SWR2 DIE BUCHKRITIK

SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Dave Eggers: Bis an die Grenze
Aus dem amerikanischen Englisch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag Kiepenheuer&Witsch
496 Seiten
23 Euro
Rezension von Tino Dallmann
Donnerstag, 09 März 2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Josie, die Protagonistin von Dave Eggers neuem Roman, ist auf der Flucht. Hinter ihr liegt
ein Scherbenhaufen. Ihre Praxis als Zahnärztin musste sie aufgeben, weil eine todkranke
Patientin sie verklagt hat. Außerdem hat sie ihren Mann verlassen, einen freundlichen
aber auch etwas verlorenen Taugenichts. Nun hat Josie sich einen klapprigen
Wohnwagen gemietet, flieht mit ihren zwei Kindern nach Alaska und will vor allem eines:
Abstand von ihrem bisherigen Leben.
Das alles ist natürlich ein alter amerikanischer Mythos. So wie die Siedler damals gen
Westen zogen und auf ein besseres Leben hofften, so zieht Josie los und hofft auf eine
Eingebung, wie es mit ihrem Leben weitergehen soll. Zudem sucht sie das Abenteuer
eines Lebens in der ungezähmten Natur. Dabei stellen sich ihre Kinder als die eigentlichen
Helden der Geschichte heraus. Paul ist acht Jahre alt, sanftmütig und stets eine Spur
vernünftiger als seine Mutter. Ana ist gerade einmal fünf und um vieles unberechenbarer.
Mit großer Zielstrebigkeit sucht sie sich jeweils das zerbrechlichste Objekt im Raum aus –
und zerstört es. Schon nach den ersten Seiten spürt man: Dave Eggers meldet sich
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eindrucksvoll als
Erzähler zurück.
Dabei hatten seine
letzten
Romane einige
Schwachstellen: So sehr „Der Circle“ als düstere Version einer Zukunft beeindruckte, in
der wir nicht nur die Kontrolle über unsere Daten im Netz verlieren sondern zunehmend
auch über unser Leben, so farblos wirkten einige der Figuren. In seinem letzten Roman,
„Eure Väter wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?“, versuchte Eggers dann so
viele gesellschaftliche Probleme wie möglich zwischen zwei Buchdeckel zu pressen, von
Rassismus über Krieg bis zur Einwanderungsdebatte, vollkommen geglückt schien auch
dieser Roman nicht. Nun aber legt er endlich wieder eine packende Geschichte vor.
Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen Josie und ihren Kindern macht „Bis an die
Grenze“ zu einem mitreißenden Roman. Denn auf ihrem Roadtrip durch Alaska grübelt die
junge Frau nicht nur über ihr Leben nach, sondern auch über ihre Rolle als Mutter. In
derart unsicheren Verhältnissen ist es kein Wunder, dass sich Paul mit seinen acht Jahren
seiner kleinen Schwester gegenüber schon wie ein Vater verhält und Ana mit ihrer stillen
Zerstörungswut nach Aufmerksamkeit verlangt. Und so viel sei gesagt: Josies
Erziehungskonzept, ihre Kinder vor Herausforderungen zu stellen und sie dann nach der
sokratischen Methode über ihr Handeln zu befragen, bringt die Familie in mehr als nur
eine brenzlige Situation.
Auf hintergründige Weise schaut Dave Eggers in seinem neuen Roman auch Amerika tief
in die Seele. Denn auf ihrer Reise begegnen Josie und die Kinder anderen Aussteigern.
Es sind Lehrer oder einfache Angestellte, die den täglichen Kampf ums Auskommen hinter
sich lassen wollen - die Sorgen um Mietzahlungen, Kredite und Steuerschulden. Auf diese
Weise entsteht ganz am Rande des Landes eine Momentaufnahme von Amerika. Wir
leben in wütenden Zeiten, sinniert Josie an einer Stelle. Ihre Angestellten waren
enttäuscht über die vielen Arbeitsstunden und die Bezahlung. Die Patienten waren
enttäuscht über selbst verschuldete Löcher in ihren Zähnen und ihre lückenhafte
Krankenversicherung. Jeder ist enttäuscht und wütend auf den anderen. Gerade die
Vorstädte sind eine Hölle des Alltags, findet Josie. Und die will sie soweit wie möglich
hinter sich lassen.
Für sie selbst gleicht das Leben jedoch einem Plan, der nie ganz aufgeht. Während Josie
in Alaska die Klarheit und die kalte Magie der Landschaft sucht, um über ihr Leben
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nachzudenken, treibt ein riesiger Waldbrand sie und die Kinder von einem Ort zum
nächsten. „Bis an die Grenze“ ist ein heiterer und an vielen Stellen tragikomischer
Familienroman, der etwas feiner gestrickt ist als Eggers vorangegangene Romane und
das Glücksversprechen des amerikanischen Traums in Frage stellt. Am Ende steht die
schlichte Erkenntnis, dass es auf den Mut des Einzelnen ankommt. Darauf ohne Furcht
nach vorne zu blicken und kleinen wie großen Hindernissen zum Trotz weiterzumachen so wie es Josie und die Kinder auf ihrer Reise tun. Das liest sich wie ein Bekenntnis zu
den Grundwerten der Nation. Und wie ein Mutmacher in dunklen Zeiten. Gerade jetzt.
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