SÜDWESTRUNDFUNK SWR Interview der Woche – Manuskript

SÜDWESTRUNDFUNK
SWR Interview der Woche – Manuskript
Autor:
Gesprächspartner:
Redaktion:
Sendung:
Stephan Ueberbach
Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin
Samstag 31.01.2015, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR
SWR Interview der Woche vom 31.01.2015
SWR: Herr Ischinger, wir sind jetzt ungefähr eine Woche vor der nächsten Sicherheitskonferenz, und
wenn wir uns an das Treffen vor einem Jahr zurückerinnern, dann hat sich die Welt seit dieser Zeit nicht
unbedingt zum Besseren verändert – im Gegenteil. Die Ukraine-Krise, oder sagen wir besser, der Krieg
in der Ukraine, das wäre, glaube ich, ehrlicher. Der Vormarsch von Steinzeitislamisten im Irak und in
Syrien. Der Terror in Nigeria und den Nachbarländern. Zuletzt die furchtbaren Anschläge in Paris. Gibt
es eigentlich Momente, in denen auch einen so erfahrenen Krisen-Diplomaten und Sicherheitsexperten
wie Sie der Mut verlässt?
W.I: Der Mut verlässt mich eigentlich nicht. Aber überrascht bin ich schon darüber, dass wir das,
was Sie gerade völlig zu Recht beschrieben haben, überhaupt nicht vorhergesehen haben. Vor einem
Jahr bereiteten wir das Thema „Ukraine“ auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor als eine
Diskussion zwischen Ukrainern. Dass es hier um die größte Krise europäischer Sicherheit seit dem
Zerfall der Sowjetunion geht, war vor einem Jahr überhaupt nicht abzusehen. Und in ähnlicher Form
stehen wir auch vor dem Phänomen sogenannter “Islamischer Staat“. Mit anderen Worten,
außenpolitische Krisen vorherzusagen, ist nicht nur außerordentlich schwer, es ist in sehr vielen Fällen
leider völlig unmöglich. Und wenn das Jahr 2014 sozusagen die Ouvertüre geboten hat zu diesen
beiden großen Krisen, die eine in Europa, die andere im Nahen- und Mittleren Osten mit unmittelbaren
Bedrohungsauswirkungen auf uns, dann wird das Jahr 2015 nach meiner Einschätzung Teil des
Hauptakts sein. Wir werden deswegen gar nicht anders können, als die diesjährige Münchner
Sicherheitskonferenz diesen beiden großen Krisen zentral zu widmen.
SWR: Fangen wir vielleicht mit dem Thema an, das hier auch bei uns in Deutschland ganz konkret die
Menschen bewegt. Das ist die Angst vor dem Terror. Müssen wir, so schlimm wie das ist, müssen wir
mit Anschlägen rechnen, wie es sie in Frankreich gegeben hat?
W.I.: In der Außenpolitik gilt das Prinzip, das, wenn man versucht zu planen, man am besten vom
„Worst Case“, also vom schlimmstmöglichen Fortgang der Ereignisse ausgeht. Unter dieser Prämisse
wäre es fast ein Wunder, wenn das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, wie unter einer
Käseglocke der Unversehrtheit, verschont bleiben würde von dem, was Briten schon vor Jahren, was
Spanier auch vor Jahren, was Franzosen wiederholt und jetzt in besonders dramatischer Weise erlebt
haben. Ich glaube, man muss sich darauf einstellen, dass es das Wunder, dass Deutschland davon
nichts abkriegt, vermutlich nicht geben wird.
SWR: Es wird in Deutschland wieder über schärfere Sicherheitsgesetze diskutiert, wie eigentlich
immer, wenn anderswo schwere Attentate passiert sind. Ist das in der aktuellen Situation aus Ihrer Sicht
Interview der Woche :
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nun mehr als nur ein Reflex, weil Politiker das Gefühl haben, die Bürger würden jetzt schnelle
Entscheidungen erwarten?
W.I.: Ich mache mir Sorgen, dass, wenn so etwas in Deutschland passieren könnte, dass die solchen
Terror nicht gewohnten Deutschen vielleicht in die falsche Richtung überreagieren können. Ich war sehr
beeindruckt von der ruhigen Art, in der die damalige norwegische Regierung reagiert hat auf diesen
unglaublich brutalen Massenmord, der von einem einzigen Täter in Oslo und Umgebung verübt worden
ist, mit sechzig oder siebzig Toten. Der damalige Regierungschef hat den Norwegern zugerufen, „ wir
lassen uns unsere Lebensweise durch diesen Vorgang nicht nehmen“. Und ich würde mir wünschen,
dass wenn, hoffentlich passiert ja nichts bei uns, aber wenn etwas passieren sollte, dass wir nicht
überreagieren. Der Ruf nach mehr Polizei und nach mehr Sicherheit ist verständlich, aber es gibt keine
perfekte Sicherheit.
SWR: Sie hören das SWR Interview der Woche, heute mit Wolfgang Ischinger, dem Leiter der
Münchner Sicherheitskonferenz. Herr Ischinger, lassen Sie uns über den Ukraine-Konflikt sprechen.
Weder die Weltgemeinschaft noch die NATO oder die Europäische Union haben ja verhindern können,
dass sich Russland die Krim einverleibt. Sie haben auch den Krieg im Osten der Ukraine nicht
verhindern können, und nun fühlen sich auch andere Länder bedroht - Polen zum Beispiel, die
baltischen Staaten. Wie groß ist die Gefahr, dass die Destabilisierung in dieser Region weiter getrieben
wird?
W.I.: Die Gefahr ist erheblich. Ich möchte aber gerne einen besonderen Punkt ansprechen, bei dem
ich glaube, dass es vielleicht Ansatzpunkte geben könnte, um über diese Konfrontation, die wir da
zurzeit erleben, hinweg zu kommen. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder
gelesen und gehört und miterlebt, wie russische Streitkräfte, ich denke an Flugzeuge und Schiffe,
sozusagen Muskelspiele veranstaltet haben. Diese Form ist deshalb so brandgefährlich, weil es
natürlich nur der Fehleinschätzung eines einzigen Raketenoffiziers auf einem einzigen Schiff, oder
eines Piloten in einem einzigen Kampfbomber bedarf, um möglicherweise katastrophal eskalierende
Reaktionen auszulösen. Ich glaube deshalb, dass es ganz, ganz falsch wäre, wenn der Westen diese
russischen Muskelspiele der letzen Wochen und Monate versuchen würde mit gleicher Münze
heimzuzahlen. Was ich persönlich für richtig halten würde in dieser gefährlichen Situation ist, dass man
sich zusammensetzt und über das Abstandhalten nachdenkt und Verabredungen trifft, dass
amerikanische Schiffe und Flugzeuge und Bundeswehr-Schiffe und Flugzeuge, russischen Schiffen
und Flugzeugen sich nicht näher als, ich sage jetzt mal, fünf Kilometern oder zehn Kilometern, nähern.
Um Missverständnisse zu verhindern, um Transparenz zu erhöhen, um Warnzeiten und Zeiten zum
Nachdenken zu gewährleisten.
SWR: Nun scheint sich ja Russland in dieser Krise als Opfer zu fühlen. Und mal unabhängig davon,
ob man diese Haltung nachvollziehen kann oder nicht, müsste man Präsident Putin nicht einen Weg
zeigen, wie er ohne Gesichtsverlust aus dieser verfahrenen Lage heraus finden kann? Ist vielleicht das,
was die Bundeskanzlerin in der vergangenen Woche angedeutet hat, ein gangbarer Weg, nämlich,
einen gemeinsamen Handelsraum mit Russland zu vereinbaren und zwar dann, wenn der Ukraine-Krieg
vorbei ist?
W.I.: Der Vorteil einer solchen Überlegung ist, dass er keine der beiden Seiten zum Gesichtsverlust
zwingt. Das Problem bei der Lösung der eigentlichen Ukraine-Krise ist, dass man sich eigentlich schwer
vorstellen kann, wie die vollständige Umsetzung des Minsk-Abkommens vollzogen werden könnte, ohne
das zumindest aus der Sicht russischer Nationalisten der russische Präsident sein Gesicht doch
verlieren könnte. Deswegen ist der Merkelsche Vorschlag das Wirtschaftsthema wieder aufzugreifen,
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ein richtiger Vorschlag. Es geht ja nicht darum Russland abzustrafen, sondern es geht darum, durch die
Sanktionspolitik des Westens Anreize dafür zu schaffen, dass Russland bei der Entflechtung und
Beendigung dieses Konflikts in der Ukraine aktiv mitwirkt. Es geht also nicht um eine Bestrafung
Russlands, sondern um die Stabilisierung der Ukraine. Und das ist deshalb wichtig, weil es natürlich
Stimmen in Moskau gibt, denen wir massiv entgegentreten müssen, der Westen habe hier nur ein Ziel,
das er verheimliche, nämlich „Regime-Chance“ in Moskau herbeizuführen.
SWR: Herr Ischinger, vor einem Jahr ist auf der Sicherheitskonferenz die Debatte über die Rolle
Deutschlands in der Welt eröffnet worden. Der Bundespräsident, der Außenminister, die
Verteidigungsministerin, sie haben alle gesagt, dass ein wirtschaftlich so starkes und politisch so
einflussreiches Land wie Deutschland nicht abseits stehen darf, wenn es um schwerste Krisen geht, das
war, wie gesagt, vor einem Jahr. Heute unterstützt Deutschland zum Beispiel die Kurden im Nord-Irak,
im Kampf gegen den Islamischen Staat. Es werden zum ersten Mal Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert.
Deutsche Soldaten werden demnächst im Irak kurdische Peschmerga-Truppen ausbilden. Ist das für
Sie eher ein Tabubruch, oder ein guter Anfang ein Schritt in die richtige Richtung?
W.I.: Ich sehe es eher als einen Schritt in die richtige Richtung. Die Gauck-Rede vor einem Jahr und
die Reden der beiden Minister haben, wie ich persönlich finde, in sehr, sehr guter Weise eine Debatte in
Gang gesetzt, die natürlich noch lange nicht zu Ende sein wird, die es aber ermöglicht hat, dass man in
Deutschland, klarer als vielleicht in der Zeit vorher, darüber nachdenkt: Was sind eigentlich unsere
politischen-, diplomatischen-, wirtschaftlichen und „ last but not least“ auch militärischen Interessen? Ich
glaube also, hier ist ein guter Prozess in Gang gekommen. Und ich glaube, unsere Partner in unseren
Nachbarländern sind zufrieden damit, dass die Deutschen sich die Beantwortung der Frage ihrer Rolle
in Europa und in der Welt relativ schwer machen. Soweit ist eine derartige pro-aktivere deutsche
Außen- und Sicherheitspolitik, so wie sie gefordert worden ist, auch ein deutscher Beitrag zu einer
schlagkräftigeren, überzeugungskräftigeren und insgesamt handlungsfähigeren Europäischen Union.