SÜDWESTRUNDFUNK SWR Interview der Woche – Manuskript Autor: Gesprächspartner: Redaktion: Sendung: Stephan Ueberbach Maly Dreyer (SPD),Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz Stephan Ueberbach SWR Studio Berlin Samstag,27.02.2016, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR SWR Interview der Woche vom 27.02.2016 SWR: Frau Dreyer, diese Woche war für Europa keine gute Woche. Jedenfalls dann, wenn man die Europäische Union für eine Errungenschaft hält. Österreich, Slowenien und andere machen die Grenzen dicht. Griechenland fühlt sich im Stich gelassen, droht Brüssel mit politischer Blockade. Ungarn will eine Volksentscheidung herbeiführen, um Flüchtlingsansiedlungen zu verhindern. Glauben Sie persönlich noch an eine europäische Lösung für diese Krise? M.D.: Ich persönlich bin der Auffassung, dass es sich lohnt hinter der Kanzlerin und der Bundesregierung zu stehen, um alles daran zu setzen, dass wir doch noch eine europäische Lösung bekommen. Die Türkei wird dabei eine besondere Rolle spielen. Da kann es einem gefallen, oder nicht gefallen, dass wir enger mit der Türkei kooperieren. Ich finde den Weg richtig, denn wir können nicht diese Frage damit lösen, indem wir national versuchen, Grenzen hochzuziehen. Ich bin Ministerpräsidentin in einem Land, das sehr stark vom Export abhängig ist. Wir leben in einem freien Europa. Wir haben tolle Nachbarn und wir möchten alles daran setzen, dass das so bleibt und dass wir auch wirtschaftlich weiter davon profitieren können. Insofern ja, es wird schwer, es bleibt schwer, aber ich glaube daran, dass dieser Prozess trotzdem zielführend sein wird. SWR: Ein wichtiger Nachbar im Süden ist Österreich. Das Land wird von den Sozialdemokraten regiert. Können Sie Ihren Parteifreund Werner Faymann in Wien verstehen, dass er die Grenzen dicht macht? M.D.: Ich kann diese Koalition in Österreich überhaupt nicht verstehen, weil wir ja erleben bei Österreich, dass Hochziehen von nationalen Grenzen eigentlich nur zum Rückstau in anderen Staaten führt. Wir lösen die Flüchtlingsfrage damit nicht, und wir können sie auch nicht delegiert lassen - dann zum Beispiel in Griechenland. Das heißt, wir brauchen eine gemeinsame Lösung. Und deshalb ist es nicht zielführend, so zu agieren. Ich verstehe, und das ist auch meine Haltung, wir brauchen weniger Flüchtlinge in Europa, das ist selbstverständlich. Daran müssen wir arbeiten. Aber der Kurs der Bundesregierung ist dabei der richtige. Den unterstütze ich. Und das tun nicht alle, auch nicht bei uns im Land. Auch die Oppositionsführerin lädt montags Frau Merkel ein, dienstags den Außenminister Österreichs und samstags Herrn Seehofer. Das sind sehr, sehr unterschiedliche Haltungen zu dem Thema. Ich kann es nicht nachvollziehen. Rheinland-Pfalz braucht eine europäische Lösung. SWR: Die Bundeskanzlerin findet im Moment ja ganz offensichtlich den größten Rückhalt für ihre Flüchtlingspolitik bei der SPD und bei den Grünen. Winfried Kretschmann, Ihr grüner Amtskollege in Baden-Württemberg sagt sogar, er würde jeden Tag für die Gesundheit der Kanzlerin beten. Tun Sie das auch? M.D.: Ja, also ich bin auf jeden Fall auch eine Unterstützerin des Kurses von Angela Merkel und der gesamten Bundesregierung. Aber klar ist auch, Angela Merkel trägt natürlich auch hier die Interview der Woche : 2 Verantwortung. Denn am 5.9. hat sie humanitär richtig gehandelt. Aber ohne Absprache mit den europäischen Partnern. Das habe ich von Anfang an auch kritisiert. Und deshalb ist eben auch der Druck groß. Sie muss zu einer Verständigung kommen, das ist ihre Verantwortung. Aber im Kurs hat sie meine volle Unterstützung. SWR: Es wird ja Stück für Stück die deutsche Asylgesetzgebung sehr stark eingeschränkt. Der Bundestag hat diese Woche weitere Verschärfungen beschlossen, das sogenannte Asylpaket II. Es geht um spezielle Registrierungszentren für Asylsuchende, die kaum eine Bleibeperspektive haben. Es geht um Einschränkungen beim Familiennachzug. Das klingt nach Abschreckung und nicht nach Willkommen. Finden Sie das richtig? M.D.: Wir haben Regelungen gefunden, die ich sehr sinnvoll finde. Beispielsweise, dass Gruppen, von denen klar ist, dass sie ein schnelles Verfahren einfach bekommen können, weil sie gar keine Bleibeperspektive im Land haben. Dass wir die nicht monatelang warten lassen. Und auch unser Land sozusagen nicht monatelang in dieser Unentschiedenheit lassen. Es gibt Regelungen, die sind schwieriger, die tun auch ein bisschen weh, beim Thema Familiennachzug. Da stehe ich nicht mit dem Herzen dahinter. Aber ich bin trotzdem froh, dass die Bundesregierung insgesamt, Bundestag und Bundesrat, Handlungsfähigkeit zeigen. Ich finde, es sind viele gute pragmatische Lösungen darin. Und das Hauptargument für mich ist, dass wir handlungseinig sind und deutlich machen, wir sind auch in der Lage, national die Dinge anzupacken. SWR: Aus der SPD ist zu hören, jetzt muss es aber schnell ein drittes Paket geben – ein Integrationspaket mit Geld für Wohnungen, für Schulen, für Kitas, für Ausbildungsangebote, für Sprachkurse. Sie selbst haben mit anderen führenden SPD-Frauen schon einen entsprechenden Vorstoß unternommen. Bezahlen soll das alles möglichst der Bund. Ist das nicht ein bisschen einfach? M.D.: Es soll nicht alles der Bund bezahlen. Aber, genau wie ich es bei der Flüchtlingsfrage insgesamt immer gefordert habe, das hat lange gedauert, nämlich anzuerkennen, dass es eine Gemeinschaftsaufgabe ist, genauso fordere ich das schon sehr, sehr lange für das Thema „Integration“. Viele Menschen kommen zu uns, die bleiben. Sie bleiben zumindest für einige Jahre. Und es ist unsere Verpflichtung, genauso wie wir Zuzug regeln, dafür zu sorgen, dass die Menschen eine Chance haben, die Sprache zu lernen, eine Ausbildung zu machen, integriert zu werden in Arbeit, Wohnraum für alle zu schaffen und auch deutlich zu machen, dass Bund und Länder zusammen anpacken müssen und Kommunen. Dass die Gesellschaft insgesamt Integration positiv erlebt, dass heißt, dass auch keiner der Einheimischen `runter fällt. Wir sind in Vorleistung gegangen als Länder. Jetzt ist es höchste Zeit, dass der Bund sich eben auch bekennt und tatsächlich auch Geld dafür in die Hand nimmt. SWR: Das SWR Interview der Woche heute mit Malu Dreyer. Sie ist in der SPD und Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. Frau Dreyer, es hat noch nie so viele fremdenfeindliche Angriffe gegeben wie in den letzten Wochen und Monaten. Nicht nur in Sachsen, wie zuletzt in Clausnitz und Meißen zum Beispiel, sondern auch in Rheinland-Pfalz. Aktuelle Statistiken sagen, siebenhundert Straftaten allein im vergangenen Jahr. Sie sagen, „wehret den Anfängen“. Was heißt das konkret? M.D.: Ja, mich bekümmert das wirklich sehr, denn ich gehöre ja einer Generation an, die eigentlich rechtes Gedankengut eher aus den Geschichtsbüchern kennt, oder aus Erzählungen. Wehret den Anfängen heißt, dass wir eine Kultur des Widerstands brauchen und haben in Rheinland-Pfalz. Wir tun sehr, sehr viel präventiv in Demokratiebildung. Wir haben Schulen, die sich für Courage und Demokratie einsetzen. Wir sind aber auch sehr klar im staatlichen Handeln. Polizei und Justiz sind vollkommen klar aufgestellt. Wir werden nichts durchgehen lassen, was rechte Parolen oder Angriffe gegen Menschen die rassistisch und menschenfeindlich sind. Aber ich denke auch, man muss klar machen, als Politiker, als Politikerin, gerade in der heutigen Zeit, dass es auf jeden Bürger, jede Bürgerin ankommt, auch bei Interview der Woche : 3 Wahlen. Sie haben es in der Hand letztendlich, ob Rechte in unseren Landtag einziehen oder nicht. Es ist bedrückend was zurzeit in Deutschland läuft, und wie einfach es inzwischen ist, auch rechtsextremes Gedankengut zu formulieren in der Öffentlichkeit. SWR: Wird eigentlich zu viel über die AfD und ihre Parolen geredet? M.D.: Wir müssen natürlich über die AfD sprechen, weil sie im Moment eben nach allen Umfragen auch eine Chance hat, einzuziehen in die Landtage. Aber man muss auch deutlich sagen, dass die AfD sich in den letzten Monaten ja total verändert hat. Und ich weiß nicht, ob alle Menschen das wirklich so gewusst haben. Die AfD hat sich gespalten, und nach der Spaltung sind ja auf der Funktionärsebene viele Menschen mit rechtsextremen- und menschenverachtenden Haltungen übrig geblieben. Und deshalb müssen wir über die AfD sprechen. Wir müssen Bürgern und Bürgerinnen klar machen, die AfD ist keine Protestpartei. Menschen, die die Nase voll haben von der Politik. Ich will sie immer wieder einladen, auch mit ihren Anliegen. Ich will deutlich machen, wir machen Politik, auch für Menschen, die es nicht so leicht haben. Soziale Gerechtigkeit ist meine Antwort auf Sorgen von Menschen. Wir müssen darüber sprechen und deutlich machen, die AfD ist keine Protestpartei. Sie ist eine rechte Partei. Sie will was anderes, einen anderen Staat. Sie will unsere Freiheit ein ganzes Stück beschneiden. Und darum geht es letztlich. SWR: Bei uns melden sich Hörer, die sagen, bisher haben wir immer eine der beiden großen Parteien gewählt. Diesmal aber geht das nicht mehr, ich bin nicht rechts, aber diesmal wähle ich die AfD. Es gibt ganz offensichtlich viele Menschen, die Verlustängste haben, die Angst haben, verdrängt zu werden. Das gibt es alles auch, vermutlich sogar gerade, bei der Kernkundschaft der SPD. Auch da sagen viele, für die tut ihr alles, für uns tut ihr nichts. Was sagen Sie? M.D.: Dann sage ich natürlich, dass das so nicht stimmt. Denn wir bauen ja zum Beispiel 4200 neue Wohnungen in Rheinland-Pfalz, und die bauen wir für alle Menschen, die preisgünstigen Wohnraum suchen und nicht nur für Flüchtlinge. Ich hab von Anfang an großen Wert darauf gelegt, dass wenn wir jetzt Arbeitsprogramme machen, Arbeitsmarktprogramme machen für Flüchtlinge, dass wir auch ausbauen weiterhin die Programme für unsere Langzeitarbeitslosen. Das ist ein großes, großes Thema für mich. Wir sind auch nicht die Partei, die dann ins Zaudern kommt, wenn eine neue Frage aufkommt, zum Beispiel für Flüchtlinge jetzt eine Ausnahme beim Mindestlohn zu machen, weil wir wissen, es geht gar nicht zu Lasten der Flüchtlinge, sondern zu Lasten der Menschen, die im Niedriglohn tätig sind. Und ich habe eine Initiative mit der Landesregierung angestrebt zum Thema „Parität“, weil ich nicht möchte, dass in Zukunft nur noch Arbeitnehmer und Rentner und Rentnerinnen die Beitragserhöhungen bei der Krankenkasse bezahlen. Also, wir haben diese Themen sehr, sehr gut im Blick. Ich allemal als ehemalige Sozialministerin. Und ich kann den Menschen immer nur wieder sagen, dass ich darauf achten werde, dass unsere Balance im Land auch erhalten bleibt und Menschen keine Nachteile durch unsere Flüchtlinge haben. SWR: In Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt sieht es für die SPD richtig düster aus. Sie könnte in beiden Länder sogar hinter die AfD rutschen und nur noch auf Platz vier landen. Sie kennen ja Sigmar Gabriel, den Parteichef. Er ist einigermaßen impulsiv. Was ist da zu erwarten, wenn es richtig schlecht läuft, oder anders gefragt, was befürchten Sie? M.D.: Also ich war noch nie der Auffassung, dass Landtagswahlen unbedingt, oder ausschließlich, oder vor allem mit Bundespolitik zu tun haben. Das haben viele Bundesländer längst gezeigt, dass man auch jenseits des Bundestrends der eigenen Partei Wahlen gewinnen kann, oder auch Wahlen dann entsprechend gleich verlieren kann, unabhängig von der bundespolitischen Ausrichtung. Insofern sage ich, man sollte es auch nicht übertreiben. Wir haben auch Verantwortung im eigenen Land. Natürlich ist Rückenwind besonders schön. Da hat die CDU im Moment wieder etwas mehr Rückenwind als wir. Interview der Woche : 4 Aber die Verantwortung dann auf den Parteichef zu übertragen finde ich übertrieben. Die Verantwortung tragen wir auch sehr stark in den Ländern selbst. SWR: Angeblich wird ja in der SPD schon über die Zeit nach Sigmar Gabriel nachgedacht. Ist da was dran? M.D.: Für mich ist das gar kein Thema.
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