„Kleiner Ärztetag“ in Vorpommern

LEITARTIKEL
„Kleiner Ärztetag“ in Vorpommern
An dieser Stelle gibt es üblicherweise eine Einstimmung auf
den 118. Deutschen Ärztetag, der vom 12. bis 15. Mai 2015
in Frankfurt am Main stattfindet. Im Hörsaal Nord des Universitätsklinikums Greifswald konnten am 15. April 2015 ca.
100 Kolleginnen und Kollegen quasi einen Höhepunkt des
Ärztetages live und vorab erleben. Auf Einladung der Kassenärztlichen Vereinigung und der CDU-Landtagsfraktion
referierte Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe zum
Thema „Sicherstellung der medizinischen Versorgung
im ländlichen Raum“. Er behielt dieses Thema zwar stets
im Blick, streifte jedoch auch alle weiteren Themen der aktuellen Gesundheitspolitik, die in seiner Auftaktrede in
Frankfurt wahrscheinlich ausführlicher dargestellt werden.
Im Mittelpunkt seiner Rede stand das Versorgungsstärkungsgesetz, mit dem die grundsätzliche Zusage des deutschen Gesundheitssystems, dass jede(r) das bekommt, was
er/sie braucht – unabhängig von Wohnort und Geldbeutel,
auch zukünftig eingehalten werden soll. Gröhe begreift
dies angesichts der Probleme mit der nachhaltigen Finanzierung, Entwicklung von Alter und Morbidität, Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und auch (vermeintlicher)
Änderungen in der ärztlichen Berufsauffassung durchaus
als Herausforderung. Letzterem wurde unter dem Beifall
des Auditoriums vom Kollegen Dr. Michel widersprochen,
der die ethisch fundierte Berufsmotivation auch der jungen
Ärztegeneration betonte. In seiner Rede zeigte der Minister
auch Verständnis für eine „gefühlte Not“ in überversorgten
Gebieten.
Mit den Strukturfonds würden den Kassenärztlichen Vereinigungen Instrumente zur Steuerung der Versorgung in die
Hände gegeben, die auch zur Förderung der Niederlassung
eingesetzt werden können. Ganz in der Strategie eines
Feldherrn bezeichnete Gröhe die Öffnung der Krankenhäuser als „Auffanglinie“, wenn es denn mit der ambulanten
Versorgung in der Niederlassung nicht klappt. Die Aufhebung der Residenzpflicht sieht er im Sinne der Vereinbarung von Familie und Beruf als förderlich an – leben in der
Stadt, arbeiten im ländlichen Umland. Eine Wette verloren
hat die Diplom-Psychotherapeutin Karen Franz: Im Gegensatz zu ihren Erwartungen hat Gröhe auch eine Verbesserung der Psychotherapieleistungen in Aussicht gestellt.
Wie erwartet hat Herrmann Gröhe die Einrichtung von Terminservicestellen bei den KV´en verteidigt. Im besten Fall
Das Auditorium: Hausärzte, Fachärzte, Psychotherapeuten in bunter Vielfalt.
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ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
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– wenn es mit der Versorgung klappt – würden sie nur eine
Telefonnummer sein, die niemand anruft. Auf die in unserem Bundesland bewährte Praxis der A-/B-Überweisungen
angesprochen, betonte der Minister den Handlungsspielraum der KV´en, wollte dies jedoch nicht als Modell für die
ganze Bundesrepublik erkennen. Insgesamt sieht er das Versorgungsstärkungsgesetz als Förderung des „Miteinander
– Untereinander“ der Ärzte.
Wohlweislich hat der Minister das Wort „Substitution“ vermieden. Die Delegation ärztlicher Leistungen (beispielsweise an „Schwester AGnES“) hält er für eine „berechtigte
Idee“. In diesem Zusammenhang würdigte er (durchaus
glaubhaft) die Arbeit des Institutes für Community Medicine in Greifswald. Seiner Meinung nach hat die Popularität
der Figur des DDR-Fernsehens den Zugang zu deren Aufgaben für Westdeutsche „nicht unbedingt erleichtert“.
Bundesminister Herrmann Gröhe hat die
Vorlage des Referentenentwurfs zur Krankenhausreform in zwei
Wochen in Aussicht
gestellt. Eine „qualitätsorientierte Arbeitsteilung“ soll der Kerngedanke des Gesetzes
sein. (Vor diesem Hintergrund erhalten die
Sorgen um das Krankenhaus Wolgast einen
ganz neuen Aspekt.)
Gesundheitsminister Gröhe steht Rede
und Antwort im Hörsaal Nord
In der IT-Technologie sieht Gröhe den „Hochtechnologie­
standort Deutschland“ nur im Mittelfeld. Mit dem e-HealthGesetz will er „Tempo machen“ – Notfalldatensatz und Medikationsplan auf der eGK sind die nächsten Schritte.
Auf Deutschen Ärztetagen verschwindet der jeweilige Minister immer unmittelbar nach der Eröffnungsveranstaltung; über die Diskussion erfährt er bestenfalls etwas von
seinen Referenten. Anders in Greifswald: Herrmann Gröhe
stand seinem Auditorium fast eine Stunde Rede und Antwort. Von den Greifswalder Kollegen Dr. Andreas Michel
(Pädiatrie) und Dr. Volker Worm (Chirurgie) auf das Problem
der Nachbesetzung von Praxen angesprochen, erklärte Gröhe: „Ich vertraue auf die Zulassungsausschüsse vor Ort.“ Sie
hätten keine Abbauverpflichtung, wohl aber ein starkes Instrumentarium zur Organisation einer flächendeckenden
Versorgung. Für ihn komme ein Praxisaufkauf nur zum Verkehrswert infrage. Zur Finanzierung ambulanter WeiterbilAUSGABE 5/2015 25. JAHRGANG
dung auch in Gebieten mit einem weitgehenden ambulanten Tätigkeitsspektrum (wie Pädiatrie, Augenheilkunde,
HNO) hat er möglicherweise die Bedeutung erkannt, blieb
jedoch vage und unverbindlich.
Die Fragen des Rostocker Allgemeinmediziners Dr. Thomas
Maibaum nach der hausarztzentrierten Versorgung (HZV),
zur Bürokratie im System und zur Evaluation der Prävention
beantwortete der Minister mit der Routine eines Berufspolitikers: „Es soll die HZV geben.“ Bürokratie sei nun einmal
den komplexen Aufgaben der Selbstverwaltung geschuldet
und für die Prävention müssen die Krankenkassen 500 Mio.
Euro im Jahr ausgeben – Evaluation???
An die durch orange T-Shirts gut identifizierbare Gruppe
der Psychotherapeuten gewandt, erkannte Gröhe eine Fülle
von Baustellen in deren Gebiet (u. a. Suizidprävention, Ausbildung, Finanzierung) und erklärte, dass die „seelische Gesundheit“ mehr Aufmerksamkeit bedürfe.
Von Kammerpräsident Dr. Andreas Crusius auf das Antikorruptionsgesetz angesprochen, sieht er darin keine Diskriminierung des Berufsstandes sondern vielmehr eine Schutzfunktion vor den „schwarzen Schafen“, die so auch z. B. in
speziellen Strafrechtsregelungen für Beamte verwirklicht
sind.
Eine Rechnungslegung für GKV-Versicherte lehnte der Minister ab, weil in jungen Lebensjahren stets mehr eingezahlt werden müsse, sich im Alter dies jedoch umkehre. Der
Solidargedanke würde damit eher gefährdet. Last but not
least kam der Vorsitzende der KVMV Axel Rambow zu
Wort. Entgegen den Worten des Ministers sieht er in der
Bedarfsplanung mit der Sperrung überversorgter Gebiete
kein geeignetes Instrument zur Steuerung der Versorgung
und ein negatives Signal an den ärztlichen Nachwuchs.
Rambow erklärte, dass die niedergelassen Ärzteschaft in
M-V zu 100 % vernetzt ist und betonte die Schnittstellenproblematik, die nach den Worten Gröhes durch das eHealth-Gesetz geregelt werden soll.
Wer eine aggressive Diskussion oder gar einen Eklat erwartet hatte, wurde enttäuscht. Mit der Offenbarung als gesetzlich Versicherter und dem Hinweis auf eine Schwester,
die zuerst Hebamme, dann Psychotherapeutin sei, hat sich
Herrmann Gröhe sicher Sympathien im Auditorium erworben. Er hat den Eindruck hinterlassen, dass er in den anderthalb Jahren an der Spitze des BMG viel dazu gelernt hat
und offensichtlich lernfähig ist. Es bleibt die Hoffnung, dass
auch die Greifswalder Veranstaltung in diesem Sinne wirkt.
Ob davon in Frankfurt bereits etwas erkennbar sein wird?
Dr. Wilfried Schimanke
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