Facebook-Hetze gegen Flüchtlinge

Facebook-Hetze gegen Flüchtlinge | Manuskript
Facebook-Hetze gegen Flüchtlinge
Bericht: Albrecht Radon
Bilder einer Überwachungskamera. Ein dunkelhäutiger Mann betritt einen Drogeriemarkt.
Sein Ziel: Mit einem Komplizen dieses Kind zu entführen. Das behauptet zumindest die
Mutter des Jungen. Auf Facebook schimpft sie über die angeblichen Täter.
Zitat: Solche Viecher. Erzählt es Bitte, Bitte jedem.
Auch bei ihren Facebook-Freunden ist die Empörung groß.
Zitat: Solche Schweine. An die Wand stellen und erschießen.
Das Internet ist voll von Meldungen über angeblich kriminelle Asylbewerber und Flüchtlinge.
Angst wird geschürt und genau das ist auch so gewollt, sagt Michael Geffken. Der Journalist
und Leiter des Mediencampus Leipzig sieht dahinter dieselben Motive wie bei der PegidaBewegung.
Michael Geffken
In dem Moment, wo ich etwas habe, was meine Vorurteile bestätigt, dann trage ich das
natürlich gerne nach außen. Es ist eine Situation für viele, die ihnen dann auch eine
gewisse Macht gibt. Sie verbreiten etwas weiter, von dem sie wissen, das heizt die
Stimmung auf.
Doch was ist Wahrheit, was ist Lüge und was steckt wirklich hinter solchen Posts – wir gehen
der Sache auf den Grund.
Erster Fall: Am 10. Juli kommt es im bayrischen Ansbach zu einem Amoklauf. Ein 47-jähriger
Mann erschießt eine Rentnerin und einen Radfahrer. Der Täter wird später an einer
Tankstelle überwältigt. Der NPD Kreisverband im westfälischen Unna berichtet auf seiner
Facebook-Seite darüber. Vom Täter heißt es, dass er…“sich seit seinem Übertritt zum Islam
Yussuf Mohammed nennt, während des Schießens „Allahu akbar“ gebrüllt hat, einen
Salafisten-Bart trägt und wegen seiner Salafisten-Kutte und seiner Salafisten-Haube
aufgefallen ist.“
Am Telefon versichert uns die örtliche Polizei: Eine politisch motivierte Tat wird
ausgeschlossen. Ein Foto der Festnahme belegt: Der Amokschütze trägt weder einen
Salafisten-Bart, noch eine Haube oder Kutte. Doch woher hat der NPD-Kreisverband diese
Informationen? Wir nehmen Kontakt auf. Schriftlich heißt es:
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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„Der Vorgang war nicht verifizierbar. Auch der Absender, von dem wir die Nachricht
erhalten hatten, konnte uns nicht weiter helfen.“
Wir recherchieren weiter im Internet und finden diese Meldung aus Gießen. In einem
Supermarkt soll es durch Flüchtlinge zu sexuellen Übergriffen und Pöbeleien gekommen
sein. Die Filiale wurde daraufhin angeblich geschlossen. Wir kontaktieren Aldi Süd und
erfahren: Diese Meldung ist falsch.
Auf der Thügida-Facebook-Seite, dem Thüringer Ableger von Pegida, finden wir diesen
Eintrag. 20 Asylbewerber hätten in Sömmerda angeblich einen Jugendclub gestürmt,
bewaffnet mit Zaunslatten. Als vermeintliches Opfer wird dieser Mann präsentiert. Nach
einer Rücksprache mit der örtlichen Polizei steht fest: Die Geschichte ist unwahr.
Die Ermittlungsbehörden werden immer häufiger mit Falschmeldungen konfrontiert.
Dennoch, die Beamten müssen jedem Anfangsverdacht nachgehen. Andreas Loepki von der
Polizeidirektion Leipzig reagiert zunehmend genervt.
Andreas Loepki
Das erfordert einen hohen Aufwand. Zunächst müssen wir einmal prüfen, ist an dem
Gerücht irgendwas dran. Wir müssen es notfalls beweisen oder widerlegen. Und das
bindet richtig messbar Arbeitszeit und Arbeitskraft, die dann eben an anderer Stelle fehlt.
Zurück zum Fall vom Anfang. 6. Juli dieses Jahres. In diesem Drogeriemarkt in Delitzsch soll
angeblich gleich ein Verbrechen passieren: Versuchte Kindesentführung. Die
Überwachungskamera hält das Geschehen fest – die Aufnahmen liegen uns exklusiv vor. Eine
Mutter betritt mit ihrem Sohn den Laden. Kurze Zeit später folgen nacheinander zwei
dunkelhäutige Personen.
Auf Facebook schildert Katrin R., was ihr Sohn angeblich einen Moment später erzählt: Mich
hat ein Mann angelabert. Ich: Waaas? Er hat gefragt, ob ich mitkomme, der hat so komisch
geredet, kaum verstanden den Mann. Die zwei Ausländer beschimpft Katrin R. als
„Asabalaguma-Männer“.
Was passiert wirklich. Das Kind verschwindet in der Spielzeugabteilung – und damit aus dem
Sichtfeld der Kamera. Drei Minuten später bewegt sich einer der Tatverdächtigen in dieselbe
Richtung. Ob es hier tatsächlich zu einem Kontakt kommt, ist mehr als fraglich. Nur 20
Sekunden später: Der Junge kehrt, vorbei am 2. Tatverdächtigen, seelenruhig zu seiner
Mutter zurück. Katrin R. kommentiert: Da war i so geschockt. Wollte zu den hin, laut
anschreien, da waren die weg.
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Eine Schockreaktion ist auf den Aufnahmen nicht zu erkennen. 20 Minutenlang setzen
Mutter und Kind ihren Einkauf entspannt fort. Ein Versuch, die angeblichen Entführer zur
Rede zu stellen, ist nicht erkennbar. Dennoch schreibt sie: Solche Viecher. Erzählt es Bitte,
Bitte jedem.
Wir treffen uns mit Klaus-Dieter Kabelitz von der Polizei Delitzsch. Er hat den Fall untersucht.
Wir erfahren, erst einen Tag nach dem angeblichen Entführungsversuch erstattet die Frau
Anzeige.
Reporter: Da gibt es eine angebliche Kindesentführung und die Mutter postet das nur bei
Facebook und kommt nicht selber zur Polizei.
Klaus-Dieter Kabelitz
Das sind alles diese Widersprüche. Wenn mein Kind von so etwas betroffen ist, reagiere
ich eigentlich anders.
Die Aussagen von Mutter und Kind sind widersprüchlich und decken sich nicht mit den
Aufnahmen der Überwachungskamera.
Klaus-Dieter Kabelitz
Wir können ausschließen, dass tatsächlich eine Straftat geplant oder durchgeführt werden
sollte. Wir haben eben zunehmend die Erkenntnis, auch hier in der Kleinstadt, dass eben
wirklich Dinge in Richtung Ausländerfeindlichkeit gehen, dass eben jedes Ereignis versucht
wird auf diese Schiene zu drücken und dann entsprechend auch ausgeschlachtet wird.
Wir treffen Katrin R. auf der Straße und fragen nach.
Reporter: Warum gehen Sie nicht zu den Männern hin und fragen, was wollten Sie gerade
von meinem Kind?
Katrin R.: Ganz kurz, weil ich in dem Moment im Schock lag. Weil ich mir dachte, jetzt
betrifft es mich. Hallo?
Reporter: Aber warum posten Sie es im Internet und gehen nicht gleich zur Polizei?
Katrin R.: Es war, wenn Sie jetzt zuhören Abendbrotessenszeit, okay? Ich bin nach Hause
und habe mich gesammelt.
Reporter: Dadurch, dass es eben Stimmungsmache gibt gegen die Asylbewerber gegen
ausländische Mitbürger – muss man da nicht besonders vorsichtig sein, wenn man so
etwas postet?
Katrin R.: Ich habe gepostet: Mamas, passt auf Eure Kinder auf. Okay. Und was ist daran
falsch?
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Der Eintrag von Katrin R. wurde fast 900-mal geteilt – auch von der JN Nordsachsen, der
Jugendorganisation der NPD. Der angebliche Versuch einer Kindesentführung durch
Asylbewerber – eine Steilvorlage für Rechtspopulisten.
Michale Geffken
Wir haben eine aufgeheizte gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema und eine
Alltagssituation, die jeder sich für sich vorstellen kann Und dann läuft so etwas.
Reporter: Erschreckt Sie das?
Michale Geffken: Ja, klar.
Übrigens: Das Verbreiten von Falschmeldungen im Internet hat in den allermeisten Fällen
keine strafrechtlichen Konsequenzen. Stimmungsmache im Netz ist ein Kavaliersdelikt.
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