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SÜDWESTRUNDFUNK
SWR2 Interview der Woche – Manuskript
Autor:
Gesprächspartner:
Redaktion:
Sendung:
Mathias Zahn
Andrea Nahles, SPD, Bundesarbeitsministerin
Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin
Samstag,28.02.2015, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR2
SWR Interview der Woche vom 28.02.2015
SWR: Frau Nahles, seit zwei Monaten gilt jetzt der gesetzliche Mindestlohn. Die Union lässt aber nicht
locker und fordert immer wieder und sehr vehement Änderungen, will weniger Bürokratie. Versucht ihr
Koalitionspartner da den Mindestlohn zu diskreditieren und auszuhöhlen?
A.N.: Ja, erst mal bin ich froh, dass der Mindestlohn nun gilt. Das hat zehn Jahre Auseinandersetzung
bedeutet in der Vergangenheit und jetzt gilt er, und es ist toll zu sehen, dass es auch wirklich viele
Menschen gibt, die mir auch schreiben und sich dazu positiv verhalten. Das andere ist, dass wir ja
gemeinsam dieses Gesetz verabredet haben und es deswegen nicht schön ist, jetzt im Moment wo es
ernst wird, dann eben nicht die volle Unterstützung auch des eigenen Koalitionspartners zu haben.
SWR: Was vermuten Sie denn dahinter? Welches Motiv, dass die Union so vehement gegen Sie
angeht?
A.N.: Ich glaube ehrlich gesagt, dass viele sich ein bisschen zu spät mit der Sache beschäftigt haben,
weil, es sind Geburtswehen, die wir jetzt erleben. Es gibt viele berechtigte Fragen, Unsicherheiten, wir
haben das ja bei den Sportvereinen jetzt gelöst. Pfälzerwaldhütten, jetzt in Rheinland-Pfalz ein großes
Thema. Aber man merkt auch, wir können viele der Probleme lösen auf der Basis des Gesetzes. Wir
müssen mit vielen reden, wir müssen für Rechtssicherheit sorgen, wir müssen Klarstellungen machen.
Es ist einfach ein bisschen Zeit erforderlich. Das ist das größte Reformwerk seit Jahrzehnten in
Deutschland. Und kein Wunder, dass es da am Anfang ruckelt.
SWR: Aber es scheint ja so, als ob die Schlacht noch nicht geschlagen ist. Die Union geht so massiv
dagegen vor. Müssen Sie die Schlacht um den Mindestlohn noch schlagen?
A.N.: So fühlt es sich an – ja! Ich hab das Gefühl im letzten Jahr gehabt. Es ist verdächtigt ruhig. Da war
am 1.7. dann alles im Kasten, und jetzt auf einmal merkt man, „uff“ jetzt soll der Mindestlohn nicht nur
auf dem Papier stehen, sondern tatsächlich auch in den Taschen der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern ankommen. Da sind dann auch einige, die damit Schwierigkeiten haben. Die anderen
wollen ihn aber möglicherweise auch nicht zahlen. Und man muss jetzt aufpassen, dass man sich nicht
zum Sprachrohr von Leuten macht, die eben den Mindestlohn umgehen wollen.
SWR: Einer der Hauptstreitpunkte ist ja die Dokumentationspflicht. Die Union, die zielt da immer wieder
auf diese Einkommensgrenze von 2958 Euro, bis zu der in bestimmten Branchen die Arbeitszeiten
genau erfasst werden müssen. Ist diese Grenze nichtwirklich ein bisschen hoch, denn wenn man sieht,
2958 Euro, wenn ich da 8,50 Euro die Stunde verdiene, da muss ich ja ganz schön viel arbeiten im
Monat.
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A.N.: Richtig, aber in welchem gut sortierten Betrieb wird eigentlich die Arbeitszeit nicht erfasst? Und
dann frage ich mich, ist es jetzt wirklich zu viel verlangt, dass man aufschreibt wann man mit der Arbeit
begonnen hat und wann man sie beendet hat? Wie will ich denn einen Mindeststundenlohn überhaupt
nachweisen am Ende, wenn ich nicht die Stunden, die gearbeitet wurden, erfasse? Ich kann die
Aufregung nicht verstehen. Im Übrigen machen wir das relativ simpel. Das kann man übrigens auch per
Anruf telefonisch, das kann man machen in jedweder Form. Nur der Zoll muss am Ende in der Lage
sein die Sache zu kontrollieren.
SWR: Aber wer kommt denn ernsthaft auf knapp 3000 Euro mit einem Stundenlohn von 8,50?
A.N.: Also relativ viele in der Saison zum Beispiel im Gastronomiebereich. Man kann in Deutschland
legal 29 Tage im Monat, also zwei Sonntage müssen frei sein, arbeiten. Und man darf mit einer
Sondergenehmigung zwölf Stunden maximal am Tag arbeiten. Wenn man alle legalen Möglichkeiten
ausschöpft, kommt man auf 2958 Euro. Glauben Sie mir mal, das sind viele, gerade in der Saison, im
Gastronomiebereich, auf dem Bau, bei der Ernte, da werden so viele Stunden „gekloppt“, wie man bei
uns in der Eifel sagt. Und deswegen ist das auch eine ganz vernünftige Grenze. Welche andere sollen
wir denn nehmen? Also ich meine…
SWR: 1900, sagte die Union.
A.N.: Aber mit welcher Begründung? Das ist nun eine sehr niedrige Grenze, wo man sich natürlich auch
fragen muss, wem soll die nutzen? Den Arbeitnehmern am Ende nicht.
SWR: Ein anderes Projekt, bei dem die Arbeitgeber Sie mit dem Bürokratievorwurf überziehen, ist die
Arbeitsstättenverordnung. Da sollen Fenster in Teeküchen vorgeschrieben werden, oder auch die
Helligkeit am Heimarbeitsplatz. Jetzt heißt es, das Kanzleramt hat diese Verordnung gestoppt. Können
Sie das bestätigen? Sind Sie da gescheitert?
A.N.: Also zunächst muss man vielleicht mal sagen worum es da eigentlich geht. Mein Opa hat eine
Staublunge gehabt, der war im Schieferbergwerk nach dem Krieg in Mayen. Und ich kann nur sagen,
das war schlimm in den letzten Jahren wie es dem ging. Der ist richtig erstickt. Und es ist durch viele
Maßnahmen in den letzten 40 Jahren, die man unter dem Stichwort „Arbeitsschutz und
Arbeitsstättenverordnung“, so heißt das Ding nun mal, firmiert, sind Gott sei Dank die Anzahl der Toten,
der Kranken, der Unfälle massiv zurückgegangen. Und deswegen ist das schon etwas sehr Wertvolles,
diese Arbeitsschutzpolitik und auch diese Arbeitsstättenverordnung. Wenn man da jetzt sich aufregt
wegen einem abschließbaren Spind, na Gott, dann wäre ich der Letzte der sagt, da kann man nicht
über einzelne Punkte reden. Aber wenn man das grundsätzlich in Frage stellt, dann werde ich allerdings
doch ernst, ja, weil ich sage, das kann´s nicht sein. Insoweit habe ich mit dem Kanzleramt Gespräche,
ob wir da doch noch einen Konsensweg finden.
SWR: Aber im Moment ist es erst mal gestoppt?!
A.N.: Im Moment ist es gestoppt. Es ist deswegen erstaunlich, weil es schon zweimal in der
Ressortabstimmung, auch im Kanzleramt, war und dort akzeptiert wurde. Und erst als der Herr Kramer
im letzten Moment einen Brief geschrieben hat, das ist der Vorsitzende der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeber, wurde das jetzt angehalten. Das ist schon ein einmaliger Vorgang. Ich kann
das auch wirklich nur insoweit nachvollziehen, dass man eben jetzt sagt, ok den Arbeitgebern ist
vielleicht auch mal was durch die Lappen gegangen, die haben sich das nicht richtig vorher angeguckt,
obwohl sie beteiligt waren an der Erstellung der Arbeitsstättenverordnung. Aber eigentlich geht es so
nicht. Es ist bereits durchs Bundeskabinett, die Arbeitsstättenverordnung, einvernehmlich und der
Bundesrat hat es beschlossen, 16 zu 0, mit ein paar Änderungen. Das geht eigentlich nicht, dass man
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jetzt auf den Zuruf von einer Partei in diesem ganzen Interessengemenge dann das aufhält. Aber das
ist auch nicht meine Information zum jetzigen Zeitpunkt, und insoweit setze ich immer noch auf eine
Kompromisslösung, das wir am Ende einige Punkte, die da für Aufregung gesorgt haben, diskutieren,
vielleicht klären. Weil, es geht mir um den Arbeitsschutz.
SWR: Sie haben nicht die Information, dass das Kanzleramt das endgültig gestoppt hat?
A.N.: Das ist nicht meine Information.
SWR: Die SPD Handschrift ist ja in vielen Feldern sichtbar. Mindestlohn, Rente mit 63. Warum zahlt das
beim Wähler nicht aus? Warum hängen Sie mit der SPD in diesem 25 Prozent Umfrage Keller?
A.N.: Ja, offensichtlich haben wir das Vertrauen, das wir verloren haben, das kann man ja sehr präzise
sagen, Mitte der Zweitausender Jahre noch nicht wieder zurück. Und wir haben gerade deswegen uns
überlegt, dass wir jetzt Wort halten. Das ist ja ein großer Teil der Arbeit die ich auch mache, dass wir
wirklich sagen, nicht wie damals, wir sind gegen Mehrwertsteuer, aber dann machen wir drei Prozent
mehr. Das ist ja passiert. Und das vergessen die Leute auch so schnell nicht. Wenn wir sagen jetzt, wir
haben versprochen, wir halten auch. Ich halte das für eine wichtige vertrauensbildende Sache. Aber
offensichtlich reicht das noch nicht, deswegen müssen wir auch mehr wieder die Interessen der
Familien in unserem Land vertreten. Und wenn man sich das anguckt, dann wollen die sichere gute
Arbeit. Aber die wollen vor allem auch Zeit für ihre Familie haben. Und ich glaube, das ist ein Thema,
wo ich mir erwarte, dass wir wieder mehr an die Leute ran gehen, dass wir mehr hören was deren
Probleme wirklich sind und versuchen denen zu helfen. Das ist etwas, was wir uns vorgenommen
haben.
SWR: Da geht es ja um viele Mütter, die gerne mehr arbeiten würden. Die hängen aber in Teilzeit fest.
Wollen Sie da ein Recht auf Rückkehr in Vollzeit?
A.N.: So haben wir das verabredet im Koalitionsvertrag. Wir haben vor Jahren, da waren wir stolz, ein
Recht auf Teilzeit geschaffen, und jetzt sagen uns die Frauen, ja, wenn ich dann nach ein paar Jahren
zurück will, dann werden mir Steine in den Weg gelegt. Und jede Frau weiß, Teilzeit heißt, du bist nicht
in der Weiterbildung und du bist nicht in der Karriereplanung der Unternehmen drin.
SWR: In der Abi-Zeitung hatten Sie zwei Berufswünsche angegeben. Hausfrau oder Bundeskanzlerin.
Welchem Wunsch sehen Sie sich denn heute mit 44 Jahren näher?
A.N.: Ich muss leider zugeben dass ich nicht mehr so viel Zeit habe um Hausfrau erster Güte zu
werden.
SWR: Das heißt, es geht Richtung Bundeskanzlerin?
A.N.: Das habe ich jetzt nicht gesagt, aber man muss ehrlich sein, ich bin als Bundesarbeitsministerin
schon einer der Spitzenpolitiker in unserm Land. Das ist mir eine Ehre.
SWR: Seit letztem Jahr wird ja schwer über das Projekt „Andrea 21“ spekuliert. Danach haben Sie die
nächste Wahl 2017 schon abgeschrieben und die SPD setzt auf Sie dann 2021 als Kanzlerkandidatin,
wenn die Ära Merkel zu Ende geht. Dann hätten Sie ja auch endlich mal eine Chance.
A.N.: Ach, das ist doch Quatsch in der Politik über einen Zeitraum von acht Jahren zu reden. Das ist wie
das Orakel von Delphi zu befragen. Das würde ich mal als dummes Gerücht abhaken.
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SWR: Aber es wäre auch nicht unmöglich?
A.N.: Ja, wissen Sie, „Sag niemals nie“, hieß doch mal so ein James Bond. Aber ehrlich gesagt, ich bin
mit Leidenschaft Arbeitsministerin. Ich hoffe man merkt das irgendwie, dass ich das gerne mache. Ich
habe eine vierjährige Tochter und ich möchte am Ende auch noch ein bisschen Zeit für die haben.
Deswegen plane ich jetzt so was überhaupt nicht.