Manuskript Beitrag: Geschäfte mit Putin – Was ist Europa die Demokratie wert? Sendung vom 18. März 2014 von Joachim Bartz, Henner Hebestreit, Reinhard Laska, Martina Morawietz und Tonja Pölitz Anmoderation: Wie gut, dass wenigstens der Winter vorbei ist! Denn wann immer sich der Westen anlegt mit dem russischen Präsidenten Putin – geht die Angst um: Die Angst, dass der starke Mann im Osten uns Europäern Gas und Öl abdreht. Die bisherigen Strafmaßnahmen der EU, Konto-Sperren und Einreisebeschränkungen, schocken die Russen nicht wirklich. Sie holten die Krim kurzerhand per Volksabstimmung ins eigene Land, als sich die Halbinsel nach dem Westen streckte. Europa hatte die Ukraine zwar jahrzehntelang umworben - aber nur halbherzig! Und alle Drohgebärden jetzt bleiben ohne Schlagkraft. Sind eigentlich sogar scheinheilig. Denn zur gleichen Zeit laufen die Geschäfte mit Russland bestens. Text: Vor gewohnt prächtiger Kulisse zeigt Präsident Putin der ganzen Welt, dass ihn die Kritik des Westens kalt lässt. Die Krim holt er nach Russland, egal, was EU und USA dazu sagen. O-Ton Wladimir Putin, Präsident Russland: Unsere Kollegen aus Westeuropa und den USA werfen uns vor, wir würden das Völkerrecht verletzen. Schön für sie, dass sie sich jetzt daran erinnern, dass es ein Völkerrecht gibt. Die bisherigen Sanktionen der EU sind für den Kreml eine Lachnummer: Einreiseverbote und Kontosperren gegen gerade mal 21 Russen und Ukrainer. Mehr traut sich die EU erst mal nicht. O-Ton Prof. Hans-Henning Schröder, Stiftung Wissenschaft und Politik: Man wird in der jetzigen Phase versuchen, symbolische Sanktionen vorzuziehen, also die umkehrbar sind und nicht wirklich wehtun. Und die Sanktionen, die dann Russland wirklich beschädigen, ökonomisch, die werden auch uns wehtun. Und da wird man zögern. Denn gerade im Energiesektor laufen deutsch-russische Geschäfte prächtig, sogar in diesen Krisenzeiten. Ausgerechnet am Tag des Krimreferendums gibt RWE den Verkauf der Tochter Dea an eine Investorengruppe um einen russischen Oligarchen bekannt. Für 5,1 Milliarden Euro. Der Deal mit dem Milliardär Michail Fridman ist brisant, denn damit wächst die Rohstoffabhängigkeit Deutschlands von Russland. Für RWE kein Problem. Das Unternehmen braucht dringend Geld und entscheidet nicht aus politischen, sondern aus marktwirtschaftlichen Motiven. Und der Zeitpunkt der Bekanntgabe, erklärt RWE, sei rein zufällig mit dem Krimreferendum zusammengefallen. Ausgerechnet jetzt geht dieses Geschäft über die Bühne: In Kürze übergibt Frankreich an Russland dieses Kriegsschiff, die „Wladivostok“, einen 200 Meter langen Hubschrauberträger. Ein Milliardengeschäft für den französischen Schiffsbauer DCNS im bretonischen St. Nazaire. Vor der Krimkrise kein Problem, jetzt hoch brisant. Das sehen auch die Beschäftigten so. Sind aber froh, dass sie durch den Rüstungsdeal mit Russland überhaupt einen Job haben. O-Ton Sebastien Benoit, CGT, Französischer Gewerkschaftsbund: Wir würden auch lieber etwas anders bauen als solche Kriegsschiffe, aber das entscheiden nicht wir. Wir verlangen nur, welche Entscheidung auch immer von den Regierungen getroffen wird, sie darf den Arbeitern nicht schaden. Schon im vergangenen Oktober wurde die Fertigstellung der „Wladivostok“ gefeiert. Mit dabei: französische und russische Offiziere und ein russisch-orthodoxer Priester. Jetzt entbrennt eine politische Diskussion um den Waffendeal. Darf man den Russen jetzt noch ein Kriegsschiff überlassen? Außenminister Laurent Fabius fühlt sich vorerst an die Verträge mit Russland gebunden. O-Ton Laurent Fabius, PS (Sozialisten), Außenminister Frankreich: Wenn Putin so weitermacht, könnten wir eine Kündigung der Verträge ins Auge fassen. Das hätte negative Folgen für uns Franzosen. In einem solchen Fall würden wir von den anderen einen Ausgleich verlangen, etwa von den Briten. Die müssten dann das Gleiche mit dem Besitz russischer Oligarchen machen. So bremsen sich die EU-Staaten gegenseitig aus. Und die Franzosen bauen munter weiter am zweiten Kriegsschiff für die Russen. Französische Militärexperten halten das für problematisch. O-Ton Etienne de Durand, Rüstungsexperte, IFRI: Ich glaube, weil die Russen ganz klar die Krim annektieren, müssen wir den Verkauf der Schiffe stoppen. Das wäre ein Milliardenverlust, den Frankreich vermeiden möchte. Weitere Wirtschaftssanktionen gegen Russland? Das hört man in Österreich gar nicht gern. Schließlich geht hier jedes zweite Schengen-Visum an russische Staatsbürger. Zum Teil an Russen mit sehr viel Geld, das sie zahlreich nach Österreich tragen und auch auf österreichischen Konten anhäufen. Ein Grund: das Bankgeheimnis, erzählt uns Rechnungshofpräsident a.D. Franz Fiedler. Österreich sei ähnlich lukrativ wie Offshore-Staaten. O-Ton Franz Fiedler, Rechnungshofpräsident Österreich a.D.: Natürlich ist das ein Anreiz, nicht nur für Oligarchen aus dem Osten, sondern auch aus dem arabischen Raum, aus Libyen zum Beispiel, hier Gelder in Österreich anzulegen. Wenn man als Geschäftsadresse Virgin Islands oder Cayman Islands angibt, dann erregt das beim Geschäftspartner ein gewisses Unbehagen. Während, wenn Wien als Geschäftsadresse angeführt wird, ist das unverdächtig. Und man im Wesentlichen die gleichen Vorteile wie auf den Kanalinseln. Sotschi im Februar: Besuch von Präsident Putin im ÖsterreichHaus. Schulterklopfen für Russlands Präsidenten – und Werbung für Österreich. Man mag sich. Da sind zum Beispiel in Kitzbühel oder Lech Russlands Oligarchen - wie Jelena Baturina, reichste Frau Russlands. Vermögende Russen als Hotelinvestoren nebst privater MillionenVilla. Aber nicht nur ihretwegen hat Österreich keine Lust auf Sanktionen. O-Ton Norbert Kettner, Direktor Wien-Tourismus: Wenn die Sanktionen große Gruppen der Bewohner der Russischen Föderation betreffen würden, dann hätten wir massive Auswirkungen hier. Also, nicht nur im Städtetourismus, sondern vor allem auch zum Beispiel im Skitourismus, der in den letzten Jahren die Zuwächse eigentlich nur mehr aus Osteuropa erzielen konnte. Zwei Millionen Nächte verbringen russische Touristen pro Jahr in Österreich. Umsatz rund eine halbe Milliarde Euro. Sanktionen gegen Russland? Gerne, findet Österreich - nur nicht bei uns. O-Ton Franz Fiedler Rechnungshofpräsident Österreich a.D.: Das Floriani-Prinzip: Zünde nicht mein Haus an, sondern das des Nachbarn, das gilt natürlich in der Wirtschaft immer. Und wenn also Sanktionen verhängt werden sollten von der Europäischen Union, dann wird Österreich sicherlich nicht zu jenen gehören, die am lautesten nach diesen Sanktionen schreien, sich aber natürlich fügen müssen, das ist klar. Vorerst braucht sich Österreich aber keine Sorgen zu machen, denn die Sanktionen der EU gegen Russland sind halbherzig. So wie bisher die Bemühungen um die Demokratie in der Ukraine. Im Dezember 2013 besuchte die EU-Außenbeauftragte Cathrine Ashton die Opposition auf dem Maidan. Nicht mehr als eine Geste. Jahrelange Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen blieben ohne Ergebnis. Die EU schaffte es nie, die Ukraine stärker an sich zu binden. O-Ton Rebecca Harms, B‘90/Grüne, Fraktionsvorsitzende Grüne im EU-Parlament: Bis heute, glaube ich, hat das Land auch immer wieder darunter gelitten, dass unsere ganze Aufmerksamkeit und unser ganzes Interesse auf Russland konzentriert war und guten Beziehungen zu Russland. Und die Ukraine ist immer ein bisschen zwischen Baum und Borke hängengeblieben. Selbst 2004, nach der Orangenen Revolution, verpasste die EU die Chance, die Demokratie in der Ukraine zu festigen. O-Ton Prof. Hans-Henning Schröder, Stiftung Wissenschaft und Politik: Was mich wirklich ärgert, und das bezieht sich nicht nur auf die Ukraine, das bezieht sich auch auf Russland, ist, dass die Europäische Union und zum Teil eben auch Deutschland über viele Jahre lang einfach Osteuropa, und damit meine ich vor allem den postsowjetischen Raum, ignoriert hat. Und die EU sieht seit jeher tatenlos zu, wie sich Russland bei seinen Nachbarn einmischt. Dabei gibt es völkerrechtlich verbindliche Verträge. Wie das Budapester Memorandum, 1994. Kiew verzichtete auf seine Atomraketen aus Sowjetbeständen. Großbritannien, die USA und Russland respektierten im Gegenzug die territoriale Integrität der Ukraine. Doch darauf pfeift der Kreml. Die Krim ist nur ein Beispiel. In Moldawien schützt Moskau das abtrünnige Transnistrien und verhindert eine Wiedervereinigung mit dem Rest der Republik. In Georgien erklärten sich die Teilrepubliken Abchasien und Südossetien für unabhängig – nur möglich durch massive Unterstützung Russlands. Der Kreml kontrolliert auch die Lage in Bergkarabach, einem Unruheherd in Aserbaidschan, der schon tausende Menschenleben kostete. Und in den baltischen Ländern hetzt Moskau regelmäßig die russischsprachige Minderheit gegen die jeweiligen Regierungen auf. Die Krim ist seit heute russisch und von der EU längst abgeschrieben. Dem Bruch des Völkerrechts hat sie nichts entgegenzusetzen. Die Geschäfte mit Russland aber laufen super. Auch in Finnland. Auf diesem Feld in Lappland ist Atomkraftwerk geplant, das die russische Firma Rosatom bauen soll. Ein SechsMilliarden-Euro-Deal. Der soll durch die Krimkrise nicht in Gefahr geraten. O-Ton Minna Forsström, Projektleiterin Fennovoima: Wir Finnen sind sehr pragmatisch: Das Projekt ist gut für die Wirtschaft und schafft auch neue Arbeitsplätze. Heute importieren wir sehr viel Strom aus Russland. Mit dem neuen Kraftwerk werden wir unsere Abhängigkeit von russischer Energie verringern. Russische Atomtechnik ist fester Bestandteil finnischer Energiepolitik. Und daran soll sich nichts ändern. Und auch der Tourismus ist für Finnland wichtig. Aus den Skigebieten sind spendierfreudige Russen nicht mehr wegzudenken. Harte Sanktionen der EU gegen Russland lehnt die finnische Wirtschaft ab. O-Ton Raimo Valo, CEO, East Office of Finnish Industries: Man muss ganz klar abwägen, Russland hat in der Tat gegen alle internationalen Gesetze und die Verfassung der Ukraine verstoßen. Das muss natürlich Konsequenzen haben. Auf der anderen Seite werden wir die Folgen von Wirtschaftssanktionen auch sehr lange spüren – ist es das wert? Das ist eine sehr wichtige Frage, vor allem für uns in Finnland. Kaum ein europäischer Staat hat so viel Erfahrung mit der Unberechenbarkeit des Kremls und fürchtet sich vor ihm. O-Ton Alexander Stubb, Konservative, Minister für EUAngelegenheiten und Außenhandel, Finnland: Die Frage ist, wie Russland im Falle harter Sanktionen der EU reagiert. Zahlt Moskau mit gleicher Münze zurück oder gibt es ganz andere Reaktionen? Deshalb glaube ich, dass Sanktionen nur das letzte Mittel sein dürfen. Wenn es zu einem Wettlauf der Sanktionen kommt, sind das schlechte Nachrichten für die russische Wirtschaft, schlechte Nachrichten für die europäische und auch für die finnische Wirtschaft. Putins heutige Inszenierung macht klar: Die Krim ist weg und die EU blamiert. Der Kremlchef kann machen, was er will. Denn er weiß ganz genau: In der EU gibt es 28 Länder mit 28 eigenen Wirtschaftsinteressen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. 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