Hartz IV: Wieder mehr Strafen - junge Welt

Konkurrenz
LARRY DOWNING / REUTERS
Freihandelsabkommen sind Instrumente der USA zur ökonomischen
und militärischen Beherrschung der
Erde. Vor allem einige Schwellenländer
versuchen, aus dem Zwang herauszukommen. Von Werner Rügemer
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»Stuttgart 21«: Verfahren zum Weiterbetrieb des Kopfbahnhofs
könnte Jahre dauern
Fall Oury Jalloh: Die Hinweise auf einen
Mord im Polizeigewahrsam verdichten sich. Von Susan Bonath
Rüstungskonversion: Resolution der
IG Metall Stuttgart sorgt in
Gewerkschaft für Missmut
USA: Weitere Proteste in Ferguson und
St. Louis gegen Polizeigewalt.
Aktionstag am 22. Oktober
L uftschläge gegen PKK
Taliban-Kommandeure
schließen sich IS an
Soldaten am Mursitpinar-Übergang nach Syrien Anfang Oktober: Auch an der Grenze geht das türkische Militär gegen kurdische Protestierende vor
Islamabad. Sechs pakistanische
Taliban-Kommandeure haben der
Terrormiliz »Islamischer Staat«
ihre Gefolgschaft erklärt. Der
Sprecher der pakistanischen Taliban (TTP), Schahidullah Schahid,
sagte, neben ihm selbst handele
es sich um die Kommandeure der
Stammesgebiete Orakzai, Kurram
und Khyber sowie die Kommandeure des Distrikts Hangu und
der Provinzhauptstadt Peshawar.
Die TTP als Organisation und ihr
Anführer Maulana Fazlullah hätten
dem IS-Chef Abu Bakr Al-Bagdadi
aber nicht formell die Treue geschworen. Fazlullah unterstütze
die Miliz allerdings. Ein pakistanischer Geheimdienstoffizier wertete
die Erklärung durch die Kommandeure als einen Schlag für das
islamistische Netz Al-Qaida. Das
zeige, dass Al-Qaida in Pakistan
an Unterstützung verliere, während
der IS als »aufsteigender Stern«
des militanten Islamismus wahrgenommen werde. (dpa/jW)
D
Neuer Lokführerstreik
noch diese Woche
ie türkische Luftwaffe hat
am Montag vermutete Stellungen kurdischer Aufständischer im Südosten des Landes angegriffen. Die Militärschläge waren
die erste größere derartige Aktion seit
Beginn der Friedensgespräche mit
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)
vor zwei Jahren. Gleichzeitig blockiert die Regierung in Ankara den
militärischen Nachschub und sogar
Hilfslieferungen für die von Islamisten eingeschlossene nordsyrische
Stadt Kobani.
Die Angriffe waren zuerst am
Dienstag auf der Website der Zeitung
­Hürriyet gemeldet worden. Sie wurden
später indirekt bestätigt durch eine Presseerklärung des türkischen Militärs.
Darin hieß es, dass die Streitkräfte »in
stärkster Weise« auf den angeblichen
Beschuss einer Polizeistation durch
PKK-Angehörige geantwortet hätten.
Von Luftschlägen war in dem Statement nicht ausdrücklich die Rede. Wie
die Nachrichtenagentur dpa berichtete,
warf die PKK der Türkei am Dienstag
vor, mit den Angriffen die Waffenruhe
verletzt zu haben.
Indessen kommen die Bemühungen
der US-Regierung, die Türkei zu einer
»größeren Rolle« bei der Bekämpfung
bewaffneter Islamisten in Syrien zu nötigen, nur langsam voran. Den Meldungen, dass Angriffe der US-Luftwaffe
gegen militärische Stellungen des sogenannten »Islamischen Staats« (IS)
künftig auch von Incirlik und anderen
türkischen Stützpunkten aus geflogen
werden dürften, folgte am Montag ein
Dementi aus Ankara.
Schuld an der Verwirrung war mangelnde Koordination unter den Regierungsstellen in Washington. Verteidigungsminister Charles Hagel hatte über
das Thema schon seit Anfang voriger
Woche mit der türkischen Seite verhandelt und anscheinend gute Fortschritte
gemacht. Am Sonnabend gab er jedoch
gegenüber Journalisten zu erkennen,
dass er es den Türken überlassen werde, die Einzelheiten einer eventuellen
Einigung bekanntzugeben. Statt sich an
diese Vorgabe zu halten, waren Mitarbeiter der US-Regierung mit einseitigen
Stellungnahmen vorgeprescht.
Auch die grundsätzliche türkische
Zusage, sich an der Ausbildung von
vorgeblich »gemäßigten« syrischen Rebellen zu beteiligen, bedarf offenbar
noch der Klärung der praktischen Einzelheiten. Der US-Regierung ist sehr
wichtig, dass Trainingslager auf türkischem Boden errichtet werden können.
Eine entsprechende Vereinbarung gibt
es schon zwischen Washington und
Saudi-Arabien. Die für die militärische
Ausbildung in Frage kommenden Syrer sollen gründlich überprüft werden,
um sicherzustellen, dass es wirklich
»Gemäßigte« und nicht etwa radikale
Islamisten sind. Das ist jedoch nur die
von der Obama-Administration verbreitete Theorie. Mit der Verlagerung
des Trainings in die Türkei und nach
Saudi-Arabien ist sichergestellt, dass
diese feine Unterscheidung praktisch
hinfällig wäre.
Ob die US-Regierung die Türken
wirklich zum Einsatz von Bodentruppen in Nordsyrien drängen will, wie in
vielen Medien immer wieder behauptet wird, ist ungewiss. Es gibt dafür
keine Beweise oder auch nur Andeutungen durch öffentliche Äußerungen.
Die türkische Regierung hat derartigen
Ideen eine klare Absage erteilt, solange die USA nicht ihre Vorbedingung
akzeptieren. Damit könne man sich
erst befassen, wenn man sich auf eine
»gemeinsame Strategie« geeinigt hätte,
sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu
am Sonnabend dem Sender France 24.
Im Zentrum dieser Strategie soll nach
türkischen Vorstellungen der Kampf gegen die Regierung in Damaskus und die
Einrichtung einer Flugverbotszone über
Nordsyrien stehen. Das ist für Washington jedoch »derzeit« kein Thema.
n Siehe Kommentar auf Seite 8
Hartz IV: Wieder mehr Strafen
Knapp 500 000 Sanktionen im ersten Halbjahr. Hauptgrund: »Meldeversäumnisse«
E
rneut ist die Zahl der Geldstrafen gegen Bezieher des Arbeitslosengeldes II gestiegen.
Das berichtete Bild am Dienstag unter Berufung auf aktuelle Daten der
Bundesagentur für Arbeit (BA). Demnach registrierte die BA in den ersten
sechs Monaten des Jahres 498 002
neue Sanktionen. Dies seien rund
12 000 bzw. 2,4 Prozent mehr als im
Vorjahreszeitraum. Allein im Juni
haben die Jobcenter fast 81 000 Strafen verhängt. In 60 000 Fällen hätten
die Betroffenen ein Treffen versäumt,
»obwohl sie vom Jobcenter sogar per
SMS an Termine erinnert werden«,
wie Bild hinzufügte. 9 800 Hartz-IVBeziehende wurden im Juni bestraft,
weil sie es ablehnten, einen Job, eine
Ausbildung oder »Maßnahme« fortzusetzen. In 8 560 weiteren Fällen
seien Pflichten der Eingliederungsvereinbarung nicht erfüllt worden. Im
Schnitt wurde den Betroffenen der Regelsatz dem Bericht zufolge für drei
Monate um je 107,70 Euro gekürzt.
Um die verpassten Termine bzw.
»Meldeversäumnisse« streiten derzeit
die Parteien der Regierungskoalition.
Insbesondere die CSU stemmt sich
gegen die Pläne des Bundesarbeitsministeriums, die Vorschriften zu den
Sanktionen teilweise zu entschärfen.
Dessen Chefin Andrea Nahles (SPD)
will junge Erwerbslose unter 25 Jahren künftig nicht mehr härter bestrafen als ältere. Linksparteichefin Katja
Kipping forderte nach Veröffentlichung der neuen Zahlen einmal mehr
die Abschaffung aller Kürzungen bei
bestehenden Grundsicherungsleistungen. »Mit den Sanktionen sollen
Hartz-IV-Beziehende diszipliniert,
gefügig gemacht und gedemütigt werden«, erklärte Kipping am Dienstag in
Berlin. Dafür nehme die Bundesregierung »die Existenznot der Betroffenen
billigend in Kauf«. Denn schon die
vollen Regelsätze seien unzureichend.
Auch angesichts der Tatsache, dass
zahlreiche Klagen gegen widerrechtliche Sanktionen erfolgreich sind, müsse das System der Bestrafung insgesamt in Frage gestellt werden, betonte
die Linke-Vorsitzende.
Jana Frielinghaus
BERND VON JUTRCZENKA/DPA/BILDFUNK
REUTERS/MURAD SEZER
Türkisches Militär greift Stellungen kurdischer Aufständischer an. Ankara und
Washington verhandeln über gemeinsames Vorgehen gegen »Islamischen Staat«.
Von Knut Mellenthin
Berlin. Lokführer, Zugbegleiter und
andere Mitarbeiter der Deutschen
Bahn wollen noch in dieser Woche
erneut streiken. Das kündigte die
Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) am Dienstag an, ohne
einen genauen Zeitpunkt zu nennen.
Der Ausstand werde jedoch rechtzeitig angekündigt. Zuletzt hatten die
Züge der Bahn in der Nacht zum 8.
Oktober stillgestanden. GDL-Chef
Claus Weselsky beklagte in einem
Schreiben an die Mitglieder seiner
Organisation, die Lokführer würden
»als unbotmäßige, nimmersatte und
den sozialen Frieden des Landes bedrohende Separatisten« diffamiert.
Zugleich wolle der Konzern nicht
über Inhalte verhandeln. Die GDL
fordert fünf Prozent mehr Geld, eine
um zwei Stunden kürzere Wochenarbeitszeit und eine Begrenzung der
Überstunden auf 50 pro Jahr. Sie
will auch für die Zugbegleiter, Bordgastronomen sowie Disponenten in
ihren Reihen verhandeln. (dpa/jW)
junge Welt wird herausgegeben von
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(Stand 4.10.2014)
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