Beitrag: Pflegefall Altenpflege – Zu wenig Zeit, Lohn und

Manuskript
Beitrag: Pflegefall Altenpflege –
Zu wenig Zeit, Lohn und Personal
Sendung vom 8. März 2016
von Gerd Gerlach, Steffi Lischke und Nina Rothermundt
Anmoderation:
Anziehen: acht Minuten. Hilfe beim Toilettengang: drei Minuten.
Gesicht und Hände waschen: ein bis zwei Minuten. Die Hand
halten und miteinander reden: Null Minuten. Die Pflege nach
Minutentakt ist trostlos, für die Pflegebedürftigen, aber auch fürs
Personal. Wenig Zeit, wenig Lohn, wenig Wertschätzung. Und so
gibt es immer weniger Altenpfleger, die diese Arbeit gern machen
- und gut. Wer versorgt die alten Eltern? Wer kümmert sich um
uns - und wie, wenn wir irgendwann mal Hilfe brauchen? Gerd
Gerlach und Steffi Lischke über den Pflegefall Altenpflege.
Text:
Unterwegs zu einer alten Dame. Daniela Gumpinger arbeitet seit
16 Jahren als Altenpflegerin in Bayern. Früh morgens: Ankunft bei
Familie Huber.
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„Guten Morgen.“
Der Schwiegersohn erwartet sie schon sehnsüchtig.
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„So, alles gut bei Ihnen?“
O-Ton: Lorenz Huber, Schwiegersohn
„Passt. Passt. Okay, Alles wart auf Dich.“
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„Alles wart auf mich.“
„Guten Morgen. Die Daniela ist da. Hallo. Guten Morgen. So
dann stehen wir auf, Frau Winkler.“
Seit neun Monaten kümmert sich der Ambulante Pflegedienst um
die 95-Jährige.
O-Ton Lorenz Huber, Schwiegersohn:
„Ohne die Daniela könnten wir die Oma nicht zu Hause
haben. Das ist dann nicht mehr möglich. Das ist ganz Gold
wert!“
Gold wert, aber meistens schlecht bezahlt. Dabei ist Altenpfleger
ein Beruf mit hohen Ansprüchen.
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„Also es ist nicht nur Hintern abwischen und Leute
waschen, so wie viele das Bild haben von der Pflege.“
Elf Pflegebedürftige betreut Daniela Gumpinger jeden Tag. Rund
um die Uhr, auch nachts wenn es sein muss.
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„Herr Gerke, wie geht es Ihnen?“
O-Ton: Herr Gerke, Pflegepatient
Schlecht ging es mir gestern, heute geht’s mir gut.“
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„Sind die Schmerzen mehr geworden?“
O-Ton: Herr Gerke, Pflegepatient
„Nein, haben nachgelassen.“
O-Ton: Daniela Gumpinger, Altenpflegerin
„Aber es wird immer mal wieder besser, dann wird’s wieder
schlechter, dann wieder besser. Und so machen wir das halt.
Aber ich komme gern zum Herrn Gerke. Wir haben immer
einen rechten Spaß wir zwei. Gut Herr Gerke, dann noch
einen schönen Tag. Drücken, wie immer, gell.“
Schichtdienste, Sonn- und Feiertagsarbeit, dazu die geringe
Bezahlung. Schlechte Voraussetzungen, um motivierte
Mitarbeiter wie Daniela Gumpinger zu finden. Diese Erfahrung hat
die Chefin des Pflegedienstes schon oft machen müssen.
O-Ton: Annerose Bröcker, Ambulanter Pflegedienst St.
Georg, Taching am See
„Die schwer vermittelbar sind, die werden in die Altenpflege
gedrängt, machen dann den Beruf kurze Zeit, weil er wirklich
den Menschen schon viel abverlangt und gehen dann wieder
weg. Und dann kommt‘s zu solchen Geschichten, dass man
sagt: Altenpfleger, ja sind doch nur examinierte Popoputzer.“
Die Deutschen werden immer älter. Schon heute sind rund 2,45
Millionen Menschen pflegebedürftig. 2020, so schätzen Experten,
werden es knapp drei Millionen sein. Fachkräfte fehlen schon
jetzt.
Die Bundesregierung versucht gegenzusteuern. Mit einer
sogenannten Ausbildungsoffensive wollte
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig mehr junge
Menschen für den Altenpflegeberuf begeistern. Tatsächlich wurde
2015 mit rund 26.700 Auszubildenden ein neuer Spitzenwert
erreicht.
Pflegeexperte Claus Fussek beschäftigt sich seit Jahren mit den
Zuständen in der Altenpflege. Er kritisiert: Bei der
Ausbildungsoffensive gehe Quantität vor Qualität.
O-Ton: Claus Fussek, Pflegedienst-Experte
„Seit Jahren werden die Leute reingeschickt in einen
anspruchsvollen Beruf, die in einem anderen Beruf keine
Chance finden.“
Seiner Meinung nach sind die, wenig motiviert. Und das wirke
sich wiederum auf diejenigen aus, die den Job mit Leidenschaft
angefangen haben.
O-Ton: Claus Fussek, Pflegedienst-Experte
„Man wundert sich dann, dass die guten, die engagierten, die
kompetenten, die empathischen Leute gehen, weil die
natürlich nicht mehr so arbeiten können, wie sie es gelernt
haben. Und über bleiben natürlich die Jobber, weil die sind
natürlich gezwungen vom Arbeitsamt, das zu machen.“
Hinzu kommt die Bezahlung. Die ist nämlich deutlich schlechter
als in anderen Pflegeberufen. Elisabeth Creß hat fast 30 Jahre in
der Pflege gearbeitet, etliche Zusatzqualifikationen erworben. Hat
sich für den Job ihren Rücken ruiniert. Ob sie jemals wieder
arbeiten kann, ist ungewiss.
O-Ton: Elisabeth Creß, Pflegefachkraft
„In der Öffentlichkeit und in der Gesellschaft werden wir
immer noch, um es deutsch zu sagen, als examinierte
Urinkellner und Arschabputzer hingestellt. Ich fühle mich in
meinem Beruf nicht wertgeschätzt. Wir haben in der Pflege
einen Mindestlohn von 9,40 Euro für Fachkräfte und 8,75
Euro, glaube ich, für die Pflegekräfte. Dafür, dass wir
teilweise 50, 60, 70 Stunden in der Woche arbeiten, obwohl
eigentlich Maximum 40 laut Vertrag oder laut den Verträgen
gearbeitet werden dürfen, find ich das schon ein starkes
Stück.“
Gleicher Lohn für alle Pflegeberufe - davon sind die mehr als
500.000 sozialversicherungspflichtigen Altenpflegekräfte in
Deutschland weit entfernt. Nach einer dreijährigen Ausbildung
verdient im Durchschnitt eine Fachkraft Altenpflege 2.441 Euro
(brutto) - und damit rund 600 Euro weniger als eine Fachkraft in
der Krankenpflege mit 3.042 Euro.
Ähnlich ist es bei den Hilfskräften. Helfer in der Altenpflege
verdienen brutto 1.741 Euro, Helfer in der Krankenpflege
hingegen 2.346 Euro.
Derzeit plant die Bundesregierung alle drei Pflegeberufe in einer
Ausbildung zusammenzufassen, also Altenpfleger,
Krankenpfleger und Kinderkrankenpfleger. Kritiker fürchten: Für
die schlechter bezahlte Altenpflege finden sich so noch weniger
neue Mitarbeiter. Doch der Pflegebeauftragte der
Bundesregierung wirbt für diese Art von Wettbewerb.
Zitat: Karl-Josef Laumann, Pflegebeauftragter der
Bundesregierung
„Künftig haben Mitarbeiter die Wahlfreiheit, flexibel zwischen
den verschiedenen Versorgungsbereichen wechseln zu
können. Das wird die Arbeitgeber … motivieren, attraktive
Arbeitsbedingungen anzubieten, damit man sich für ihre
Einrichtungen entscheidet.“
Die meisten der 28 EU-Staaten machen das schon so. Beispiel
Tschechien: An der Höheren Fachschule für Gesundheitswesen
in Pilsen werden zukünftige Pfleger fachübergreifend in der Alten, Kranken- und Kinderkrankenpflege ausgebildet. Eine Trennung
zwischen den Berufsgruppen kennt man hier nicht.
O-Ton: Lenka Uhlírová, Höheren Fachschule für
Gesundheitswesen Pilsen, CZ:
„In Tschechien gibt es keinen speziellen Beruf für die
Seniorenpflege. Unser Ausbildungssystem ist anders.
Bei uns beginnen die Schüler eine vierjährige Ausbildung
zum medizinischen Assistenten an einer mittleren
Fachschule, machen gleichzeitig ihr Abitur. Danach können
sie weitere drei Jahre an einer Universität oder
Fachoberschule studieren.“
Sieben Jahre dauert die Ausbildung. Am Ende haben die
Studierenden einen akademischen Abschluss in der Tasche, als
diplomierte Krankenschwester oder Krankenpfleger.
O-Ton: Lenka Uhlírová, Höheren Fachschule für
Gesundheitswesen Pilsen, CZ:
„Der Beruf der diplomierten Krankenschwester hat einen
sehr guten Ruf in unserer Gesellschaft. Das zeigt sich darin,
dass wir mehr Bewerber, als freie Plätze haben.“
Eine mehrjährige gemeinsame Ausbildung: Das will auch die
Bundesregierung. Doch klar ist: Wenn der Beruf Altenpfleger
attraktiver werden soll, müssen auch alle mehr dafür bezahlen.
Das müsste die Politik aber auch allen klar machen.
O-Ton: Annerose Bröcker, Ambulanter Pflegedienst St.
Georg, Taching am See
„Es muss von Anfang an allen bewusst sein, die hier in
unserem schönen Deutschland leben, dass wir alle alt
werden. Und wir müssen die Leute sensibilisieren, dass
jeder, auch wenn man das in seinen jungen Jahren nicht
glaubt, irgendwann mal Hilfe braucht. Und dann wird man
sicherlich auch den Ruf der Altenpflege ein ganzes Stück
aufwerten können!“
Nur so ist es möglich, dass mehr Menschen wie Daniela
Gumpinger in der Altenpflege arbeiten. Denn nur motivierte und
gut ausgebildete Fachkräfte erlauben ein würdevolles Altwerden.
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