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Praktikum in einem Hospiz | Manuskript
Begegnung mit dem Tod - Praktikum in einem Hospiz
Beitrag: Annett Glatz
Mein Lachen trügt, ich bin ganz schön angespannt als mich die Chefin des Chemnitzer
Hospizes, Anja Merkel, einweist. Die Arbeitskleidung ist farbenfroh, soll nicht an Trauer
erinnern. Doch der Tod begegnet mir schon auf den ersten Metern.
„Sie sehen heute die Kerze brennen. Die Kerze brennt bei uns im Haus immer, wenn
jemand verstorben ist. Und bleibt solange brennen wie die verstorbene Person im Haus ist
und wenn sie dann mit dem Bestattungsunternehmen abgeholt wird, dann machen wir die
Kerze erst wieder aus.“
Mir wird schnell klar, dass hier Ruhe und Gelassenheit wichtiger sind als hektisches
Abarbeiten
„Sie dürfen über mich verfügen.“
„Machen sie erstmal ne Pause.“
16 Plätze hat das Hospiz, um vier Bewohner kümmert sich eine Palliativfachkraft. Ich bin jetzt
Tina Prunkl zugeteilt.
Was ist wichtig beim Waschen, Pflegen, auf was muss man achten?
Also ganz wichtig ist, dass man bei den Menschen, die in der letzten Lebensphase sind,
wirklich einfach das gemacht wird, was sie wollen. Schlafen lassen, liegen lassen, da
haben sie keine Schmerzen und ich denke, damit tut man ihnen jetzt einen Gefallen.
Schon meine erste Begegnung geht mir sehr nah. Wir sind bei einem jungen Mann mit
Gehirntumor.
Wie alt ist er? 77 geboren, / 77 geboren, das ist jünger als ich, schrecklich und kleine
Kinder glaub ich auch, genau, ne Tochter und die hat sich einfach ganz sehr gewünscht,
dass der Papa da ist
Ist er manchmal noch wach – also vom Verstehen her? / Er versteht uns, also auch das,
was wir hier sagen. Der Hörsinn ist der letzte Sinn, der geht bei sterbenden Menschen. Das
ist tatsächlich so. Aber er ist einfach so kaputt und deswegen machen wir kurzes
Programm / Das machen wir. / Ich weiß, das ist immer nicht so ihre
Lieblingsbeschäftigung.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Wichtig, so lerne ich, ist es, alle Arbeitsschritte dem Kranken vorher zu erläutern- ihm damit
auch die Würde zu lassen.
So ich geh mal über die Lippen, na?
Beim Waschen muss man beachten, dass Todkranke ein sensibleres Temperaturempfinden
haben. Ich versuche so sanft, wie möglich zu ein.
Immer schön unter die Arme.
Und da ist jetzt die Kraft weg? / Ja durch seinen Gehirntumor ist die komplette linke Seite
gelähmt.
Und das machen wir jetzt noch schön trocken. Und dann gibt’s Pulmotin //
Das habe ich als Kind immer gehabt, kennen sie das als Kind noch? Pulmotin? Wenn man
erkältet war, gab‘s in der DDR noch, hat die Mama immer eingerieben.
Für mich ist es schön zu erleben, wie der Kranke auf uns reagiert. Als nächstes geht’s mit zur
Visite, die hier zweimal wöchentlich von Ärzten durchgeführt wird.
Zimmer 11.
In ein Hospiz werden nur unheilbar Kranke am Ende ihres Lebens aufgenommen, die
besondere Pflege brauchen. Die nächste Bewohnerin hat auch einen Gehirntumor.
Die Frau Triebe ist nicht immer orientiert, kann auch nicht immer verbal sich äußern.
Manchmal geht’s aber ganz gut. Sie ist nicht schmerzfrei.
Stimmt das wirklich, dass man das schmerzfrei hinkriegt? / Zumindest mit tolerablen
Schmerzen leben kann. Die Akzeptanz der Erkrankung sollte schon da sein. Und das man
sagen kann, unerträgliche Schmerzen, das kriegen wir sicher gut hin, dass wir das in ein
erträgliches Maß zurückholen.
Wie lange ist ihre Frau jetzt schon hier? / Seit Samstag und fühlen sie sich beide wohl?/ Ja
also ich muss sagen, ich fühle mich hier wie geborgen. Hauptsächlich meine Frau, auch die
Angehörigen. Ich kann da nur sagen, mit so einem Einfühlungsvermögen wie man hier
behandelt wird, das ist wirklich erstaunlich.
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Aber insgesamt macht sie zurzeit keinen ganz so zufriedenen Eindruck, wenn ich die
Stirnfalte so sehe. So die Mund Nase Falte. Mmh, also ich würde ganz gern das
Schmerzpflaster umstellen, dass das ein bisschen wirksamer ist.
Dass die Bewohner in Würde sterben können, darum geht es der Onkologin Angelika
Renziehausen, die hier selber lernen musste, immer wieder Abschied zu nehmen.
Bei manchen Patienten merke ich schon, dass wir uns nicht wieder sehen werden. Auch da
ist so ein Abschiedsritual mit dabei. /Drücken Sie da noch mal die Hand? / Ja , je nachdem
wie auch die Vigilanz des Patienten es zulässt. Manche verabschieden sich auch von sich
aus ganz offiziell. Ich glaube, am Anfang war das für mich nicht immer leicht. Aber es ist
ein gutes Gefühl, ich weiß es kommt noch ein Lächeln. Sie waren wahrscheinlich
einverstanden mit der Behandlung und der Therapie.
Wie schnell der Tod kommt, sagen die nüchternen Zahlen. Durchschnittlich nur 24 Tage sind
die Bewohner hier bevor sie sterben. Dabei zuzuschauen, wie eine Tote für die Beerdigung
vorbereitet wird, ist für mich eine Herausforderung. Es fühlt sich friedlich an, aber irgendwie
sieht man, dass da nur noch eine Körperhülle ist. Vielleicht liegt es an den besonders
geschulten Mitarbeitern hier, dass trotz der täglichen Dramatik gemeinsames Lachen nie
weit weg ist.
Eisstäbchen? Für die palliative Mundpflege. Und zwar sind das umfunktionierte
Urinröhrchen. Wir haben hier einen schönen Quittensaft. Den machen wir da rein und
ziehen das auf.
Ob Saft, Wein oder Bier - viele Sterbenskranke können nicht mehr größere Mengen
schlucken und freuen sich, ihre Lieblingsgetränke wenigstens als Eis zu lutschen.
Und das reicht dann? Der Körper fährt soweit runter am Ende des Lebens, dass ein
bisschen Feuchtigkeit ausreicht, um noch zu überleben sozusagen, kann man das so sagen?
/ Ja also, wir haben auch manchmal noch Leute da, die wirklich noch 10, 12 Eisstäbchen in
der Schicht lutschen, aber die immer noch besser gehen als ein Schluck zu trinken.
Und so ziehe ich noch ein paar flüssige Leckereien auf. Am Ende des Lebens, so lerne ich,
lässt man hier Lungenkranke wieder rauchen und Lebergeschädigte trinken. 3 Zimmer weiter
darf ich gleich der 71 Jährigen Petra Zschorn eine Handmassage geben. Schön, dass sie mich
so nah an sich ran lässt.
Jetzt riechen wir erstmal, riecht gut? Das ist wirklich fein. So jetzt entspannen Sie sich
ruhig/ Wie ging‘s ihrer Familie damit? / Oh Gott, die hat tüchtig damit zu kämpfen gehabt,
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denn es ist ja absehbar, dass nun gar nichts mehr wird. Ja. Aber wie gesagt, es kann ja eh
keiner was machen. /Und wie kam es zu der Entscheidung, hier her zu gehen? / Es hat
Rabenstein entschieden – das Krankenhaus. Bin ich auch gleich so froh, ich weiß, ich bin
hier versorgt. Was will ich denn weiter machen? / Gibt es denn noch so kleine Wünsche,
die man ihnen hier erfüllen kann? Irgendwas zu essen? / Ja, hab ich mir schon bestellt. /
Was haben sie sich bestellt?/ Bratkartoffeln.
Ihre Diagnose Leberkrebs bekam sie erst im Februar. Eine Woche nach meinem Besuch ist
sie gestorben. Dass die Bewohner ihre letzten Tage als lebenswert empfinden, dabei hilft
Pfleger Christopher Streiter.
Wenn Du sagen müsstest, Arbeit im Hospiz, was ist so das wichtigste? / Also ich geh immer
davon aus, ich lieg im Bett, wie möchte ich behandelt werden.
Im Gegensatz zur Arbeit in Pflegeheimen haben sie hier neben waschen, Putzen und
versorgen auch Zeit fürs Zwischenmenschliche. Diese Nähe ist aber immer gepaart mit dem
Tod.
Aber Tod – trotzdem wird man hier ständig damit konfrontiert, dass sein eigenes Leben
endlich ist und Tumore kommen. Es ist ja immer so das Thema, dass von einem auf den
anderen Tag so eine Diagnose kommen kann. // Es war für mich nie ein Tabuthema und ich
fand das immer so schade, dass man das so ignoriert. Nein, ich möchte nicht drüber reden.
Und für mich ist es faszinierend, dass die Bewohner oftmals besser damit klar kommen als
die Angehörigen. Der Bewohner hat gesagt, ja, das ist in Ordnung und die Bewohner geben
so viel mit fürs Leben. Dass man es auch genießen sollte.
Und genau das nehme ich auch mit von meinen Tagen hier im Chemnitzer Hospiz. Doch vor
allem ist es eine wunderbare Erfahrung gewesen, zu erleben, wie würdevoll und sogar heiter
die letzten Tage im Leben sein können.
Darf ich ihnen eine Zigarette anmachen? So. Und das tut gut? Wunderbar.
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