LESERFORUM Freie Presse Mittwoch, 13. Mai 2015 LESEROBMANN Marx und der Mops REINHARD OLDEWEME TELEFON: 0371 656-65666 (10-12 Uhr) TELEFAX: 0371 656-17041 E-MAIL: [email protected] E s ist kurz vor 19 Uhr: Drei Kollegen stehen im „Newsroom“ (Nachrichtenzentrale der Redaktion) vor der Wand, an der die fast vollständigen Seiten der Zeitung für den nächsten Tag hängen; sie überprüfen Artikel und ihre Überschriften sowie die Bilder und machen sich Gedanken, ob alles so ist, wie es sein soll, damit die Leser sich über eine ebenso informative wie unterhaltsame „Freie Presse“ freuen können. Bei dem Foto auf der Seite Kultur sind sie sich ganz sicher: Die Aufnahme mit dem Denkmal von Karl Marx und Friedrich Engels passt ganz wunderbar als illustrierender Blickfang zu dem Artikel über die Ausstellung „Freundschaft“ im Dresdner Hygiene-Museum. Was sie nicht ahnen können: Am nächsten Tag rufen mich Leser an und beschweren sich über das Foto – sie sind empört und sauer, weil sie sich und ihre Vergangenheit „ins Lächerliche gezogen fühlen“ und weil man sich über diese Männer nicht lustig machen darf. Was ist passiert? Sehen die Anrufer mehr als die Redakteure, haben sie eine andere Perspektive auf das Denkmal ? Was hat sie gestört? Stein ihres Anstoßes ist ein Detail: Auf dem Sockel sitzt ein Mops; ein Hund zu Füßen von Marx und Engels gehört sich nicht. Bei dem zweiten Beispiel dafür, dass ein Foto in der Zeitung bei den Lesern eine Reaktion auslösen kann, an die meine Kollegen nicht gedacht haben, geht es um Mireille Mathieu. Zu dem Bericht über ihr Konzert anlässlich ihres 50-jährigen Bühnenjubiläums hatten die Redakteure ein großes Foto gestellt, das die Sängerin zeigt, wie man sie kennt, wie ihre Fans sie lieben und wie sie offensichtlich mit viel Gefühl und Inbrunst ein Lied singt. „Wie können Sie ihr das antun?“, fragte mich eine Leserin, während eine andere von einer „Respektlosigkeit“ sprach und meinte: „Schämen sollten Sie sich.“ Was an dem Bild nicht gestimmt hat, worüber sich die Anruferinnen aufgeregt haben? Ganz einfach: Mireille Mathieu ist eine 68-jährige Frau, und das sieht man, einschließlich der Falten im Gesicht. Bei dem dritten Beispiel für die unterschiedliche Sichtweise auf ein Foto wog der Vorwurf schwer, einen heiteren Aspekt gibt es dabei nicht, aber auch hier habe ich die Entscheidung der Redaktion verteidigt. Am dritten Tag nach dem schweren Erdbeben in Nepal war auf der Titelseite der „Freien Presse“ ein Bild zu sehen, das zeigt, wie eine junge Frau und ihr Kind notdürftig versorgt werden. Die sieben Leser, die mich deswegen angerufen hatten, waren wie ich der gleichen Meinung: Das Foto bringt die schlimmen Folgen dieser Katastrophe nachvollziehbar zum Ausdruck. Was sie aber mit deutlichen Worten kritisiert haben: Der Säugling der verletzten und traumatisierten Frau ist ein Mädchen; und weil das Baby nicht vollständig bekleidet ist, kann man das erkennen. Diese Blöße gehört nicht in die Zeitung, meinten die Leser. Für mein Argument hatten sie kein Verständnis: Sie ist Teil der bitteren Wahrheit, die das Foto zum Ausdruck bringt, sie gehört zu der Authentizität, auf die es gerade ankommt; oder ist ein halbnacktes Kind an sich anstößig? HINWEIS Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe sinnwahrend zu bearbeiten. Leserbriefe geben stets die Meinung ihres Verfassers und nicht die der Redaktion wieder. E-Mails müssen die vollständige Adresse enthalten. Anonyme Zuschriften werden grundsätzlich nicht veröffentlicht. Briefkasten Freie Presse, Ressort Chef vom Dienst Postfach 261 09002 Chemnitz. Fax: 0371/656-17041 E-Mail: [email protected] Seite B1 Endlich: Deutschland bezieht Stellung sem Tag mit meinem Herzen in den Straßen von Jerevan bei meinen Freunden und habe mit ihnen gemeinsam Blumen an der Gedenkstätte für die Opfer des Genozids niedergelegt, wie ich es vor einem Jahr tatsächlich getan hatte. Meinen Freunden hatte ich Mails mit den Gedanken der Demut für die Opfer gesandt. Elke Schäf, Annaberg-Buchholz Der Gedenkstunde zum 100. Jahrestag des Genozids an den Armeniern war der Bericht „Bundespräsident redet Klartext: Massaker waren Völkermord“ gewidmet. Dazu haben uns unter anderem diese Meinungen erreicht. Auch künstlerisch verarbeitet Endlich, mit jahrzehntelanger Verspätung bezeichnet das offizielle Deutschland die Verbrechen des Osmanischen Reichs an den Armeniern als das, was sie schon immer waren: als Völkermord. Seinerzeit geriet das kaiserliche Deutschland durch sein Wegschauen in Komplizenschaft mit seinem Ersten-Weltkriegs-Partner. Bis in jüngste Vergangenheit glaubte auch die Bundesregierung, den Nato-Partner Türkei brauchen zu müssen und schwieg. Während in Deutschland die Leugnung des Holocaust zu Recht strafrechtlich verfolgt wird, stemmt sich die Türkei gegen den längst erbrachten geschichtlichen Beweis des Völkermordes. Der Schriftsteller Franz Werfel hat in seinem Roman „Die 40 Tage des Musa Dagh“ die unsäglichen osmanischen Verbrechen künstlerisch verarbeitet. Das Werk zählt zur Weltliteratur, türkischen Bibliotheken ist es verboten, das Buch zu führen. Peter Langenhagen, Limbach-O. Gemeinsam aufarbeiten Endlich fanden nach Papst Franziskus auch deutsche Politiker den Mut, die Verbrechen an einem traditionell christlichen Volk als solche zu benennen. Das Wissen um den Völkermord von 1915 war und ist in der Gesellschaft vorhanden. Ich verweise auf „Geliebte fremde Mutter“ von A. O. Schwede oder das Museum im Armenischen Viertel in Jerusalem. Aufgrund der deutsch-türkischen Freundschaft zwischen Kaiser Während der Gedenkstunde haben Armenier vor dem Reichstag demonstriert. Wilhelm und Sultan Abdul Hamid trägt Deutschland durch Billigung/Unterlassung zumindest eine moralische Mitschuld an den Massakern. Es ist daher geboten, dass Türken und Deutsche gemeinsam mit den Armeniern diesen Teil der Geschichte aufarbeiten. Ingolf Adner, Breitenbrunn Gauck sollte sich zurückhalten Die Ereignisse zu Beginn des Ersten Weltkrieges und beim Zerfall des Osmanischen Reiches sind in erster Linie eine innertürkische Angelegenheit. Die Mehrheit der Weltgemeinschaft ist sich eins mit der Bewertung, die der Türkei nicht gefällt. Allerdings könnte sich 100 Jahre später ein deutscher Bundespräsident angesichts unserer eigenen Vergangenheit mit der Kritik an anderen Staaten etwas zurückhalten. Das macht er nicht und überschätzt undiplomatisch seine Bedeutung. Er benutzt diese damaligen Ereignisse, um sein Volk erneut zu mahnen „auch die Deutschen müssten sich noch der Aufarbeitung stellen, wenn es nämlich um eine Mitverantwortung, unter Umständen sogar Mitschuld, am Völkermord an den Armeniern gilt.“ Welcher Deutsche soll sich heute für die damaligen Ereignisse „mitschuldig“ fühlen? Oder sollen Wiedergutmachungszahlungen vorbereitet werden? Warum müssen eigentlich nur wir uns immer zu irgendwas schuldig bekennen? Wann bekennen sich denn die USA zu ihrer Mitschuld, die sich ja genauso wie unsere (angebliche) aus dem Wissen um die Taten ergibt? Kein anderes Staats- FOTO: STEPHANIE PILICK/DPA oberhaupt ist mir bekannt, was sein eigenes Volk ständig mit derartigen Vorwürfen belegt. Anstatt uns ständig neue Schuldgefühle zu suggerieren, wäre es angebracht, der Präsident würde mehr Zeit für die Analyse der Gegenwart aufwenden und dafür sorgen, dass beispielsweise die unsägliche Konfrontation mit Russland beendet wird. Wir Deutsche wollen nämlich nicht wieder an einem Krieg schuldig werden. Michael Sieber, Limbach-Oberfrohna Bereicherung für unser Ansehen Die Rede unseres Bundespräsidenten und die Benennung des Völkermordes an dem armenischen Volk vor 100 Jahren war längst überfällig und ist eine Bereicherung für das Ansehen unseres Staates, unserer Demokratie. Auch ich war an die- Die Zeit nicht zurückdrehen Eine Gratulation an die Bundesregierung und den Bundespräsidenten dazu, dass sie das Verbrechen an den Armeniern endlich offiziell als das bezeichnet haben, was es ist, nämlich als Völkermord. Natürlich darf die deutsche Schuld nicht fehlen; es kann auch nicht angehen, dass schlimme Dinge, die passiert sind, unter den Teppich gekehrt werden. Die Reaktion der anderen Seite darauf zeigt jedenfalls eines: Hinsichtlich des Umgangs mit der historischen Schuld liegen zwischen Deutschland und der Türkei Welten. In der Türkei wurden schon Menschen umgebracht, die das Tabu brachen und Aufhellung in die Geschichte um die Armenier bringen wollten. Man stelle sich hingegen einmal einen bundesdeutschen Politiker vor, der die Erwähnung der Naziverbrechen als „Verunglimpfung des Deutschtums“ abwiegeln würde. Undenkbar. Und heute unterstützt meiner Ansicht nach die Türkei die Mörderbanden des IS. Dass ein solches Land immer noch als EU-Beitrittskandidat gehandelt wird, zeigt doch einmal mehr entweder die Schwäche oder die Verlogenheit der EU und unseres westlichen Wertesystems. Da wir gerade bei der Gegenwart sind: Etwas haben der Völkermord an den Armeniern und die Naziverbrechen gemeinsam. So furchtbar sie waren; man kann die Zeit nicht zurückdrehen; man kann keinem der Opfer das Leben zurückgeben und man kann den Verlauf des Geschehens im Nachhinein auch nicht mehr beeinflussen. Micha Letterer, Zwota Es muss lückenlose Aufklärung geben Deprimierendes Beispiel Zu den Berichten und Kommentaren über den NSA-Spionageskandal hat ein Leser uns folgende Meinung mitgeteilt: Zum Artikel „TransplantationsArzt freigesprochen“ über einen Organspende-Prozess: Erneut ist ein Spionageskandal an das Licht der Öffentlichkeit gekommen. Wie in der Vergangenheit ist wiederum der US-amerikanische Geheimdienst NSA beteiligt. Verschlimmert wird die Situation dadurch, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst BND noch Schützen- hilfe geleistet hat. Die Brisanz dieses Skandals besteht unter anderem darin, dass neben Personen auch Firmen und Behörden in Deutschland und Frankreich sowie die EU-Kommission betroffen sein sollen. Der BND und nach neuesten Informationen auch das Kanzleramt sollen davon schon längere Zeit gewusst haben. Es ist aber gerade eine entscheidende Aufgabe der Regierung und des BND, das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren. Deshalb wird Geht es Bauern nur um Fördertöpfe? Fest im Gedächtnis verankert Zu Lesermeinungen unter der Überschrift „Landwirte grundlos heftig kritisiert“. Die Nachricht „Kein Gedenktag zum 8. Mai“ hat Leser bewogen, uns ihre Meinung dazu mitzuteilen. Die Landwirte waren auch für mich für viele Jahre die Erhalter der Kulturlandschaft und der wesentliche Teil an der Volksernährung. Von dieser Sicht muss ich Abstand nehmen. Heute sieht man nur noch Rapsfelder und Maiskulturen. Mit dieser Monokultur wird der Boden ausgelaugt und kaputtgemacht, aber er ist eine kostbare Ressource, die man nur schwer renaturieren kann. Mit Mais und Raps werden keine Lebensmittel erzeugt; sie werden verstromt und vergast. Unsere Bauern schielen nur noch nach den Fördertöpfen von Brüssel und Berlin. Früher haben sich Landwirte den falschen Anreizen von dort immer entgegengestellt. Hans Schneider, Chemnitz Der Bedeutung nicht bewusst Der 8. Mai ist ein historisches Datum, dessen Bedeutung weit über die Grenzen Deutschlands hinausreicht. Ich finde es beschämend, dass sich – die Linken ausgenommen – alle Fraktionen im Landtag dieser Bedeutung nicht bewusst sind. Entweder die Herren Abgeordneten haben die Bedeutung wirklich nicht verstanden oder sie lassen sich von der aktuellen stimmungsgeladenen, oberflächlichen Diskussion über die Haltung der BRD gegenüber Russland im Ukrainekonflikt beeinflus- von einigen Politikern auch die Frage aufgeworfen, ob Geheimnisverrat oder sogar Landesverrat vorliegt. Dieser Skandal muss lückenlos aufgeklärt, und es müssen erforderlichenfalls strukturelle und personelle Veränderungen in der Regierung und im BND getroffen werden. Immer deutlicher wird, dass der US-Geheimdienst die Souveränität Deutschlands missachtet und die BRD in die Rolle eines Vasallenstaates drängt. Bernd Schlegel, Chemnitz Den NS-Opfern gedenken – an welchem Tag? FOTO: B. JUTRCZENKA/DPA sen. Beides ist nicht akzeptabel. Ich würde mich freuen wenn es darüber eine sachliche Diskussion und beispielsweise eine Abstimmung ohne Fraktionszwang im sächsischen Landtag geben würde. Karl Richter, Chemnitz Mein Entschluss zur Organspende geschah in der Überzeugung, dass strenge Vergabevorschriften bestehen und ethische, moralische und medizinisch bedingte Missbräuche durch Entscheidungsträger unmöglich bzw. bei nachgewiesenem Tatbestand strafbar sind. Meine Bereitschaft geschah ausschließlich mit Von Weizsäcker hatte den Mut Ich bin empört, denn dieser Tag war zu DDR-Zeiten jahrelang ein (berechtigter) Feiertag, aus ökonomischen Gründen dann kein gesetzlicher Feiertag mehr, aber in Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges blieb es doch ein Gedenktag. Im Nachruf auf den ehemaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker wurde hervorgehoben, dass er 1984 den Mut hatte, den 8. Mai als Tag der Befreiung zu sehen – und jetzt haben die Abgeordneten den Mut, diesen Tag als Gedenktag abzulehnen. Was soll denn das? Der 27. Januar als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus ist als Tag der Befreiung des KZ Auschwitz durch Sowjetsoldaten auch ein wichtiger Tag, aber im Gedächtnis der Bewohner der neuen Bundesländer längst nicht so verankert wie der 8. Mai. Barbara Oehlmann, Rodewisch der Absicht, anderen Bedürftigen notfalls helfen zu können. Die Manipulationen an der Göttinger Uniklinik erfolgten zugunsten eines ausgewählten Personenkreises, sind gemäß diesem Urteil strafrechtlich nicht relevant und damit zukünftig nicht auszuschließen. Für überzeugte Spender ein deprimierendes Beispiel einer auf Täterschutz orientierten Rechtsprechung mit nicht absehbaren Folgen. Lutz Lüpfert, Meerane Rentner werden mit Almosen abgespeist Zum Artikel auf der Titelseite vom 30. April „Renten steigen zum 1. Juli“ meint dieser Leser: Schön, dass es für die Rentner in Ost und West wieder eine Rentenerhöhung gibt. Entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung gibt es 2,5 bzw. 2,1 Prozent mehr. Das sind (bei einer Monatsrente von 900 Euro) 22,50 Euro für die Ost- und 18,90 Euro für die Westrentner. Nach 25 Jahren Einheit gibt es immer noch zwei Klassen von Rentnern, die im Osten, die immer noch auf 100 Prozent warten. Geld ist laut Regierung nicht vorhanden, und da fragt man sich, wo die Millionen für die Griechenlandhilfe, für die Ukraine und das neue Sturmgewehr herkommen. Ob Ost- oder Westrentner – sie werden mit Almosen abgespeist. Lothar Schumann, Chemnitz
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