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Keine Fahrtauglichkeitsprüfung für alte Autofahrer | Manuskript
Keine Fahrtauglichkeitsprüfung für alte Autofahrer
Bericht: Andreas Rummel, Bettina Friedrich
Eine Veranstaltung der Verkehrswacht Leipzig. Es geht ums Auffrischen einst gelernter
Regeln: wie war das nochmal mit der Vorfahrt, wie schnell darf ich auf der Landstraße sein?
Die Senioren können hier auch ihre Fähigkeiten testen: die Koordination – mit einer Brille,
die Schwanken vortäuscht – oder auch das sehr wichtige Reaktionsvermögen. So mancher
merkt an diesem Tag, dass Selbstwahrnehmung und Wirklichkeit stark auseinanderklaffen.
Prüfer: „Nochmal bremsen. Jetzt fahren, jawohl. –
Ja, also du gibst doch weiter Gas!“
Senior: „Ach, links muss ich hier drauf treten!“
Prüfer: „Na klar!“
Senior: „Och, machen wir nochmal, komm´ her.“
Prüfer: „Also bitte, konzentrieren.
Piepston erfolgt.
Prüfer: „Äh, mein Guter – also die Reaktionszeit ist stark verbesserungswürdig!“
Senior: „Ach“
Prüfer: „Da sind Sie also jetzt 8,1 Meter weiter gefahren, wo gar nichts passiert ist!
Dann 11,6 Meter reiner Bremsweg. Da haben Sie schon lange da vorne das Kind oder das
Reh erwischt!“
Was nur wenige wissen: Die Reaktionsgeschwindigkeit kann man trainieren.
Frank Peters, Verkehrswacht Leipzig
„Es ist erstaunlich, wie manche hier Reaktionszeiten bieten, die absolut von gut und böse
sind und doch draußen noch fahren. Da muss man sagen, sollte doch mancher zu sich
ehrlich sein und sagen, entweder gar nicht oder doch üben.
Die Zahl der von Senioren verursachten Unfälle steigt. 2014 in Sachsen beispielsweise um
rund 4 Prozent, in Thüringen sogar um mehr als 12 Prozent. Gerade auch schwere Unfälle
nach falschem Auffahren auf die Autobahn sorgen immer wieder für Schlagzeilen.
In Deutschland gibt es für autofahrende Senioren bestenfalls freiwillige Fahrtrainings, wie
hier, organisiert vom ADAC. In anderen europäischen Ländern wie Großbritannien,
Frankreich oder der Schweiz sind regelmäßige Gesundheitschecks ab einem gewissen Alter
längst Vorschrift. Bei uns gilt: einmal Führerschein, immer Führerschein. Notfalls, bis es
kracht.
An der sächsischen Polizeihochschule Rotenburg lehrt Professor Dieter Müller Polizeirecht.
Er sagt: In Deutschland handelt der Staat meist erst dann, wenn etwas passiert ist.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Keine Fahrtauglichkeitsprüfung für alte Autofahrer | Manuskript
Prof. Dieter Müller, Experte für Polizeirecht
„Der Staat nimmt dieses Risiko in Kauf. Das heißt also, erst wenn gewisse Mängel
offenkundig werden, und das kann durch ein Fehlverhalten sein, das kann sogar durch
einen Verkehrsunfall sein, dann wird man auf solche Sicherheitsdefizite aufmerksam.“
Doch selbst das passiert nicht automatisch. Ein Beispiel.
Vor einigen Monaten hat diese ältere Dame, knapp 80 Jahre alt, unfreiwillig ihr Auto
zerstört.
Sie wollte gegenüber der Klinik im sächsischen Borna ausparken, schoss aber plötzlich über
die Straße, über den Bürgersteig, durch eine Hecke und prallte gegen die Hauswand. Warum
es passierte, was mit ihr los war – all das weiß sie nicht.
Seniorin
„Das ist mir überhaupt nicht erinnerlich!
Ich habe großes Glück gehabt! Es waren keine Leute an der Bushaltestelle, die dort ist. Und
es waren auch keine Fußgänger!“
Glück war vor allem, dass sich das Ganze an einem Feiertag ereignete, und deshalb vor der
Klinik kaum Menschen unterwegs waren.
Die Polizeibeamten, die zum Unfallort gerufen wurden, spulten offenbar lediglich ihre
Routine ab.
Seniorin
„Es waren zwei Polizisten vor Ort, die haben das aufgenommen.“
Frage: „Und keiner hat gefragt: Was war die Ursache?“
„Nein!“
Frage: „Auch keine Überprüfung – Fahrfähigkeit?“
„Nein.“
Eigentlich sind Polizeibeamte verpflichtet, Zweifel an der Fahreignung an die
Führerscheinbehörde zu melden. Doch häufig geschieht das nicht, unter anderem, weil die
Probleme gar nicht erst erkannt werden. Prof. Dieter Müller macht hierfür vor allem Defizite
in der Ausbildung der Polizisten verantwortlich.
Prof. Dieter Müller
„Bundesweit gibt es Defizite in der Ausbildung im Fahreignungsrecht. Polizeibeamte
müssten generell ausgebildet werden auch in verkehrsmedizinischen und
verkehrspsychologischen Fragen. Das ist bundesweit nicht der Fall!“
Selbst wenn sehr Schlimmes passiert ist, wie hier, im vergangenen März in Stemwede,
Nordrhein-Westfalen, werden wichtige Fragen offenbar nicht gestellt. Ein siebenjähriges
Kind ist tot, erfasst vom Auto eines 82jährigen. Das Kind wollte abbiegen und achtete nicht
auf den Gegenverkehr – laut Polizei lag der Fehler beim Kind. Der Pkw-Fahrer sei nicht zu
schnell gewesen.
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Ralf Steinmeyer, Polizei Minden-Lübbecke
Frage: „Sehen Sie Gründe für eine Fahrtüchtigkeitsüberprüfung?“
„Hier, aktuell, gibt es keinerlei Gründe, die dafür sprechen, dass das kommt. Aber wir
können natürlich auch den Ermittlungen nicht vorgreifen – deshalb kann man diese Frage
derzeit noch nicht beantworten!“
Von der zuständigen Staatsanwaltschaft wollten wir wissen, ob es in der Zwischenzeit eine
Überprüfung gegeben hat. Aber wir bekommen keine Auskunft.
Professor Dieter Müller meint: in diesem Fall sind dringend weitere Fragen zu stellen.
Prof. Dieter Müller
„Hat der Verkehrsteilnehmer noch richtig gesehen? Hat er noch rechtzeitig reagieren
können? Und hätte er durch eine möglichst frühzeitige Reaktion die Kollision vermeiden
können? // Wird diese Frage nicht gestellt, handelt der Polizeibeamte fehlerhaft!“
Keine obligatorischen Gesundheitstest für ältere Autofahrer und viel zu selten eine
Überprüfung, wenn tatsächlich etwas passiert ist – das ist eine heikle Kombination. Und sie
bedeutet ein gesteigertes Risiko – für alle.
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