REPORTAGE von Nils Claasen - Wiprecht

Arbeitsgericht Leipzig
Arbeitsgerichte - Funktion und Vorgehensweise
Das Arbeitsgericht hat die Funktion, alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern
und Arbeitnehmern oder zwischen Tarifvertragspartnern zu schlichten. Der Prozess beginnt mit dem
Einreichen einer Klageschrift, die ein Rechtschutzbegehren und einen bestimmten Antrag, also einen
Grund für die Anklage, eine genaue Bezeichnung der beiden Parteien und eine Unterschrift des
Klägers beinhalten muss. Nach dieser Klageschrift kommt es zu einem Gütetermin. Dabei wird durch
einen Richter der Sachverhalt erörtert. Diese Güteverhandlung hat das Ziel, den Rechtsstreit ohne
weitere Umwege zu klären. Dies kann durch Rücknahme der Klage, Anerkennen der Klage durch die
beklagte Partei oder durch einen Vergleich, d.h. eine Einigung durch ein gegenseitiges Nachgeben der
beiden Parteien, erfolgen. Kommt es jedoch zu keiner Einigung, wird die Verhandlung vertagt. Bei
diesem sogenannten Kammertermin sind nun noch zwei weitere Richter/innen anwesend. Es sind
ehrenamtliche Richter, wobei jeweils einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer und der andere aus dem
Kreis der Arbeitgeber stammt. Wenn es nicht genügend Material für eine Entscheidung der Kammer
gibt, muss erneut eine Sitzung stattfinden.
Mit dem Falschen angelegt- wenn Robenträger schwarz sehen
Es ist fünf nach neun. Mit leichter Verspätung beginnt die Gerichtsverhandlung im Sitzungssaal 4 des
Arbeitsgerichtes Leipzig am 21.1.2016. Es ist der Kammertermin. Der Ort gleicht mehr einem
einfachen Zimmer als einem Gerichtssaal. Mir gegenüber sitzt der Berufsrichter Herr Steffen, links
und rechts von ihm zwei ehrenamtliche
Richter. Zu meiner Rechten ein
aufgeregter,
verschwitzter
Rechtsanwalt. Er sitzt allein da und
langsam sieht man ihm die Unsicherheit
immer mehr an. Zu meiner Linken, ein
gut organisiertes Duo. Sie wirken wie
jemand, gegen den man besser nicht
klagt. Ihr Auftreten allein schreckt
bereits ab. Der Anwalt, er sieht aus wie
Putin, hat seine Unterlagen gut sortiert
vor sich. Er scheint sehr vorbereitet zu
sein, als gäbe es einen Plan, der die
Anklage heute endgültig zu Fall
bringen würde.
Es geht los. Die Klage wird vom
Richter verlesen. Der korpulente
Rechtsanwalt und sein abwesender
Kläger verlangen Entschädigung laut
des §82 SGB 9. Es handelt sich dabei
um ein Recht für Schwerbehinderte. Es
heißt, ein Arbeitgeber müsse einen
Schwerbehinderten, der sich bei ihm
um eine Stelle beworben hat, zu einem
Vorstellungsgespräch einladen. Die
Bedingungen sind jedoch zum einen die
Eignung für diese Stelle durch
gegebenenfalls Qualifikationen, Erfahrung, Kenntnisse etc. und zum anderen die deutliche
Kennzeichnung der Behinderung in der Bewerbung oder im Lebenslauf.
Ab jetzt darf diskutiert werden. Es folgt ein Wechsel von Argumentationen, bei denen es dem
Klägervertreter immer unheimlicher wird. Der Richter versteht zwar dessen Lage, doch die
Argumentationen des gegnerischen Anwalts halten dagegen. Das Resultat ist, dass die schwere
Behinderung nicht deutlich gekennzeichnet worden ist. Noch dazu wurde selbst mit Einreichen der
Klage vor exakt 4 Monaten noch kein Schwerbehindertenausweis vorgezeigt. Es heißt jetzt außerdem,
dass der Kläger nur einem Schwerbehinderten gleich gestellt ist. Diese Diskussion hat sich nun für die
beklagte Partei erledigt, was durch die Worte „Die Klage ist unserer Meinung nach nicht schlüssig.“
deutlich wird.
Aber das Repertoire ist noch lange nicht ausgeschöpft. Es stellt sich heraus, dass die angegebenen
Fähigkeiten und Qualifikationen nicht für diese Stelle ausreichend oder gar vorhanden sind. Der
klagende Anwalt ist nun völlig überfordert. Ihm fliegen die Gegenargumente geradezu um die Ohren.
Da nun auch die zweite Bedingung des Rechtes nachweislich nicht erfüllt ist, hat die Klage keinen
Ansatzpunkt mehr.
Um seine Meinung noch deutlicher zu machen, schlägt er seine Akte zu, hebt sie hoch und lässt sie auf
den Tisch fallen, sodass man sich ein Bild von deren Gewicht und Umfang machen kann. Er schaut
den Richter an und sagt, dass er diesen Fall jetzt satt habe und es für ihn wie eine Art Spielchen sei.
Jetzt zeigt sich, wer seine Hausaufgaben ordentlich gemacht hat. Der Klägervertreter muss jetzt die
Notbremse ziehen. Er beantragt eine Schriftsatzpflicht. Dies ist eine Reglung mit der, wie in diesem
Fall, eine wegen eines unerwarteten Vorbringens des Gegners überforderte Partei die Möglichkeit hat,
sich Zeit zu verschaffen und eine schriftliche Erklärung bis zu einem vereinbarten Termin abgeben
kann. Der Spuk ist also folglich noch nicht vorbei.
Zweifelsohne ist der §82 SGB 9 ein wichtiges Gesetz und ich finde es gut, dass behinderte Menschen
nicht ohne weiteres von „Schreibtischtätern“ abgelehnt werden können, wenn sie sich für eine Stelle
eignen und den Arbeitgeber beispielsweise nur die körperliche Einschränkung stört. Meiner Meinung
nach ist aber diese Klage mittlerweile unsinnig. Es steht fest, dass hier kein Gesetzesverstoß vorliegt.
Ich stimme der beklagten Partei bei ihrer Ansicht zum Prozess zu, da dieser nur noch Zeit, Aufwand
und Kosten verschlingt. Jedoch gibt es genügend Regelungen, mit denen man solche Situationen
unnötig in die Länge ziehen kann.