Exakt-Experiment: Sommer, Sonne, Diebstahlzeit

Exakt-Experiment: Sommer, Sonne, Diebstahlzeit | Manuskript
Exakt-Experiment: Sommer, Sonne, Diebstahlzeit
Bericht: Susanne Kerber
Sommer, Sonne, Strand und Badewetter. Tausende Menschen zieht es an den See. Leider
auch diejenigen, die die unbeschwerte Stimmung ausnutzen - Gelegenheitsgauner und
Fahrraddiebe. In unserem Experiment wollen wir herausfinden, wie leicht es ist, ein
Portemonnaie oder ein Fahrrad zu klauen. Oder ob es viele couragierte Menschen gibt, die
einen Diebstahl verhindern.
Lockvogel ist eine junge Frau, sie ist allein, hat Handy und Geldbörse dabei. Und dieser
Herr spielt den Dieb, der ihr beides entwenden wird, sobald sie ins Wasser geht. Mit
mehreren versteckten Kameras werden wir den vermeintlichen Diebstahl aus
verschiedenen Perspektiven beobachten.
Start Phase 1. Die Decke des Opfers ist unbewacht, unser Langfinger schlägt zu und - wird
dabei beobachtet.
Mann auf Fahrrad: Tu es wieder rein! Tu es rein! Wir holen die Polizei, ich sag es Dir!
Der vorbeifahrende Radfahrer greift beherzt ein.
Mann auf Fahrrad: Ich versetz mich einfach in die Situation von der jungen Frau, das geht
nicht, nö!
Ein anderer Zeuge des Diebstahls hielt sich allerdings zurück - obwohl auch er alles gesehen
hat.
älterer Mann: Ganz astreine kam es mir nicht vor. Aber direkt gekriegt, hätte ich den nicht!
Unser Lockvogel arrangiert die nächste Situation, direkt neben zwei stämmigen Jungs.
Deren Aufmerksamkeit ist der jungen Frau schon mal sicher... Doch werden sie auch
unseren vermeintlichen Dieb sehen? Der greift wieder zu.
junger Mann: Heh! Hey! Gib das wieder her!
Es sind nicht die zwei Herren von der Nachbardecke, die Courage zeigen. Ein weiter weg
liegender Mann schreitet ein.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Mann: Das ist immer so eine Sache, man weiß ja nie, wie er reagiert oder, er kann ja auch
aggressiv werden. Aber ja, man muss erst mal hin und schauen wir mal. Keine Ahnung,
vielleicht ist es den anderen nicht aufgefallen.
Na, da fragen wir doch direkt mal nach...
Herr: Als ich gesehen habe, dass sich jemand dazu setzt, dachte ich, der gehört dazu... Dann
habe ich es nicht weiter beobachtet.
Auch andere Badegäste entscheiden sich für die Varianten "nicht beachten" oder sogar
"eindeutig ignorieren". Auch dieser Herr will lieber nichts sehen.
Josie: Und dann, war der an meiner Tasche?
Typ: Das hab ich eben nicht gesehen...
Herr: Also ich hätte bestimmt was gesagt, hätte ich es gesehen. Aber ich hab es wirklich nicht
gesehen, ist nicht gelogen.
Tatsächlich, nichts gesehen?! Eine interessante Aussage...
Wir zeigen diese und andere Szenen dem Sozialpsychologen Prof. Immo Fritsche von der
Universität Leipzig.
Prof. Dr. Immo Fritsche: Das ist eigentlich der Standard, dass wir helfen, dass wir uns
gegenseitig unterstützen und dass wir auch einschreiten, wenn soziale Normen übertreten
werden. Wenn man das nicht tut, dann setzt man sich schnell Vorwürfen aus, Vorwürfen
durch andere wie in diesem Fall, aber auch gegenüber sich selbst. Dann setzt so etwas ein
wie eine interne Gesichtswahrung und dann kann man auch wieder mit erhobenem Haupt
weiterleben.
In Phase 2 spricht unser Lockvogel die Umliegenden direkt an und bittet um ihre
Aufmerksamkeit.
Josie: Entschuldigung, könnt ihr bitte auf mein Zeug aufpassen, wenn ich jetzt ins Wasser
gehe? Danke. Nur ein Auge drauf halten.
Unser Täter nähert sich. Wie wird sich das Pärchen verhalten? Offenbar traut sich der junge
Mann nicht direkt einzuschreiten, ruft aber immerhin nach der Badenden.
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Mann: In Wirklichkeit hätte man jetzt hinterher rennen müssen. Aber da riskiert man ja auch
die eigene Gesundheit schnell mal.
Die nächste mögliche Zeugin ist allein am See.
Josie: Können Sie mal bitte kurz auf meine Sachen aufpassen?
Frau: Ja.
Eine eher verhaltene Zusage. Wie wird sie auf den vermeintlichen Diebstahl reagieren?
Frau: Halt, Ihr Portemonnaie!
Die Dame reagiert sofort und lässt sich auch nicht mehr abschütteln.
Frau: Da braucht man doch keinen Mut dazu, das ist ja lächerlich! Wenn sie mich bittet, auf
ihre Sachen aufzupassen, dann pass ich dann auch auf!
Für den Sozialpsychologen eine erwartbare Reaktion.
Prof. Dr. Immo Fritsche: Die Frau wurde gefragt ‘Können Sie mal bitte helfen!’, das heißt, die
Norm war ganz klar in der Situation und auch die persönliche Verantwortlichkeit war klar,
dass dann, das ist ein ganz starker Impuls, dass man so handelt wie man halt handelt und da
dann eben unter Umständen auch unter Ausschaltung einiger Gefahren.
Wir ändern unseren Versuchsaufbau. Statt eines Portemonnaies soll unser Dieb nun das
angeschlossene Fahrrad des Lockvogels klauen. Start Phase 3.
Gleich in der ersten Szene gibt es mehrere Beobachter. Einer von ihnen hat alles ganz
genau im Blick. Doch - unser Dieb knackt das Schloss und kann ungestört von dannen
ziehen.
Mann: Ich bin mir eigentlich keiner Schuld bewusst. Ich war schon froh, dass ich hier war. Bei
meinem Fahrrad.
Anstatt einzugreifen hat er also lieber das eigene Rad bewacht.
Wir spitzen unser Experiment zu, unsere vermeintlichen Fahrraddiebe sind nun zu zweit.
Sie werden auch sofort beobachtet. Der junge Mann reagiert und bleibt dabei sehr ruhig...
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Mann: Wär cool eigentlich.
Lockvogel Andy: Ja, cool...
Mann: Nee, wenn Du es stehen lässt, wäre cool!
Mann: Keine Ahnung, ich wollte einfach nur nicht, dass das Fahrrad geklaut wird, das war
einfach alles, dann gehst Du einfach hin. Mehr Reaktion braucht man eigentlich nicht.
In der nächsten Situation steht das verlassene Fahrrad im Blickfeld von gleich vier
Männern. Da sollte ein Diebstahl ja eigentlich unmöglich sein, oder? Doch - unsere beiden
Diebe ziehen ein weiteres Mal mit drei Rädern davon.
Mann: Ach... (lacht)
Mann: Na ja, wir haben nichts gesehen, leider. Also, die Dame kam dann an und hatte
gefragt. Aber bewegungsmäßig haben wir gar nicht darauf geachtet.
Also sind viele Zeugen doch kein Garant für mehr Sicherheit?
Prof. Dr. Immo Fritsche: Wenn andere da sind, dann verteilt sich die Verantwortung natürlich
auf viele Schultern. Wir sprechen dann von Verantwortungsdiffusion, das heißt, ich bin gar
nicht so sehr verpflichtet, etwas zu tun, jedenfalls nicht so sehr, als wäre ich alleine in der
Situation und der einzige, der helfen könnte. Wir sprechen da vom Bystandereffekt, also
wenn andere dabei sind, dauert es länger, dass einzelne Hilfe leisten und es ist auch
unwahrscheinlicher.
Insgesamt verlief unser Experiment sehr ermutigend. 75 Prozent derjenigen, die Zeugen
des Diebstahls wurden, zeigten auch Zivilcourage.
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