Bundestag nimmt keine Rücksicht auf Erdogan - Usenet

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Zippert zappt
THEMEN
POLITIK
Streit über
Arbeitsmarktreform
erschüttert Frankreich
Kommentar Seite 3, Seite 7
WIRTSCHAFT
Mehr Schwarzarbeit
durch Flüchtlinge?
Seite 9
Die Armenier
und wir
JACQUES SCHUSTER
Z
Seite 20
PANORAMA
Wie Florenz
gegen die vielen
Schmierereien vorgeht
DPA/MICHAEL KAPPELER (2); REUTERS/TORU HANAI
Da stimmt die Chemie
Dieser Mann hat sich stets im Griff. Joachim Sauer, Ehemann
von Kanzlerin Angela Merkel, liebt öffentliche Auftritte nicht
sonderlich. Dennoch ist er mit seiner Frau zum G-7-Gipfel nach
Japan gereist. Dort absolviert er das obligatorische Begleitprogramm für Ehepartner. Der sonst oft so reserviert wirkende
Chemieprofessor zeigt sich gelöst und heiter, ob beim Bäumchenpflanzen (oben) oder beim Small Talk. Mit Akie Abe (Bild
unten rechts, 2. v. r.), Gattin des japanischen Premiers Shinzo
Abe, sowie Malgorzata Tusk (l., Frau des EU-Ratspräsidenten
Donald Tusk) und Sophie Grégoire-Trudeau (Kanada) gab es offenbar einiges zu lachen. Wie er das alles wirklich fand? Das
Seite 6
weiß wohl nur er.
Bundestag nimmt keine
Rücksicht auf Erdogan
Neuer Antrag zum Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich: Es soll nun klar als Völkermord
bezeichnet werden. Türkischer Präsident hat genau davor gewarnt – und Beweise verlangt
E
igentlich sollte es schon vor
mehr als einem Jahr so weit
sein. Doch seither sind mehrere Anläufe gescheitert.
Denn jedes Mal waren andere Interessen wichtiger: diplomatische
Rücksichtnahme auf den wichtigen Verbündeten im Kampf gegen islamistische
Terroristen beispielsweise – und zuletzt
höfliche Milde, um das Flüchtlingsabkommen zwischen der Europäischen
Union und der Türkei nicht ins Wanken
zu bringen.
WISSEN
Schwarze Löcher
gibt es häufiger,
als man denkt
Nr. 122
KOMMENTAR
N
ach Tagen der Ungewissheit gibt es endlich wieder ein Lebenszeichen
vom Hauptstadtflughafen. Dieser neue Berliner Bürgermeister,
der nicht mehr Wowereit heißt,
sagte, er könne „nicht mehr
ausschließen, dass wir mit der
Eröffnung im Jahr 2018 landen“.
Ein Zeichen der Hoffnung: Dann
landet 2018 wenigstens etwas
auf dem Flughafen. Flughafenchef Mühlenfeld hält allerdings
an einem Termin 2017 fest. Es
wäre also durchaus denkbar,
dass der Flughafen 2017 eröffnet
wird, aber erst 2025 in Betrieb
geht. Wichtig wäre es, dass
endlich Eröffnung gefeiert wird,
damit das Thema mal vom
Tisch ist. Denn es droht neuer
Ärger: Umliegende Gemeinden
beschweren sich bereits über
ausbleibenden Fluglärm. Tiefflieger der Bundeswehr sollen
Abhilfe schaffen. Doch wie geht
es mit dem Flughafen weiter?
Das größte Problem gibt es
mit der Entrauchungsanlage.
Deshalb wird überlegt, ob der
BER nicht Deutschlands erster
Raucherflughafen werden soll,
dann wäre Entrauchung kein
Thema mehr. Natürlich muss
dann der Flughafen außen mit
großformatigen Schockfotos
bedruckt werden.
B
VON CLAUDIA KADE
Nun wird es aber der 2. Juni sein, an
dem der Deutsche Bundestag klare Worte findet: Am Donnerstag kommender
Woche werden Union, SPD und Grüne in
einem gemeinsamen Antrag über die Parteigrenzen hinweg die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich vor gut
100 Jahren klar als Völkermord verurteilen. Die Zurückhaltung aus Sorge vor
Verstimmungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist in den
Koalitionsfraktionen gewichen.
Auf Druck der Grünen wird ein fraktionsübergreifender Antrag zur Abstimmung gestellt, in dem der Begriff „Völkermord“ gleich in der Überschrift auftaucht und dann in dem fünfseitigen
Textentwurf, der der „Welt“ vorliegt,
mehrmals zu lesen ist – insgesamt
kommt er vier Mal vor. Es geht um die
Vertreibung und Ermordung von bis zu
1,5 Millionen Angehörigen der christlichen Minderheit im damaligen Osmanischen Reich. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin hat die Gräueltaten an den Armeniern bedauert, bestreitet aber vehement, dass es sich um Genozid handelt.
Präsident Erdogan und seine Mitstreiter
betrachten eine solche Einstufung der
Massaker als Angriff auf die Türkei.
Wird der Antrag am kommenden Donnerstag im Bundestag verabschiedet,
droht Ärger aus Ankara. Ein Sprecher Erdogans hatte bereits vor einigen Tagen
gedroht: Den Vorwurf des Völkermordes
zu verbreiten, ohne dafür Beweise vorzulegen, komme einer politischen Ausbeutung des Themas gleich. Eine neuerliche
Belastung des deutsch-türkischen Verhältnisses ist zu erwarten – nach dem
Zoff über die Erdogan-Satire des ZDFModerators Jan Böhmermann, gegen den
auf Klage des türkischen Präsidenten wegen Beleidigung eines Vertreters eines
ausländischen Staates ermittelt wird.
Auch die Bundesregierung hat eine
Festlegung auf den Begriff „Völkermord“
EU: Klare Grenzen
bei Zugeständnissen
Nach den Drohungen des türkischen Staatspräsidenten Recep
Tayyip Erdogan im Streit mit der
EU über die Visumfreiheit haben
sich die Fronten verhärtet. „Bei
unseren Zugeständnissen gibt es
klare Grenzen“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk beim G-7Gipfel in Japan. „Mir ist völlig bewusst, dass wir unsere Maßstäbe
nicht dem Rest der Welt aufzwingen können, inklusive der Türkei.
Aber die anderen können uns ihre
Maßstäbe nicht aufzwingen.“
bisher vermieden. Das Kanzleramt und
vor allem das Auswärtige Amt hatten die
Abgeordneten von Union und SPD über
Monate hinter den Kulissen davor gewarnt, mit einer klaren Wortwahl die Beziehungen zu Ankara zu belasten und
auch die Versöhnung zwischen der Türkei und Armenien zu erschweren. Um
dieser Sorge entgegenzutreten, ist der
Text geprägt von dem Bestreben, die
Mitverantwortung Deutschlands für die
Gräueltaten von damals sowie auch für
die Beförderung der armenisch-türkischen Aussöhnung von heute aufzuzeigen. „Der Bundestag bekennt sich zur besonderen historischen Verantwortung
Deutschlands“, heißt es. „Dazu gehört,
Türken und Armenier dabei zu unterstützen, über die Gräben der Vergangenheit hinweg nach Wegen der Versöhnung
und Verständigung zu suchen.“
Grünen-Chef Cem Özdemir sendet
versöhnliche Signale Richtung Ankara.
„Es geht nicht darum, mit dem Finger
auf die Türkei zu zeigen“, sagte Özdemir
der „Welt“. „Wir reden endlich ohne jedes Hin und Her über unsere Verantwortung als Deutsche.“ Siehe Kommentar
ur Geschichte des Völkermordes gehört bis heute, ihn zu verleugnen. Nur ein Staat hat jemals eingestanden, eine Gruppe von
Menschen als Ganzes zu vernichten
versucht zu haben: die Bundesrepublik. Der Völkermord an den Armeniern hingegen wurde durch Lüge vorbereitet, mit Verlogenheit begangen
und von den Mördern so ausgeheckt,
dass ihre Nachfolger die Vergangenheit
durch das Prisma ihrer Weltanschauung verbiegen konnten.
Mal berief sich die Türkei auf die
Selbstverteidigung, dann wieder hielt
sie sich für gänzlich unschuldig, um
schließlich „Dokumente“ vorzulegen,
die der Welt beweisen sollten, wie niederträchtig man sie behandele, wenn
man die Wahrheit einfordert. Wann
immer Recep Tayyip Erdogan das Wort
vom Völkermord hört, schäumt aus
ihm die Wut eines Inquisitors, dem es
nicht gelingt, die Ketzerei auszurotten.
Es wird ihm auch künftig misslingen. Der Mord an den Armeniern besitzt alle Eigenschaften eines Genozids: Ein von einer Einheitspartei beherrschter Staat, dem alle Gewalt zur
Verfügung steht, plant und betreibt
mithilfe seiner Bürokratie und Technik die Vernichtung einer Minderheit,
von der er behauptet, sie habe sich gegen ihn verschworen und bedrohe seine Existenz. Wie der Völkermord an
den Juden so war auch der an den Armeniern die Folge einer Zwangsneurose, fixiert auf einen angeblichen
Feind, dessen Ausrottung als überlebensnotwendig erschien, sodass der
Massenmord nicht nur als erlaubt,
sondern auch als geboten galt. Noch
etwas erinnert an den Holocaust: die
Gier. Die Jungtürken töteten auch,
um sich zu bereichern. Sie waren
Mörder und Diebe!
Es ist also in der Tat hohe Zeit, den
Völkermord an den Armeniern als das
zu bezeichnen, was er ist. Nur: Hilft es,
wenn der Bundestag es tut? Offen
bleibt, was das Parlament erreichen
will. Eine ausländische Volksvertretung bezeichnet den Völkermord, der
vor hundert Jahren am Rande Europas
durch ein anderes Volk geschah, als
Genozid, damit geschehen soll – ja,
was? Glauben die Abgeordneten, Ankara mit ihrem Bekenntnis umzustimmen? Hilft das Offenlegen der Tatsachen den Armeniern gar, gerichtlich
gegen die Türkei vorzugehen? Vielleicht aber will der Bundestag die Türken auch nur ärgern?
Die Deutschen wissen: Ein selbstkritischer Umgang mit der Vergangenheit
lässt sich nur bedingt von außen erzwingen. Der Türkei hingegen müsste
allmählich dämmern, dass – sperrt sie
sich weiter – es ihr so ergehen wird,
wie es Günter Grass „Im Krebsgang“
beschrieb: „Die Geschichte ist ein verstopftes Klo. Wir spülen und spülen,
die Scheiße kommt dennoch hoch.“
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Ein Blick aufs Portfolio der Investoren
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Wie abhängig sind die großen Auktionshäuser in London und New York von der weltwirtschaftlichen Lage?
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L
ange hat sich das Bild vom exponentiell wachsenden, rekordverwöhnten internationalen Auktionsmarkt gehalten, die
Überschriften in den Zeitungen erzählen stets vom adrenalingeschwängerten Rekordregen. Die großen Auktionshäuser
Sotheby’s und Christie’s setzen alles daran, sich immer wieder
gegenseitig zu überbieten.
VON SWANTJE KARICH
Und so übertraf der Anstieg der Preise in den Auktionen in New
York und London jahrelang alle oft gerade erst hochgesetzten Erwartungen. Im Jahr 2006 staunte man nicht schlecht, als während der
großen Auktionswochen in New York Kunst im Wert von einer halben Milliarde Dollar verkauft wurde, zwischenzeitlich hat sich die
Zahl mehr als verdoppelt. In diesem Wetteifern um die Rekorde haben sich die Auktionshäuser zunehmend abhängig gemacht von eini-
gen wenigen Sammlern, die bereit sind, in diesen Höhen mitzubieten.
Die Folgen beobachten wir zurzeit.
Ein Auktionshaus, dass es besonders hart trifft, ist Sotheby’s. Ein
alter Spruch sagt, dass dort Gentlemen arbeiten, die so tun, als seien
sie Geschäftsleute. Dieser sympathische Ruf leidet zurzeit etwas;
renommierte Mitarbeiter wie Henry Wyndham oder Cheyenne Westphal haben das Unternehmen verlassen. Es vergeht keine Woche
ohne eine neue Hiobsbotschaft. Die, die zurückbleiben, wollen die
Situation – in vielen Medien schon als Exodus beschrieben – noch als
Chance sehen. Sotheby’s-Europa-Chef Philipp Herzog von Württemberg sagt in einem ungewöhnlich offenen Gespräch im Kunstmagazin
„Blau“, das am morgigen Samstag der „Welt“ beiliegt: Wyndham sei
ein Freund gewesen. „Jetzt ist er weg. Fällt jetzt Sotheby’s zusammen? Nein. Ist der Umsatz nach unten gegangen? Nein.“
Doch die Geschäfte bei älterer Kunst laufen alles andere als vielversprechend. Bei den New Yorker Abendauktionen mit Impressio-
nismus und Moderne ist ein Drittel der Bilder durchgefallen. Von
Württemberg sieht die Gefahr: „Die wenigen superreichen Sammler
überlegen sich, ob sie jetzt wirklich 30 oder 40 Millionen Dollar für
einen Cy Twombly ausgeben wollen. Sie schauen auf ihr Portfolio,
sehen die Ölkrise, ein schlechtes Investment in Asien, das nicht um
40 Prozent gewachsen ist, sondern nur um 14 Prozent.“
Die Auktionshäuser teilen sich weltweit nur 4500 High-End-Kunden. Ihre Erwerbungen machen allein bei Sotheby’s 80 Prozent des
Umsatzes aus. Angesichts der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung wird diese Situation nicht nur die Mitarbeiter der Auktionshäuser unruhig werden lassen.
Ist die aktuelle Situation der Beweis für die viel beschworene
Kunstmarktblase, die irgendwann platzt – vielleicht gar jetzt gleich
oder im kommenden Herbst? Nein. All jene High-End-Sammler haben ein viel zu großes Interesse daran, dass das System hält. Ihre
Lager sind voll mit Kunst, die ihnen als liebstes Investment gilt.
DIE WELT, Axel-Springer-Straße 65, 10888 Berlin, Redaktion: Brieffach 2410
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