Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (01.02.2015)

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D3499C
1.2.2015
Erwischt!
Nachruf
Professor Zech
Australien
Bayern-Code
geknackt
Richard von
Weizsäcker
Die Geschäfte
des Babymachers
Auf den Spuren
der Kängurus
WIRTSCHAFT
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POLITIK
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Griechenrettung
geht weiter
Jean-Claude Juncker bereitet
Verhandlungen mit Athen vor. Er
hat eine Idee, wo Geld herkommt
VO N T H O M A S G U T S C H K E R ,
PETER CARSTENS UND CHRISTIAN
SIEDENBIEDEL
Die EU-Kommission unter ihrem
Präsidenten Jean-Claude Juncker
ist fest entschlossen, Griechenland
in der Eurozone und in der Europäischen Union zu halten. Mit Juncker werde es keinen „Grexit“ geben, heißt es aus seiner Umgebung. Man sei zwar „beunruhigt“
über die Provokationen aus Athen.
Doch verdecke die „grauenhafte“
Rhetorik, dass der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras sehr wohl
zu konstruktiven Verhandlungen
über einen neuen Hilfspakt mit
Strukturreformen bereit sei. Sie
sollen am kommenden Mittwoch
beginnen, wenn Juncker den neuen Ministerpräsidenten in Brüssel
empfängt. Die Kommission hat sogar schon einen Notfallplan entwickelt, um Griechenland bis zum
Sommer mit Geld zu versorgen.
Am Freitag hatte der griechische
Finanzminister Giannis Varoufakis
die Zusammenarbeit mit den internationalen Geldgebern des Landes,
der sogenannten Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EUKommission, abrupt für beendet erklärt. Athen verzichte auf die letzte
Tranche des laufenden Hilfsprogramms und werde nicht mehr mit
der Troika zusammenarbeiten, kündigte Varoufakis nach einem Gespräch mit dem Niederländer Jeroen Dijsselbloem an, der die Gruppe der Eurostaaten vertritt.
Im Umfeld Junckers wird dieser
„Eklat“ heruntergespielt und darauf verwiesen, dass Varoufakis nur
das verhasste Symbol der „Troika“
abgelehnt habe, nicht jedoch eine
Zusammenarbeit mit den darin vertretenen Institutionen. Juncker
habe Verständnis dafür. In einem
Gespräch mit der französischen
Zeitung „Le Figaro“ hatte er diese
Woche gesagt, er sehe keine schnelle Rückkehr der Troika nach
Athen, denn das könne wie eine
Provokation wirken. In Brüssel
wird die Troika schon seit längerem kritisch gesehen. Sie gilt als
undemokratisch. Außerdem hatte
kürzlich der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof verlangt,
dass sich die EZB aus der Planung
von Reformprogrammen heraushält, solange sie Staatsanleihen der
betroffenen Länder kauft – das widerspricht dem Troika-Modell.
Am IWF wird bisweilen bemängelt, seine Auflagen seien sozial unausgewogen. So hält Juncker es für
richtig, dass Tsipras den Mindestlohn erhöhen will.
Offenbar war Tsipras am Freitag
selbst daran gelegen, die Wogen zu
glätten. Nach F.A.S.-Informationen rief er am späten Abend sowohl Juncker als auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an,
um die Äußerungen seines Finanzministers zu relativieren. „Vielleicht
bringt Alexis Tsipras noch mal Ordnung in seine Regierung“, sagte
Schulz der F.A.S. Und weiter:
„Wenn die griechische Regierung
wirklich nicht mehr mit den Geldgebern auf der bisherigen Grundlage zusammenarbeiten will, dann
halte ich das für verantwortungslos.“ Die Zusammenarbeit laufe ohnehin Ende Februar aus. „Über
neue Formen muss verhandelt werden, das geht nur im Wege des
Konsenses und nicht der Provokation“, so Schulz.
Tsipras reist Anfang der neuen
Woche nach Zypern, Rom und Paris, bevor er Juncker in Brüssel
trifft. Offenbar bemüht er sich darum, dort Verbündete zu gewinnen.
In der EU-Kommission wird jedoch erwartet, dass es ihm nicht gelingt, einen Keil in die EU zu treiben. Juncker hat sich eng mit den
jeweiligen Regierungschefs abgestimmt, um sicherzustellen, dass
Tsipras allerorten dieselbe Botschaft hört: dass er eine Lösung im
Konsens mit allen EU-Staaten finden müsse und ein Schuldenschnitt nicht in Frage komme.
Foto Dieter Rüchel
Griechenland hat nicht viel Zeit.
Wenn Athen an seiner starren Haltung festhält, verzichtet es auf 1,8
Milliarden Euro aus dem laufenden
Hilfsprogramm. Außerdem bringt
es seinen Bankensektor in Gefahr.
Die Europäische Zentralbank akzeptiert nämlich nur deshalb die
schlecht bewerteten griechischen
Staatsanleihen als Sicherheiten,
weil das Land „Programmland“ ist.
Andernfalls darf sie Athen nicht
mehr auf normalem Weg mit Geld
versorgen. Das finnische EZB-Ratsmitglied Erkki Liikanen stellte am
Samstag unmissverständlich klar:
Wenn bis Ende Februar keine Lösung für eine Verlängerung der
griechischen Hilfspakete gefunden
sei, müsse die EZB die Kreditvergabe einstellen.
Dann gäbe es noch die Möglichkeit, dass die griechische Notenbank die Banken des Landes über
Notfallkredite mit Geld versorgt –
so geschehen in Zypern 2013 und
auch schon in Griechenland. Bei einer Staatspleite würden dann aber
andere Notenbanken und die Gemeinschaft mithaften. Die EZB
könnte mit zwei Dritteln ihrer Mitglieder ein Veto gegen Notkredite
einlegen. Eine Option ohne europäische Mitsprache wäre für den
griechischen Staat, kurzfristige Anleihen aufzulegen, sogenannte
T-Bills, und sie an griechische Banken zu verkaufen. Möglicherweise
lässt sich auch Geld aus den Sozialversicherungen umlenken. Eine
Zeitlang könnte die Regierung
Rechnungen nicht bezahlen und
Lieferanten, etwa aus der Bauwirtschaft oder dem Gesundheitswesen, auf ihr Geld warten lassen. Spätestens im Juli müsste aber Schluss
sein mit Durchwursteln. Denn
dann werden zwei große griechische Staatsanleihen fällig, mit einem Volumen von zusammen 3,5
Milliarden Euro.
Aus diesem Grund erwägt die
EU-Kommission einen anderen
Ausweg, um Zeit für Verhandlungen mit Griechenland über einen
neuen Hilfspakt zu gewinnen.
Dazu könnte ein Fonds umgewid-
„Es gibt bei uns auch Liebesheiraten“
Nur ein Fach, kein Spind!
Nach Darmstädter Ehrenmord arbeiten Muslime an Präventionsprogramm
Schlamperei im Bundesrat brachte Nahles Ärger
ura. Frankfurt. Das aus Pakistan
stammende Ehepaar, das seine
Tochter ermordet haben soll, gehört einer islamischen Reformbewegung an. Der Vater hat bereits gestanden, das 19 Jahre alte Mädchen
in der Wohnung der Familie in
Darmstadt erwürgt zu haben. Das
Motiv: Die Tochter hatte seit zwei
Jahren einen Freund. Weder die Eltern des jungen Mannes noch die
der Frau waren mit einer Hochzeit
einverstanden. „Wir stehen alle unter Schock, dass so etwas auch bei
uns passiert“, sagt der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya-Muslime, Abdullah Uwe Wagishauser. Er hatte
vor sechs Wochen mit beiden Elternpaaren gesprochen. „Ich riet ihnen, der Ehe möglichst schnell zuzustimmen.“ Manchmal schlage leider die Liebe der Eltern zu ihren
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sitzanspruch um. „Dabei gibt es
bei uns auch Liebesheiraten, nicht
nur arrangierte Ehen“, sagt Wagishauser. Üblich sei allerdings, dass
sich zwei junge Menschen im Rahmen eines von den Verwandten organisierten Treffens kennenlernten. „Wir sind zwar liberal, aber
dennoch wertkonservativ. Ein voreheliches Verhältnis ist bei uns
nicht üblich und nicht akzeptiert.“
Leider brächten aber manche Mitglieder aus Pakistan überkommene
patriarchale Vorstellungen mit.
Nun will die Gemeinde ein Programm zur Vorbeugung solcher
Delikte entwickeln.
ura. Frankfurt. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat erbitterte Schelte auf sich gezogen. Ihre
geplante Arbeitsstättenverordnung
erzürnte die Arbeitgeber: zu bürokratisch, zu teuer. Einer der Aufreger war, dass jeder Arbeitnehmer
künftig einen abschließbaren
Spind bekommen soll – sei es am
Arbeitsplatz auch noch so eng.
Nahles verteidigte sich: Diesen
Punkt habe nicht sie in den Text
eingefügt, sondern der Bundesrat,
und zwar auf Wunsch der sächsischen Landesregierung. Doch die
Sachsen sagen: Stimmt nicht, so haben wir das gar nicht gemeint!
Nett, aber böse
Konsumkritik
One More Night
Lars Eidinger
und seine Rolle als
Richard III. Feuilleton
Wie lebt es sich ein Jahr
in Second-Hand-Mode?
Rhein-Main
Wie Phil Collins über
Trennungsschmerz
hinweghilft. Leben
„Wir wollten nur, dass jeder Mitarbeiter ein abschließbares Fach
für seine persönlichen Wertgegenstände wie Handy, Schlüssel und
Portemonnaie haben sollte – und
dazu einen Kleiderhaken“, sagte
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) dieser Zeitung.
„In der Formulierung des Bundesrates wanderte aber das Adjektiv
‚abschließbar‘ vor die ‚Kleiderablage‘.“ So entstand offenbar das Missverständnis, dass es sich um einen
abschließbaren Schrank handeln
müsse, sagt Dulig. Schlampige Arbeit am Text also – und darum so
viel Ärger.
met werden, der für die Stabilisierung der griechischen Banken aufgelegt wurde. Im sogenannten Hellenic Financial Stability Fonds stehen noch 7 Milliarden Euro zur
Verfügung. Damit könnte Athen
bis zum Sommer durchhalten. Allerdings müssten die Mitgliedstaaten zustimmen und in vier Fällen
auch die Parlamente: Deutschland,
Estland, Finnland und die Niederlande – allesamt Länder, die Wert
legen auf solide Finanzpolitik.
Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Norbert Barthle (CDU), ist
skeptisch gegenüber dieser Idee. In
der Regierungskoalition gebe es wenig Bereitschaft, den Griechen wei-
ter entgegenzukommen, der Spielraum sei weitgehend ausgereizt.
Der Bundestag werde nur Hilfskredite genehmigen, die konditioniert
seien und kontrolliert würden. Das
einseitige Vorgehen Athens sei ein
„Dirty Exit“, ein eklatanter Verstoß
gegen die Vereinbarungen. „Ich
sehe dann keine Basis für ein Anschlussprogramm“, so Barthle. Ähnlich äußert sich der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Hans-Peter
Friedrich von der CSU: „Die EU
ist den Griechen schon weit genug entgegengekommen, die
Griechen müssen sich daran gewöhnen, ihre Probleme in erster Linie selbst zu lösen.“
Die
Bundesregierung
hält sich weiter mit Ratschlägen zurück. Hervorgehoben wird, dass Griechenland, was immer es tue,
Deutschland keine größeren Sorgen mehr verursachen könne. Am Ende benötige
Griechenland
Deutschland mehr als umgekehrt. Mit einer leichten Verwunderung wird
registriert, dass europäische Politiker wie Schulz
„Hals über Kopf“ nach
Athen geflogen seien. Üblicherweise fahre ein neuer
Regierungschef zum Antrittsbesuch nach Brüssel. Griechenland müsse sich an seine
Verpflichtungen halten, heißt es.
Verwundert zeigt man sich darüber, dass die neue griechische Regierung durch ihre Avancen gegenüber Moskau sogleich den Rest Europas gegen sich aufgebracht habe.
Das sei unklug gewesen.
Außenminister Steinmeier hat
sich nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt zu einem baldigen Treffen mit seinem griechischen Kollegen Nikos Kotzias in Berlin verabredet. Das Finanzministerium wies
einen Bericht des „Spiegel“ zurück,
dem zufolge ein weiteres Hilfspaket
für Griechenland mit einem Volumen von zwanzig Milliarden Euro
in Vorbereitung sei. „Das trifft
nicht zu“, sagte ein Sprecher des
Ministeriums, die Frage stelle sich
derzeit gar nicht. Auch die genannte Zahl sei „völlig spekulativ“.
Die EU-Staaten und die Regierung Tsipras müssen bei allen kommenden Schritten die Finanzmärkte
im Blick behalten. Nachdem Griechenland am Freitag die Zusammenarbeit mit der Troika aufgekündigt
hatte, schossen die Zinsen für Staatsanleihen wieder in die Höhe. Die
Rendite von Anleihen mit dreijähriger Laufzeit stieg auf 18,8 Prozent –
das war etwa doppelt so viel wie in
der Vorwoche. Die Kurse griechischer Bankaktien stürzten ab.
Mit weiteren Reaktionen der Anleger am Montag ist zu rechnen.
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