Jetzt herunterladen

Wenn Täter nicht zahlen | Manuskript
Wenn Täter nicht zahlen
Bericht: Sandro Poggendorf
Kinderhände. Sie gehören einem Jungen, der nicht erkannt werden möchte. Zu groß ist die
Scham. Er wurde missbraucht, über Jahre. Vom eignen Patenonkel. Die Musik, für den heute
13 jährigen eine Art Therapie:
„Bin abgelenkt, denke an nichts. Also daran.“
Seine Schwester sucht Zerstreuung mit Musikclips aus dem Internet. Sie hatte einen
schweren Hörsturz. Der kam, als Sie sich und den Eltern eingestehen musste, was auch ihr
der Patenonkel angetan hat.
„Es gibt jetzt schon ein paar Momente wo ich dran denke. Aber es kommt manchmal so
und geht dann auch wieder weg. Manchmal auch in der Schule, im Unterricht, es kommt
immer darauf an. Ich weiß es selber nicht.“
Matthias K. war Freund und Patenonkel, nutze das Vertrauen der ganzen Familie auf perfide
Weise aus. Beim Babysitten, im gemeinsamen Urlaub, über sieben Jahre hat er sich immer
wieder an den Kindern vergangen. 2012 brechen die Kinder das Schweigen.
Ein Jahr später, steht Matthias K. vor dem Landgericht Leipzig. Der Vorwurf: Schwerer
sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in
mindestens 20 Fällen. Das Urteil: vier Jahre Haft. Was in diesem Fall milde klingt, ist Resultat
einer komplexen Rechtslage. Denn Matthias K. hat gestanden und von sich aus
Schmerzensgeldzahlungen an die Kinder angeboten. Insgesamt 30.000 Euro. Der Verteidiger,
Rechtsanwalt Dr. Stefan Wirth erklärte, das damals so:
Rechtsanwalt Dr. Stefan Wirth
„Er weiß das er ein riesen Fehler gemacht hat und das soll ein kleines Stückchen
Wiedergutmachung sein. Ja.“
Geständnis und Zahlungsangebot wirkten sich im Urteil Schuldmindernd aus. Bedeutet: Der
Täter erhielt Strafnachlass, nur vier Jahre Haft, statt möglicher acht Jahre. Umso bitterer,
dass der bis heute nicht einen Cent an die Opfer gezahlt hat. Für die Eltern der Kinder, die
wir zum Schutze der Opfer ebenfalls nicht zeigen wollen, ein unzumutbarer Zustand. Noch
immer fällt ihnen der Gang in das Landgericht schwer.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
1
Wenn Täter nicht zahlen | Manuskript
Mutter
„Das macht mich wütend. Richtig wütend. Wenn man sich überlegt, wie milde er eigentlich
davon gekommen ist.“
Vater:
„Also wir als Eltern selbst, wollen ja von dem Geld gar nichts sehen. Es ist als
Wiedergutmachung für die Kinder, wie er es ja selbst gesagt hat, gedacht. Die Kinder sollen
auch selbst entscheiden können, was mit den Geldern passiert. Ob sie sich den
Führerschein finanzieren. Ob sie sich den Start in das Berufsleben finanzieren.“
Dabei hätte der Täter längst zahlen können. Sogar Ratenzahlungen von monatlich 20 Euro
wurden ihm dafür vom Gericht zugestanden. In Haft, in der Justizvollzugsanstalt Torgau, hat
er Arbeit und damit monatliches Einkommen. Das allerdings hat die Familie erst durch
Nachforschungen einer beauftragten Anwältin erfahren:
Anne Prestrich, Fachanwältin für Strafrecht
„Da habe ich mitgeteilt bekommen, dass der Verurteilte bereits seit 2013 über Einkommen
verfügt. Im Jahr 2013 war es relativ gering, so unter 100 Euro. Aber spätestens ab Mitte
2014 verfügte er zwischen 160 und 180 Euro. Trotzdem hat er keine Zahlungen geleistet.“
Leider kein Einzelfall. Bis zu 60 Prozent der vereinbarten Entschädigungs- und
Schmerzensgeldzahlungen an ihre Klienten bleiben am Ende aus, so die bittere Bilanz von
Anne Pestrich.
Anne Prestrich Fachanwältin für Strafrecht
„Die Überwiegende Anzahl der Opfer, so bitter das ist, rechnet eigentlich nicht mit einer
Zahlung. Was traurig ist.“
Die Opfer, allein gelassen. Dabei ist das Problem bekannt. Auf Exakt-Nachfrage räumt das
Bundesjustizministerium ein, dass knapp ein Viertel der Schmerzensgeld- und
Entschädigungszahlungen ausbleiben. Bedeutet. Jeder vierte Täter zahlt nicht.
Für Geert Mackenroth, Vorsitzender der Opfervereinigung Weisser Ring in Sachsen, nicht
hinnehmbar.
Geert Geert Mackenroth
„Eine so gravierende Straftat gerade im sozialen Nahbereich bringt natürlich ein ganzes
Leben, oder das Leben einer ganzen Familie, eines Verbundes völlig aus den Fugen.
Erfahrungsgemäß fehlt es in solchen Fällen fast immer an Geld und es wäre aus meiner
Sicht gerechtfertigt, wenn der Täter Leistungsfähig ist, ihn dann auch zu pfänden,
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
2
Wenn Täter nicht zahlen | Manuskript
sein Einkommen zu pfänden und sein Vermögen zu pfänden und dieses dann an die Opfer
auszukehren.“
Doch der Kampf um die eigentlich schon zugesprochenen Entschädigungszahlungen kosten
nochmal Geld und vor allem Kraft.
Kraft, die Petra Quarg schon lange nicht mehr hat. Vor 15 Jahren wurde ihre Tochter Annika
umgebracht. Erdrosselt vom eigenen Schwiegersohn.
Petra Quarg
„Was der Marco getan hat, ja, der hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Der
ganzen Familie.“
Tochter Annika mit gerade mal 17 Jahren aus dem Leben gerissen - in gewisser Weise hörte
vor 15 Jahren auch das Leben für Mutter Petra auf. Beruhigungstabletten. Alkohol. Um es
irgendwie zu ertragen.
Petra Quarg
„Dann, es ging Schlag auf Schlag. Nichts mehr. Kein Geburtstag, kein Weihnachten. Kein
Besuch. Es interessiert mich alles nicht.“
Hinter dieser unscheinbaren Wohnungstür in einem Plattenbau wurde Tochter Annika mit
einem Geschirrhandtuch erdrosselt. Eine ganze Familie traumatisiert. Eine Zäsur – auch für
die damals erst fünfjährige Claudia. Als sie begreifen muss dass ihre große Schwester Annika
nicht wieder kommen wird, verlässt sie das Haus nicht mehr ohne Foto. Auch in den
Kindergarten geht sie nur noch mit Annika. Im Bilderrahmen. Heute ist sie 19 Jahre alt.
Traumatisiert, noch immer in psychosozialer Betreuung. Regelmäßig ist sie bei ihrer großen
Schwester, auf dem Leipziger Südfriedhof.
Claudia
„Er hat mich meiner Kindheit beraubt, er hat meiner Mutter die Gesundheit genommen. Er
hat meine Schwester weggenommen und die Tochter und er hat einfach unser Leben
ruiniert. Es wäre ja, sage ich jetzt mal, auch eine Art Genugtuung wenn er auch jetzt noch
finanziell dafür bluten wird.“
12 Jahre Haft und 15.000 Euro Schmerzensgeld, so das Urteil in diesem Fall. Seit zwei Jahren
ist Täter Marco P wieder auf freiem Fuß. In letzter Zeit marschiert er immer wieder bei
Legida auf, gerne auch mit Ordnerbinde. Warum er bis heute, 15 Jahre nach der Tat, noch
nicht gezahlt hat, dazu bekommen wir trotz mehrfacher Versuche keine Antwort.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
3
Wenn Täter nicht zahlen | Manuskript
Nicht gezahlte Schmerzensgelder zu erstreiten, dafür fehlen den Opfern oft die Kraft und
auch das Geld. In Bayern und Baden Württemberg hat man das Problem erkannt. Stiftungen
gehen dort in finanzielle Vorleistungen. Ein Modell auch für Sachsen?
Geert Mackenroth, Landesvorsitzender Opfervereinigung Weißer Ring Sachsen
„Dem Opfern jedenfalls wäre außerordentlich geholfen, wenn sozusagen das
Schmerzensgeld vorfinanziert werden würde, der Anspruch gegen die Täter dann auf die
Stiftung über geht und die Stiftung sich darum kümmert, ob und wann und wie und in
welchen Raten oder was auch immer sie dann das Geld vom Täter zurück bekommt.“
Petra Quarg wurde das Liebste genommen. Wirklichen Trost kann auch kein Schmerzensgeld
spenden. Aber es steht ihr schlicht zu.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
4