Therapie statt Knast - doch wo und wie? Bericht: Heiner - MDR

Therapie statt Knast – doch wo und wie? | Manuskript
Therapie statt Knast - doch wo und wie?
Bericht: Heiner Hoffmann
Freiburg im Breisgau - das Tor zum Schwarzwald, die wärmste Stadt Deutschlands,
beschauliche Bächle, drei Millionen Besucher jährlich. Und: Die meisten entlassenen
Sicherungsverwahrten in ganz Deutschland. Nachdem der Europäische Gerichtshof im
vergangenen Jahr entschieden hatte, dass Sicherungsverwahrung auch potentiell
gefährlicher Straftäter nicht erlaubt ist, tummeln sich jetzt allein auf Freiburgs Straßen sechs
Ex-Häftlinge - wie diese beiden auf Schritt und Tritt bewacht von Polizisten. Insgesamt 100
Beamte sind allein in Freiburg im Einsatz.
Einer der Entlassenen ist Vergewaltiger Hans-Jürgen M., hier gefolgt von Polizisten. Er wohnt
in einem Haus am grünen Stadtrand, immer dabei: Beamte in Zivil. Die Stadt ist ratlos, die
Polizei am Limit.
Edith Lamersdorf, Stadt Freiburg:
"Das heißt eine Einschränkung für die Aktivität der Polizei, die ganz wichtig ist für die
Sicherheit in einer Stadt. Solange da keine Ersatzkräfte aus dem Land hierher kommen - und
die kommen nicht, weil überall die Personallage der Polizei angespannt ist, heißt das, das wir
gucken müssen, wie wir zurande kommen. Und hoffen, dass nichts Schlimmeres passiert."
Schon vor Monaten hatten sich die Kommunen beim Bund beschwert. Um Abhilfe zu
schaffen, wurde im Januar das sogenannte Therapieunterbringungsgesetz, kurz ThUG, auf
den Weg gebracht. Der Kerngedanke: Kann man die Straftäter nicht im Knast lassen, sollen
sie in die geschlossene Psychiatrie. Aus Sicht der Regierung bis heute ein gelungener
Schachzug.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin (FDP):
"Ich denke, mit diesem eng gestrickten Gesetz haben wir wirklich die einzige Möglichkeit
ergriffen, um mit entsprechenden Fällen aus der Vergangenheit noch im Interesse der
Sicherheit der Bürger umgehen zu können."
Edith Lamersdorf, Stadt Freiburg:
"Wir haben uns gefreut, weil es endlich eine Handlungsmöglichkeit für die Kommunen gab.
Und die haben wir gleich genutzt. Wir haben sofort diesen Antrag vorbereitet, haben uns
abgesprochen mit Polizei, mit Bewährungshilfe, und haben ihn eben beim Landgericht
eingereicht."
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Hans-Jürgen M. sollte dank des neuen Gesetzes wieder hinter hohe Mauern, die Polizei sich
endlich um andere Dinge kümmern. Doch nun das böse Erwachen. Das Landgericht hat den
Antrag abgelehnt. Denn: Der Ex-Häftling darf nur wieder in eine geschlossene Einrichtung,
wenn die strikt vom Knast getrennt und für eine Therapie ausgelegt ist. Eine solche
Unterkunft gäbe es aber nicht. Und Hans-Jürgen M. ist nicht der einzige Ex-Häftling, der trotz
Gesetz weiter herumspazieren darf.
400 Kilometer weiter nördlich, Duisburg, ein anderer Fall, ein ähnliches Problem. In dieser
Straße lebte bis vor kurzem Sexualstraftäter Ricardo K., auch er entlassen aus der
Sicherungsverwahrung, auch er muss von der Polizei verfolgt werden. Die Anwohner liefen
Sturm.
Anwohner:
"Durch Mundpropaganda wurden alle Bürger innerhalb von drei Tagen informiert"
"In einer eigenen Gruppe bei Facebook haben wir eine Demo organisiert und haben geguckt,
dass wir ein bisschen was hier machen können."
"Wir haben immer geguckt, wenn der gefahren ist, wir standen hier immer. Bei der Demo
waren wir dabei."
Das neue Gesetz aus Berlin sollte endlich für Ruhe in der Straße sorgen, Ricardo K. in die
geschlossene Psychiatrie gesteckt werden. Doch auch hier: Antrag abgelehnt, das
Therapieunterbringungsgesetz greift nicht. Ricardo K. wird zwar weiter bewacht, sei aber
nicht gefährlich genug, um das Gesetz anwenden zu können. Zu hoch die juristischen
Hürden. Und nicht nur vor Gericht scheitert die vermeintlich kluge Lösung aus Berlin. Das
nächste Problem: Will man Ex-Häftlinge weiter einsperren, reicht es nicht, dass sie als
gefährlich gelten. Es muss auch eine psychische Störung attestiert werden. Psychiater Jochen
Brack wurde selbst aufgefordert, einen ThUG-Antrag zu bewerten. Er kann und will diese
psychische Störung aber nicht anerkennen.
Dr. Jochen Brack, Institut für Forensische Psychiatrie Hamburg:
"Im Nachherein soll nun der Psychiater eine psychische Störung erklären, die nachweislich in
Vorgutachten gar nicht gefunden worden ist. Und das halte ich in der Tat für eine Trickserei
und Abschiebung und Beruhigung der Öffentlichkeit in die Psychiatrie."
Georg Royen war bis vor kurzem Vorsitzender Richter am Landgericht. Ihn wundert es
überhaupt nicht, dass das ThUG nicht greift. In einem offenen Brief hat er sich sogar an den
Bundespräsidenten gewandt.
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Georg Royen, Richter a.D.:
"Ich habe noch kein Gesetz erlebt, bei dem ich so entsetzt war wie bei der Lektüre und vor
allem bei der Begründung des ThUG. Ich gehe davon aus, auch heute noch, wir haben
Menschen von denen wir nicht wissen: Sind sie eigentlich krank. Sie sollen in Einrichtungen
hinein, von denen wir nicht wissen, wie sie aussehen. Und das bedeutet, dass wir nunmehr
eine Grundlage haben, die nach meiner Auffassung gesetzwidrig, um nicht zu sagen auch
verfassungswidrig ist. Auf dieser Grundlage können wir diese Menschen nicht mehr
einsperren."
In den Ländern versucht man nun, zumindest einige Fallstricke zu beseitigen. In Oberhausen
baut das zuständige Gesundheitsministerium die ehemalige JVA therapiegerecht um, um
wenigsten die geforderte Unterbringung vorzuweisen. Kostenpunkt: 1,2 Millionen Euro.
Doch selbst die zuständige Ministerin bezweifelt, dass das eine Investition in die Zukunft ist.
Barbara Steffens, Gesundheitsministerin NRW:
"Ich glaube, dass das Therapieunterbringungsgesetz nicht nur suboptimal ist, sondern ich
mach mal ein Fragezeichen dran, ob das vor wirklichen gerichtlichen Überprüfungen
standhalten würde."
Die Bundesjustizministerin hält an ihrem Gesetz fest, sie weist die Vorwürfe der juristischen
Trickserei von sich.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin (FDP)
"Es ist kein Trick. Es ist der Weg, den wir nachher noch als engen Weg beschreiten können,
um unser Recht in Einklang zu bringen mit den europäischen Grundlagen."
Fakt ist: Bislang wurde nicht ein Ex-Häftling nach dem neuen Gesetz untergebracht. Und bald
könnte dem ThUG sogar das endgültige Aus drohen - die ersten Verfassungsklagen sind
schon vorbereitet. Doch die Kommunen, die sind schon jetzt vollends enttäuscht.
Edith Lamersdorf, Stadt Freiburg:
"Wir hätten das nicht so krass erwartet. Wir hätten uns gewünscht, dass wir ein bisschen
mehr Handlungsspielraum behalten und nicht wieder am Ende der Kette sind. Uns beißen
die Hunde."
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