicht, dass der Flüchtling hier alles für lau bekommt, sondern er wollte die Menschen davon abhalten, nach Europa zu flüchten. Wer aus wirtschaftlichen Gründen einwandern wolle, hätte keine Chance. Wer erwartet, dass es ihm in Europa besser geht, der soll zu Hause bleiben. Nur wer mit der Hoffnung kommt, dass es ihm deutlich schlechter ergehen könnte, ist willkommen. Dazu soll für jedes Land ein Testverfahren entwickelt werden, das Aufschluss darüber gibt, inwieweit sich der Flüchtling auf sein Fluchtziel vorbereitet hat. Wer nach Deutschland will, sollte nicht nur den Erzengel Angela auf einem Foto erkennen, sondern auch die Belzebuben Seehofer, Hocke und Gauland sowie die Höllenfürstinnen Petry, von Storch und Steinbach. Wer die Behörden ernsthaft davon überzeugen will, dass er unbedingt nach Deutschland will, der sollte darauf bestehen, in Sachsen untergebracht zu werden. 79 Prozent glauben, dass in der Flüchtlingsfrage die EU-Staaten nur noch eigenmächtig entscheiden I n der Flüchtlingspolitik hat die große Mehrheit der Deutschen den Glauben an ein gemeinsames Vorgehen der EU – wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) es sich wünscht – offenbar verloren. Nach einer Emnid-Umfrage für N24, den TV-Sender der „Welt“-Gruppe, glauben 79 Prozent, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten weiterhin eigene Entscheidungen treffen werden. Nicht einmal ein Fünftel der Befragten ist überzeugt, dass es zu einem abgestimmten Vorgehen kommen wird. Am kommenden Montag verhandeln die EU und die Türkei bei einem Gipfel über den künftigen Kurs in der Asylkrise. Was soll Deutschland tun, falls der Gipfel scheitert? Nach der angemessenen Reaktion Deutschlands auf nationale Alleingänge gefragt, trifft der Vorschlag, die Beitragszahlungen an die EU künftig zu verringern, auf die größte Zustimmung: 56 Prozent der Bürger fänden dieses Vorgehen gut. Knapp mehr als die Hälfte ist für die Festlegung von eindeutigen Aufnahmezahlen – eine Forderung, die vor allem Horst Seehofers CSU immer wieder erhoben hat und die Merkel ablehnt. 48 Prozent plädieren für eine bessere Sicherung der Bundesgrenzen. Gar keine Flüchtlinge mehr aufzunehmen sehen nur neun Prozent als Option. EU-Ratspräsident Donald Tusk hat Wirtschaftsflüchtlinge vor der Einreise in die Europäische Union gewarnt. „Wo auch immer Sie herkommen: Kommen Sie nicht nach Europa“, sagte Tusk bei einem Besuch in Athen. „Glauben Sie nicht den Schmugglern. Riskieren Sie nicht Ihr Leben und Ihr Geld. Es ist alles umsonst.“ Tusk äußerte sich nach einem Gespräch mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras. Griechenland werde ebenso wie jedes andere EU-Mitgliedsland „nicht länger Transitland“ sein, sagte Tusk weiter. Die SchengenRegeln würden „wieder in Kraft treten“ – und Wirtschaftsflüchtlinge damit an den Außengrenzen gestoppt. Tsipras forderte nach seinem Gespräch mit Tusk eine Bestrafung von EU-Mitgliedern, die ihre Grenzen im Alleingang schließen. „Es muss Sanktionen für diejenigen geben, die die gemeinsamen Entscheidungen der EU nicht respektieren.“ Der EU-Gipfel vor zweieinhalb Wochen hatte sich ausdrücklich zu einem europäischen Ansatz bekannt. „Was vereinbart wurde, muss respektiert werden“, sagte Tsipras. Tusks Besuch in Athen war nach Österreich und mehreren Balkanländern die nächste Station einer ausgedehnten Vermittlungsmission, die Tusk auf der Suche nach einer Kompromisslinie in der EU-Flüchtlingspolitik unternimmt. THEMEN POLITIK Die Grünen, die Drogen und das Geld Siehe Kommentar und Seite 5 SPORT Paderborn rechnet mit Ex-Trainer Effenberg ab Seite 19 WISSEN Naturheilverfahren gegen Rheuma Der Stachelpanzer eines ausgestorbenen Reptils? Das Skelett eines Vogels? New York rätselt, was das monumentale Stahlgerippe an der Südspitze Manhattans darstellen soll. „Oculus“ heißt der Riese, der im Herzen des Financial District Bahnhof, Einkaufszentrum und Fußgängertunnel vereinen soll. Jetzt wurde der erste Teil eröffnet. „Aufsteigender Phönix“ taufte die „New York Times“ den Entwurf des spanischen Architekten Santiago Calatrava. So schön der Bau auch wurde, ein bisschen erinnert er an deutsche Großprojekte wie die Elbphilharmonie und den Berliner Flughafen. Die Baukosten sind mit vier Milliarden Dollar (3,69 Milliarden Euro) doppelt so hoch wie ursprünglich geplant. Das ist ja tröstlich. FEUILLETON Grauen in den USFührerscheinbehörden wird verfilmt Seite 22 PANORAMA Madonna möchte ihren Sohn Rocco zurück REUTERS/ MIKE SEGAR New Yorks neuer Stolz Seite 20 D 2,50 EURO B ** Damit will er verhindern, dass der EUSondergipfel mit der Türkei am Montag zum Fiasko wird. Von Athen aus reist Tusk nach Ankara weiter. Die Türkei will offenbar die Gunst der Stunde nutzen und bei den Beratungen mit den EU-Staats- und -Regierungschefs auch die Beziehungen des Landes zur Europäischen Union thematisieren. „Wir wollen nicht, dass sich der Gipfel ausschließlich mit Flüchtlingen befasst“, sagte ein ranghoher Regierungsvertreter in Ankara. Es müsse auch über die EU-Beitrittsgespräche und die Eröffnung neuer Verhandlungskapitel diskutiert werden. Paris: Mit dem Brexit kommen die Flüchtlinge Frankreich hat Großbritannien vor einem EU-Austritt, dem sogenannten Brexit, gewarnt. Frankreich könnte dann seine Grenzkontrollen vor dem Kanaltunnel in Calais beenden, sodass Migranten nach Großbritannien gelangen könnten, sagte Wirtschaftsminister Emmanuel Macron der „Financial Times“. Die Briten müssen am 23. Juni in einem Referendum entscheiden, ob sie in der EU bleiben. Macron: „An dem Tag, an dem sich die Beziehungen auflösen, wird es keine Migranten mehr in Calais geben.“ Ende November hatte die EU mit Ankara einen Aktionsplan in der Flüchtlingskrise vereinbart. Brüssel sagte der Türkei Finanzhilfen in Höhe von drei Milliarden Euro zu und stellte auch neuen Schwung in den Beitrittsverhandlungen sowie eine baldige Visumfreiheit für türkische Staatsbürger in Aussicht. Aus Sicht der Europäer unternimmt Ankara aber trotzdem nicht genug, um die Überfahrt von Flüchtlingen nach Griechenland zu verhindern. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rät Syrern und Irakern, in Griechenland Asyl zu beantragen und sich dann gemäß des „relocation system“ verteilen zu lassen. Das dauert maximal zwei Monate – und man kann sich vor allem nicht aussuchen, wohin man will. Bisher wurde dieses System kaum genutzt. In den vergangenen Tagen haben sich aber bereits 800 Flüchtlinge angemeldet. Die EU-Staaten bieten zurzeit 2000 Plätze an. Seite 4 Nr. 54 KOMMENTAR Kretschmanns neue Freunde TORSTEN KRAUEL Z wei mittelständische Unternehmer ergreifen öffentlich Partei für die Grünen in Baden-Württemberg – der eine mit einer sensationell hohen Einzelspende, der andere mit einem Ermutigungswort, das für Winfried Kretschmann Gold wert ist. Trigema-Chef Wolfgang Grupp möchte eine grünschwarze Koalition, der Investor und Großspender Jochen Wermuth will die ökologische Marktwirtschaft politisch stärken. Beide sagen, dass Kretschmann weiterregieren müsse, weil er seine Sache gut mache. Das klingt fast wie der Wahlslogan von 1972 „Willy Brandt muss Kanzler bleiben“ und bedeutet für die Grünen: Wenn die Partei bodenständig auftritt, gewinnt sie in der Mitte Wähler, die bislang unerreichbar schienen. Für die CDU, und besonders auch für die FDP, sind die Aussagen der Unternehmer hingegen ein Schlag. Für CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf ist die Begründung des TrigemaChefs, er wähle Grün auch aus Gegnerschaft zu Merkels Asylpolitik, besonders schmerzhaft. Denn Kretschmann lässt keinen Zweifel daran, gerade beim Thema Asyl in Treue fest zu Merkel zu stehen. Es ist Wolf, der Korrekturen anmahnt. Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner wiederum setzt darauf, dass der Mittelstand künftig wieder in der FDP die politische Heimat findet. Jetzt gibt es zwei namhafte Dissidenten. Es ist für einen „Kretschmann muss am Ruder bleiben“-Wahlkampf ohne allzu große Bedeutung, dass der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck wegen Drogenbesitzes die politische Karriere beenden musste. Beck ist zwar gebürtiger Schwabe, aber er steht nicht für die Südwest-Grünen; seine Karriere verlief in NordrheinWestfalen. Becks Forderung nach Drogenfreigabe war seit Langem bekannt, und er hat erste Konsequenzen aus dem Rechtsbruch gezogen. Kretschmanns neue Freunde wissen, dass manche Grüne ein anderes Weltbild haben. Das wussten mit Blick auf die SPD auch solche Manager, die Brandt und Helmut Schmidt unterstützten. Wer Merkel (und Schmidt) kopiert, erreicht Unions- und FDP-Wähler. Das führt Kretschmann vor. Für Grüne, die ihre Partei als linke Alternative zur SPD und zur Linkspartei ansehen, ist das ein Grund zum Nachdenken. Noch mehr Grund dazu haben die FDP und die Unionsparteien. Die Grünen könnten Angela Merkel auch woanders nachahmen, Fälle wie Volker Beck hin oder her. Ein zweiter Kretschmann ist zwar noch nicht in Sicht. Aber die Grünen als mögliche Mitbewerber um die bürgerliche Mitte können nach dem 13. März eine reale Perspektive sein. [email protected] Seite 24 Deutschland sucht seine erste Astronautin DAX Kaum verändert Die Hürden sind allerdings hoch. Vorentscheidung fällt im Herbst, die erste Mission soll noch vor 2020 starten Seite 15 Dax Schluss Euro EZB-Kurs Punkte US-$ 9751,92 –0,25% ↘ 1,0901 Dow Jones 17.40 Uhr 16.831,31 Punkte +0,41% ↗ –0,40% ↘ ANZEIGE USA Top Secret: Unterwelten Heute um 22.05 Uhr Wir twittern Diskutieren live aus dem Sie mit uns Newsroom: auf Facebook: twitter.com/welt facebook.com/welt „Die Welt“ digital Lesen Sie „Die Welt“ digital auf allen Kanälen – mit der „Welt“-App auf dem Smartphone oder Tablet. Attraktive Angebote finden Sie auf welt.de/digital oder auch mit den neuesten Tablets auf welt.de/bundle E ine reine Männerdomäne ist die Raumfahrt in Deutschland. Bislang haben es elf Deutsche ins All geschafft. Zuletzt Alexander Gerst, der von der „Internationalen Raumstation“ (ISS) Hunderte Aufnahmen von der Erde verschickte und mit seinen Botschaften Tausende Menschen berührte. Mit Valentina Tereschkowa schickte Russland bereits im Jahr 1963 die erste Frau als Astronautin ins Weltall, 20 Jahre später folgten die USA mit der Astronautin Sally Ride. 1996 war mit Claudie Haigneré die erste Französin im Orbit. Heute besteht die Hälfte der Astronautenklassen der USA und China aus Frauen. Ein privates Unternehmen will nun die erste deutsche Frau in den Weltraum bringen. Noch vor 2020 soll Deutschland eine Astronautin zur „ISS“ schicken. Frauen können sich noch bis zum 30. April für die Mission bewerben. Die Kampagne „Astronautin“ hat HE Space gestartet – ein Personaldienstleister für Luft- und Raumfahrtspezialisten mit einer in Expertenkreisen prominenten Chefin an der Spit- ze. „Der zwölfte deutsche Mensch im All sollte eine Frau sein“, sagt Geschäftsführerin Claudia Kessler. Ihr Unternehmen ist eine Art Zeitarbeitsfirma, die auch die Europäische Weltraumorganisation (Esa) mit Ingenieuren versorgt. Die Esa wählt aus, wer sich für die Missionen eignet. Seit 1988 gibt es gemischte Esa-Teams aus Männern und Frauen. Vom Jahr 1999 an sei der Anteil von 15 Prozent an weiblichen Bewerbern und Astronautinnen gleich geblieben, erklärt der ehemalige belgische Raumfahrer Frank De Winne. Frauenquote allein des Männerüberschusses wegen? Ausgeschlossen. „Wir haben ein faires Auswahlverfahren und achten nicht darauf, welchem Geschlecht die Bewerber angehören, sondern wer die besten Fähigkeiten mitbringt“, sagt De Winne. Der Ex-„ISS“-Kommandant ist überzeugt: Bei den strengen Tests hätten Frauen die gleichen Chancen wie Männer. Zuletzt stellte die Italienerin Samantha Cristoforetti den Langzeitrekord für Frauen mit fast 200 Tagen im Weltraum auf. Dass nur jeder sechste As- tronaut weiblich sei, ist Kessler zu wenig. Das private Auswahlverfahren sei nicht weniger anspruchsvoll als das reguläre. Sportlichkeit, eine gewisse Abenteuerlust und besondere Hobbys seien gefragt. Hoch im Kurs: Klettern, Höhlenwandern oder ein Pilotenschein, sagt Kessler. Gesucht werden Frauen mit einem abgeschlossenen Studium in Naturwissenschaften oder im Ingenieurswesen oder einer vergleichbaren Ausbildung im militärischen Bereich. Kandidatinnen sollten eine mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet Raumfahrttechnik oder Medizin haben. Erforderlich ist auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Fließende Englischkenntnisse werden vorausgesetzt, Russischkenntnisse wären zudem von Vorteil. Im Herbst werden die Kandidatinnen für die Endrunde vorgestellt. Anderthalb Jahre lassen sich die beiden Finalistinnen dann im russischen Juri-Gagarin-Kosmonautentrainingszentrum zur Astronautin ausbilden. Eine von ihnen soll bis 2020 in den Weltraum gebracht werden. DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern verbreitet. Pflichtblatt an allen deutschen Wertpapierbörsen. Telefon 030/25910, Fax 030 / 259 17 16 06 E-Mail: [email protected] Anzeigen: 030 / 58 58 90 Fax 030 / 58 58 91 E-Mail [email protected] Kundenservice: DIE WELT, Brieffach 2440, 10867 Berlin Telefon 0800 / 9 35 85 37 Fax 0800 / 9 35 87 37 E-Mail [email protected] A 3,20 & / B 3,20 & / CH 5,00 CHF / CZ 95 CZK / CY 3,40 & / DK 25 DKR / E 3,20 & / I.C. 3,20 & / F 3,20 & / GB 3,00 GBP / GR 3,40 & / I 3,20 & / IRL 3,20 & / L 3,20 & / MLT 3,20 & / NL 3,20 & / P 3,20 & (Cont.) / PL 15 PLN / SK 3,20 € + ISSN 0173-8437 54-9 ZKZ 7109
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