Glaube und Zweifel Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch. Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch. ... Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagen die anderen Jünger: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und lege sie meine Hände und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! Johannes 20,19-29 Predigt 5.4.2015 Ostern Schwenningen/Tuningen Haben Sie manchmal auch Zweifel, Glaubenszweifel? Manche meinen ja, ein Pastor darf keine Zweifel haben. Er muss schließlich vorangehen, er soll doch mit seinen Predigten und in der Seelsorge den Glauben der Menschen stärken. Aber manchmal kommen mir schon Zweifel. Ich frage mich zum Beispiel oft, was nützen unsere Gebete den verfolgten Christen im Nahen Osten und in Nigeria, bessert sich ihre Lage durch mein Gebet? Oder machen wir uns da etwas vor? Ist das nur ins Leere geredet? Ja ich glaube an die Auferstehung Jesu – ohne sie wäre das Christentum nicht denkbar. Aber wo ist er jetzt, manchmal scheint Gott so fern. Wir begegnen im heutigen Predigttext einem Mann, der als Zweifler in die Geschichte eingegangen ist: Thomas der Zweifler. Das wird oft so abschätzig gesagt, Thomas der Zweifler. Vielleicht hilft uns die Geschichte ganz neu zu entdecken, wie wertvoll es ist, wenn jemand zu seinen Zweifeln steht. Lesung Es heißt in der Erzählung ausdrücklich, Thomas sei einer der Zwölf. Stellen wir uns das vor: Da steht auf der einen Seite eine Gruppe von Jüngern, die total davon überzeugt sind, Jesus gesehen zu haben und die davon ihre Freude, ihren Glaubensinhalt, ihre Sehnsucht und ihre Energie zum Leben nehmen. Und das sieht man ihnen auch an. Sie sind wie verwandelt. Sie sind einfach glücklich. Aber dann kommt auf der anderen Seite ein Einzelner, der sagt: Nein, so will ich das nicht. Nur weil ihr das behauptet, glaube ich das noch lange nicht. Ich will sehen, bevor ich glaube. Thomas ist ehrlich, er will sich nicht ein x für ein u vormachen lassen. Glaube bedeutet für ihn, eine persönliche Erfahrung einzulösen. Und Religion ist für ihn nicht das, was andere ihm vorsetzen. Ob das bei uns hier in der Friedenskirche/Johanneskirche so anders ist? Ob es bei uns nicht auch immer wieder vorkommt, dass Leute in den Gottesdienst kommen und denken: Die sind alle sehr gläubig, die Lieder, die sie singen, und wie der Pastor so zuversichtlich redet, die können alle glauben. Aber ich, ich kann nicht so glauben, ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe bestimmte Erfahrungen in meinem Leben gemacht, die es mir schwer machen, an einen Gott der Liebe zu glauben. Vielleicht möchte ich gerne glauben können, aber so einfach mir nichts dir nichts das übernehmen, was andere sagen, das geht bei mir nicht. Ich kann nicht über meinen Schatten springen. Ja und da gefällt mir die Formulierung, dass Thomas trotzdem und gerade einer von den Zwölfen ist. Er gehört dazu, mit seinem Zweifel. In Wahrheit ist die Kirche eben keine homogene Gruppe von Leuten, die alle super glauben und die keine Zweifel haben. Wenn wir hier unter uns einmal eine Umfrage machen würden, wie es denn bei den einzelnen mit Glaube und mit Zweifel bestellt ist, dann würden wir schnell erkennen, dass manche, ja sogar viele von uns solche Zweifel kennen. Dass sie sich fragen, ob Gott überhaupt existiert. Oder dass sie sich fragen, ob sie denn wirklich erlöst sind. Oder dass sie sich fragen, ob man das wirklich so sagen kann, mein Leben ist in Gottes Hand, ich werde von ihm geführt, und es ist nicht nur ein blinder Zufall. Ja und manche müssen Erfahrungen machen, die ihnen das Bild eines guten Gottes wirklich verdunkeln können, wenn man unter einer chronischen Krankheit leidet, wenn der liebste Mensch, den man im Leben hatte, plötzlich und viel zu früh sterben musste. Ich möchte es mal so sagen: So wie Thomas zum Jüngerkreis dazugehörte, so gehört zum Glauben auch der Zweifel, mal mehr, mal weniger. Glaube, wenn er keine Zweifel kennt, verkommt zur bloßen Meinung. Glaube, der sich nicht hinterfragen lässt, ist kein lebendiger Glaube mehr, sondern eingefrorene Ideologie. Und die kann manchmal im Umgang miteinander unerbittlich werden. Und so wünsche ich mir eine Gemeinde, in der Thomas dazugehört, in der auch Platz ist zum Zweifel, und nicht alle das Gleiche glauben müssen. Dass man mit seinem Glauben/Unglauben hier unter uns so sein kann wie man ist und sich niemand daran stört. In der Kirche muss Raum sein für Leute, die auf der Suche sind, denen bisherige Sicherheiten und Formeln zerbrochen sind und die doch nach etwas suchen, was sie weiterbringt. Ja, das wünsche ich mir, dass man das spürt, dass es hier eine Weite gibt, dass niemand bedrängt wird, so oder so glauben und sich so oder so verhalten zu müssen, so sehr wir uns andererseits auch danach sehnen, dass wir nicht bei den Zweifeln stehen bleiben, sonder dass wir Halt finden, Gewissheit für unser Leben. Denn auf der anderen Seite kann der Zweifel auch zu einer Not werden, er kann einsam machen. Ja, man kann regelrecht in den Zweifel hineingezogen werden, und er wird dann wie ein Strudel zu einer Kraft, die immer mehr um sich greift und immer mehr erfasst, so dass man schließlich überhaupt nicht mehr weiß, woran man sich noch halten soll. Wir haben unseren Glauben nicht wie einen festen Besitz in unserer Hand, es kommt immer drauf an, was noch alles passiert und einem begegnet. Ich weiß noch sehr gut, wie ein Schulfreund von mir diesen Weg gegangen ist, er war in seiner Kirchengemeinde engagiert, und er wollte unbedingt Pfarrer werden, aber auf einmal kamen sie, immer grundlegendere Zweifel. Damals war gerade das Buch von Tilmann Moser mit dem Titel Gottesvergiftung erschienen, in dem der Autor gnadenlos mit dem Gott seiner Kindheit abrechnete, dem Gott, der alles beobachtet und die Fehler bestraft. So war er ihm durch seine Eltern und ihre schlimme Erziehung vermittelt worden. Und dieses Buch hatte mein Freund gelesen, und hatte wohl vieles aus seiner eigenen Geschichte darin entdeckt. Und schließlich war er wie umgepolt, bezeichnete sich als praktizierenden Atheisten. Und ich stand hilflos und traurig daneben. Gerade weil wir merken, wie der Glaube ein zerbrechliches Gebilde ist, das wir keineswegs in der Hand haben, müssen wir fragen, auch um unsertwillen: Wie geht es mit Thomas weiter? Auf welche Weise kam er zum Glauben? Die Schlüsselszene ist für mich: Jesus zeigt dem Thomas seine Wunden und Verletzungen, ja Thomas darf so gar den Finger in seine Wunden legen. So etwas macht man nicht mit jedem. So etwas zeigt man nur einem Menschen, dem man vertraut. Und so ist es eigentlich erst einmal Jesus, der sich Thomas anvertraut. Und das hat den Thomas schließlich überzeugt. Denn Jesus kommt nicht als der Überlegene, der dem Thomas den Kopf zurechtrücken und seine Zweifel austreiben will. Nein, er kommt als der Verletzliche! Er zeigt Thomas das, was man nur einem Menschen zeigt, dem man ganz tief vertraut: Seine schwachen Stellen. Er tut dies, damit Thomas erkennt, wer er wirklich ist. Der Lebendige ist der Verletzliche. Das ist eine ganz neue Weise der Begegnung. Und das ist es, woran Thomas ihn wiedererkennt und was ihn überzeugt. Man kann nicht jedem seine Wunden zeigen. Manchmal muss man sich auch schützen. Aber wie wichtig ist es gerade auch für Menschen, die sich lieben, sich so etwas sagen zu können. Und wie oft scheitert eine Beziehung genau daran, dass Menschen sich das gegenseitig nicht sagen können. Was könnte für ein anderes Klima des Umgangs miteinander entstehen, wenn Menschen sich begegnen wie damals Jesus und Thomas. Auferstehung mitten unter uns, wo Menschen offen für einander sind, und auch der Zweifler Thomas seinen Platz hat, einer der Zwölf, auch der Thomas in uns. Und keiner ist da, der sagt, du passt nicht zu uns, du glaubst nicht richtig. Nein gerade umgekehrt, du Thomas, wir brauchen dich, wir brauchen deine Fragen und deinen kritischen Blick. Und wir brauchen diesen Raum des Vertrauens, wo wir uns zeigen können so wie wir sind, auch mit unserer Verletzlichkeit. Die Begegnung mit Jesus bringt Thomas zum klarsten und liebevollsten Bekenntnis, das ein Christ von Jesus ablegen kann: Mein Herr und mein Gott. Für Thomas ist das kein theoretischer Glaube. Für ihn ist Jesus zu seinem Herrn und zu seinem Gott geworden. Wir können die Auferstehung und den Glauben nicht objektiv beweisen. Ich werde auch immer wieder unsicher sein, ob meine Gebete wirklich ankommen und die Wirkung haben, die ich von ihnen erhoffe. Ich habe die Wahl, mich zweifelnd abzuwenden oder zu sagen: Guter Gott, du bist mir so rätselhaft und ein großes Geheimnis. Ich verstehe dich manchmal nicht. Aber ich will dir vertrauen, deine unendlich große Liebe rührt mich immer wieder an. Und du machst dich selbst so verletzlich, dass du dich in unsere Hände legst und deine Sache uns anvertraust. Dieses Vertrauen, das du zu mir hast, rührt mich an. Wie könnte ich mich von dir abwenden! Wer wie Thomas sagen kann „Mein Herr und mein Gott“, der hat die Botschaft Jesu verstanden. Für den sind nicht mehr die Menschen Herren, für sie ist nicht mehr Geld und Erfolg ihr Gott. Wer in Jesus seinen Herrn und seinen Gott sehen kann, der ist selber auferstanden zum wahren Leben. Da gehen die Türen auf, die vorher aus Angst verschlossen waren. Da wird das Leben hell und weit! Unser oft angefochtene Glaube wird wie bei Thomas gestärkt durch Erfahrungen, durch Berührungen mit Gott. Ich möchte euch zum Schluss eine solche Erfahrung mitteilen, die mich sehr berührt und dankbar gestimmt hat. In unser Gästebuch der VesperkirchePlus schrieb vor einer Woche ein Gast: Vor 6 Wochen kam ich hier her zum essen. ich habe in meinem Auto geschlafen, und keine Idee für meine Zukunft mehr. Weil es nur ein Mensch für wichtig erachtete mit mir einen Kaffee zu trinken und mich kennenzulernen, habe ich jetzt ein Dach über dem Kopf, ein paar neue Freunde gefunden, und bin voll von neuen Ideen. ... Und egal wie das ausgeht, ich bin jetzt schon froh, froh, dass es solche Menschen gibt, und immer wieder unendlich dankbar für das Wirken Gottes. Als ich das las, dachte ich, ja Gott ist wirklich unter uns. Halleluja. Amen Hans-Ulrich Hofmann
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