Griechenland macht sich den Aufschwung kaputt - ePaper

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KO M M E N TA R
Zippert zappt
THEMEN
Harte Abrechnung mit
der bisherigen Führung
REUTERS/TORU HANAI; ADSD DER FES/J.H. DARCHINGER
Eine Frau in Tokio trauert um den von der Terrormiliz IS enthaupteten Journalisten Kenji Goto. Ihr Schild mit der Aufschrift „Wir
brauchen keine Schwerter“ zeigt die Zerrissenheit des Landes,
denn die Botschaft richtet sich auch gegen die japanische Politik.
Regierungschef Shinzo Abe sagte, dass Japan den Terroristen „niemals vergeben“ werde. Goto berichtete vor allem über das Schicksal von Kindern in Konfliktregionen. Der IS hatte den 47-Jährigen
Siehe Kommentar und Seite 7
im Oktober verschleppt.
Tsipras bemüht sich um
Schadensbegrenzung
Die Stimme der
Erinnerung ist
verstummt
Seite 8
Finanzen
Die besten
Finanzämter
Deutschlands
Seite 13
Sport
Das Ende des
ChampagnerFußballs
N
ach dem spektakulären
Rauswurf der Troika hat
sich der neue griechische
Ministerpräsident
Alexis
Tsipras bemüht, die Wogen
im Schuldenstreit mit den europäischen
Geldgebern zu glätten. Er zeigt sich vor
Gesprächen mit den Euro-Partnern deutlich gemäßigter als zuletzt. „Obwohl es unterschiedliche Perspektiven gibt, bin ich
sehr zuversichtlich, dass wir bald eine für
beide Seiten zufriedenstellende Vereinbarung treffen können, für Griechenland und
für Europa“, teilte Tsipras der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge in einer EMail mit. „Wir brauchen Zeit zum Atmen,
um unser eigenes mittelfristiges Reformprogramm zu erarbeiten.“
Tsipras habe am Wochenende mit EZBPräsident Mario Draghi telefoniert, hieß es
in Athener Regierungskreisen. In dem Gespräch „sei der Wille erklärt worden, eine
für Griechenland und Europa gleichermaßen vorteilhafte Lösung zu finden“. Offenbar rief Tsipras auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz an, um die
harten Worte seines Finanzministers Janis
Varoufakis zu relativieren. Varoufakis hatte der Troika, die bislang für die Geldgeber
Hilfen und Auflagen mit dem hoch verschuldeten Land aushandelt, am Freitag
die Zusammenarbeit aufgekündigt. Die
von der linken Syriza geführte Regierung
in Athen lehnt die Sparauflagen der Troika
ab und will auch das laufende Rettungsprogramm nicht verlängern. Griechenland
wird seit 2010 von den Euro-Partnern und
dem IWF mit insgesamt 240 Milliarden
vor der Staatspleite bewahrt. Mit Span-
Rückschlag im Ringen um
Frieden in der Ostukraine: Die ersten
Krisengespräche seit mehr als einem
Monat sind gescheitert. In einer ungewohnt offenen Reaktion machte die
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die
prorussischen Separatisten dafür verantwortlich. Statt über eine Waffenruhe zu sprechen, hätten die Aufständischen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk eine Korrektur bisheriger
Vereinbarungen gefordert, kritisierte
die OSZE. Nun stehe der Friedensprozess insgesamt auf der Kippe, meinte
Waleri Tschaly von der Präsidialverwaltung in Kiew.
Die Konfliktparteien hatten sich
nach dem fast vierstündigen Treffen
in Minsk gegenseitig vorgeworfen, eine Einigung mit ultimativen Forderungen zu verhindern. Die Gefechte
gingen unterdessen mit unverminderter Härte weiter. Die Kämpfe dauerten
an allen Frontabschnitten an, teilten
Medien in Kiew mit. Mindestens 28
Soldaten und 22 Zivilisten seien zuletzt getötet worden, hieß es.
Essay Seite 2
[email protected]
– AfD-Gründer Bernd Lucke
hat seine Macht in der Partei ausgebaut. Die rund 1700 Teilnehmer des
AfD-Parteitags in Bremen folgten am
Wochenende mit deutlicher Mehrheit
Luckes Wunsch, die AfD nur noch von
einem Vorsitzenden führen zu lassen.
Mit der bislang dreiköpfigen Spitze
rechnete Lucke schonungslos ab: Deren Arbeit sei „stümperhaft“ gewesen.
Die neue Führungsstruktur solle die
AfD professioneller und schlagkräftiger machen.
Parteiinterne Kritiker warfen Lucke
vor, mit der Reform seine Machtstellung in der Partei ausbauen zu wollen.
Ein Redner attestierte ihm ein Streben nach „Alleinherrschaft“. Die bisherigen Co-Vorsitzenden Frauke Petry
und Konrad Adam hatten sich Luckes
Plänen nach anfänglicher Ablehnung
gebeugt – auch, um den öffentlich
ausgetragenen Streit zu beenden.
Auch der bayerische Finanzminister
Markus Söder kritisiert den Streit in
der Partei. „Sie ist innerlich total zerrissen und beschäftigt sich mit sich
selbst. Inhaltlich hat sie nichts zu bieten,“ sagte er im Interview.
Seiten 4 und 5
nung wurde erwartet, wie sich Varoufakis
bei seinem Treffen mit dem französischen
Finanzminister Michel Sapin am Sonntag
in Paris positioniert. Sapin machte bereits
im Vorfeld klar, dass ein Schuldenerlass
nicht zur Debatte stehe. „Wir werden die
Schulden nicht streichen. Wir können darüber diskutieren, wir können aufschieben,
wir können ihre Last mindern – aber wir
werden sie nicht streichen“, sagte er dem
Fernsehsender Canal plus.
EU-Kommissionspräsident
Juncker
plant offenbar, die Troika abzuschaffen.
Das Gremium aus Vertretern der Europäischen Zentralbank (EZB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EUKommission solle nicht mehr nach Athen
reisen, berichtete das „Handelsblatt“. Zu
einer Reform der Troika sei im Prinzip
auch die Bundesregierung bereit. Tsipras
will sich in den kommenden Tagen mit
Juncker treffen und plant außerdem Antrittsbesuche in Zypern, Rom und Paris.
Die Gespräche dürften auch auf den geplanten EU-Gipfel und das nächste Treffen der Euro-Finanzminister Mitte Februar zielen. Ein Treffen mit Bundeskanzlerin
Angela Merkel in Berlin steht dagegen bisher nicht auf dem Plan.
BERATER FÜR DEN
SCHULDENSCHNITT
Athen hat zur Vorbereitung eines weiteren Schuldenschnitts eine Investmentbank als Berater engagiert. Dabei handelt
es sich um das US-Finanzberatungsinstitut Lazard. Es ist die gleiche Bank,
die Griechenland beim ersten Schuldenschnitt für private Gläubiger 2012 beraten hatte. Damals wurden Griechenlands
Schulden um mehr als 100 Milliarden
Euro reduziert. Die neue Regierung
strebt dennoch einen weiteren Schuldenschnitt an, um mehr finanziellen
Spielraum für das Land zu schaffen.
Kommentar Seite 3 und Seite 6
Ein globaler
Krieg
an muss nicht Carl von Clausewitz heißen, muss kein ausgefuchster Strategieexperte
sein, um den Zusammenhang zwischen der Befreiung der Stadt Kobani
und der Enthauptung der japanischen
Geisel durch die Mörder der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) zu erkennen. Spätestens die Einnahme der
heiß umkämpften, zu einem Symbol
gewordenen kurdischen Stadt auf syrischem Staatsgebiet hat der Welt vor
Augen geführt: Der IS ist nicht allmächtig, er kann zurückgeschlagen
werden. Auf diese Niederlage musste
die islamistische Mörderbande unter
ihrem Führer Abu Bakr al-Baghdadi
antworten.
Der Terrorismus dieser Sorte
gleicht einer flutenden Bewegung:
Stehenbleiben ist für ihn Verhängnis,
Rücklauf sein Ende, er muss verlangen, immer mehr verlangen, um sich
zu behaupten. Er muss erobern, um
nicht besiegt zu werden, und er muss
dort Stärke zeigen, wo andere seine
Schwäche aufgedeckt haben. Der IS
weiß: Regierungen verlieren, solange
sie nicht gewinnen; Terroristen aber
gewinnen, solange sie nicht besiegt
sind. Auch deswegen die Tat.
Sie führt zu einem weltweiten Entsetzen. Ferner offenbart sie erneut,
dass der Kampf gegen den Islamismus
nicht einer zwischen Regionen wie
dem Westen und dem Nahen und
Mittleren Osten ist und auch kein
Kampf der Kulturen, nicht einmal eine
Auseinandersetzung zwischen demokratischen, offenen und autoritären,
geschlossenen Gesellschaften im Sinne des Philosophen Karl Popper, sondern ein globaler Krieg. Er wird von
einer totalitären Kraft gegen die restliche Welt geführt – gegen Japan genauso wie gegen Jordanien, gegen
Amerika genauso wie gegen Australien, gegen Nigeria genauso wie gegen
die Niederlande.
Der Schluss, der aus dieser Erkenntnis zu ziehen wäre, ist – auf lange Sicht – ein erfreulicher. Die Geschichte lehrt uns, dass alle großen
Weltplanungsunternehmungen, sämtliche Revolutionen, Gegenrevolutionen, Kreuzzüge und Beglückungsutopien, die am Ende einer langen Terrorherrschaft das Paradies bringen
sollten, nie zu dem geführt haben, wozu sie führen sollten. Dem Islamismus
– ob in Form von al-Qaida, dem IS,
Boko Haram oder europäischen Einzelkämpfern – wird es über kurz oder
lang ähnlich ergehen. Freilich heißt
dieses Wissen nicht, die Hände in den
Schoß zu legen. Im Gegenteil, diese
Kenntnis sollte dazu dienen, selbstbewusst zu sein und entschlossen, den
islamistischen Gegner ähnlich entschieden und kämpferisch niederzuzwingen, wie es der Westen schon
zweimal tat, als er den Nationalsozialismus und dann den Kommunismus
niederrang. Zu fürchten hat der Westen eigentlich nur die eigene Furcht.
BREMEN
Griechischer Premier verspricht „zufriedenstellende Vereinbarung“ für
Athen und die Euroländer. Auch Frankreich gegen einen Schuldenschnitt
Politik
J ACQ U E S S C H U ST E R
AfD macht
Lucke zu ihrem
starken Mann
„Wir brauchen
keine Schwerter“
P
rofessor Lucke hat auf
dem größten ChaosParteitag aller Nachkriegszeiten erklärt: „Wir sind
kein Kegelklub oder Kaninchenzüchter-Verein.“ Diese
Äußerung hat große Unruhe
unter den deutschen Kegelbahnbetreibern hervorgerufen.
Interessiert sich die AfD überhaupt für die Sorgen der Kegelschwestern und -brüder?
Die deutsche Kegelszene wartet schon lange auf ein Signal
aus der Politik. Es wäre schön
gewesen, wenn die AfD ein
Bekenntnis zum Kegel- und
Bowlingsport abgelegt und
Professor Lucke sich endlich
als oberster Kegelbruder zu
erkennen gegeben hätte. Diese
historische Chance hat die
Partei leider vertan. Noch
schlimmer ist die Lage für die
deutschen Kaninchenzüchter.
Nachdem der Papst kürzlich
erst die karnickelhafte Form
der Vermehrung verteufelt
und die ehrbaren Züchter
damit als Steigbügelhalter der
zügellosen Rammelei verunglimpft hatte, wäre es gut
gewesen, wenn sich die AfD
ohne Wenn und Aber hinter
die deutschen Kaninchenzüchter gestellt hätte. Gerade die
Schwächsten in unserer Gesellschaft brauchen Schutz,
und in Deutschland gibt es
viele katholische Kaninchen,
die gerne kegeln.
B *
D 2,30 E URO
M O N TAG , 2. F E B RUA R 2 015
Friedensprozess
scheitert an
Separatisten
Erbitterte Kämpfe
in der Ostukraine
KIEW –
M
Seite 16
Der heilende Blick
eines mysteriösen
Kroaten
LOTTO: 7 – 27 – 42 – 45 – 46 – 47
Superzahl: 5 Spiel77: 4 5 9 0 9 3 5
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„Geheimnisse der Tiefe: Räuber
der Ozeane“
Heute um 22.05 Uhr
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Tochter, Tänzerin und Staatsgeheimnis
Wladimir Putins Privatleben ist in Russland tabu. Jetzt ist seine Tochter enttarnt
THILO MALUCH
Seite 24
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E
igentlich ist Wladimir Putin ein Freund der schamlosen
Inszenierung. Wenn er sich seinem Volk als starker Mann
und echter Russe präsentiert, dann zeigt er sich sogar
mit nacktem Oberkörper. Wenn Putin hoch zu Ross, als Judoka,
Eishockeyspieler oder beim todesmutigen Kampf gegen Waldbrände auftritt, dann schmunzelt das Ausland über diese PR am
Rande der Schmerzgrenze. Über den Privatmann ist dagegen
nicht viel bekannt, denn das Volk soll nur sehen, was der Kreml
für richtig hält. Seine Scheidung verlief fast geräuschlos, wie und
wo seine Ex-Frau lebt, ist unbekannt. Seine beiden Töchter sind
bisher nie in der Öffentlichkeit aufgetreten. Nun machen Berichte die Runde, die jüngere der beiden Präsidententöchter sei
enttarnt worden: Jekaterina, 28, soll unter dem falschen Namen
Katerina Wladimirowna Tichonowa eine Organisation namens
Innopraktika leiten, die für die Staatliche Moskauer Universität
(MGU) ein Milliardenprojekt verantwortet. Mit im Boot sind
offenbar auch Staatsunternehmen aus den Bereichen Öl, Nuklearenergie und Wehrtechnik. Wie ein russisches Internetportal nun
öffentlich machte, soll der Putin-Gegner Alexej Nawalny die
Identität der Tochter aufgedeckt haben. An dieses Tabu hatte sich
bislang niemand getraut. Das offizielle Moskau gibt sich verschlossen, Frau Tichonowa ist nicht zu erreichen.
Aus der Moskauer Universität kommt allerdings eine Bestätigung. „Ja, sie ist es,“ sagte ein anonymer Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Trotz des Verdachts auf Mauscheleien
und Vetternwirtschaft interessierte sich kaum ein russisches
Medium für die angebliche Putina. Die wenigen Bilder zu den
spärlichen russischen Berichten zeigen eine junge Frau im Tanzkostüm, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Putin und seiner ehemaligen Ehefrau aufweist. Warum im Tanzkostüm? Neben ihrer
Tätigkeit bei Innopraktika soll Tichonowa auch noch Vizepräsidentin der World Rock’n’Roll Confederation sein.
DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410 Täglich weltweit in über 130 Ländern
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Klaus Boldt, Chefredakteur
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