Vertrauen durch aufrichtige Auseinandersetzung mit historischer Schuld Am 24. April 2015 jährt sich zum 100. Mal die Vertreibung der Armenier durch das Osmanische Reich. Bischof Dr. Gebhard Fürst erklärt dazu: Die systematische Vertreibung und Ermordung ungezählter Armenier durch das Osmanische Reich stellt einen ersten Höhepunkt in dem an Massenverbrechen wahrlich nicht armen Europa des 20. Jahrhunderts dar. Mögen sich die Historiker über die exakten Zahlen der armenischen Opfer uneins sein, breiter Konsens besteht in der Bewertung dieses Gewaltexzesses an einer der ältesten kirchlichen und ethnischen Gemeinschaften der Christenheit als Völkermord. Papst Franziskus hat dies jüngst in unmissverständlicher Deutlichkeit ausgesprochen. Wenn ich als Bischof einer deutschen Diözese die Repräsentanten des türkischen Staates und ebenso die türkischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland auffordere, sich für eine aufrichtige Auseinandersetzung mit diesem dunklen Kapitel ihrer Geschichte zu öffnen, so bin ich mir bewusst, dass uns sowohl als Deutschen denn auch als Kirchen keine Überheblichkeit in dieser Frage zusteht. Das deutsche Kaiserreich hatte als Verbündeter des Osmanischen Reichs durch sein politisches Taktieren eine massive Mitverantwortung für das Schreckliche, was den Armeniern angetan wurde. Das ist auch ein Teil unserer deutschen Geschichte, die nicht in Vergessenheit geraten darf, ebenso wenig wie die Schuld, die das deutsche Volk später durch den Völkermord an den europäischen Juden sowie an den Sinti und Roma auf sich geladen hat. Auch die Geschichte der Kirchen war immer wieder eine Gewaltgeschichte, in der sie auf furchtbare Weise ihre Botschaft und ihren Herrn Jesus Christus verraten haben. Aber die Kirchen mussten lernen, dass sie nur durch eine schmerzliche Selbstbesinnung auf ihren Ursprung glaubwürdig werden. Und Deutschland hat seinen anerkannten Platz in der Völkergemeinschaft nur dadurch gewonnen, dass es sich in einem mühsamen Prozess seiner historischen Schuld gestellt und diese als bleibende Verantwortung anerkannt hat. Das sind die Voraussetzungen für Vertrauen; das sind auch die Voraussetzungen dafür, in glaubhafter Weise zu mehr Frieden in dieser friedlosen Welt beizutragen. Der Genozid an den Armeniern ist nicht nur ein Kapitel der Historie. Er bildet den Auftakt zu einer langen Geschichte der Vertreibung der Ursprungskirchen der Christenheit aus ihrer seit fast 2000 Jahren bewohnten und geprägten Heimat im Vorderen Orient bis zum heutigen Tag. Er erhält seine Aktualität auch durch Gewaltexzesse an christlichen Minderheiten in anderen Regionen dieser Welt, ebenso durch die Verfolgung und Unterdrückung anderer ethnischer und religiöser Minderheiten. Der Genozid an den Jesiden im Irak durch die Schergen des sogenannten Islamischen Staats ist ein bedrückendes Beispiel dafür. Die Repräsentanten der türkischen Politik bitte ich daher, mit einer Anerkennung der Deportationen der Armenier als Völkermord eine Brücke zu bauen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Dienst des weltweit bedrohten Friedens und des wirksamen Schutzes religiöser und ethnischer Minderheiten. Die türkischen Gesprächspartner im Raum der Diözese Rottenburg-Stuttgart, mit denen ich – wie mit allen Vertretern der muslimischen Community – kontinuierlich das Gespräch pflege, bitte ich, diese Stellungnahme als Zeichen eines Dialogs auf Augenhöhe anzunehmen, in dem der gegenseitige Respekt auch kritische Äußerungen erlaubt.
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