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Giftschlammgrube von Brüchau undicht | Manuskript
Giftschlammgrube von Brüchau undicht
Bericht: Heidi Mühlenberg
In Brüchau in der Altmark fürchten die Einwohner um ihr Wasser. Grund für die Angst ist
eine Giftschlammdeponie am Ortsrand, genannt der Silbersee. Hier wurden über 40 Jahre
toxische Abwässer und Schlämme aus dem Bergbau verklappt - dazu Sondermüll aus der
DDR-Chemie. Das Wasser bedeckt viele Tonnen von Quecksilber, weil sie sonst ausgasen und
die Luft vergiften würden.
Christfried Lenz
Die müssen den Dreck, den sie hier bisher billigst entsorgt haben, hier wegschaffen.
Die Brüchauer erinnern sich noch gut, was sie hier zur DDR-Zeit erlebten.
Jürgen Bammel
Da sind die LKW rückwärts rangefahren und haben eben einfach ihre Spülung abgekippt.
Dieter Conrad
Wir sind hier rumgelaufen und da habe ich den Onkel gefragt, der grade Wache hatte hier.
Was ist denn mal das hier? Das sind Quecksilberperlen.
Unter größtmöglichem Arbeitsschutz erkundete eine Laborfirma nach der Wende das
verseuchte Gelände. Was sie dabei fand, erfuhren die Brüchauer nicht. Doch kürzlich
enthüllte eine Anfrage der Grünen im Landtag Magdeburg den erschreckenden Inhalt der
Grube:
250 Tonnen metallisches Quecksilber
9.000 Tonnen Säuren
1.400 Kilogramm Arsenstoffe
930 Tonnen Zyanid,
dazu Blei, Radium, Phosphor und Cadmium
Allein seit der Wende kamen 190.000 Kubikmeter Bohrabfälle dazu.
Das Pech der Brüchauer: Ihr hübsches Dorf mit den Ziegelhäuschen liegt in der Altmark nahe
Salzwedel – inmitten des zweitgrößten Erdgasfelds auf dem Europäischen Festland. Brüchau,
hier blau markiert, ist umstellt von Bohrlöchern. Die DDR förderte hier Milliarden
Kubikmeter Erdgas.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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O-Ton DDR-Fernsehen:
Die Lagerstätte rund um Salzwedel wuchs in den vergangenen 15 Jahren zum größten
Gaslieferanten der Republik. Sieben Bezirke und nahezu alle industriellen Großverbraucher
werden heute stabil mit dem einheimischen Roh-und Brennstoff versorgt.
Was der Sprecher verschwieg: Mit den Abfallschlämmen und Laugen kamen giftigste
Schwermetalle nach oben: Blei und Cadmium, Arsen und Quecksilber, krebserregendes
Benzol und tonnenweise radioaktive Isotope, die den Kumpeln zusetzten.
Klaus Stajenski war einer von ihnen. Der 70jährige hatte vier Schlaganfälle, leidet an
Hautkrebs und seine Beine sind gelähmt. Über 20 Jahre lang kam er täglich mit Quecksilber
in Kontakt. Ein ärztlicher Gutachter bescheinigte ihm eine Berufskrankheit.
Klaus Stajenski
Was Sie hier haben, sagte er, ist ne Schwermetallvergiftung. Es geht nicht mehr. Wenn ich
meine Frau nicht hätte, wer weiß, wo ich da wär heute.
Auch sein Kollege Wienhold Weber, 54 Jahre alt, wurde als Wartungsmechaniker in den
Erdgasstationen vergiftet - wo er die Mess- und Regeltechnik instand hielt.
Wienhold Weber
Da war ich mit meinem Arbeitskollegen, hab ein Druckgefäß gewartet, die Geber
ausgebaut. Und beim Rausziehen des Gebers sind ungefähr zwei bis drei Kilo Quecksilber
in die Wanne reingelaufen. Natürlich tropfte das in die Wanne rein. Und ich stand da wie
ein Fotoblitz, weil das ja in Millionen feine Perlen zerstäubt ist durch das Runterfallen. Wir
waren gar nicht geschützt. Es wurde betrieblicherseite auch nicht angeordnet, Masken zu
tragen. Nichts.
Beide kämpften Jahre lang vor Gericht um eine bescheidene Rente. Sie glauben: Die Risiken
der Erdgasförderung werden bewusst verharmlost – bis heute.
Nach der Wende übernahm der Energiekonzern Gaz de France, heute ENGIE, die Gasfelder
und fördert aus 120 Bohrlöchern Erdgas für viele Millionen Euro pro Jahr.
Doch Brüchau will der Konzern jetzt still legen, die Vorzugsvariante ist billig: Das toxische
Wasser wird abgepumpt, und die Grube von oben versiegelt. Das Gift darunter bleibt, wo es
ist. Doch das Gift könnte durch die schützende Lehmschicht sickern, fürchten die Anwohner.
Der Betriebsleiter der alten Ziegelei führt uns zur Nachbargrube mit der gleichen
Lehmschicht.
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Dieter Conrad, früher Betriebsleiter Ziegelei
Das ist hier auch der gleiche Untergrund wie da drüben.
Wir wollen eine Probe nehmen von dem Material, das unter der Deponie angeblich
anderthalb Meter dick ist und das Brüchau schützen soll.
Jürgen Bammel
Man hört schon jetzt, jetzt sind wir durch. Jetzt sind wir schon auf Sand.
Gerade einmal 30 cm misst die Lehmschicht an dieser Stelle. Wir bringen unsere Probe zu
einem Experten für Deponiebau. Im Baulabor untersucht Prof. Said Al-Akel, wie der Lehm auf
Säure reagiert, die tonnenweise in der Deponie lagert. Das Resultat ist niederschmetternd.
Die Säure frisst Hohlräume in den Lehm.
Prof. Said Al-Akel, Deponiebau-Experte HTWK Leipzig
Das heißt, es entstehen Hohlräume, die dazu beitragen, dass das kontaminierte Wasser
aus dem Deponiekörper entweichen kann. Das heißt mit anderen Worten: Die Deponie ist
nicht dicht.
Die Deponie kann auslaufen? Mitte März auf einem Bürgerforum ist die Empörung groß.
Anwohner
Es kann nicht drinbleiben, dieser üble Schrott.
Die hiesige Bürgerinitiative hat die Akten des Bergamts eingesehen und dabei entdeckt: Die
Giftgrube leckt tatsächlich.
Bernd Ebeling, Bürgerinitiative Uelzen
Chlorid wird halt an vielen Messstellen überschritten, teilweise bis zu den Zwanzigfachen
Werten.
Auch Radium und Quecksilber fand man im Grundwasser – kritische Fragen an die Beamten
vom Landesbergamt.
Dorothea Frederking, MdL
Ist die Deponie ausreichend dicht, nach den gesetzlichen Vorgaben oder nicht? Das
müssten Sie ja als Landesamt wissen.
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Doch das können die Beamten an diesem Abend nicht eindeutig erklären. Darum fahren wir
noch einmal hin. Der Präsident bestreitet gar nicht, dass Schadstoffe aus der Deponie ins
Grundwasser sickern, doch eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit sei das nicht.
Kurt Schnieber, Präsident des Landesamts für Geologie und Bergwesen Halle
Wir haben hier ne Abfallentsorgungseinrichtung, wo Schadstoffe ins Grundwasser
eintreten. Ne andere Geschichte ist, wie wir diese punktuellen Überschreitungen
bewerten. Wäre hier ein Brunnen, der benutzt würde als Trinkwasserbrunnen oder auch
nur als Brauchwasserbrunnen, dann würden wir die Sache anders einschätzen, als wenn
hier eben keiner ist.
Und weil es hier derzeit keine aktiven Brunnen gibt, sieht die Bergbaubehörde auch kein
Problem. Für die Nachbarn der giftigen Grube ist das aber nicht akzeptabel.
Jürgen Bammel
Das ist doch eigentlich Wahnsinn. Wieso darf man Grundwasser verschmutzen? Das darf
man doch gar nicht, oder? Es kann ja doch irgendwann mal sein, dass wir auf dieses
Grundwasser angewiesen sind, um Trinkwasser zu gewinnen, ja.
Den Brüchauern ist es ernst, denn junge Leute bleiben nur dann im Dorf, wenn sie ihren
Kindern hier ein gesundes Zuhause bieten können.
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