Flüchtlingswelle – Polizisten am Limit Bericht: Thomas Kasper

Flüchtlingswelle – Polizisten am Limit | Manuskript
Flüchtlingswelle – Polizisten am Limit
Bericht: Thomas Kasper, Sebastian Pittelkow
Die deutsch-österreichische Grenze bei Passau. Flüchtlinge reisen im Stundentakt nach
Deutschland ein. Was vor Wochen noch unübersichtlich war, läuft inzwischen dank
Bundespolizei geordnet ab.
“Women – men, women - men”
Eine Ordnung, die ihren Preis hat. Diese Hundertschaft aus dem sächsischen Bad Düben ist
seit Monaten nach Bayern abkommandiert. Für Polizeikommissar Mario Helfert ein
Dauereinsatz am Limit.
Mario Helfert: „Man hat es ja in den Medien gelesen 500.000 Überstunden hat man
innerhalb der letzten anderthalb Monate, die jetzt die Grenzkontrollen sind, schon
aufgebaut. Und das Ende ist nicht in Sicht. So geht es halt den Kollegen. Jeder hat um die
300 – 400 Überstunden.“
400 Überstunden pro Beamten, das entspricht rund 10 Arbeits-Wochen. Die Leibesvisitation
der Flüchtlinge übernimmt an diesem Tag Christian Kahmann mit seinen Kollegen. Im Fokus:
gefährliche Gegenstände.
Christian Kahmann:
„Unter anderem Messer, große Scheren, Nagelschere, alles, spitze Gegenstände, wie wir
hier schon, so eine kleine Auswahl haben, wo jetzt die Gefährdung unserer Kollegen, der
Busfahrer, aber auch der Flüchtlinge untereinander zu einem zu großen Risiko wird.“
“Hurry up! Jela, Jela!
Akkordarbeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends.
Christian Kahmann:
„Ja, das zieht sich. 12 Stunden Schichten vor Ort. Das merkt man mit der Zeit. Das geht
nicht spurlos an einem vorbei, das schlaucht.“
Normalerweise sind die Polizisten aus Bad Düben bei Fußballspielen, Demonstrationen oder
Großveranstaltungen im Einsatz. Jetzt treffen sie auf traumatisierte Menschen und kranke
Kinder. Seelischer Stress für die Beamten. Von den drei Hundertschaften aus Bad Düben sind
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zwei seit August an der deutsch-österreichischen Grenze. Die Luft ist raus. Jens Becker vom
Polizeiärztlichen Dienst stellt fest: Immer mehr Kollegen können nicht mehr.
Jens Becker:
„Wir haben Kollegen, die sehr fertig sind und ausfallen, die machen das schon seit August.
In den letzten Wochen ist die Ausfallrate ziemlich groß.
Beamte, die wegen Überlastung ausfallen und ersetzt werden müssen. Doch weil man mit
noch mehr Flüchtlingen rechnet, muss Einsatzleiter Gruner seine Einheit jetzt sogar noch
aufstocken.
Gruner:
„Ab nächste Woche gehen wir davon aus, dass der Kräftebedarf steigen wird. Wir rechnen
dann mit einem zusätzlichen weiteren Einsatzzug, so dass die gesamte Kräftesituation auf
ca. 150 Beamte in jeder Schicht ansteigen wird.“
Angespannt ist die Personalsituation nicht nur bei der Bundes-, sondern auch bei der
Landespolizei. Erfurt. Geschäftsstelle der Gewerkschaft der Polizei. Hier treffen wir einen
Disponenten der Thüringer Landeseinsatzzentrale. Er möchte nicht erkannt werden.
„Viele Kollegen fühlen sich nur noch im Stich gelassen, man kann sagen: völlig verarscht.
Also wenn wir hören, wir schaffen das! Und dann kriegen wir noch die AbschiebeGeschichten und dann macht die Polizei noch das und noch das, Leute! Mit 5 Leuten kann
man nur 5 Dinge machen und nicht zehn. Also das funktioniert nicht!“
Er ist dafür zuständig, Beamte in Einsätze zu schicken. Doch oft fehlt es schlicht an Kollegen.
„Wir ziehen von dem Bereich die Leute in den Bereich, haben dort, wo wir sie abgezogen
haben, niemanden mehr und können nur beten, dass da nichts passiert...und in diesem
Zustand befindet sich Thüringen permanent! Und die Politik verschließt davor die Augen!“
Zurück bleiben frustrierte Beamte.
Zumindest bei der Bundespolizei hat die Politik reagiert. Wir sind bei einer Bildungsmesse in
Stendal. 2.000 neue Stellen sollen geschaffen werden. Zum Tragen kommen die aber erst in
ein paar Jahren. Jetzt geht es erstmal um geeignete Kandidaten und den zu absolvierenden
Sporttest.
„Zweite Übung: Standweitsprung. Muss ich als Junge, 2 Versuche, muss ich 2,20 geschafft
haben.“
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Um überhaupt so viele passende Bewerber zu finden, wurden kurzerhand die
Eignungskriterien herabgesetzt. Jetzt haben auch eher dicke, kleine und ältere Interessenten
die Chance auf eine Karriere bei der Bundespolizei.
Romy Gürtler von der Direktion aus Magdeburg berät Achmed, einen jungen Afghanen.
„Darf ich mal ganz kurz unterbrechen? Er hat eine Aufenthaltserlaubnis.“
„Reicht für uns nicht aus. Wenn Sie sich bewerben wollen, benötigen Sie die deutsche
Staatsbürgerschaft oder die eines EU-Mitgliedstaates.“
Die Sprachkenntnisse des jungen Afghanen könnten bei der Bundespolizei in der jetzigen
Situation sehr hilfreich sein. Doch Achmed erhält eine klare Absage. Wird es überhaupt
gelingen, genügend Bewerber zu finden?
Romy Gürtler:
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir hoffen es einfach.“
Der nächste Interessent heißt Felix und geht in die 10. Klasse. Noch besucht Felix das
Gymnasium, doch dass er später mal bei der Polizei arbeitet, kann sich der 15-jährige gut
vorstellen.
Felix:
„Man sollte den Menschen helfen, damit nicht irgendwelche Zustände hier
herrschen…Man muss für Ordnung sorgen, denke ich einfach. Deshalb würde es mich
interessieren, den Menschen zu helfen.“
Bis Felix ein fertig ausgebildeter Polizist ist, werden noch Jahre vergehen. Erst Abi. Danach 30
Monate Polizeischule.
Doch Entlastung wird jetzt und sofort gebraucht. Zurück in Neuhaus an der deutschösterreichischen Grenze. Kurz vor Feierabend trifft ein weiterer Bus mit Flüchtlingen ein.
„Immer nur einer.“
Bereits heute ist dies der längste Großeinsatz in der Geschichte der Bundespolizei. Eine
Belastung nicht nur für die Beamten, sondern auch für deren Familien.
„Dass die Frauen zu Hause mit allem alleine sind, davon sind sie nicht mehr begeistert.
Weil es einfach zu viel ist von den Einsätzen her.“
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Nach 12 Stunden Schicht ist für die Beamten längst noch nicht Schluss. Dienstnachbereitung
und lange Fahrten zu den Unterkünften folgen. So werden aus 12 schnell mal 15 Stunden.
Was die Polizisten am meisten belastet: dass kein Ende absehbar ist. Für heute sehnen sich
alle nur noch nach einem.
Mario Helfert: „FEIERABEND.“
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