Fehlende Vorschriften in der Hightech-Pflege | Manuskript Schutzlose Patienten: Fehlende Vorschriften in der Hightech-Pflege Bericht: Heiner Hoffmann Leben ohne selbstständig atmen zu können – für die Patienten auf der Intensivstation der Charité tägliche Realität. Sie sind auf Maschinen angewiesen – und auf das Personal, das diese Maschinen bedient. Doch in der Intensivstation bleiben sie nur so lange, bis die akute Notfallbehandlung vorbei ist. Danach muss eine andere Lösung her. Private Pflegedienste haben den Markt für sich entdeckt. Dr. Simone Rosseau, Oberärztin Intensivstation Charité: "Die Pflegedienste kommen auf die Station, die bieten sich an: 'Wir sind ein Intensivpflegedienst, machen Beatmungspflege und bei uns können die Patienten weiter versorgt werden. Wir können Ihnen Patienten abnehmen, bei denen Sie die Behandlung beendet haben, die nur nicht von der Beatmung abkommen.' Das hört sich erst mal sehr gut an, und jeder ist froh: Mensch, da kann ich einen weiterversorgen und habe ein freies Bett." Diese privaten Pflegedienste nutzen eine Lücke, denn Pflegeheime speziell für Beatmungspatienten gibt es kaum, die Betten reichen bei weitem nicht aus. Doch auf der Intensivstation können sie eben auch nicht bleiben. Also mieten viele Pflegedienste Wohnungen an und bringen dort oft mehrere Patienten gleichzeitig unter, quasi in Wohngemeinschaften. Mit teils fatalen Folgen, wie die Ärzte der Charité selbst erlebt haben. Dr. Simone Rosseau, Oberärztin Intensivstation Charité: "Von katastrophalen Zuständen, die ich von ärztlichen Kollegen gehört habe aus Wohngemeinschaften. Der kam, um einen Patienten zu visitieren und hat eine betrunkene Pflegekraft vorgefunden, die alleine für fünf Beatmungspatienten zuständig war. Diese Patienten sind sehr häufig wieder auf den Rettungsstellen, auf den Intensivstationen, einfach weil sie Pflegeprobleme hatten, die nicht erkannt worden sind." Wir wollen uns selbst überzeugen, wie solche Wohngemeinschaften funktionieren, geben uns als Angehörige eines Beatmungspatienten aus. Zwei Mitarbeiter des Pflegedienstes führen uns in den zweiten Stock eines Bürokomplexes. Hinter einer unscheinbaren Tür versteckt sich eine Riesen-WG, nirgendwo findet sich im Haus ein Hinweis darauf. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Fehlende Vorschriften in der Hightech-Pflege | Manuskript O-Ton: Besichtigung "Wundern Sie sich nicht, hier steht nirgendwo unser Name dran. Wir sind ja nur der Dienstleister." Reporter: "Wie viele wohnen jetzt hier?" "In diesem Bereich 14 und im anderen Bereich 15." 29 Menschen in einer Wohngemeinschaft, das erinnert eher an ein Pflegeheim. Wir fragen nach dem Unterschied. O-Ton: Besichtigung "Das ist so eine Geschichte mit den Heimaufsichten und Paragraphen hier, Behörden da, Deutschland eben." Reporter: "So als WG ist es einfacher?" "Ganz genau." Der Trick: Die Zimmer gelten als Privatraum der Patienten, damit ist die Betreuung offiziell ambulant. Diese Pflege-WGs erhalten bis zu 20.000 Euro pro Patient pro Monat. Aber das heißt auch: Es gelten nicht die Vorschriften wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen, keine regelmäßigen Prüfungen von Heimaufsicht und Krankenkassen, und auch keine verbindlichen Mindeststandards für das Intensivpflegepersonal. Das hat auch der ärztliche Prüfer vom MDK Bayern, Peter Demmel, erfahren müssen. Er hat solche WGs besucht, rund ein Viertel hatte deutliche Mängel, oft sei das Personal schlecht geschult. Peter Demmel, Ärztlicher Prüfer MDK Bayern: "Es kommt vor, dass Personal nicht richtig eingewiesen wurde, ein Beatmungsgerät, ein Zweitgerät in Gang zu bringen. Es ist festzustellen, dass Personal nicht die erforderlichen Hygienemaßnahmen einhält. Das alles können patientengefährdende Defizite sein, die dürfen in dieser Form nicht vorkommen." Wie erleben Pfleger in diesen WGs solche Situationen? Wir treffen eine Insiderin, die es wissen muss. Sie war Pflegeleiterin einer Beatmungs-WG, am Ende blieb ihr nur die Kündigung. Aus Angst vor ihrem vorherigen Arbeitgeber möchte sie anonym bleiben. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Fehlende Vorschriften in der Hightech-Pflege | Manuskript Ehemalige Pflegeleiterin einer Beatmungs-WG: "Nachts waren wir alleine mit sechs Patienten auf zwei Ebenen. Das heißt, wenn ich im Erdgeschoss war, hörte ich nicht, was oben passierte. Wir hatten einen Patienten, der sich ständig die Kanüle gezogen hat. Wenn ich im ersten Stock war, habe ich das einfach nicht gehört. Das ist gefährliche Pflege. Ich habe meinen Arbeitgeber darüber informiert, die Antwort: Das geht schon, da wird immer mal einer sterben." Reporter: "Und kontrolliert hat diese Wohngemeinschaft keiner?" "Nein, da war keiner da." Denn wie gesagt: Die Wohngemeinschaften gelten nicht als Heim, sondern als privater Wohnraum. Das heißt, kontrolliert wird kaum, Patienten und Angehörige müssen sich darauf verlassen, dass Pflegedienste freiwillig Qualität liefern. Prüfer Peter Demmel reicht das nicht, er fordert verbindliche Standards für Intensivpflegedienste. Peter Demmel, Ärztlicher Prüfer MDK Bayern: "Man kann dieses Thema nicht ignorieren, es muss adäquat behandelt werden - und das ist es in dem aktuellen Prüfkonzept bei weitem nicht." Reporter: "Das heißt für den Anbieter: Es wäre schön, wenn ihr euch daran haltet, ihr müsst aber nicht?" "So ist die derzeitige Situation." Ein heikles Geschäft mit der Not von Intensivpatienten. Wir fragen beim Bundesgesundheitsministerium nach, ob man Handlungsbedarf sieht. Ein Interview gibt es nicht, in einer schriftlichen Antwort heißt es: Über Qualitätssicherung entscheide der gemeinsame Bundesausschuss. Und da sei, Zitat: "keine Befassung mit der außerklinischen Intensivpflege vorgesehen." So bleibt den Anbietern freie Bahn. In einigen Ländern gibt es immerhin die Pflicht, dass sich die WGs bei der Heimaufsicht anmelden müssen. Doch die darf nur vorbeikommen, wenn der Hausherr das erlaubt. Wir besuchen eine zweite WG, fragen nach der Ausbildung des Personals. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3 Fehlende Vorschriften in der Hightech-Pflege | Manuskript "Wir haben nicht alle die spezielle Ausbildung, die meisten haben nur so eine Fortbildung." Reporter: "Einen Crashkurs?" "Ja, so einen Tageskurs." "Und einen Beatmungskurs, den haben nicht alle?" "Nein, den haben nicht alle." "Und gibt es Fachpflegekräfte für Intensivmedizin?" "Die arbeiten nicht hier, nein. Da ist jetzt keiner hier." Inzwischen werden diese Zustände auch innerhalb der Branche heftig kritisiert. Christoph Jaschke betreibt selbst WGs für Beatmungspatienten, hat freiwillig durchweg Fachkräfte engagiert. Er fordert verbindliche Standards, vor allem für die Ausbildung des Personals. Christoph Jaschke, Betreiber Intensivpflegedienst: "Ich finde es beschämend, dass wir in diesem Land alles regeln, jedes Teil hat eine DINNorm, aber so ein sensibler Bereich mit einer permanenten Gefährdung ist nicht geregelt. Es ist beschämend als deutsches Unternehmen in diesem Bereich arbeiten zu müssen." Die beiden WGs, die wir mit versteckter Kamera besucht haben, sind für ein Interview nicht zu erreichen. Doch schriftlich heißt es, man schule das Personal Schritt für Schritt neben der Arbeit. Und überhaupt: Man verstoße gegen keinerlei Auflagen. Und damit haben sie sogar recht. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 4
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