WAS LANGE WÄHRT - HRM-Forum

TITEL
WAS LANGE
WÄHRT
In Sachen Weiterbildung galt E-Learning eine
Zeitlang als Allheilmittel. Heute setzen Unternehmen
nur noch selten auf reines Lernen am Bildschirm.
Stattdessen kombinieren sie verschiedene
Lernformen miteinander – und steigern so die
Effizienz des Lernens.
W
enn Heiko Held, Leiter des
Learning-Managements beim
Waschmittelkonzern Henkel,
von den Anfängen des E-Learnings in den 1990er Jahren spricht, müssen Zuhörer schmunzeln. „Wir waren
euphorisch und dachten, dass nun die
Zeit der persönlichen Lehrveranstaltungen vorbei ist“, erzählt Held. „Mitarbeiter
sollten künftig ausschließlich computergestützte Fortbildungen erhalten, wenn
möglich über das Internet.“ Um dieses Ziel
zu erreichen, unterstützte Held die Henkel-Mitarbeiter dabei, E-Learning richtig
zu nutzen. „1998 mussten wir Mitarbeitern erst einmal erklären, warum sie ihre
Fortbildungen überhaupt am Computer machen sollten“, erinnert er sich. Das
Unternehmen begann mit Schulungen,
Heiko Held, Henkel
bei denen Mitarbeiter neue Softwareprogramme kennen lernen sollten, später
kamen Sprachkurse am PC hinzu. Doch
schnell musste Henkel feststellen, dass E-Learning nicht als Allzweckwaffe der beruflichen Weiterbildung taugt.
Zwanzig Jahre nach den ersten computergestützten Weiterbildungen
hat sich E-Learning trotzdem als Lernmethode durchgesetzt. Allerdings
nicht als Konkurrenz zu anderen Angeboten, sondern als Ergänzung. Etwa
um persönliche Veranstaltungen vorzubereiten, trockene Inhalte interessant aufzubereiten oder mit Teilnehmern vor und nach einem Seminar
zu kommunizieren. Experten nennen diese Kombination von klassischen
und digitalen Lernmethoden Blended Learning. Sie gehört in vielen Unternehmen inzwischen zum Alltag, belegt der MMB-Trendmonitor 2010
des Essener Instituts für Medien- und Kommunikationsforschung, für
den jährlich Experten aus der Bildungswirtschaft über E-Learning-Trends
Fotos: Archiv; Privat
»Teilnehmer lernen
besser, wenn
man sie durch ein
Programm führt.«
befragt werden. Danach setzen 91 Prozent der
Personalchefs deutscher Unternehmen Blended
Learning bei der Qualifizierung ihrer Mitarbeiter ein. Blended Learning steht damit als neue
Lernmethode an oberster Stelle, dicht gefolgt
von internetbasierten Trainings und sozialen
Netzwerken, die in rund 80 Prozent der Firmen
zum Einsatz kommen. Die Studie zeigt auch: Die
Formen von E-Learning sind mittlerweile so
vielfältig, dass Unternehmen für jeden Inhalt,
jede Lerngruppe und jedes Fachgebiet oft eine
andere Herangehensweise wählen.
E-Learning überzeugt durch praktische Vorteile: Wer mit modernen Medien lernt, muss sich
nicht an Zeit- und Ortsvorgaben eines Seminars
halten. Jeder lernt mit seinem eigenen Tempo,
wie und wo es ihm passt. Und weil E-Learning
sich aller im Unternehmen vorhandenen Medien wie Bild, Video, Ton, Animation und Text
bedienen kann, ist es häufig unterhaltsamer als
Veranstaltungen mit Frontalunterricht. Außerdem müssen Unternehmen für computergestütztes Lernen oft vergleichsweise wenig Geld
ausgeben. Denn Mitarbeiter fehlen kürzer am
Arbeitsplatz, es entfallen Reise- und Übernachtungskosten. Und ist ein E-Learning-Modul einmal erstellt, lassen sich damit viele Mitarbeiter
schulen – ohne Zusatzkosten.
Trotz dieser Vorteile stehen viele Unternehmen neuen E-Learning-Werkzeugen zunächst
skeptisch gegenüber – wohl auch wegen Misserfolgen mit vermeintlichen Megatrends in der
Vergangenheit. Beim Automobilzulieferer
Bosch arbeiten Mitarbeiter zum Beispiel mit
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Qualifizierungsmaßnahmen
klassische
und computergestützte Lernmethoden.
„Mittlerweile wissen wir aus Erfahrung,
dass Teilnehmer besser lernen, wenn man
sie durch ein Programm führt“, sagt Held.
Genau aus diesem Grund ist er wenig
überzeugt von Diskussions-Foren und von
FAQ-Listen, einer Auswahl häufig gestellter Fragen. „Beides war anfangs Teil des
digitalen Kommunikationsangebots jedes
Seminars“, sagt Held. Der Haken an Foren
und FAQs: Ein Trainer muss sie moderieren, um Fehler aufzudecken, und er muss
auf fachlich einwandfreie Antworten achten. Weil das aufwendig ist, werden diese
Lerntechniken bei Henkel nur noch selten eingesetzt. Auch weil Teilnehmer sie
Antje Hansen, Bosch
manchmal kaum nutzten: „Wir schalten
ein Forum lieber ab, bevor es ungenutzt
bleibt“, sagt Held.
Testläufe zeigen meist schnell, wie erfolgreich ein neues E-LearningModell in der Praxis ist. Heike Wölke, Teamleiterin für Lerndesigns
beim Weiterbildungsanbieter Volkswagen Coaching, hat die Erfahrung
»Wir unterwerfen
uns nicht jedem
neuen Lerntrend.«
Vielfältiges E-Learning
Die wichtigsten Fachbegriffe. Und welche Lernmethoden sich dahinter verbergen:
E-Learning beschreibt als Oberbegriff alle Lernformen, bei denen elektronische und digitale
Medien zum Einsatz kommen. Vorgänger sind Lernmaschinen, die schon in den 1960er Jahren
aufkamen. Heute kombiniert E-Learning Bild, Video, Ton, Animation und Text, aufbereitet für
das eigenständige Lernen am Computer.
Computerbasiertes Training (CBT) ist die Urform des E-Learnings. Mit einer DVD oder
CD-Rom lernen Teilnehmer über eine Lernsoftware immer dann, wenn sie Zeit haben, und wo
sie sich gerade befinden. Meist werden Informationen über Videos und Animationen vermittelt. Mit CBT lernen Seminarteilnehmer selbständig. Das Programm verzichtet auf den Kontakt
zu Lehrenden oder anderen Lernenden.
Webbasiertes Training (WBT) ist die Weiterführung des CBTs und entstand mit der verstärkten Nutzung des Internets. Lerninhalte sind nicht mehr auf einem Datenträger gespeichert, sondern auf einem Server. Lernende greifen online darauf zu und können als Ergänzung
zum CTB über E-Mails, Chats und Diskussionsforen mit Dozenten kommunizieren.
Blended Learning (auch Integriertes Lernen) verbindet klassische Lernformen mit elektronischen Methoden. Beim Blended Learning lernen, kommunizieren und informieren sich
Teilnehmer am PC. Bei persönlichen Trainings tauschen sie Erfahrungen aus oder machen
Rollenspiele.
Virtuelle Klassenzimmer bringen Seminarteilnehmer und Dozenten über das Internet
zusammen. Teilnehmer können sich Unterlagen zuvor herunterladen. Die virtuellen Lehrveranstaltungen finden über Internetkameras und Mikrofone statt. Solche Onlinesitzungen dauern
meist 30 bis 40 Minuten.
Serious Games (Digitale Lernspiele) vermitteln Informationen über ein unterhaltsames Lernerlebnis. Das spielerische Lernen steht im Vordergrund. Teilnehmer müssen etwa spannende
Aufgaben und Missionen erfüllen oder testen ihr Wissen über Ratespiele. Digitale Lernspiele
nutzen Motivationsmethoden aus Unterhaltungsspielen am PC.
H U M A N
R E S O U R C E S
M A N A G E R
Foto: Privat
Wikis, Portalen und Foren, die dem Wissensmanagement dienen. Für klassische Fortbildungen
werden diese Medien allerdings nur selten genutzt. „Wir unterwerfen uns nicht jedem neuen
Lerntrend, sondern warten erst einmal ab, analysieren den Nutzen und testen Neues zunächst im
Kleinen“, sagt Antje Hansen, Leiterin E-Learning bei Bosch. Das Unternehmen legt zudem
großen Wert darauf, möglichst geschlossene,
firmeninterne Systeme zu nutzen. Grund sind
Sicherheitsvorkehrungen. „Bosch ist ein Unternehmen mit hohem Innovationstempo und lebt
vor allem von seinen Patenten und seinem Wissen“, sagt Hansen. Durch webbasierte Lernmethoden dürften keine Sicherheitslücken entstehen. „Neue technische Lernmethoden einzuführen ist deshalb relativ aufwendig“, sagt Hansen.
Bosch hatte E-Learning-Werkzeuge lange
überwiegend dazu verwendet, Fremdsprachenkenntnisse von Mitarbeitern einzuschätzen und
auszubauen. Vor drei Jahren setzte das Unternehmen dann erstmals bei einer internen Fortbildungskampagne auf webbasierte Trainings.
In jeweils 40 bis 60 Minuten lernten Mitarbeiter
Grundlagen von Business-Ethik, Kartellrecht
und Produkthaftung. Diese ersten E-LearningFortbildungen kamen gut an, berichtet Hansen.
Das Interesse der Mitarbeiter für moderne Lernmethoden wuchs. Mittlerweile laufen 45 Kurse
ausschließlich webbasiert. Und auch bei klassischen Fortbildungen werden immer häufiger
computergestützte Lernmethoden eingesetzt.
„Trainer der üblichen Präsenzveranstaltungen
fragen inzwischen häufiger nach webbasierten
Anwendungen, die sie in ihre Seminare einbetten wollen“, sagt Hansen.
Kein Wunder: Mit Blended Lerarning können Dozenten stets die passende Lernmethode
wählen. Große Informationspakete gibt es dann
zum Beispiel vorab als webbasierte Lösung in
Form von Texten, Präsentationen oder medial
aufbereitet als Video oder Podcast. Sollen Teilnehmer dieses Know-how dann auf ihren Alltag
übertragen und Zusammenhänge erkennen, ist
der persönliche Austausch mit anderen Teilnehmern oder dem Dozenten sinnvoll. Deshalb ist es
beim Blended Learning inzwischen üblich, die
Vor- und Nachbereitung von Veranstaltungen
online zu gestalten. „Blended Learning befriedigt
das Bedürfnis der Menschen nach Austausch“,
sagt Peter Dehnbostel, Inhaber des Lehrstuhls für Berufs- und Arbeitspädagogik an
der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.
„Schließlich sind Menschen soziale Wesen.“ Reines E-Learning mit ausschließlich webbasierten
Selbstlernprogrammen funktioniere deshalb nur
selten. „Die Interaktion mit anderen Personen, ob
nun persönlich oder virtuell, fördert die Lernmotivation“, so der Wissenschaftler.
Das hat auch Henkel-E-Learning-Experte
Heiko Held erkannt. Der Waschmittelkonzern
kombiniert deshalb inzwischen bei fast allen
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gemacht, dass neue Lerntechniken etwa
zwei Jahre brauchen, um sich in Unternehmen zu etablieren. „Mitarbeiter müssen erst selbst ausprobieren, um was es
sich handelt, um die Vorteile neuer Lernansätze zu erfahren“, sagt Wölke. Anfängliche Berührungsängste legen sich meist
schnell: „Sobald Führungskräfte mit einem neuen Konzept gelernt haben, wollen
sie für Fortbildungen in ihren Abteilungen
oft ähnliche Seminare“, sagt Wölke.
So steigt die Nachfrage nach neuen
Lerntechniken oft nach den ersten Testdurchläufen stark an. Dieses Phänomen
stellt Wölke derzeit etwa bei Serious
Games fest – dem neuesten E-LearningAnsatz. Bei Lernspielen werden Inhalte
per Quiz, über spannende Aufgaben oder
Rätsel vermittelt: „Mit Serious Games
Heike Wölke, Volkswagen Coaching
lassen sich auch eher trockene Themen
spannend aufbereiten“, sagt Wölke. Was
sich zunächst nach Spielerei mit wenig Lernerfolg anhört, wirkt nämlich
in der Praxis mitunter besser als klassische Präsenzveranstaltungen. „Die
Foto: Privat
»Mit Serious
Games lassen sich
Themen spannend
aufbereiten.«
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Resonanz der Unternehmen ist durchweg gut“,
sagt Wölke. „Die Teilnehmer sind begeistert und
geben oft an, dass sie auch wegen der kompakten Form der Wissensaufbereitung viel gelernt
haben.“ Sobald Führungskräfte diese Wirkung
selbst erfahren haben, denken sie dann selbst
über Möglichkeiten nach, wie sie Serious Games
für ihren Fachbereich anwenden könnten, sagt
Wölke.
Die nächsten Trends des E-Learnings
sind auch schon ausgemacht: Neben Sozialen Netzwerken und anderen Anwendungen des Web 2.0 hält das sogenannte MicroLearning Einzug, Lerneinheiten werden also
kleiner, Seminarinhalte in viele Zehn-Minuten-Einheiten eingeteilt. Auf diese Weise
können Mitarbeiter ihr Wissen schnell zwischendurch am Laptop oder auch am Smartphone auffrischen. Viele Gelegenheiten also
für Weiterbildungs-Experten in Personalabteilungen, auch in den kommenden Jahren immer wieder Neues auszuprobieren.
Sibylle Schikora